Transkript
Jahresbericht 2018/2019
Ordentliche Generalversammlung der FMP vom Donnerstag, 16. Mai 2019
Im europäischen Vergleich der Gesundheitssysteme belegt die Schweiz 2018 erstmals den ersten Platz (Euro Health Consumer Index 2018). Damit bestätigt sich einmal mehr: Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme. Das aber kostet Geld – in der Schweiz aktuell gut 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Gesundheitskosten wachsen aktuell jährlich um rund 3,5 Prozent, wobei das Bruttoinlandsprodukt lediglich um gut 2,3 Prozent steigt. Deshalb ist es auch 2018 zentral, Geld zu sparen – insbesondere, um den Prämienzahler zu entlasten. Der Weg zum Ziel wird jedoch von Politik und Ärzteschaft sehr unterschiedlich angesehen. Zuerst einmal die Frage: Will die Schweizer Bevölkerung im Gesundheitswesen sparen? Denn über den grossen Nutzen der Gesundheitsversorgung wird kaum gesprochen. Neueste Umfragen zeigen: Die Bevölkerung ist mit dem Gesundheitswesen sehr zufrieden und wünscht keinen Abbau von Leistungen. Entsprechend könnte eine Umfrage, ob nicht 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Gesundheitsausgaben verwendet werden sollen, interessant sein. Der Bund setzt indessen auf Sparmassnahmen. So nutzt er aktuell die Möglichkeit, mit Tarifeingriffen die Löhne der Freipraktizierenden zu senken und die Zulassungen für freiberufliche Ärzte einzuschränken. Die Kantone verweigern eine gesetzeskonforme Anpassung des kantonalen ambulanten Taxpunktwertes. Sie senken auch den kantonalen Beitrag an die individuellen Prämienverbilligungen. Hinzu gekommen ist die Verlagerung der chirurgischen Eingriffe aus dem stationären in den ambulanten Bereich per Verordnung. Gleichzeitig investieren jedoch die Kantone unglaubliche Summen in die Renovation und die Aufrechterhaltung der eigenen Spitäler. Die Analysen der letzten Jahre haben gezeigt, dass bereits heute jeder dritte Arzt aus dem Ausland rekrutiert wird. Deshalb müsste es
eigentlich klar sein, dass der Arztberuf in der Schweiz für die Einheimischen attraktiv gemacht werden muss. Selbstverständlich ist die Kostendiskussion zu führen. Die Krankenkassenprämien steigen seit über 20 Jahren stetig an und neh-
men auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung regelmässig den ersten Platz ein. Deshalb besteht Handlungsbedarf. Bundesrat und Verwaltung aber gehen diese Diskussion völlig falsch an. Zu meinen, wenn man in einem schon überaus stark regulierten Bereich zusätzliche staatliche Auflagen schaffe, führe dies zu einer Senkung der Gesamtkosten, ist abenteuerlich. Wo immer möglich, sind Wettbewerb und Transparenz zu schaffen. So muss etwa die Mehrfachrolle der Kantone im Spitalbereich hinterfragt werden: Wer Spitäler betreibt, kann nicht gleichzeitig Regeln aufstellen, Tarife festsetzen und die ganze Mechanik auch noch überwachen wollen. Auch die Qualitätsdiskussion darf nicht praxisfern geführt werden: Für die Erreichung möglichst hoher Qualitätsstandards können nicht Bundesangestellte in Amtsstuben verantwortlich sein. Für diese Aufgabe sind Ärzte und Spitäler prädestiniert, welche ein virulentes Interesse daran haben, qualitativ einwandfreie Dienstleistungen zu erbringen. Die Forderung nach einem Globalbudget wird von der Ärzteschaft vehement abgelehnt. Eine Deckelung der ambulanten Leistungen wird unweigerlich in einer Rationierung enden, was sicher keine positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung haben wird. Bereits mit der Ambulantisierung per Verordnung wurden die Ärzte gezwungen, selbst neue kostspielige Wege zu finden, um diese Verordnung zu erfüllen. Die Vergütung für diese Leistungen wurde jedoch in keiner Weise angepasst. Die unzähligen neuen ambulanten Zentren verursachen Kosten, welche kritisch beobachtet werden müssen. Deshalb
fordert die Ärzteschaft, dass die Reformierung des Gesundheitssystems sich zuerst am Bedarf und an den Bedürfnissen der Menschen orientieren muss, welche die Versorgungsleistungen benötigen. Dazu gehört aus unserer Sicht ganz klar, dass Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit die Personen in den Gesundheitsberufen die benötigten Leistungen unter guten Bedingungen und mit guter Qualität erbringen können. Die FMP hat in diesem Jahr deshalb auch die angekündigten fünf Punkte für eine zielführende zukunftsfähige Gesundheitspolitik publiziert. Dazu gehören: 1. Man muss sich bewusst werden, was für
die Solidargemeinschaft noch zahlbar ist. 2. Interessenkonflikte der Kantone müssen
vermieden werden. Dies kann mit einer einheitlichen Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen erfolgen. 3. Die selbstständige ärztliche Tätigkeit muss gefördert und darf nicht gebremst werden. 4. Der bürokratische Aufwand für die Ärzte muss minimiert werden, damit der Arzt seine Zeit wieder vermehrt für den Patienten selbst einsetzen kann. 5. All das wird nur funktionieren, wenn auch eine gerechte Entschädigung für die ärztliche Leistung garantiert ist.
Die neue Tarmed-Revision, aktuell Tardoc genannt, wurde am 9. Mai 2019 in der Ärztekammersitzung in Biel von der Ärzteschaft angenommen. Nun ist wohl abzuwarten, ob dieser neue Tarif von allen Partnern akzeptiert wird und ob er am 1. Januar 2020 in Kraft tritt. Die FMP wird diese Entwicklung kritisch weiterverfolgen und sich dafür einsetzen, dass die ärztliche Leistung nicht weiter an Wert verliert. L
Dr. med. Gerardo Juan Maquieira Präsident FMP Schweiz
Der besseren Lesbarkeit wegen verzichten wir auf die weibliche Form, gemeint sind immer beide Geschlechter.
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ARS MEDICI 13 | 2019