Transkript
FORTBILDUNG
Im Zweifel biopsieren!
Vulvaerkrankungen richtig diagnostizieren und behandeln
Die Anzahl an Patientinnen mit Vulvabeschwerden hat in den letzten Jahren zugenommen. Sie klagen über juckende, brennende und schmerzende Stellen im Genitalbereich. Eine Herausforderung für den Arzt bleibt die Differenzialdiagnostik.
Meike Schild-Suhren
Vulvaerkrankungen stellen Gynäkologen, aber auch Dermatologen, Allgemeinmediziner, Pathologen, Immunologen und Virologen vor immer neue Aufgaben. Dieser Bereich ist nach wie vor mit Scham besetzt und fällt durch eine zunehmende Anzahl von Erkrankungen auf, insbesondere von malignen (1). Auch Hauterkrankungen wie Lichen sclerosus beschäftigen uns in der Praxis immer häufiger. Doch nicht jede juckende Erkrankung ist ein Pilz, nicht jede Rötung eine Allergie. Über die Ursache dieser Zunahmen existieren bislang nur Spekulationen: So gibt es nur wenige Studien zur HPV-(humanes Papillomavirus-)Prävalenz, und die HPV-Genese fehlt immer noch in vielen Pathologien maligner Erkrankungen (2, 3). Es gibt auch keine Erhebungen zur Veränderung des Hygieneverhaltens und bisher lediglich eine Untersuchung zum Enthaarungsverhalten (4). Dieser Beitrag zeigt eine kurze Übersicht der häufigsten Vulvaerkrankungen in der Praxis, ohne auf jedes Krankheitsbild im Detail einzugehen. Man unterscheidet hier zwischen benignen und malignen Erkrankungen (Tabelle 1).
Lichen sclerosus
Der Lichen sclerosus (Abbildungen 1–3) gilt – auch ohne die genauen Inzidenzzahlen zu kennen – wohl als häufigste nicht infektiöse gutartige Vulvaerkrankung der täglichen Praxis (5). Die Patientinnen stellen sich typischerweise mit starkem Juckreiz vor, der vor allem nachts auftritt. Häufig haben sie schon
MERKSÄTZE
� Vulvaerkrankungen beschäftigen Gynäkologen, Dermatologen und Hausärzte immer häufiger.
� Nur ein gemeinsames Management kann zur schnellen und sicheren Diagnose und damit zur Einleitung einer Therapie führen.
� Patientinnen mit Beschwerden im Vulvabereich sollten immer ernst genommen und im Zweifelsfall einer differenzierten kolposkopischen Untersuchung in dafür ausgelegten Zentren zugeführt werden.
eine Vielzahl antimykotischer Therapien hinter sich und einen starken Leidensdruck. Der Altersgipfel dieser Erkrankung liegt zwischen 50 und 60 Jahren, aber auch Kinder sind schon betroffen (6). Da es sich vermutlich um eine Autoimmunerkrankung handelt, wundert es nicht, dass sich bei 21 Prozent der Patientinnen noch andere schädliche, körpereigene Immunreaktionen zeigen (7). Die Lokalbehandlung mit einem hochpotenten Kortikoid ist die Therapie der Wahl. Alle auffälligen Bereiche – Erosionen oder Leukoplakien, die unter der Therapie nicht rückläufig sind oder gar neu auftreten – müssen stanzbioptisch gesichert werden, um eine vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN) oder ein Karzinom auszuschliessen (8). Wie bei allen Dermatosen ist die interdisziplinäre Therapie durch Dermatologen und Gynäkologen wichtig.
Lichen ruber
Wie der Lichen sclerosus ist auch der Lichen ruber (Abbildung 4) eine Autoimmunerkrankung (9). Zu einem hohen Prozentsatz ist dabei die Mundschleimhaut beteiligt, sodass bei diesen Patientinnen eine Untersuchung beim Zahn- beziehungsweise HNO-Arzt angezeigt ist (10). Auch hier gibt es einen hohen Leidensdruck – ausgelöst durch Jucken, Brennen und Schmerzen. Vor allem im erosiven Stadium ist an ein normales Sexualleben häufig nicht mehr zu denken. Die starken erosiven Veränderungen führen zu Verklebungen bis zum Verschluss der Vagina. Dies ist auch der entscheidende Unterschied zum Lichen sclerosus, der den Scheidenbereich meist nicht betrifft. Der Verlauf der Erkrankung ist nicht vorhersehbar, oft selbstlimitierend, aber in den meisten Fällen chronisch rezidivierend. Eine enge Zusammenarbeit mit Dermatologen ist zwingend notwendig. Die Diagnose sollte auf jeden Fall stanzbioptisch gesichert werden.
