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Therapieunterbrechungen bei chronischen Darmerkrankungen
Welche Exit-Strategien sind sinnvoll?
ECCO
Foto: KD
IBD-Patienten in stabiler und tiefer Remission haben oft irgendwann den Wunsch, auf ihre Medikamente zu verzichten. Allerdings sollte wegen drohender Relapse-Ereignisse das Absetzen der Therapie gut überlegt sein: Nur wenn alle Entzündungszeichen verschwunden sind, ist ein Ausstieg sinnvoll. Am ECCO in Kopenhagen gab Prof. Marc Ferrante aus Leuven (Belgien) einen Überblick.
und je häufiger in der Vergangenheit Rückfälle aufgetreten waren, desto höher ist das Relapse-Risiko. Der Experte erinnerte zudem daran, dass 5-ASA in der Therapie von Morbus Crohn nicht indiziert sei. Allerdings beginnt speziell bei Patienten in Kombinationstherapie bereits die Unsicherheit. Hat man beispielsweise eine tiefe endoskopische Remission mithilfe einer Kombination aus 5-ASA und einem TNF-Inhibitor bei CU erreicht, ist nicht klar, ob die 5-ASA-Therapie fortgeführt oder ihr Absetzen angedacht werden solle, so Ferrante: «Ich persönlich glaube auch nicht, dass wir da evidenzbasierte Antworten bekommen, weil für eine solche Studie sehr viele Teilnehmer notwendig wären.»
Dürfen IBD-Patienten, die sich in stabiler Remission befinden, ihre Therapie «einfach» beenden? Und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt? Noch ist vieles unsicher hinsichtlich solcher Fragen. Um hier zu einem gemeinsamen Standpunkt zu kommen, hat eine Gruppe aus internationalen Gastroenterologen kürzlich ein Review zusammengestellt, das am ECCO in Kopenhagen präsentiert wurde (1).
Reduktion von 5-ASA
Sicher scheint, dass das Relapse-Risiko nach Therapiestopp nicht nur von Patient zu Patient, sondern auch von Medikament zu Medikament (5ASA-, Immunmodulator, Biologikaoder kombinierten Therapie) unterschiedlich ist. Generell sollte 5-ASA(5-Aminosalicylsäure) bei Patienten mit Colitis ulcerosa (CU) nicht abgesetzt werden, auch wenn sie sich in Remission befinden, erklärte Ferrante. Sind jedoch die Adhärenz hoch, der klinische Verlauf mild, die Calprotectinspiegel niedrig und/oder die mukosale Heilung erreicht, könne über eine Reduktion der Erhaltungsdosis nachgedacht werden. Die Reaktionen auf einen Stopp der 5-ASA-Therapie sind sehr heterogen: Je ausgedehnter sich die CU zuvor zeigte
Bei hohen Infliximabspiegeln Immunmodulator absetzen
Sowohl Patienten mit CU als auch mit MC besitzen nach Absetzen einer Monotherapie mit einem Immunmodulator ein kumulatives Relapse-Risiko. Gemäss Schätzungen erleiden 30 Prozent der Patienten innerhalb von 2 und 50 bis 75 Prozent innerhalb von 5 Jahren einen Rückfall. Bei Patienten, die 3 bis 4 Jahre erfolgreich mit einem Immunmodulator behandelt worden waren und deren Remission als stabil betrachtet wird, können die Risiken und Vorteile eine Reduktion diskutiert und ein Stopp in Betracht gezogen werden. Sind jedoch weiterhin Inflammationszeichen nachweisbar, sei dies «wahrscheinlich keine gute Idee», so der belgische Gastroenterologe. Wie sieht es aus mit einer Entfernung des Immunmodulators aus einer Kombinationstherapie? In einer randomisierten Open-label-Studie aus Belgien wurde bei MC-Patienten in Remission nach 6 Monaten die Behandlung mit Azathioprin abgesetzt und die Infliximab-Monotherapie weitergeführt oder die AZA/IFX-Kombinationstherapie unverändert weitergeführt (2). Nach knapp 2 Jahren konnte im Vergleich zur IFX-Monotherapie kein klarer Benefit für die Fortführung der kombinierten Azathiopringabe festgestellt werden. Zudem war die Infliximab-Monotherapie mit erhöhten IFXTalspiegeln und reduzierten CRP-Werten verbunden. Überhaupt seien die IFX-Serumspiegel wichtige Parameter, so Ferrante. Denn in einer Nachfolgestudie wurde festgestellt, dass Patienten mit hohem IFX-Wirkstoffspiegel (> 5) in den ersten 12 Monaten nach dem AZA-Ausstieg aus der Kombinationstherapie mit einer sehr guten Prognose für die kom-
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ECCO
Praktische Betrachtungen zum Medikamenteausstieg (nach M. Ferrante)
Stopp der Immunmodulatoren L Monotherapie: Nach 4 bis 5 Jahren klinischer Remission
(Aber: Relapse-Risiko: 10% pro Jahr) L Kombinationstherapie mit Anti-TNF: Nach 6 bis 12 Monaten
Kombinationstherapie L ABER: erst nach objektiver Evaluation und Drug-Monitoring L STOPP mit 65 Jahren (Lymphomrisiko)
Stopp von Biologika und Small molecules L Wahrscheinlich keine Indikation, einen generellen Stopp
zu empfehlen L Indikationen für einen (befristeten) Stopp: Krebs, andere unkon-
trollierbare Nebenwirkungen (Infektionen, schwere Haut- oder Gelenkreaktionen), Schwangerschaft ... L Auf Patientenwunsch, aber nur bei lang anhaltender tiefer Remission nach Drug-Monitoring und Ausschluss von diversen Entzündungszeichen
Allgemeine Hinweise: L Individuelle Entscheidung L Therapiestopp sollte durch regelmässige Kontrollen begleitet
werden
menden Jahre rechnen duften, während sich bei einem deutlichen Absinken dieses Spiegels die Rückfälle stark häuften (3). In Leuven wird daher nach 6-monatiger Kombinationstherapie nur bei guten TNF-Wirkstoffspiegeln ein AZA-Ausstieg vorgenommen.
