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Medikation, ein gefährliches «Handwerk»?
Mit CIRS Fehlmedikationen vorbeugen
Täglich verordnen Ärztinnen und Ärzte zahlreiche Medikamente, die den Gesundheitszustand ihrer Patienten verbessern sollen. Dass die Medikation auch gewisse Risiken birgt, ist uns allen bewusst. Doch ist sie deshalb ein gefährliches «Handwerk»? Wie wir Fehlmedikationen noch besser vorbeugen und Fehleinnahmen seitens der Patienten vermeiden, wird durch eine CIRS-Datenanalyse deutlich.
Vanessa Mengel
Dr. med. Markus Gnädinger, Allgemeinmediziner und CIRSVerantwortlicher der SGAIM
Die Allgemeinmediziner Dr. med. Markus Gnädinger und Dr. med. Esther Henzi sind Verantwortliche für das CIRS (critical incident reporting system) der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM). Anhand einer Studie im schweizerischen Sentinella-Meldesystem und der Analyse der gesammelten CIRS-Daten zahlreicher Hausärztinnen und Hausärzte können sie Präventivmassnahmen aufzeigen, die das Risiko von Medikations- und Einnahmefehlern reduzieren und Ärztinnen und Ärzten helfen, «Lücken» im eigenen Behandlungsablauf zu identifizieren. An der vergangenen APA-Informationsveranstaltung in Zürich präsentierten Dr. Gnädinger und Dr. Henzi erste Ergebnisse.
Dr. med. Esther Henzi, Allgemeinmedizinerin und CIRSVerantwortliche der SGAIM
Risiken für Patienten und Ärzte
Es existieren hauptsächlich zwei durch Medikation gefährdete Personengruppen: Zum einen der Patient selbst, zum anderen der Arzt. Wobei der Patient in physischer Hinsicht direkt betroffen ist, der Arzt lediglich in juristischer und psychologischer Sicht zum Risikoträger wird. Ein Medikationsfehler kann beim Patien-
ten eine Gesundheitsstörung auslösen, meist harmlos, im Extremfall aber lebensbedrohlich oder gar tödlich. Medikationsfehler stellen ein Drittel aller Behandlungsfehler dar. Nicht immer ist jedoch ein Verordnungsfehler des Arztes Auslöser dafür.
Patientenverständnis erhöhen und sicherstellen
Ein Grossteil der über die Sentinella-Studie identifizierten Fehlmedikationen liegt in einer fehlerhaften Dosierung (in 40% der Fälle zu hoch), in der Verordnung falscher Medikamente beziehungsweise der Verwechslung sowie in der fehlerhaften Einnahme von Medikamenten durch die Patienten. Fehlmedikationen resultieren dabei zumeist aus Missverständnissen in der mündlichen Kommunikation zwischen Patient und Arzt, dem Arzt und seiner MPA oder aber zwischen Arzt und Spital beziehungsweise anderen vorübergehend zuständigen Schnittstellen sowie der Patientenunwissenheit. Für die Ärztinnen und Ärzte gilt es daher, systematische Sicherheitsfilter zu installieren, welche die korrekte Abgabe, aber auch die richtige Einnahme von Medikamenten sicherstellen sollen.
Kommunikation ist das A und O
Der behandelnde Arzt sollte sich vergewissern, dass der Patient über genügend Wissen verfügt, um die verordneten
CIRS-Datenbank: Was ist das?
Die CIRS-Datenbank (CIRS = critical incident reporting system) ist eine Web-Applikation, welche fehlerhafte Handlungen (oder Unterlassungen) aus Praxen anonym rapportiert und der Ärzteschaft in einem geschützten Raum zugänglich macht. Durch die Auswertung der eingetragenen Daten kann sie als Qualitätsverbesserungstool genutzt werden. Anhand von Fallbeispielen, die kritische Ereignisse oder Schädigungen dokumentieren, können Ärztinnen und Ärzte die eigene Praxisgewohnheit reflektieren und Fehlern vorbeugen. Im Bereich der Medikation leistet das Tool damit einen grossen Beitrag zur Patientensicherheit, kann Fehlmedikationen reduzieren und wirkt unnötigem Medikamentenverbrauch entgegen.
Die Identität bleibt anonym
Auf der Website www.forum-hausarztmedzin.ch können sich interessierte Ärztinnen und Ärzte registrieren. Nach der einmaligen Anmeldung erhält man Zugriff auf alle bereits eingetragenen Fälle und kann selbst Beiträge hochladen. Die Vertraulichkeit der Daten hat dabei höchste Priorität: Die Einzelfälle werden anonymisiert eingegeben und in einem geschützten Raum veröffentlicht.
