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Titel
Mit mehr Praxisassistenzen und realistischen Guidelines die Hausärzte unterstützen
Untertitel
Interview mit Prof. Dr. Sven Streit, BIHAM Bern
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Zum 10-jährigen Bestehen hat der Verein Junge Hausärztinnen und -ärzte Schweiz (JHaS) in Zusammenarbeit mit Prof. Sven Streit, Hausarzt und Verantwortlicher für die Nachwuchsförderung am Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), untersucht, wo und wie die jungen Hausärzte den Weg in die Praxis finden. Über die Ergebnisse der Studie und weitere Herausforderungen der täglichen Praxis unterhielten wir uns mit dem ehemaligen Präsidenten des Vereins JHaS.
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INTERVIEW
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41550
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INTERVIEW
Mit mehr Praxisassistenzen und realistischeren Guidelines die Hausärzte unterstützen
Interview mit Prof. Dr. Sven Streit, BIHAM Bern

Zum 10-jährigen Bestehen hat der Verein Junge Hausärztinnen und -ärzte Schweiz (JHaS) in Zusammenarbeit mit Prof. Sven Streit, Hausarzt und Verantwortlicher für die Nachwuchsförderung am Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), untersucht, wo und wie die jungen Hausärzte den Weg in die Praxis finden. Über die Ergebnisse der Studie und weitere Herausforderungen der täglichen Praxis unterhielten wir uns mit dem ehemaligen Präsidenten des Vereins JHaS.

Die Geschichte des Vereins JHaS ist eine Erfolgsgeschichte, erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und zum bereits Erreichten, an dem Sie als Präsident einen grossen Anteil haben. Auch Sie selbst haben sich der Hausarztmedizin verschrieben, aber nicht nur der reinen Praxistätigkeit … Prof. Sven Streit: Ja, ich habe zusammen mit meiner Frau eine hausärztliche Einzelpraxis im Jobsharing übernommen. Das erlaubt mir, Teilzeit in der Praxis und Teilzeit in der Forschung zu arbeiten. Das bedeutet nicht nur Freude, sondern ist auch Motivation, weil ich die Bedürfnisse der Praxis unmittelbar sehe und in die Forschung einbringen kann. Die Schwierigkeit bei der Forschung liegt manchmal in der Breite des Spektrums, da muss ich Schwerpunkte setzen.
Was sind denn Ihre Forschungsschwerpunkte? Streit: Drei Bereiche stehen im Vordergrund. Einmal die optimale Versorgung der älteren Patienten mit Aspekten wie Hypertonie, Multimorbidität und Polypharmazie. Ein weiteres Gebiet ist die Nachwuchsförderung; zu sehen, was die Jungen wünschen, was es gibt und wie viel es braucht. Ein dritter Schwerpunkt ist das Thema Deprescribing.
Lassen Sie uns über die Studie Ihres Instituts zur Versorgungslage sprechen: Es sind ein paar Tage vergangen, seit Sie die Ergebnisse präsentiert haben. Wie ist die Resonanz? Streit: Sehr gut, und das auf verschiedenen Ebenen. Die hausärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die das Studium schon länger hinter sich haben, meinten: «Das ist doch erfreulich, das haben wir uns gewünscht.» Und die Jüngeren bestätigen, dass auch sie ein grösseres Interesse an der Hausarztmedizin wahrnehmen. Vor allem wurde auch in den Regionen und in den Kantonen etwas bewegt, für die der Hausärztemangel ein grosses Thema ist, müssen sie doch die hausärztliche beziehungsweise die gesundheitliche Versorgung sicherstellen. Daraus entstanden in verschiedenen Kantonen Diskussionsrunden, in denen es um eine Bestandesaufnahme und vor allem auch darum ging, was man jetzt konkret zur Nachwuchsförderung unternehmen könnte. Da Förderprogramme immer mit finanziellem Aufwand einhergehen, ist das Interesse gross, das Engagement auch zu evaluieren, wie wir das jetzt im Kanton Bern getan haben.

