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Infektionen
Das fiebernde Kind
Ursachen abklären, Eltern gut beraten
Hat ein Kind hohes Fieber (> 39,5 °C), löst das bei vielen Eltern grosse Ängste aus. Befürchtet wird nicht nur eine schwere Erkrankung, sondern auch, dass das Fieber selbst Schaden anrichten könnte. Aufgabe des Hausund Kinderarztes ist es hier nicht nur, die Fieberursache zu finden und kompetent zu behandeln, sondern vor allem die Eltern gut zu beraten – oder besser – zu beruhigen.
Von Elke Jäger-Roman und Christoph Weiss-Becker
F ieber ist neben Husten der Hauptvorstellungsanlass von sonst gesunden Klein- und Grundschulkindern in den Praxen der Grundversorgung (1). Das Phänomen der sogenannten Fieberphobie (2) ist auch unter Ärzten weit verbreitet (3). Dies führt oft zu unstrukturierter Diagnostik sowie zum übermässigen Einsatz von Antipyretika und Antibiotika. Infektionskrankheiten sind auch heute noch die häufigste Fieberursache. Schwere und lebensbedrohliche Infektionen gingen in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings durch die vielen, für das Kindesalter neu entwickelten Konjugatimpfstoffe stark zurück. Grundsätzlich unterliegt die Körpertemperatur des Menschen (36–37,3 °C) zirkadianen Schwankungen und steigt meist im Tagesverlauf. Leichte Temperaturerhöhungen haben physiologische Ursachen, zum Beispiel bei Kindern nach starker körperlicher Aktivität (Toben), nach eiweissreichem Essen oder nach Virusinfektionen. Der oft genutzte Ausdruck «subfebrile Temperatur» (37,3–38 °C) ist klinisch bedeutungslos und sollte nicht verwendet werden, da er fälschlicherweise eine versteckte Krankheit suggeriert. Für die Ursachensuche sind die Begriffe «Fieber ohne Fokus» und «Fieber unklarer Genese» zu unterscheiden (Tabelle 1).
Tabelle 1:
Fieberdefinitionen
Fieber Fieber ohne Fokus
Fieber unklarer Genese
Erhöhung der Körperkerntemperatur auf > 38,0 bzw. > 38,5 °C (wird in der Literatur nicht einheitlich definiert) Der Ursprung des Fiebers lässt sich nach Anamnese, eingehender körperlicher Untersuchung und Urinanalyse nicht finden; Dauer des Fiebers unter 8 Tagen. Rektaltemperatur > 38,5 °C für mehr als 8 Tage bei einem Kind, bei dem sich die bestehenden Symptome mittels Anamnese, klinischer sowie allgemein laborchemischer und bildgebender Untersuchungen zunächst keinem Krankheitsbild zuordnen lassen.
Fieberstadien
Bei akuten Erkrankungen mit hohem Fieber gibt es drei Fieberstadien: • das Initialstadium mit plötzlichem Fieberanstieg, Zit-
tern (Schüttelfrost) und kühler, gelegentlich bläulich marmorierter Haut, vor allem der Extremitäten (Zentralisation) • das Plateaustadium mit anhaltend hoher Kerntemperatur • das Lysestadium mit starkem Schwitzen und geröteter Haut durch Öffnung der peripheren Gefässe.
Charakteristische Fieberarten
Bei länger anhaltendem Fieber (> 8 Tage) können charakteristische Fieberarten auf die zugrunde liegende Erkrankung hinweisen: • Kontinuierliches Fieber um 39 °C tritt häufig bei bakte-
riellen und viralen Erkrankungen, unter anderem aber auch bei Kawasaki-Syndrom auf. • Remittierendes Fieber mit Tagesschwankungen um 1 bis 2 °C ist häufig bei Organerkrankungen wie Harnwegs- und Nasennebenhöhleninfektionen, unter anderem aber auch bei M. Still. • Intermittierendes Fieber mit starken Temperaturschwankungen am Tag über 2 °C, auch mit Untertemperatur und Fieberspitzen mit Schüttelfrost, ist typisch für Infektionen mit rekurrierenden Bakteriämien/ Sepsis. • Rekurrierendes Fieber, auch Rückfallfieber oder periodisches Fieber, tritt unter anderem bei Malaria auf. • Undulierendes, wellenförmiges Fieber mit Spitzen bis zu 40 °C kommt zum Beispiel bei Leukämien, M. Hodgkin und Autoimmunerkrankungen vor. • Doppel-(mehr-)gipfliges Fieber, das heisst erneut auftretendes Fieber nach einigen fieberfreien Tagen, tritt unter anderem bei bestimmten Influenzaausbrüchen auf.
