Transkript
EDITORIAL
Des einen zu viel, vom anderen zu wenig
Was Popeye längst wusste, ist jetzt auch wissen schaftlich bewiesen: Spinat gibt Kraft. Sogar so viel, dass dieses Gemüse eigentlich auf die Dopingliste gehört. Der darin enthaltene Stoff Ecdysteron, ein pflanzliches Phytosteroid, wirkt in der Pflanze als Teil der Abwehr gegen Frassfeinde. Unter Sportlern, in Russland laut Berichten beliebt, wird die Substanz wegen ihr nachgesagter anaboler Effekte zur Leistungssteigerung eingesetzt, die aber nie ganz schlüssig bewiesen wurden. Das hat nun eine Berliner Studie nachgeholt. Darin erhielten 46 Sportler dop pelblind randomisiert während zehn Wochen Spinat extrakt in unterschiedlichen Dosierungen oder Plazebo. Endpunkte waren die Veränderung von Muskelmasse und Kraft, Letztere gemessen im Arm drücken. Die Muskelmasse nahm gegenüber Plazebo mit allen Ecdysterondosierungen zu, relevant für die Sportler war die zum Erstaunen der Autoren deutliche Zunahme der Leistungssteigerung. Die Substanz solle nun in die Dopingliste aufgenommen werden, so die Empfehlung der Studienautoren. Spinatliebhaber sind davon vorerst nicht betroffen, denn für den beobach teten Effekt bräuchte es je nach Sorte mindestens 0,25 bis 4 Kilo täglich (1).
Anwendung wieder Privatsache? Nicht wegen zu starker, sondern eher zu schwacher Wirkung sind andere «natürliche» Substanzen ins Visier der französischen obersten Gesundheitsbe hörde geraten. Phytopharmaka haben wie Homöo pathika in der Arzneimitteltherapie eine lange Tradi tion, die Diskussion um die Wirkung Letzterer ist aber fast ebenso lang. Die französische Haute Autorité de Santé (HAS) hat nun beschlossen, dass die Allgemein heit eine Therapie mit nicht wissenschaftlich bewiese ner Wirkung nicht bezahlen soll, und hat daher die Empfehlung an das zuständige Ministerium abge geben, die populäre Homöopathie aus der Kranken kassenleistungspflicht zu streichen. Jeder zehnte Franzose verwendete 2018 homöopathische Mittel, was die französischen Kassen über 126 Millionen Euro kostete. Zu dieser Empfehlung kam die Behörde aufgrund einer umfangreichen Überprüfung von über 1000 wissen schaftlichen Publikationen über etwa 1200 Homöo pathika im Zeitraum der letzten 20 Jahre. Für 24 defi nierte Symptome oder Erkrankungen konnte die Kommission keinen Wirkungsnachweis finden. Das betraf beispielsweise traumatisch bedingte Schmerzen, Warzen an Fusssohlen, Vaginalpilze, Kopfschmerzen, Angst, Depression, Schlafstörungen, ADHS, Arthrose, Fatigue, akute Atemwegsinfektionen, Mittelohr entzündungen etc. Eine robuste Studie, die Homöo pathika eine bessere Wirkung auf die Lebensqualität im Vergleich zu herkömmlichen Medikamenten be scheinigt, fand die Kommission auch nicht. Ebenso wenig einen Beweis, dass die Einnahme von Homöo pathika zu einer Dosisreduktion von herkömmlichen Arzneimitteln oder von Hospitalisationen beiträgt (2). Weil weder die direkte noch die indirekte Wirkung die ser Therapieform belegbar ist, ist die Schlussfolgerung der Behörde aus wissenschaftlicher Sicht nachvoll ziehbar. Hat sie Signalwirkung?
Valérie Herzog
Quellen: 1. Isenmann E et al.: Ecdysteroids as non-conventional anabolic agent: per
formance enhancement by ecdysterone supplementation in humans. Arch Toxicol 2019; 93: 1807–1816. 2. Haute Autorité de Santé: Première évaluation scientifique des médica ments homéopathiques en France. Medienmitteilung 28.7.2019.
ARS MEDICI 18 | 2019
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