Da kann sich ja vielleicht punkto Praxisassistenzen etwas entwickeln – laut der Studie ein sehr wichtiger Faktor für die hausärztliche Versorgung. Wie finden sich Suchende? Streit: Derzeit werden in der Schweiz über 200 Praxisassistenzstellen angeboten, und in groben Zügen wissen die meisten Ärzte in der Schweiz, wie das funktioniert. Es gibt verschiedene Optionen und regionale Unterschiede, was die Anforderungen betrifft. Grob kann man das so beschreiben: Wenn ein Arzt in einer grösseren Praxis sieht, dass er das finanziell stemmen kann, kann er selbst eine Praxisassistenz anbieten. Meist ist das aber nicht möglich, und da setzen kantonale Programme und überregionale Angebote an, wie bei uns in Bern. Die Organisation läuft in der Deutschschweiz über die Stiftung zur Förderung der Weiterbildung in Hausarztmedizin, WHM, und in der Romandie über die Organisation Cursus Romand de Médecine de Famille, CRMF. Die Interessierten sollten die jeweiligen Bedingungen und die Unterschiede kennen. Wir hatten anfänglich bei uns nur eine Excel-Liste, mit der wir versucht haben, Suchende zusammenzubringen. Jetzt bieten wir die Praxisassistenzen über eine Website an, die ein Arzt aus Graubünden entwickelt hat. Damit lassen sich die Bedürfnisse viel besser abgleichen, man sieht nicht nur Namen, sondern auch gleich Termine und Pensen, die offeriert werden, sodass man individuell und zielgerichtet suchen kann. Das läuft im Moment als Pilotprojekt, und ich hoffe, wir können das Angebot schweizweit ausbauen.
Welche weiteren Ziele haben Sie sich gesteckt? Streit: Wir wissen ein wenig, was der Nachwuchs wünscht, und wir wissen, dass er kommt. Jetzt braucht es eine enge Begleitung für diejenigen, die an der Hausarztmedizin interessiert sind. Wir müssen sie auf dem Weg in die Praxis unterstützen. Die ärztliche Weiterbildung in der Schweiz hat den Vorteil, dass sie sehr individualisiert und modular aufgebaut ist. Mit dem Facharzttitel kann man sowohl im Spital als auch in der Praxis arbeiten, an beiden Stellen besteht eine Nachfrage nach Allgemeininternisten. Aber es gibt auch Hürden – Stichworte Familie und Burn-out. Hier möchten wir eine bessere Begleitung anbieten. Es braucht einen nationalen Weckruf, aber die Umsetzung muss

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INTERVIEW

Foto: zVg

Zur Person
Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit praktiziert in eigener Praxis zusammen mit seiner Frau und arbeitet am Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM) als Leiter Nachwuchs & Vernetzung Hausärzte sowie in der Forschung. Zusätzlich zum Studium der Medizin machte er an der London School of Hygiene and Tropical Medicine einen Master of Science in Epidemiologie und an der Universität Leiden, Niederlande, einen PhD zur Hypertoniebehandlung bei älteren gebrechlichen Menschen. Der ehemalige Präsident des Vereins JHaS war ebenfalls Vorsitzender der Europäischen Organisation junger Hausärzte.

Guidelines müssen von Leuten entwickelt werden, die wissen, wie man sie umsetzt, und von Patientinnen und Patienten mitgeschrieben werden. Ich sehe viele Guidelines, die von Personen geschrieben wurden, die sehr nah an der Forschung sind, und auch sehr gut, wenn es um Studien geht – aber gleichzeitig sehr weit weg von der Umsetzung in der Praxis sein können. Wenn die Guidelines im Elfenbeinturm geschrieben werden, werden sie nur von einem Teil der Ärzte umgesetzt. Hauärztinnen und Hausärzte müssen ja auch eine Lösung für die Patienten finden, die nicht in den Guidelines abgebildet sind. In den Niederlanden, zum Teil auch in England, werden Guidelines von Anfang an zusammen mit Statistikern, Epidemiologen, Hausärzten und Patienten entwickelt – und diese werden dann auch viel stärker befolgt.