Gutartige pigmentierte Läsionen
Pigmentierte Läsionen sind häufig und treten bei 10 Prozent der Frauen auf (Abbildung 5). Diese Hautflecken sind meist gutartig. Bei jeder Veränderung stellt sich jedoch die Frage nach einem gut- oder bösartigen Verlauf (11). Die häufigsten pigmentierten Läsionen sind die melanotischen Flecken (Lentigo), Nävuszellnävi und seborrhoische Warzen. Auch
608
ARS MEDICI 18 | 2019
FORTBILDUNG
Abbildung 1: Lichen sclerosus Abbildung 2: Lichen sclerosus
Abbildung 8: Kondylome Abbildung 9: Prämaligne Erkrankung
Tabelle 1:
Einteilung von Erkrankungen der Vulva
Benigne Erkrankungen: s Lichen sclerosus s Lichen planus s gutartige Läsionen s entzündliche Erkrankungen
Prämaligne und maligne Erkrankungen: s vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN) s Morbus Paget s Vulvakarzinom s malignes Melanom
Abbildung 3: Lichen sclerosus
Abbildung 10: nicht HPV-induziert
warzige Kondylome sind manchmal pigmentiert, ebenso können Einblutungen, zum Beispiel beim Lichen sclerosus, fleckig abheilen. Bei der Differenzialdiagnose zum Melanom sollte man auch an der Vulva die ABCDE-Regel (Asymmetrie, Begrenzung, Coloration, Durchmesser, Entwicklung) anwenden. Diese Regel ist hier leider nicht immer zuverlässig, sodass im Zweifel eine Stanzbiopsie gemacht werden sollte.
Abbildung 4: Lichen ruber
Abbildung 11: Maligne Erkrankung
Abbildung 5: Melanotische Flecken Abbildung 12: Maligne Erkrankung (Lentigo)
Abbildung 6: Primärer Herpes
Abbildung 13: Maligne Erkrankung
Abbildung 7: Primärer Herpes
Abbildung 14: Maligne Erkrankung
Entzündliche Erkrankungen
Als häufigste Erkrankung gilt hier sicher die Candidose; ihr Leitsymptom ist das Jucken. Die Diagnose sollte der Arzt immer mikroskopisch stellen und im Zweifelsfall einen Abstrich zur mikrobiologischen Untersuchung ins Labor schicken. Infektionen bakterieller Art sind häufig durch A-Streptokokken verursacht. Oft finden sie sich bei Mädchen vor der Pubertät (12) und wurden durch orogenitale Schmierinfektionen hervorgerufen. Hier sollte man immer erfragen, ob es noch weitere erkrankte Familienangehörige gibt, um einen möglichen sexuellen Missbrauch zu erkennen. Infektionen mit Parasiten und Würmern treten bei Kindern und Erwachsenen jeden Alters auf. So finden sich Filzläuse und Skabies – ebenso wie Oxyuren – auch im Vulvabereich. Eine weitere häufige entzündliche Erkrankung ist die Follikulitis. Sie wird meist durch Staphylococcus aureus hervorgerufen und ist durch die heute gängige Genitalrasur begünstigt (4). Das Augenmerk muss in einem solchen Fall auf der Aufklärung der Patientin liegen, um ständige Rezidive zu vermeiden. Die Therapie richtet sich nach dem Ausmass und reicht von lokalen Desinfektiva bis zur chirurgischen Sanierung von Abszessbildungen. Bei einer Vulvitis muss zudem an fast alle sexuell übertragenen Erkrankungen gedacht werden, vor allem an aufsteigende Infektionen oder an solche mit generalisierten Verläufen. Bei der Syphiliserkrankung, die in den letzten Jahren zugenommen hat, ist auch immer ein Primäraffekt des «harten Schankers» möglich. Dies sollte bei Verdacht abgeklärt werden (13). Auch der primäre Herpes (Abbildungen 6, 7) im Vulvabereich ist häufig, wird meist sexuell übertragen und ist sehr schmerzhaft. Typisch sind Bläschen und häufig geschwollene
ARS MEDICI 18 | 2019
609
FORTBILDUNG
Leistenlymphknoten (14). Die Einleitung einer sofortigen Therapie ist aufgrund der starken Beschwerden der Patientin notwendig. Im Gegensatz zum Herpes sind die Kondylome (Abbildung 8) meist asymptomatisch, aber ebenso häufig. Dabei sollte man besonders auf die Entstehung von Dysplasien achten, wobei diese meist durch Hochrisikostämme, die Kondylome hingegen durch Low-risk-Stämme induziert werden.
Prämaligne Erkrankungen
Die meisten prämalignen Erkrankungen der Vulva werden durch HPV-Infektionen (in der Regel vom Typ VIN, Abbildung 9), nicht HPV-induziert hingegen häufig auf dem Boden eines Lichen (differenzierte VIN, Abb. 10) hervorgerufen (8, 15–17). Jeder therapieresistente Juckreiz sollte uns aufmerksam machen. Im Zweifel ist immer zur Stanzbiopsie geraten. Die Inzidenz prämaligner Erkrankungen nimmt rapide zu, wobei zunehmend jüngere Frauen betroffen sind. Die Faktoren sind vielfältig, sicher spielt auch hier wieder das veränderte Sexual- sowie Rasurverhalten mit hinein (4). Der vulväre Morbus Paget ist dagegen selten und sollte bei Verdacht stanzbioptisch gesichert werden. Auch hier ist wieder die Interaktion von Gynäkologie und Dermatologie wichtig, um die Patientin optimal zu therapieren (18).