Fieberentstehung
Fieber ist das Ergebnis einer fein abgestimmten Kommunikation zwischen Immun- und Nervensystem. Ausnah-
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men bilden Erkrankungen, die mit einer gestörten Temperaturregulation einhergehen und nicht durch Pyrogene (meist Akutphaseproteine wie Interleukine, Prostaglandine, TNF-a) vermittelt werden: neurologische Erkrankungen, Hitzschlag, Durstfieber bei Säuglingen, Vergiftungen und maligne Hyperthermie. Die Fieberhöhe ist normalerweise begrenzt. Dieser Mechanismus wird bislang jedoch nicht vollständig verstanden, vermutlich sind Antipyrogene verantwortlich. Fieber hat zudem eine Schutzfunktion, auch wenn hohes Fieber (> 39,5/40 °C) das Allgemeinbefinden deutlich beeinträchtigt.
Fiebermessung
Zur Fiebermessung nutzt man am besten digitale, batteriebetriebene Kontakt- oder Ohrthermometer (Infrarotsensor). Der Verkauf von Quecksilberthermometern ist seit 2009 in der EU verboten, in der Schweiz bereits seit 2006. Die rektale Fiebermessung gilt als Goldstandard, stösst aber (ausser bei Säuglingen) meist auf Gegenwehr der Kinder. Wegen der Verletzungsgefahr sollte man sie nicht anwenden, zumal die Fieberhöhe nicht auf die Schwere der Erkrankung schliessen lässt. Die sublingual oder axillär gemessene Temperatur ist 0,3 bis 0,6 °C niedriger als die rektale. Die im Gehörgang gemessene Temperatur entspricht etwa der Kerntemperatur, wird von allen Kindern toleriert und ist zur Orientierung schnell und einfach.
Viral oder bakteriell?
In den ersten Lebensjahren, speziell in der Kindergartenzeit, erkranken Kinder an vielen fieberhaften Infektionen (bis zu 8- bis 10-mal pro Jahr), die meisten sind kurz (3 bis 5 Tage) und selbstlimitierend. Bei 80 Prozent der Kinder mit dem akuten Vorstellungsanlass «Fieber» handelt es sich nicht um ein isoliertes Symptom. Vielmehr ist es mit weiteren Beschwerden vergesellschaftet wie Husten und/oder Erkältungszeichen, Hals-, Ohren-, Kopf-, Bauchschmerzen oder gastrointestinalen Symptomen. Diese geben bereits gute Hinweise auf die Ursache. Erreger der akuten fieberhaften Erkrankungen sind zu 90 Prozent Viren und zu 10 Prozent Bakterien. Bei etwa jedem fünften Kleinkind lässt sich trotz sorgfältiger Untersuchung keine Fieberursache finden (Fieber ohne Fokus). Der Arzt muss nach Anamnese und klinischem Befund zunächst einschätzen, ob die Ursache des Fiebers eine virale, eine fokale bakterielle oder eine schwere invasive bakterielle Infektion ist.
Allgemeinzustand ist entscheidend
Für die Beurteilung des Schweregrads muss der Allgemeinzustand des Kindes betrachtet werden. Ist dieser gut, kann der Arzt die Erkrankung meist rasch einer akuten, selbstlimitierenden (viralen) oder kausal behandelbaren, fokalen Infektionskrankheit (z.B. Streptokokkenangina) zuordnen. Anders ist es bei reduziertem Allgemeinzustand. Nach einer ausführlichen Anamnese zu Fieberdauer (evtl. zu Fieberart und -periodik), Begleitsymptomen, zum Urteil der Eltern über das Befinden des Kindes und zu ähnlichen Krankheitsfällen in dessen Umgebung ist stets eine umfassende körperliche Untersuchung (und Dokumen-
tation) nötig. Fiebernde Säuglinge unter drei Monaten sollte der Arzt immer unabhängig vom Allgemeinzustand einweisen (zur Diagnostik oder Beobachtung), da bei ihnen Krankheitssymptome oft wenig ausgeprägt sind. Bei bakteriellen Infektionen ist das Risiko für einen schweren Verlauf höher als bei viralen Erkrankungen – auch wenn es bakterielle Erkrankungen gibt, die blande verlaufen und undiagnostiziert bleiben. Dies gilt vor allem für Säuglinge unter drei Monaten, aber auch für Kinder unter drei Jahren, die anfälliger für Bakteriämien und infolgedessen für fokale und septische bakterielle Erkrankungen sind (z.B. Harnwegsinfekte bei Säuglingen unter drei Monaten, Osteomyelitis bei Kindern unter einem Jahr, Sepsis/Meningitis). Beim Kinderarzt liegt die Prävalenz schwerwiegender bakterieller Infektionen im Alter bis 36 Monate bei 1 bis 2 Prozent. Erste Anzeichen, die an eine ernste bakterielle Krankheit denken lassen sollten, sind in Tabelle 2 aufgeführt.
