Transkript
BERICHT
Antibiotikatherapie
Weniger ist oft mehr – aber nicht immer
Wie lange man ein Antibiotikum tatsächlich anwenden muss, ist erst in jüngster Zeit mit dem wachsenden Auftreten von Resistenzen zu einem Forschungsthema geworden. Am PraxisUpdate in Bern erläuterte Prof. Hansjakob Furrer die Voraussetzungen für eine kurze Antibiotikatherapie. Darüber hinaus ging es um die aktuellen Guidelines der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (SSI) zur Antibiotikatherapie bei Harnwegsinfekten.
Die Empfehlungen zur Dauer einer Antibiotikatherapie waren über Jahrzehnte eher Gefühlssache als evidenzbasiert. Gern wählte man die biblischen 7 Tage (bzw. ein Vielfaches davon) oder eher weltlich am Dezimalsystem orientierte Intervalle in 5er- und 10er-Schritten. Ebenfalls noch bei vielen Patienten fest verankert ist die irrige Annahme, man müsse sein Antibiotikum immer so lange nehmen, «bis das Päckli leer ist».
Kürzere Antibiotikagabe bei Pneumonie
In den letzten Jahren wurden verschiedene Studien zur Verkürzung der antibiotischen Therapie bei Pneumonie publiziert, berichtete Prof. Hansjakob Furrer, Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Infektiologie am Inselspital Bern. So stoppte man in einer spanischen Studie (1) in einer Gruppe von Pneumoniepatienten die Antibiotikagabe, sofern sie klinisch stabil waren (≤ 37,8 °C für 48 Stunden, höchstens noch 1 Anzeichen einer pneumoniebedingten klinischen Instabilität, wie < 90 mmHg systolisch, Herzfrequenz > 100/Minute, Atemfrequenz > 24/Minute oder arterielle O2-Sättigung < 90%). In beiden Gruppen erhielten die meisten Patienten Chinolone (80%), weniger als 10 Prozent erhielten ein Betalaktam- plus ein Makrolidantibiotikum. In der Vergleichsgruppe wurden die Antibiotika so lang verabreicht, wie das die behandelnden Ärzte für sinnvoll hielten
KURZ & BÜNDIG
Oft genügt die klinische Erfahrung, um eine Verkürzung einer Antibiotikabehandlung einschätzen zu können; der Procalcitonintest ist dafür nicht zwingend nötig.
Rasches Ansprechen und guter klinischer Status sprechen für die Möglichkeit einer verkürzten Antibiotikatherapie.
Es gibt jedoch auch Infektionen, bei denen die Antibiotikagabe keinesfalls verkürzt werden darf.
Bei einem unkomplizierten Harnwegsinfekt werden Cotrimoxazol, Fosfomycin oder Nitrofurantoin empfohlen.
(median 10 Tage). Es zeigte sich kein Unterschied im Behandlungserfolg zwischen beiden Gruppen; ob 5 oder 10 Tage Antibiotika spielte, statistisch betrachtet, keine Rolle.
Procalcitonintest als Rückversicherung
In der oben genannten Studie waren die Kriterien für «klinische Stabilität» klar definiert. Im Praxisalltag könnten sich die Hausärzte recht gut auf ihre Erfahrung verlassen, meinte Furrer. Allerdings glaubten viele, dass man sich heutzutage lieber nicht mehr auf die klinische Beurteilung, sondern etwas Messbares verlassen sollte, nämlich das Procalcitonin. Dessen serielle Bestimmung «kostet zwar so viel wie die gesamte Antibiotikatherapie», aber damit habe man es dann eben schwarz auf weiss, ob ein Patient noch Antibiotika brauche oder nicht, sagte Furrer. Eine im letzten Jahr publizierte Studie aus den USA zeigte, dass sich Ärzte bei Patienten mit Infektionen der unteren Atemwege durchaus auf ihre klinische Beurteilung verlassen dürfen (2). Man verglich die Dauer der Antibiotikatherapie bei 1656 Patienten, die nach dem Zufallsprinzip zwei Gruppen mit oder ohne Procalcitoninmonitoring zugeteilt wurden. Ob mit Procalcitoninmonitoring oder nur gemäss klinischer Erfahrung – in beiden Gruppen dauerte die Antibiotikagabe im Durchschnitt gleich lang (4,2 vs. 4,3 Tage), bei vergleichbarem Therapieerfolg. Selbstverständlich könne ein Procalcitonintest aber auch einmal sinnvoll sein, sagte Furrer. Er bezweifle jedoch, dass man ihn immer brauche, um zu entscheiden, ob man eine Antibiotikatherapie stoppen könne oder nicht.
Wann darf die Antibiotikatherapie verkürzt werden?
Jede Antibiotikatherapie sollte möglichst kurz und möglichst spezifisch sein. Generell gilt ein rasches klinisches Ansprechen und das Erreichen eines guten, stabilen Status als Voraussetzung für eine kurze Behandlungsdauer. Der Patient darf nicht immunsupprimiert und der Infektionsherd sollte unter Kontrolle sein. Auch ist es wichtig, dass man es nicht mit resistenten Erregern zu tun hat. In Studien wurde die Wirksamkeit verkürzter Antibiotikabehandlungen für verschiedene Erkrankungen gezeigt (3), aber letztlich muss der behandelnde Arzt in jedem individuellen
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Fall entscheiden, ob eine kurze Antibiotikatherapie ausreicht oder nicht: «One size fits all – das trifft nicht zu», betonte Furrer. Und es gibt auch Erkrankungen, bei denen eine Verkürzung der Antibiotikatherapie keinesfalls infrage komme, so zum Beispiel bei Endokarditis, St.-aureus-Bakteriämie, Tuberkulose, Hirn- und Leberabszessen oder Infektionen der grossen Knochen.