dann eher regional erfolgen. Seit einem Jahr bieten wir das Berner Curriculum für Allgemeine Innere Medizin an, bei diesem sind sowohl Studierende als auch Assistenzärzte eingeschrieben. Zum Angebot gehört zweimal jährlich ein Karrieregespräch mit erfahrenen Mentoren, Hausärzten und Hausärztinnen, um zu sehen, wie es den Jungen auf ihrem Weg ergeht, und um bei allfälligen Schwierigkeiten gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

In den Niederlanden, zum Teil auch in England, werden Guidelines von Anfang an zusammen mit Statistikern, Epidemiologen, Hausärzten und Patienten entwickelt – und diese werden dann auch viel stärker befolgt.

Für junge Hausärzte ist die Arbeit in der Praxis in vielen Bereichen eine Herausforderung. In diesem Zusammenhang möchte ich mich gern mit Ihnen noch über den Stellenwert von Guidelines unterhalten. Streit: Die Diskussion über Guidelines ist sehr interessant, vor allem mit meinem Hintergrund in Forschung und Praxis. Auf der einen Seite hat unsere Forschung Einfluss darauf, was nachher Eingang in die Praxis findet, auf der anderen Seite frage ich mich in der Praxis manchmal, welche Guideline brauche ich jetzt – in dieser Situation mit diesem Patienten?

Wie ist das in der Schweiz? Werden hier beim Schreiben der Guidelines auch Patienten involviert? Streit: Das ist ein aufkommendes Thema, ist aber meines Wissens noch nicht so erfolgt. Grundsätzlich sind Hausärztinnen und Hausärzte bei uns bereit, Guidelines anzunehmen. Wir haben eine Umfrage zu den Hypertonie-Guidelines durchgeführt und in den Hausarztpraxen gefragt, wie Guidelines zum Einsatz kommen. Die Mehrheit hat geantwortet, dass sie Guidelines einsetzt, genannt wurden dann Dutzende verschiedene. In den Niederlanden dagegen orientieren sich alle an einer nationalen Guideline, die in Zusammenarbeit mit der Fachgesellschaft erarbeitet wurde.

Praxisassistenz als Investition in die Zukunft

Das Angebot einer Praxisassistenz ist in zweierlei Hinsicht eine gute

Idee. Zum einen kann man damit dazu beitragen, dass der Nachwuchs

eine qualitativ hochstehende Weiterbildung erhält. Zum anderen kann

ein solches Angebot auch dabei helfen, die eigene Praxisnachfolge gut

zu regeln. Dabei gilt: Besser früher an später denken und spätestens

zehn Jahre vor dem Zeitpunkt der Pensionierung aktiv werden. Denn

kurz vor der geplanten Übergabe kann es schwierig werden, auf Anhieb

den richtigen Nachfolger zu finden.