Tabelle 2:
Zeichen und Symptome, die bei Fieber an eine ernste bakterielle Erkrankung denken lassen
• Lethargie, Irritabilität, «toxisches» Aussehen • Alter unter 36 Monate (insbesondere unter 3 Monate) • anhaltende und schwer zu senkende Temperatur über 39,5 °C • Atemnot • Tachykardie höher als bei gegebener Temperatur zu erwarten • gespannte oder eingesunkene Fontanelle beim Säugling • Nackensteife beim älteren Kind • Petechien und/oder Hautblutungen • lokalisierte Rötung, Schwellung, Schmerz (Skelett, Gelenke) • Abdominal- oder Flankenschmerz • chronische Vorerkrankung (z.B. Immundefekt oder Erkrankung unter immunsup-
pressiver Therapie, Gedeihstörung, angeborene Herzerkrankung, maligne Erkrankung) • Sorge des behandelnden Arztes aufgrund seiner klinischen Erfahrung (Bauchgefühl) • elterliche Einschätzung eines schwerer als sonst kranken Kindes
Tabelle 3:
Im Kindesalter empfohlene Antipyretika
Paracetamol
Wirkung über Hemmung der zentralen Cyclooxygenase und Verringerung der
Prostaglandinkonzentration
antipyretisch und analgetisch
seit Langem bewährt, oral oder rektal zu verabreichen
geringe therapeutische Breite
10–15 mg/kg KG bis zu 4 × pro Tag
Ibuprofen
Wirkung über Hemmung der peripheren Cyclooxygenasen
(nicht steroidales antipyretisch, analgetisch und antiphlogistisch
Antiphlogistikum) ab 2. Lebensjahr zugelassen, oral oder rektal zu verabreichen
gute therapeutische Breite
in der Regel sehr gute Verträglichkeit
7,5–10 mg/kg KG pro Tag, verteilt auf 3 (bis 4) Dosen
Acetylsalicylsäure ist bei Kindern unter 12 Jahren wegen des bei viralen Infekten beschriebenen
Reye-Syndroms nicht geeignet.
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Auch akute virale Erkrankungen können schwere Krankheitszustände auslösen, die eine stationäre Einweisung erforderlich machen (wie Bronchiolitis bei jungen Säuglingen, Status asthmaticus, Masernpneumonie, Rotavirusinfektion bei jungen Kindern). Bei der Beurteilung eines Kindes mit akut aufgetretener fieberhafter Erkrankung wird der Hausarzt – unter Abwägung der Differenzialdiagnosen – in den meisten Fällen eine virale, nicht besorgniserregende Infektion diagnostizieren.
Laboruntersuchungen
Ist das Kind in seinem Allgemeinzustand beeinträchtigt, der Arzt hinsichtlich seiner Diagnose unsicher (d.h. ob es sich um eine virale oder bakterielle Erkrankung handelt) oder kein Fokus erkennbar, empfiehlt sich neben der vollständigen körperlichen Kontrolle eine Basislaboruntersuchung: • Urinuntersuchung (nach Reinigung des Genitals: Mit-
telstrahl- oder Beutelurin) auf Leukozyten per Teststreifen und – falls positiv – Mikroskopie des nativen Urins (Harnwegsinfekt). Harnwegsinfektionen sind in jedem Kindesalter eine relativ häufige bakterielle Ursache von Fieber ohne Fokus. Eine sorgfältige Uringewinnung und -analyse sind hier bedeutsam. • Leukozytenzahl im Blutbild > 15000/µl: Verdacht auf bakterielle Infektion. • CRP > 80 mg/l: Verdacht auf bakterielle Infektion Cave: Leukozytose > 15 000 und CRP > 80 mg/l werden zwar als diagnostische Kriterien für eine bakterielle Infektion empfohlen, ermöglichen aber keine sichere Unterscheidung zwischen viraler und bakterieller Infektion (4). Dies gilt vor allem für Säuglinge unter drei Monaten. • Schnelltest auf Streptokokken A im Rachenabstrich nur bei klinischem Verdacht. • Leberenzyme (SGPT und SGOT) bei anhaltendem Fieber ohne Fokus bei Vorschulkindern mit Verdacht auf Epstein-Barr-Virus-Infektion.