Unkomplizierter HWI: Wie lange und womit behandeln?
Ein Klassiker in vermutlich jeder Hausarztpraxis ist «die junge Patientin mit einer unkomplizierten Zystitis». Als Firstline-Therapie empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie (SSI) (4): s Cotrimoxazol forte 160/800 mg alle 12 Stunden per os für
3 Tage (Bactrim® forte, Nopil® forte) oder s Fosfomycin 3 g als abendliche Einmaldosis (Monuril® und
Generika) oder s Nitrofurantoin 100 mg alle 12 Stunden per os für 5 Tage
(Furadantin®, Uvamin® retard).
Furrer wies darauf hin, dass die 5-tägige Behandlung mit Nitrofurantoin in einer Studie (5) etwas besser abgeschnitten habe als die Einmaldosis Fosfomycin. Trotzdem stuft die SSI die Einmaldosis Fosfomycin in ihren aktuellen Guidelines weiterhin als First-line-Therapie bei unkompliziertem Harnwegsinfekt (HWI) ein, weil die klinische Erfahrung doch dafür spreche. Es sei aber wichtig, der Patientin zu erklären, dass sie diese Einmaldosis am Abend nehmen und danach nicht so bald Wasser lassen sollte. Fosfomycin muss nämlich eine Zeit lang im Harn verbleiben, um wirksam sein zu können. Bei Resistenzen oder Kontraindikationen bezüglich der First-line-Medikamente kommen folgende Optionen als Second-line-Behandlung infrage: Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg alle 12 Stunden per os beziehungsweise 500/125 mg alle 8 Stunden für 3 Tage (Augmentin® und Generika) oder Cefuroxim 500 mg alle 12 Stunden per os für 7 Tage (Zinat® und Generika) oder Norfloxacin 400 mg alle 12 Stunden per os für 3 Tage (div. Generika) (4).
Andere Harnwegsinfektionen
Bei einem febrilen HWI ist eine Behandlungsdauer von
14 Tagen (statt nur 7 Tage) bei Männern besser, bei Frauen
machte es in einer Studie keinen Unterschied (6). Für Männer
mit HWI empfiehlt die SSI, Antibiotika mit guter Prostatage-
webegängigkeit zu wählen (Cotrimoxazol, Chinolone); wich-
tig ist, eine Prostatitis auszuschliessen. Falls keine Prostatitis
oder Pyelonephritis vorliegt, sollten Männer mit HWI 7 bis
10 Tage mit Antibiotika behandelt werden, bei Verdacht auf
Pyelonephritis mindestens 2 Wochen und bei Prostatitis 2 bis
3 Wochen (4).
Für Frauen mit unkomplizierter Pyelonephritis empfiehlt
man Ciprofloxacin 500 mg alle 12 Stunden per os für 7 Tage
(Ciproxin® und Generika) oder Cotrimoxazol 160/800 mg
alle 12 Stunden per os für 10 bis 14 Tage. Besteht das Risiko
eines schweren Verlaufs oder wurde bereits mit Chinolonen
behandelt, lautet die Empfehlung Ceftriaxon 2 g alle 24 Stun-
den i.v. (Rocephin® und Generika) oder Gentamicin 5 mg/kg
KG alle 24 Stunden i.v. bis zum Resistenztest (Cave: Genta-
micin wird nicht empfohlen bei GFR < 60 ml/min) (4).
Bei Pyelonephritis generell nicht empfohlen sind mangels
Daten Fosfomycin und wegen fehlender Wirksamkeit Nitro-
furantoin (4).
s
Renate Bonifer
Quellen: Referat von Prof. Hansjakob Furrer: «Antibiotika-Therapie: Ist weniger lang mehr?» am PraxisUpdate Bern, 7. März 2019.
Referenzen: 1. Uranga A et al.: Duration of antibiotic treatment in community-acquired
pneumonia: a multicenter randomized clinical trial. JAMA Intern Med 2016; 176(9): 1257–1265. 2. Huang DT et al.: Procalcitonin-guided use of antibiotics for lower respiratory tract infection. N Engl J Med 2018; 379(3): 236–249. 3. Spellberg B: The new antibiotic mantra – «shorter is better». JAMA Intern Med 2016; 176: 1254–1255. 4. Aktuelle Guidelines der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie zur Diagnose und Behandlung bei Harnwegsinfekten: ssi.guidelines.ch/ guideline/2754 5. Huttner A et al.: Effect of 5-day nitrofurantoin vs single-dose fosfomycin on clinical resolution of uncomplicated lower urinary tract infection in women: a randomized clinical trial. JAMA 2018; 319(17): 1781–1789. 6. van Nieuwkoop C et al.: Treatment duration of febrile urinary tract infection: a pragmatic randomized, double-blind, placebo-controlled noninferiority trial in men and women. BMC Med 2017; 15(1): 70.
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