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Thema
2 • 2019
Zielgenaue Abklärung auf drei Pfeilern
Moderne Therapie bei BPH-bedingten Harnwegsbeschwerden
Männer mit benigner Prostatahyperplasie haben häufig Beschwerden der unteren Harnwege. So wie die Symptomatik aber variiert, braucht es unterschiedliche Therapieansätze. Damit kommt der Abklärung und Diagnosestellung eine zentrale Bedeutung zu. Wie eine gute Abklärung aussieht und welche Therapieoptionen bestehen, erklärte Dr. Arturo Garcia Mora, Functional Urology, Instituto Nacional de Ciencias Médicas y Nutrición Salvador Zubirán, Mexico City, am EAU-Kongress.
Je nach Ort, an dem die Harnwegssymptome ihren Ursprung haben, variiert deren Therapie. Liegt der Grund für symptomatische Obstruktionen in einer benignen Prostatahyperplasie (BPH), so sind Alphablocker, 5-alpha-Reduktasehemmer (5-ARI), PDE-5-Hemmer oder ein operativer Eingriff Mittel der Wahl. Harnwegsbeschwerden können aber auch durch eine veränderte Urinproduktion, die mit Desmopressin wieder normalisiert werden kann, oder durch eine Blasendysfunktion ausgelöst werden. Antimuskarinika, Beta-3-Agonisten, Botox oder sakrale Neuromodulation sind hier die Möglichkeiten. Wichtig ist es dabei, für jeden Patienten das richtige Mittel und die richtige Kombination zu finden. Aus früheren Studien ist bekannt, dass über 80 Prozent der Patienten eine Symptomprogression erleiden, wie Garcia Mora berichtet. Um eine massgeschneiderte Therapie zu entwickeln, empfiehlt er Fragebogen wie den International Prostate Symptom Score (IPSS) oder auch den International Consultation on Incontinence Questionnaire (ICIQ), Untersuchungen wie Uroflowmetrie und Ultraschall sowie ein Miktionstagebuch. Als Erstes muss abgeklärt werden, ob es sich um eine nächtliche Polyurie handelt, denn diese wird mit Vasopressinanaloga ganz anders behandelt als die übrigen Symptome (Abbildung). Die zweite
Frage zielt auf Speichersymptome ab, und erst als Drittes geht es um ein eventuell erhöhtes Prostatavolumen. Wichtig im Behandlungsalgorithmus ist die Aufklärung darüber, dass abgesehen von Flüssigkeitsmenge und Zeitpunkt der Einnahme der sonstige Lebensstil ebenso Einfluss auf die Symptomatik wie auch auf den Behandlungserfolg hat. Patienten mit metabolischem Syndrom oder Adipositas sprechen weniger gut auf die BPH-Therapie an. Bei Patienten mit einem BMI < 30 wirken beispielweise 5-ARI nicht mehr so gut (1). Umgekehrt bessern sich nach einem bariatrischen Eingriff mit sinkendem Gewicht auch die LUTS-Symptome (2). Aus dem IPSS kann geschlossen werden, ob der Patient ein Speicher- oder ein Entleerungsproblem hat. «IPSS-Werte > 1 weisen auf Entleerungsschwierigkeiten als Hauptsymptom hin», berichtet Garcia Mora. Diese Patienten benötigten eine Prostatatherapie mit Alphablockern, 5-ARI oder PDE-5-Hemmern. «IPSS-Werte ≤ 1 liefern dagegen Hinweise auf Speicherprobleme, die dann mit einem Antimuskarinikum oder einem Beta-3-Agonisten behandelt werden sollten. Bei Qmax > 10 ml und Prostatavolumen < 40 ml scheint eine Monotherapie mit Antimuskarinika eine gute Option zu sein», so Garcia Mora weiter. männliche LUTS (ohne Operationsindikation) Nein Symptome störend? Nein Nein Nein Prostatavolumen > 40 ml?
Schulung und Beratung zu Lebensstil ± Alphablocker/ PDE-5-Hemmer
Nein
Speichersymptome vorherrschend?
Ja
Langzeittherapie?
Ja
nächtliche Polyurie vorherr-
schend?