Allerdings ist bei hohem Fieber (> 39,5 °C) meist der Allgemeinzustand beeinträchtigt, was den Einsatz fiebersenkender Medikamente sinnvoll macht (Tabelle 3). Deren Gabe sollte sich nicht an der Höhe des Fiebers oder einer Uhrzeit orientieren (der Mindestabstand zwischen den Einzeldosen muss jedoch beachtet werden), sondern lediglich am Befinden des Kindes. Das Ziel fiebersenkender Medikamente ist nicht die Wiederherstellung der Normaltemperatur, sondern dass sich das Kind besser fühlt. Grundsätzlich sollte der betreuende Arzt mit den Eltern, wie erwähnt, über deren Fieberängste sprechen und ihnen versichern, • dass fiebersenkende Medikamente die Krankheit selbst
nicht beeinflussen • dass sie damit keine Fieberkrämpfe verhindern können • dass die Höhe des Fiebers nichts über die Schwere der
Erkrankung aussagt • dass aber Fieber eine positive Rolle bei der Aktivierung
der Körperabwehr spielt. Berücksichtigen Eltern diese Hinweise, führt dies zu einem deutlich reduzierten Fiebermittelverbrauch. Die genannte Fieberphobie hat unter anderem auch zur weitverbreiteten Praxis (oft mit ärztlicher Empfehlung) der alternierenden Gabe verschiedener Antipyretika (Paracetamol und Ibuprofen) geführt. Alle nicht steroidalen Antipyretika sind potenziell hepato- und nephrotoxisch. Zu ihrer kumulativen Wirkung gibt es bislang keine wissenschaftliche Datengrundlage (5). Eltern sollten auch deshalb von ihrem Wunsch abgebracht werden, Fieber unter allen Umständen auf Normaltemperatur senken zu wollen.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Elke Jäger-Roman Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin Honorary President of European Confederation of Primary Care Paediatricians (ECPCP) Köhlerstr. 23 D-12205 Berlin E-Mail: jaeger-roman@snafu.de
Verlauf im Auge behalten
Dass scheinbar banale Erkrankungen sich im Verlauf als schwerwiegend herausstellen, sich «Fieber ohne Fokus» durch neu auftretende Symptome einer Krankheitsursache doch zuordnen lässt und seltene Erkrankungen häufig erst aus dem Verlauf heraus (und durch zusätzliche Labor- und bildgebende Diagnostik) erkennbar werden – all dies sollte in den Grundprinzipien der haus- und kinderärztlichen Versorgung beachtet werden. Dazu gehören das vorläufige Offenhalten einer endgültigen Diagnose, die Wiedervorstellung und die Reevaluation des Patienten bei ausbleibender Besserung und anhaltendem Fieber. Eltern und ältere Kinder und Jugendliche sollte der Arzt hier hinsichtlich einer Wiedervorstellung beraten, etwa bei Verschlechterung des Allgemeinzustands, bei neuen Symptomen, bei anhaltendem Fieber über den vierten Tag hinaus und bei grosser Besorgnis der Eltern. Logistisch ist auch immer die Erreichbarkeit der Praxis sicherzustellen.
Beratung und Behandlung
Fieber ist primär nicht behandlungsbedürftig. Bei einem ansonsten gesunden Kind hat es keine nachteilige Wirkung.
Interessenlage: Die Autoren haben keine potenziellen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift «Der Allgemeinarzt» 3/2019. Der leicht bearbeitete und gekürzte Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autoren und Verlag.
Literatur: 1. Fegeler U et al: Ambulante allgemeinpädiatrische Grundversorgung. Monatsschr Kinderheilkd 2014; 162: 1117–1130. 2. Schmitt BD: Fever phobia: misconceptions of parents about fevers. Am J Dis Child 1980; 134: 176–181. 3. May A, Bauchner H: Fever phobia: the pediatrician‘s contribution. Pediatrics 1992; 90: 851–854. 4. Kool M et al.: (2016) C-reactive protein level as diagnostic marker in young febrile children presenting in a general practice out-of-hour service. J Am Board Fam Med 2016; 29: 460–468. 5. Kowalzik F, Zepp F: Das fiebernde Kind. Monatsschr Kinderheilkd 2013; 161: 196–203. 6. Thompson M et al.: Systematic review and validation of prediction rules for identifying children with serious infections in emergency departments and urgent-access primary care. Health Technol Assess 2012; 16: 1–100.
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