Transkript
ECCO
Interview mit Gerhard Rogler
«Die Überregulierung ärgert uns enorm»
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Eine erste Vergleichsstudie zweier Biologika bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (IBD), hoffnungsvolle neue Substanzen, regulatorische Schwierigkeiten bei eigenen Studien, ein Blick nach Amerika und die Chancen eines Therapie-Exits – die Themen am Kongress der europäischen Gastroenterologen (ECCO) gehen nicht aus, wie im Gespräch mit dem Gastroenterologen Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich deutlich wird.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich
Herr Prof. Rogler, in der am ECCO-Kongress vorgestellten VARSITY-Studie zeigte sich Vedolizumab wirksamer als Adalimumab. Werden die Ergebnisse die Colitis-ulcerosaTherapie verändern? Gerhard Rogler: Der direkte Vergleich von Vedolizumab und Adalimumab bei Colitis ulcerosa war für mich die spannendste am Kongress vorgestellte Untersuchung. Denn erstmals haben wir eine echte Head-to-head-Studie, die uns eine vergleichende wissenschaftliche Grundlage für die Behandlung einer schweren Colitis liefert. In meiner Praxis wird sich
Der Widerstand gegen die Biosimilars ist definitiv gebrochen.
Zudem wurden einige neue Substanzen vorgestellt ... Es werden deutlich mehr Substanzen kommen, darunter mindestens zwei neue JAK-Inhibitoren, wahrscheinlich sogar noch mehr. Auch die selektiven S1P1-Agonisten wie Etrasimod und andere «Small molecules» befinden sich in den Startlöchern. Allerdings glaube ich nicht an den beschriebenen Mechanismus im Lymphknoten, weil es keine Korrelation zwischen der Lymphozytenzahl und dem Therapieansprechen gibt. Viel wahrscheinlicher ist ein Mechanismus, der über die Veränderung der Migration von Immunzellen in die Darmschleimhaut stattfindet. Ich denke, dass solche Substanzen sicherlich in der Therapie von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ihren Platz finden werden. Jedoch sollte man nicht den Fehlschluss ziehen, dass bei oralen Small molecules weniger Nebenwirkungen auftreten. So gab es kürzlich ein FDA-Signal, dass bei RA-Patienten mit verdoppelter Tofacitinib-Dosierung mehr Lungenembolien zu beobachten seien. Auch hinsichtlich der Infektionsdaten, vor allem der Reaktivierungen von Tuberkulose und Hepatitis B, haben wir heute mehr Erfahrung. Vor dem Einsatz von JAK-Inhibitoren müssen eben die üblichen Vorsichtsmassnahmen, wie zum Beispiel ein TB-Screening, getroffen werden.
Wie steht es mit der IL-23-Hemmung? Die neuen Studienergebnisse für Ustekinumab bei Patienten mit Colitis ulcerosa können mich nicht vollständig überzeugen. Bei Morbus Crohn dachte man, dass die beiden neuen, selektiv auf p19 gerichteten Anti-IL-23-Hemmer Mirikizumab und Risankizumab eine harte Konkurrenz für Ustekinumab sein könnten. Als ich die Daten sah, bin ich davon nicht mehr so überzeugt, dass diese beiden neuen Antikörper eine signifikante Verbesserung darstellen. Die Response- und Remissionszahlen sind nämlich recht ähnlich.
allerdings nicht viel ändern, da ich schon länger von diesem Outcome ausgegangen bin. Der Vorteil von Adalimumab ist ja seine subkutane Einsetzbarkeit, weshalb es bei niedergelassenen Kollegen durchaus verbreitet ist. Wenn diese Daten jetzt zeigen, dass unter Vedolizumab ein zehn bis 15 Prozent besseres Ansprechen zu erwarten ist, wird sich die Convenience der Applikation als Argument vielleicht relativieren.
Auch das Spektrum der Biosimilars erweitert sich stetig … Der erste Adalimumab-Biosimilar, der vor der Zulassung steht, zeigt gute Daten, ähnlich denjenigen bei Infliximab. Der Widerstand gegen die Biosimilars ist definitiv gebrochen. Man hat gesehen, dass die Wirkung der allermeisten Biosimilars vergleichbar ist und es keine wesentlichen Unterschiede gibt. Erstaunlich ist für mich, dass manche Firmen zwei, drei
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Biosimilars zum selben Produkt entwickeln. Für viele Gesundheitssysteme ist der Preisvorteil schon sehr relevant. In Südafrika werden die Biosimilars für rund einen Zehntel des Preises des Ursprungsmedikaments verkauft. Regionen wie Indien oder Afrika haben ganz andere Probleme als wir, das wurde in einem hervorragenden Vortrag einer indischen Ärztin deutlich. Dort sind Biosimilars ein Segen. Jetzt wird es möglich sein, auch dort breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen.