Bei Interesse sollten Sie sich überlegen, was Sie und Ihre Praxis zu bieten

haben. Was für ein Pensum ist möglich? Und was für Arbeitsschwer-

punkte gibt es? Was bieten Sie gegebenenfalls neben der hausärztlichen

Tätigkeit – Ultraschall, manuelle Medizin oder andere zusätzliche Qua-

lifikationen? Damit Ihr Angebot sichtbar wird, brauchen Sie zudem

einen Partner, je nach Kanton können das Kantonsärzte, Spitäler, Insti-

tute sein. Am wichtigsten ist, dass Ihre Praxis als Weiterbildungsstätte

beim SIWF anerkannt ist. Mehr zu den unterschiedlichen Anlaufstellen

und Bedingungen inklusive möglicher Unterstützung erfahren Sie auf

der Website der Stiftung zur Förderung der Weiterbildung in Hausarzt-

medizin (WHM) unter www.praxisassistenz.ch

Gibt es so etwas auch schon in der Schweiz? Streit: Nein, meines Wissens ist das in der Schweiz noch nicht so koordiniert, es gibt viele verschiedene Projekte, viele regionale Ärztegruppen, die ihre eigenen Guidelines erstellen. Ich würde mir wünschen, dass in dieser Richtung noch mehr auf nationaler Ebene entsteht – in Analogie zu den Praxisassistenzen. Das Arbeiten mit einer Plattform wäre einfacher als mit vielen verschiedenen Angeboten.
In welchen Bereichen fehlt es an geeigneten Praxisrichtlinien? Streit: Mir fehlt eine Guideline, die den ganzen Patienten berücksichtigt. Ich habe keinen Diabetiker, Osteoporotiker, Hypertoniker separat in der Sprechstunde, das ist bei mir ein und dieselbe Person. Guidelines widersprechen sich teilweise, und befolgt man alle, kommt es zu Polypharmazie und ungeeigneten Verschreibungen mit Interaktionen. In England hat man schon vor einigen Jahren eine Guideline zur Multimorbidität erstellt, die den ganzen Patienten berücksichtigt. Das gibt es in der Schweiz so noch nicht, bislang greifen Empfehlungen zu «smarter medicine» einzelne Aspekte auf. Die NICE-Guidelines, erstellt von einem Gremium aus zwölf

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INTERVIEW

KHM: Early-Career-Preis geht nach Bern

Im Rahmen des diesjährigen Kongresses des Kollegiums für Hausarzt-

medizin (KMH) wurde erstmals ein Early-Career-Preis vergeben, der sich

an den akademischen Nachwuchs in der Hausarztmedizin richtet. Der

mit 5000 Franken dotierte Preis geht nach Bern an Dr. med. Sophie Man-

telli et al. für ihre Arbeit «How general practitioners would deprescribe

in frail oldest-old with polypharmacy – the LESS study». Die Studie, die

am Berner Institut für Hausarztmedizin durchgeführt wurde, lud rund

280 Hausärzte zu einer Onlinebefragung ein, um mithilfe einer Fallvig-

nette herauszufinden, wann und wie diese bei alten Patienten Medika-

mente niedriger dosieren oder absetzen würden. 157 Ärzte dokumen-

tierten schliesslich ihre Bereitschaft, Medikamente abzusetzen. 98 Pro-

zent setzten mindestens ein Medikament ab, im Mittel waren es drei bis

vier Langzeitmedikationen. Darunter waren insbesondere kardiovas-

kuläre präventiv einzunehmende Medikamente, entweder aufgrund

von mangelnder Indikation oder fehlendem Nutzen. Schmerzmedika-

mente hingegen wurden eher beibehalten, gegebenenfalls in reduzier-

ter Dosierung oder als Reservemedikation. Die Entscheidungen der

Ärzte orientierten sich an der Nutzen-Risiko-Bewertung der Medika-

tion, der Lebensqualität und -erwartung der Patienten sowie an deren

Wünschen und Prioritäten. Das Preisgeld wird dazu beitragen, weitere

Forschung in diesem Bereich zu unterstützen.

Alte und Gebrechliche differenzierter und berücksichtigen zudem Patientenwünsche. Das spricht mich als Hausarzt sehr an, sind doch auch meine Patienten nicht alle gleich.
Mir fehlt eine Guideline, die den ganzen Patienten berücksichtigt. Ich habe keinen Diabetiker, Osteoporotiker, Hypertoniker separat in der Sprechstunde, das ist bei mir ein und dieselbe Person.
Hier noch zwei konkrete Beispiele: Wie sieht es mit den NOAK aus? Werden diese nicht nach wie vor zu selten eingesetzt, zum Beispiel bei Patienten mit Vorhofflimmern? Streit: Ich habe keine Zahlen zur Verschreibungshäufigkeit. Aber aus praktischer Sicht kann ich sagen, dass NOAK einen immer grösseren Stellenwert erlangen. Es gab ja auch Indikationserweiterungen; direkte orale Antikoagulanzien können mittlerweile auch bei Thromboembolien oder Tumorleiden eingesetzt werden, nicht nur fraktioniertes Heparin. Ich sehe sie als absolut implementiert.