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Medikamente ordnungsgemäss anzuwenden. Dabei sind auch die Wirkungsweise, Nebenwirkungen und allfällige Interferenzen mit anderen Präparaten zu beachten. Die CIRSDatenbank enthält Beispiele, die belegen, dass Fehlmedikationen durch eine wiederholte Patientenschulung sowie durch gezielte Rückfragen zum Erklärten oder Erlernten an den Patienten vorgebeugt werden kann. An dieser Stelle sollen vier Beispiele aus der CIRS-Datenbank zur Verdeutlichung dienen:
1. Insulin in Narbe gespritzt fehlende Wirkung Bei einem 65-jährigen Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes Typ 2 wurden die BZ-Werte immer schlechter und liessen sich kaum mehr einstellen. Schliesslich stellte sich heraus, dass besagter Patient das Insulin immer an der gleichen Stelle applizierte. Dies, obwohl er zuvor (eigentlich) korrekt instruiert worden war.
2. Kurz wirksames Insulin zum falschen Zeitpunkt Nahrungseinnahme nicht beachtet Eine Diabetikerin, welche schlecht Deutsch spricht und Analphabetin ist, wurde mit einem Basis-Bolus-Schema eingestellt (Tresiba und 3 × täglich NovoRapid). Bei der routinemässigen HbA1c-Kontrolle schilderte sie Episoden, in denen sie nervös sei und schwitze. Es stellte sich heraus, dass die Patientin nie ein Frühstück einnahm, sich aber dennoch täglich eine Morgendosis NovoRapid spritzte.
Medikation gelegt werden. Alte Menschen oder Personen aus anderssprachigen Ländern bedürfen dabei einer besonderen Aufmerksamkeit.
Mit einfachen Massnahmen vorbeugen
Mit dem Einsatz von Medikamenten am Patienten über-
nimmt der Arzt eine grosse Verantwortung. Im Sinne der
5-R-Regel sollte er immer sicherstellen, dass der richtige Pa-
tient, das richtige Medikament in der richtigen Dosierung zur
richtigen Zeit und in der richtigen Applikationsweise erhält.
Allein durch die Prüfung dieser 5 Regeln kann einer Fehlme-
dikation entscheidend vorgebeugt werden. Ebenso sind die
kontinuierliche Patientenschulung und die korrekte Ein-
schätzung möglicher Risiken (Fremdsprachen, Schnittstellen
etc.) hilfreiche Mittel zur Fehler- und Missverständnisreduk-
tion. Im Fall einer Überweisung oder Zwischenbehandlung
von Dritten muss zwingend eine Nachkontrolle und Über-
prüfung des Einnahmeplans erfolgen.
L
Vanessa Mengel APA-Projektleiterin
Literatur: Gnädinger M et al.: Medication incidents in primary care medicine: a prospective study in the Swiss Sentinel Surveillance Network (Sentinella). Link zur Studie: https://bmjopen.bmj.com/content/7/7/e013658
3. ACE-Hemmer doppelt eingenommen Patientenirrtum Bei einer Patientin wurde während eines Spitalaufenthaltes der bisherige ACE-Hemmer von Ramipril auf Lisinopril gewechselt. Wieder zu Hause, nahm die Patientin ihre üblichen Medikamente ein, plus die neuen vom Spital verordneten. Dies führte zu einer Doppeleinnahme der ACEHemmer (Ramipril und Lisinopril).
4. Anwendung von Abkürzungen vermeiden Unzureichende Schnittstellenkommunikation Ein Patient mit rheumatoider Arthritis wurde in eine Klinik eingewiesen. Dort verordnete man ihm «Mo und Mi» (Montag und Mittwoch) Methotrexat. Als die Rückverlegung ins Pflegeheim erfolgte, wurde die Verordnung «Mo und Mi» falsch interpretiert und übernommen. Dort wurde das Methotrexat «morgens und mittags» verabreicht.
Sich selbst und die Patienten regelmässig überprüfen
Die Beispiele zeigen, dass eine «Fehlmedikation» unterschiedliche Ursachen haben kann, dieser häufig jedoch eine unterlassene oder missverständliche Kommunikation zugrunde liegt. Elementar zum Vorbeugen solcher Fehler ist die repetitive Schulung der Patienten und die wiederholte Überprüfung der Anwendung durch den behandelnden Arzt. Ein besonderes Augenmerk sollte bei einer vorübergehenden Behandlung durch Dritte (z.B. Spital) auf die Überprüfung der
Wer ist die APA?
Die schweizerische Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA) setzt sich für eine sichere, qualitativ hochstehende und günstige Medikamentenversorgung der Patientinnen und Patienten ein. Hierbei vertritt sie die Interessen der selbstdispensierenden Ärzte gegenüber der Politik, der Industrie und den Grossisten. Die APA ist als Verein organisiert und umfasst tausend Mitglieder. Einmal jährlich organisiert sie eine öffentliche Informationsveranstaltung, auf der relevante Themen der Selbstdispensation kritisch beleuchtet und diskutiert werden. Für APA-Mitglieder ist das hilfreiche Handbuch «Qualitätssicherung der Praxisapotheke» kostenlos. Zudem erhalten sie für die tägliche Kontrolltätigkeit in der Praxis ein sogenanntes «Protokollheft».
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