Während man in den Entwicklungsländern zu wenig Medikamente hat, sind es in manchen Industrienationen zu viel … Ja, in den USA ist der Opiatmissbrauch ein Riesenproblem. Da fast alle IBD-Patienten immer mal wieder unter Bauchschmerzen leiden, nimmt in Amerika in manchen Zentren bis zu ein Drittel von ihnen Opiate ein. Sehr viele leiden dann unter einem Narcotic-Bowel-Syndrom, also unter einer paradoxen Verschlimmerung der abdominalen Schmerzen durch die Eskalation der Opioiddosierung. Gleichzeitig ist die Angst vor einer Überlagerung bestimmter Symptome durch die Schmerzmedikation verbreitet, beispielsweise bei Abszessen. Während der Schmerz in den USA übertherapiert wird, kümmert man sich in Europa zu wenig darum. Schmerz wird bei uns nur als Randphänomen wahrgenommen, obwohl knapp die Hälfte der Patienten unserer Schweizer IBDKohorte über chronische Schmerzen klagt.
Schon länger ist die personalisierte Therapie ein Thema. Kommt man damit eigentlich weiter? Dass wir jetzt viele Therapiealternativen haben, ist eine sehr positive Entwicklung. Allerdings geht es uns wie den Rheumatologen: Wir wissen immer noch nicht, was wir wann einsetzen sollen. Wenn ein Biologikum indiziert ist, sind die Kriterien, für wen welche Substanz am besten ist, leider immer noch unklar. Beispielsweise haben wir bei Morbus
Dass wir jetzt viele Therapie-Alternativen haben, ist eine sehr positive Entwicklung.
Crohn Ustekinumab, Vedolizumab oder die TNF-Hemmer. Bei Colitis ulcerosa kommen noch die JAK-Inhibitoren und möglicherweise die S1P1-Agonisten hinzu. Die Rheumatologen setzen diese Vielzahl von Optionen schon seit Jahren nach nicht sehr klaren Kriterien ein. Vielleicht ist das momentan auch für uns der einzige Weg, solange wir keine klaren Kriterien haben, wer von welcher Substanz am meisten profitiert. Das muss also aktuell – zumindest teilweise – nach «Bauchgefühl» geschehen.
Ein «Bauchgefühl» ist ja nicht unbedingt evidenzbasiert ... Ja, «Bauchgefühl» klingt nicht besonders gut. Aber in Wirklichkeit liegt diesem oft eine jahrelange Erfahrung zugrunde, mit der wir ein bestimmtes Medikament für bestimmte Patienten einsetzen. Und oft passt das sehr gut. Diese klinische Erfahrung ist oft besser als irgendwelche pseudo-genauen prädiktiven Tests, wie sie immer wieder vorgestellt werden. Die Sensitivität und die Spezifität der heutigen prognostischen Marker sind derzeit noch so schlecht, dass sich darauf keine klare Therapiestrategie aufbauen lässt.
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Bringt die Kombination mit Immunmodulatoren eigentlich etwas? Es wurde eine australische «Investigator initiated trial» von Michael Kamm vorgestellt, in der Tacrolimus in einer Flüssigkeit aufgelöst und dann anal als Einlauf verabreicht wurde. Prinzipiell ist das ein gutes Medikament bei Kolonbefall. Wir haben in Zürich einen Patienten, bei dem alles – inklusive Tofacitinib – ausprobiert wurde. Er hat aber nur auf Tacrolimus gut angesprochen. Daher finde ich solche klinischen Studien sehr wichtig.
Die Überregulierung von «investigator initiated trials» dient nicht dem Patientenschutz, sondern schadet der Entwicklung preisgünstiger Therapiemöglichkeiten.