Personen, darunter zwei Patientenvertreter, nennen keine einzelnen konkreten Behandlungsziele, sondern stellen eher ein holistisches Grundkonzept zur Behandlung der multimorbiden Patienten vor. Dabei geht es auch um Aspekte wie das individuelle Risikoprofil, die Lebenserwartung – schwierig zum Abschätzen, aber Eckpfeiler, um den richtigen Weg für den Patienten zu finden.
Welche Guidelines halten Sie für relevant? Streit: Mir gefallen am besten die Guidelines, die nicht nur die beste Evidenz aus randomisierten Studien, sondern alle drei Pfeiler der evidenzbasierten Medizin berücksichtigen. Dazu zählen auch die klinische Erfahrung vonseiten der Ärzte und die Patientenperspektive. Bei Guidelines, die nur die Studienlage berücksichtigen, muss man sich nicht wundern, wenn sie nicht implementiert werden. Ein gutes Beispiel sind für mich die europäischen HypertonieGuidelines. Anders als die Amerikaner, die für alle Patienten einen gleich niedrigen Blutdruck empfehlen, betrachten die europäischen Guidelines verschiedene Patientengruppen wie
Die NICE-Guideline zur Multimorbidität und Polypharmazie wurde 2017 publiziert und im März dieses Jahres zuletzt aktualisiert. Unter anderem finden sich darin Ressourcen und Screening-Tools zur Unterstützung bei der Verschreibung und beim Absetzen von Medikamenten. www.rosenfluh.ch/qr/nice-ktt18
Die LESS-Studie, die am KHM-Kongress den Early-Career-Preis erhalten hat, wurde bereits 2018 im Fachmagazin «BMC Family Practice» publiziert und kann hier im Detail nachgelesen werden: www.rosenfluh.ch/qr/less_study

Seit Kurzem wird ASS nicht mehr zur kardiovaskulären Primärprophylaxe empfohlen. Was glauben Sie: Wie lange wird es wohl dauern, bis das in der Praxis wirklich aufhört? Streit: Auch dazu habe ich keine Statistik. Aber in den Medix-Guidelines, die wir verwenden, ist das so aufgeführt, und ich setze das auch schon länger so um. Bei Patienten mit Polypharmazie schaue ich die Medikamente durch und überprüfe die Indikation. Befindet sich ASS zur Primärprophylaxe darunter, bespreche ich die Vor- und Nachteile mit den Patienten, und in den meisten Fällen wird das dann abgesetzt.
Wenn ein Medikament, das man vielleicht jahrelang verschrieben hat, aufgrund neuerer Studien abgesetzt werden sollte – wie erklären Sie Ihren Patienten das am besten? Ist das nicht manchmal schwierig zu «verkaufen»? Streit: Ja, das kann ein wenig tricky sein, wenn ein Patient mit 50 Jahren ein Medikament zur lebenslangen Einnahme erhalten hat, und dann kommt ein junger Arzt daher und sagt, das Medikament sehe er als Kandidat zum Absetzen. Aber ich bin immer wieder überrascht, die meisten Patienten kommen ja schon mit dem Wunsch in die Praxis, etwas abzusetzen. Ich habe da einen kleinen Trick: Wenn jemand fünf oder mehr Medikamente einnimmt, sage ich, die Liste sei aber lang. Und ich könne mir gut vorstellen, dass ich mal eines vergessen könnte und würde mir überlegen, ob man nicht mit weniger auskommen könne. Wie der Patient das sähe? Das ist in der Regel ein guter Türöffner. Wir haben eine Umfrage unter Schweizer Hausärzten und Patienten durchgeführt, um Barrieren beim Deprescribing zu identifizieren. Dabei haben wir zwei wichtige Faktoren gefunden, die das Absetzen erleichtern. Neben grossem Vertrauen dem Arzt gegenüber sind auch neue Studien hilfreich, die zeigen, dass man vom Absetzen einen Nutzen hat. L
Christine Mücke

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