Transkript
EAU
Prostatektomie
Sexuelle Kehrseite der Medaille
Im Anschluss an eine radikale Prostatektomie, manchmal auch an eine nervenschonende transurethrale Prostataresektion, sind Klagen über eine Veränderung der sexuellen Funktion häufig. Das liege zum einen in der Natur des Eingriffs und zum anderen auch an einer schlechten Aufklärung, erklärte Prof. Pedro Vendeira, Sexual Medicine and Reproduction, Clínica do Dragão, Porto (P), am EAU-Kongress in Barcelona, und gab Tipps zur Verbesserung der Situation.
Offene, laparoskopisch oder robotergestützte radikale Prostatektomien können Läsionen im neurovaskulären Bündel verursachen und zu erektilen Dysfunktion führen. Auch eine nervenerhaltende Prostatektomie mit dem Ziel, die kavernöse Innervation zu bewahren, kann in 6 bis 68 Prozent der Fälle postoperativ eine erektile Dysfunktion induzieren, selbst wenn der Eingriff korrekt durchgeführt war, illustriert der Experte die Situation. Eine sexuelle Dysfunktion besteht jedoch nicht nur aus Erektionsproblemen. Klimakturie, das heisst Harninkontinenz während der sexuellen Aktivität, Orgasmusstörungen, Anejakulation, Penisdeformation oder Libidoverlust können das Sexualleben beeinträchtigen. Eine gute Aufklärung vor dem Eingriff kann falsche Erwartungen ausräumen und dazu beitragen, dass die Veränderungen besser toleriert werden.
Referenzen 1. Deveci S et al.: A survey of patient expectations regarding sexual function following radical prostatectomy. BJU Int 2016; 118: 641–645. 2. Choi J et al.: Orgasm associated incontinence (climacturia) following radical pelvic surgery: rates of occurrence and predictors. J Urol 2007; 177: 2223–2226.
Spermien, Inkontinenz, Orgasmus
Eine Aspermie beispielsweise ist eine obligate Folge nach einer radikalen Prostatektomie, der angewendeten chirurgischen Technik geschuldet. Ein geringeres sexuelles Verlangen nach einem solchen Eingriff tritt in etwa der Hälfte der Fälle auf, was aber hauptsächlich ein psychologisches Problem ist. Eine Untersuchung zeigte beispielsweise, dass zwei Drittel der Patienten sich nicht bewusst waren, dass sie nach dem Eingriff keine Ejakulation mehr haben werden (1). Die Klimakturie betrifft 20 bis 64 Prozent der Patienten, aber fast jeder erleidet diese Störung irgendeinmal im Lauf der postoperativen Zeit. Die betroffenen Patienten haben oft mit depressiven Verstimmungen, Angst und einer schlechteren Lebensqualität zu kämpfen. Eine vorgängige transurethrale Prostataresektion erhöht das Risiko für eine Klimakturie. Diese schwächt sich im Lauf der Zeit jedoch ab. Eine Studie berichtete von einer Halbierung der Fälle nach einem Jahr
KURZ & BÜNDIG
Sexuelle Nebenwirkungen sind bei Prostataresektionen sehr häufig.
Die meisten Nebenwirkungen schwächen sich mit der Zeit ab.
Eine gute Aufklärung über die möglichen Beeinträchtigungen fördert die Toleranz.
(von 24 auf 12%) (2). Massnahmen zur Linderung dieses störenden Phänomens können unter anderem in Wasserlassen vor der sexuellen Aktivität bestehen, Tragen eines Kondoms, Einnahme von Imipramin 25 mg dreimal täglich sowie im Training der Beckenbodenmuskulatur. Die Bewahrung der Orgasmusfähigkeit wird von den Patienten als sehr wichtig eingeschätzt. Praktisch alle Patienten berichten nach dem Eingriff von einer «irgendwie» veränderten Orgasmusempfindung, so Vendeira. Orgasmusstörungen können Ausdruck von veränderter Perzeption (70%), Anorgasmie (30–40%) oder Schmerz beim Orgasmus (Dysorgasmie) sein. In seltenen Fällen sei die Orgasmusintensität nach dem Eingriff sogar stärker als zuvor. Die Beeinträchtigung des Orgasmus kann sich im Lauf der Zeit verringern. Die Besserung der Funktion korreliert Vendeira zufolge linear mit der Erholung der erektilen Dysfunktion. Dabei können PDE-5-Hemmer wie Avanafil, Tadalafil, Vardenafil oder Sildenafil unterstützend wirken. Auch Schmerzen beim Orgasmus können auftreten. Sie sind sehr störend und dauern meist weniger als eine Minute an. Trotzdem sollten die Männer dazu ermutigt werden, weiterhin sexuell aktiv zu sein, denn auch hier wirkt die Zeit heilend. Zur Symptomlinderung empfiehlt Vendeira den Einsatz von Alphablockern wie beispielsweise Tamsulosin 0,4 mg. Nicht steroidale Analgetika oder Psychotherapie brächten in diesem Fall keinen Nutzen.
Alle sexuellen Nebenwirkungen ansprechen
Diese Beeinträchtigungen können nicht nur nach radikaler
Prostatektomie, sondern auch nach einer externen Strahlen-
oder Brachytherapie auftreten. Im Dienst einer vollständigen
sexuellen Rehabilitation ist es daher wichtig, den Patienten
vor einem solchen Eingriff vollständig über alle möglichen se-
xuellen Nebenwirkungen aufzuklären. Dabei sollten auch
die psychologischen Aspekte, Ängste vor Männlichkeitsver-
lust, Verlust von Selbstvertrauen zur Sprache kommen. Der
Einbezug des Lebenspartners kann eine Hilfe darstellen, so
Vendeira abschliessend.
L
Valérie Herzog
Quelle: «The role of the urologist in sexual and fertility issues of cancer survivorship», 34. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 16. bis 19. März 2019 in Barcelona.
16 CongressSelection Urologie | Juni 2019