Für uns wird es allerdings immer schwieriger, solche Investigator initiated trials zu etablieren und zu initiieren, weil wir extrem überreguliert werden. Der Ärger und die Frustration darüber wachsen gegenwärtig enorm in den Fachkreisen. Wir haben beispielsweise eine Studie mit Patienten mit Colitis ulcerosa, in der wir einen Extrakt aus Heidelbeeren testen wollen, die seit über einem Jahr zur Prüfung bei Swissmedic liegt. Jetzt müssen wir auch noch den Beweis erbringen, dass Heidelbeeren respektive ethanolischer Extrakt nicht giftig sind. All diese Nachweise haben uns 20 000 bis 40 000 Franken gekostet. Weil wir so lange brauchen, bis wir endlich eine Genehmigung bekommen, besteht die Gefahr, dass die Förderung für dieses Projekt eingestellt wird. Da muss ich einfach sagen: Die Überregulierung von Investigator initiated trials dient nicht dem Patientenschutz, sondern schadet der Entwicklung preisgünstiger Therapiemöglichkeiten, an denen die Industrie kein Interesse hat. Schon jetzt gibt es immer weniger solche Untersuchungen. Wenn das so weitergeht, sind in absehbarer Zeit nur noch Industriestudien möglich. Das ist eine ganz schlechte Entwicklung. Eine Studie wie die in Australien wäre bei uns gar nicht möglich.
Dagegen scheint die Forschung zur Darmfibrose ganz gut zu laufen. Ja, und das finde ich sehr wichtig. Darmfibrose entsteht teilweise unabhängig von der Entzündung. Oft können wir medikamentös nichts mehr machen, weil bereits eine narbige Engstelle im Darm vorhanden ist. Wir haben Patienten, die immer wieder wegen der Darmfibrose, also narbigen Verengungen, operiert werden, sodass manche irgendwann mit einem Kurzdarm leben müssen. Unsere Medikamente reduzieren zwar die Entzündungen, Hospitalisationen und Operationen, aber die durch Fibrose verursachten Strikturen und Operationen verhindern sie nicht. Da haben wir eine Therapielücke. Deshalb ist es sehr positiv zu sehen, dass es nun neue Therapieansätze gibt. Durch die Forschungen zu den Entstehungsmechanismen eröffnen sich ganz neue Targets. Ich begrüsse es sehr, dass am ECCO-Kongress nun speziell die Darmfibrose in den Vordergrund gerückt wurde. Man kann näm-
lich nicht die Erkenntnisse anderer Organe einfach übernehmen, Leber- oder Lungenfibrosen sind andere Dinge.
Zum Schluss noch ein Wort zur Intensivierung des Therapiemanagements. Inwiefern können Treat-to-Target-Strategien die Resultate verbessern? Die in Kopenhagen vorgestellten Langzeitdaten der CALMStudie, an der wir übrigens auch beteiligt waren, zeigen, dass bei einer engen Therapiekontrolle die Abheilungsraten der Mukosa tatsächlich besser sind. Allerdings muss das mit einer vernünftigen Nutzen-Risiko-Relation erreicht werden. Es ist eine gewisse Ernüchterung eingekehrt, weil man sieht, dass wir mit all diesen Medikamenten auch mit aggressiven Therapien, wie beispielsweise Adalimumab wöchentlich plus Azathioprin, nur bei rund 40 Prozent der Patienten eine echte Mukosaheilung erreichen. Es ist sehr schön, dass wir bei den Respondern einen langfristigen Erfolg haben, aber über diese 40 Prozent kommen wir mit unseren Therapien nicht hinaus. Das bedeutet, dass wir bei 60 Prozent der Betroffenen keine Mukosaheilung erreichen. Und das ist für mich eher ernüchternd …
… aber diejenigen Patienten mit langfristig tiefer Remission können darauf hoffen, irgendwann ihre Medikamente abzusetzen? Es ist schon lange bekannt, dass man Azathioprin bei tiefer Remission nach einigen Jahren stoppen kann. Bei den TNFHemmern sind wir etwas vorsichtiger, aber die Studie von Edouard Louis aus Liège hat gezeigt, dass bei Mukosaheilung ein Absetzen mit einem überschaubaren Risiko verbunden ist. Tatsächlich gibt es danach einige Patienten, die ohne diese Medikamente viele Jahre ohne Schübe leben. Es lohnt sich heute eher, einen solchen Therapie-Exit zu riskieren, weil wir deutlich mehr Medikamente in Reserve haben. Als wir nur
Bei rund der Hälfte der Patienten müssen wir die Therapie wieder starten, aber bei der anderen Hälfte müssen wir das nicht. Ich finde, das wiederum ist ermutigend.
ein oder zwei Alternativen hatten und bei einem Stopp riskie-
ren mussten, dass sich Antikörper bilden, und diese Medika-
mente dann nicht mehr einsetzbar waren, waren wir noch
vorsichtiger. Heute ist dieses Risiko überschaubar. Bei rund
der Hälfte der Patienten müssen wir die Therapie wieder star-
ten, aber bei der anderen Hälfte müssen wir das nicht. Ich
finde, das wiederum ist ermutigend.
L
Das Interview führte Klaus Duffner.
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