Maligne Erkrankungen
Das Vulvakarzinom zeigt einen deutlichen Anstieg der Inzi-
denz in den letzten Jahren (Abbildungen 11–14) (15). Auch
hier muss man zwischen der HPV-induzierten und der nicht
HPV-induzierten Form unterscheiden (19). Besonders auf-
merksam sollte man bei jungen Frauen sein: Sie leiden immer
häufiger unter malignen Erkrankungen. Bei diesen Patientin-
nen finden sich vorwiegend HPV-positive Karzinome, was der
Arzt auch in der Beratung zur HPV-Impfung berücksichtigen
sollte. Der häufigste Risikofaktor bleibt jedoch das Rauchen!
Auch hier gilt wieder: Jeder auffällige Bereich muss stanzbi-
optisch abgeklärt werden.
s
Dr. Meike Schild-Suhren Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Klinikum Oldenburg AöR D-26133 Oldenburg
Interessenlage: Die Autorin hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Literatur: 1. Gaß P: Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Vulvakarzinoms und
seiner Vorstufen. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), AWMF-Registernummer 015/059, Stand: August 2015; https:// www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-059l_S2k_Vulvakarzinom_ und_Vorstufen_Diagnostik_Therapie_2016-10.pdf 2. Siegel DA et al.: Evaluation of the vulvar cancer histology code reported by central cancer registries: importance in epidemiology. Arch Pathol Lab Med 2017; 141(1): 139–143. 3. Horn LC et al.: Nomenklatur der plattenepithelialen Präkanzerosen des unteren weiblichen Genitales: Aktuelle Aspekte. Pathologe 2016; 37(6): 526–533. 4. Schild-Suhren M et al.: Pubic hair shaving is correlated to vulvar dysplasia and inflammation: a case-control study. Infect Dis Obstet Gynecol 2017; 2017: 9350307. 5. Goldstein AT et al.: Prevalence of vulvar lichen sclerosus in a general gynecology practice. J Reprod Med 2005; 50(7): 477–480. 6. Delisle B: Vulvovaginitis beim präpubertalen Mädchen. Paediatr Paedolog; 88(6): 324. 7. Thomas RHM et al.: Lichen sclerosus et atrophicus and autoimmunity – a study of 350 women. Br J Dermatol 1988; 118(1): 41–46. 8. Madsen BS et al.: Risk factors for invasive squamous cell carcinoma of the vulva and vagina –population-based case-control study in Denmark. Int J Cancer 2008; 122(12): 2827–2834. 9. Moyal-Barracco M, Edwards L: Diagnosis and therapy of anogenital lichen planus. Dermatol Ther 2004; 17(1): 38–46. 10. Nogueira PA et al.: Oral lichen planus: an update on its pathogenesis. Int J Dermatol 2015; 54(9): 1005–1010. 11. Venkatesan A: Pigmented lesions of the vulva. Dermatol Clin 2010; 28(4): 795–805. 12. Müller H, Friese K: Entzündliche Erkrankungen der Vulva und Vagina. Gynäkologe 2002; 35(9): 892–908. 13. Robert Koch-Institut: Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2016. Berlin 2017; https://www.rki.de/DE/ Content/Infekt/Jahrbuch/Jahrbuch_2016.pdf;jsessionid=5424E45CA53EFCDCF2719289470AE0EA.1_cid372?__blob=publicationFile 14. Sauerbrei A: Herpes genitalis: diagnosis, treatment and prevention. Geburtsh Frauenheilk 2016; 76(12): 1310–1317. 15. Kang YJ et al.: Vulvar cancer in high-income countries: Increasing burden of disease. Int J Cancer 2017; 141(11): 2174–2186. 16. Sideri M et al.: Squamous vulvar intraepithelial neoplasia: 2004 modified terminology, ISSVD Vulvar Oncology Subcommittee. J Reprod Med 2005; 50(11): 807–810. 17. van de Nieuwenhof HP et al.: Review of squamous premalignant vulvar lesions. Crit Rev Oncol Hematol 2008; 68(2): 131–156. 18. Parker LP et al.: Paget‘s disease of the vulva: pathology, pattern of involvement, and prognosis. Gynecol Oncol 2000; 77(1): 183–189. 19. van de Nieuwenhof HP et al.: Vulvar squamous cell carcinoma development after diagnosis of VIN increases with age. Eur J Cancer 2009; 45(5): 851–856.
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2019. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
610
ARS MEDICI 18 | 2019