Keine Remission, aber weniger Schmerzen durch Joints
Cannabisprodukte werden in jüngerer Zeit verstärkt auch bei entzünd-
lichen Darmerkrankungen eingesetzt. Ob sie neben einer schmerzredu-
zierenden Wirkung auch entzündungshemmend wirken und damit
eventuell in der Lage sind, Remissionen einzuleiten, wollte eine nieder-
ländische Arbeitsgruppe aus Utrecht mit einer Datenbankanalyse her-
ausfinden.
Nach der Auswertung von 4 randomisierten und 9 nicht randomisierten
Studien konnten die Forscher keinen Effekt von Cannabis auf die beiden
Entzündungsmarker CRP und Calprotectin feststellen. Dagegen zeigten
sich abdominale Schmerzen und die Lebensqualität mit den Cannabis-
produkten verbessert. Die Autoren empfehlen daher, gerade bei Men-
schen, deren Lebensqualität gering ist und denen durch konventionelle
Therapien kaum geholfen werden kann, eine Cannabisverschreibung in
Betracht zu ziehen. Überdies zeigten sich in einer israelischen Studie
ältere Mediziner (> 50 Jahre) aufgeschlossener gegenüber der Verwen-
dung von medizinischem Cannabis als jüngere.
KD L
Quellen: ECCO 2019; P448 und P552.
Hohe Relapse-Raten nach Anti-TNF-Ausstieg
Konsequenterweise stellt sich nun die Frage, ob auch TNF-
Inhibitoren in Kombinationstherapien abgesetzt werden dür-
fen. In einer prospektiven belgisch-französischen Kohorten-
studie (STORI) zeigte sich, dass knapp die Hälfte (52 von
115) der Patienten mit Morbus Crohn bereits im ersten Jahr
nach Stopp einer Infliximabtherapie einen Krankheitsrück-
fall erlebten, bei fortlaufender Behandlung mit Thiopurin
oder Methotrexat (5). Die im vergangenen Jahr publizierten
Langzeitdaten dieser Untersuchung offenbarten zudem, dass
innerhalb von 7 Jahren nach dem Anti-TNF-Ausstieg aus der
Kombinationstherapie 85 Prozent der Teilnehmer einen Flare
erlebt hatten (6).
In einer britischen Kohortenstudie war der Anti-TNF-Aus-
stieg aus der Kombinationstherapie ebenfalls mit einer rund
50-prozentigen Relapse-Rate nach 2 Jahren verbunden – und
zwar sowohl bei MC- als auch bei CU-Patienten (7). Auch die
Metaanalyse von zehn Morbus-Crohn-Studien und mehr als
600 MC-Patienten ergab ein entsprechendes Bild: Die durch-
schnittliche Relapse-Rate nach 1 Jahr lag bei 39 Prozent und
nach 2 Jahren bei 53 Prozent (7). Die Daten für CU-Patienten
waren mit 35 Prozent (1 Jahr) respektive 42 Prozent (2 Jahre)
entsprechend.
Die gute Nachricht: Eine deutliche Mehrheit all dieser Patien-
ten sprach nach einem solchen Flare auf eine neuerliche Bio-
logikatherapie wieder an. Prinzipiell gelte: Wenn noch Ent-
zündungszeichen, beispielsweise in Form erhöhter CRP-
respektive Calprotectinwerte oder endoskopische Krank-
heitsaktivität feststellbar sind, sei es wahrscheinlich das
Beste, nicht aus der medikamentösen Therapie auszusteigen,
sagte Ferrante. Derzeit werden in mehreren Studien unter-
schiedliche Medikamenterückzugsstrategien näher geprüft.
L
Klaus Duffner
Literatur: 1. Doherty G et al.: ECCO Topical Review. European Crohn’s and Colitis
Organisation Topical Review on Treatment Withdrawal [Exit Strategies] in Inflammatory Bowel Disease. Journal of Crohn’s and Colitis 2018; 17–31. 2. Van Assche G et al.: Withdrawal of immunosuppression in Crohn’s disease treated with scheduled infliximab maintenance: a randomized trial Gastroenterology 2008; 134(7): 1861–1868. 3. Drobne D et al.: Withdrawal of immunomodulators after co-treatment does not reduce trough level of infliximab in patients with Crohn’s disease. Clin Gastroenterol Hepatol 2015; 13(3): 514–521. 4. Reenaers C et al.: Outcomes 7 Years After Infliximab Withdrawal for Patients With Crohn’s Disease in Sustained Remission 2018; 16 (2): 234–243. 5. Louis E et al.: Maintenance of remission among patients with Crohn’s disease on antimetabolite therapy after infliximab therapy is stopped. Gastroenterology 2012; 142(1): 63–70. 6. Reenaers C et al.: Outcomes 7 Years After Infliximab Withdrawal for Patients With Crohn’s Disease in Sustained Remission. Clin Gastroenterol Hepatol 2018; 16(2): 234–243. 7. Kennedy NA et al.: Relapse after withdrawal from anti-TNF therapy for inflammatory bowel disease: an observational study, plus systematic review and meta-analysis. Aliment Pharmacol Ther 2016; 43(8): 910–923.
Quelle: Scientific session 4 «Best practice in UC» beim 14. Kongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) am 8. März 2019 in Kopenhagen.
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