Ja
Ja
Restharnsymptome
Ja
Watchful waiting ± Schulung
und Beratung zu Lebensstil
+ Antimuskarinikum
Schulung und Beratung zu Lebensstil
± 5-ARI ± Alphablocker/ PDE-5-Hemmer
Schulung und Beratung zu Lebensstil ± Antimuskarinikum
Schulung und Beratung zu Lebensstil
± Vasopressinanalogon
Abbildung: Vorgehen bei LUTS bei Männern
(Quelle: mod. nach A. Garcia Mora)
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Thema
2 • 2019
Nykturie wird heute anders behandelt Die Sichtweise im Hinblick auf die Nykturiebehandlung hat sich in letzter Zeit geändert. Wurde früher sofort operiert, herrscht heute die Erkenntnis vor, dass eine Nykturie ihren Ursprung nicht in den unteren Harnwegen hat. Eine saubere Diagnose ist demnach der Schlüssel des Therapieerfolgs, so Garcia Mora. Das zeigte auch eine 12-wöchige Studie mit über 50-jährigen Männern (n = 450) mit Nykturie, die nicht auf Alphablocker ansprachen (3). Nach einer zweiwöchigen Auswaschphase wurden die Männer randomisiert in zwei Gruppen aufgeteilt. Gruppe A erhielt 4 Wochen lang den Alphablocker Tamsulosin, in den Wochen 4 bis 8 Tamsulosin plus das Antimuskarinikum Solifenacin 5 mg und in den Wochen 9 bis 12 Tamsulosin plus Desmopressin 0,2 mg. Gruppe B erhielt in den ersten 4 Wochen Tamsulosin, in den zweiten 4 Wochen Tamsulosin plus Desmopressin 0,2 mg und in den dritten 4 Wochen Tamsulosin plus Solifenacin 5 mg. Es zeigte sich, dass sich in den Episoden mit Kombination von Alphablocker/Antimuskarinikum die Nykturiesymptome infolge reduzierter Blasenkapazität signifikant verbesserten. Bei nächtlicher Polyurie dagegen brachte die Kombination Alphablocker/Desmopressin Erleichterung, wohingegen das Antimuskarinikum nichts nützte (3). «Ohne Miktionstagebuch lässt sich nicht herausfinden, zu welcher Nykturiegruppe der Patient gehört, und damit auch keine adäquate Therapie durchführen», betonte Garcia Mora.
Kombinationstherapien führen häufig zum Ziel Bei unteren Harnwegsbeschwerden (LUTS) von Prostatapatienten hilft in den meisten Fällen die Kombination Alphablocker/Antimuskarinikum, wie eine Metaanalyse zeigte (4), aber auch die Kombination Tamsulosin/Mirabegron (Beta-3Antagonist) lindert die Drang- und Speichersymptome bei überaktiver Blase von BPH-Patienten signifikant, wenn Tamsulosin alleine nicht erfolgreich war, wie eine Studie zeigte (5). Haben BPHPatienten mit einer Nykturie mit mehr als zwei nächtlichen Miktionsgängen zu kämpfen, die unter Tamsulosin nicht besser wird, senkt die Zugabe von Desmopressin die nächtliche Miktionshäufigkeit gemäss einer Studie signifikant besser
Substanzklasse Alphablocker
5-AlphaReduktasehemmer Antimuskarinikum
PDE-5-Hemmer Beta-3-Antagonist Vasopressinanalogon
Tabelle:
Pharmakotherapie bei männlichen LUTS
Wann? Was beachten? • Entleerungsstörungen IPSS V/S > 1 • kein Einfluss auf Progression
• Einfluss auf Progression • nur bei grossen Prostatae • Nebenwirkungen beachten • Speicherprobleme IPSS V/S < 1 • als Monotherapie möglich • Nebenwirkungen beachten
• vergleichbar mit Alphablocker • bei erektiler Dysfunktion und bei LUTS • bei Speicherstörungen • anscheinend gute Alternative zu
Antimuskarinika, aber noch wenig Daten • nur bei nächtlicher Polyurie • Hyponatriämierisiko beachten
Wirkstoffe Alfuzosin (Xatral®, Generika) Silodosin (Urorec®) Tamsulosin (Pradif®, Generika) Terazosin (Hytrin® BPH) Finasterid (Proscar®, Generika) Dutasterid (Avodart®, Generika)
Fesoterodin (Toviaz®) Oxybutynin (Kentera®) Solifenacin (Vesicare®) Tolterodin (Detrusitol®) Trospium (Spasmex®, Spasmo Urgenin®) Tadalafil (Cialis®)
Mirabegron (Betmiga®)
Desmopressin (Minirin®, Nocutil®)
Quelle: mod. nach A. Garcia Mora
als die Monotherapie (6). Darin erhielten 248 Männer während 3 Monaten randomisiert entweder Tamsulosin alleine oder die Kombination Tamsulosin/Desmopressin. Unter der Kombination verringerten sich die nächtlichen Entleerungen bei Studienende um 64 Prozent (vs. 45%), die Schlafdauer bis zur ersten Miktion verdoppelte sich von 82 auf 160 Minuten (vs. 83 auf 124 min), was auch die Lebensqualität verbesserte. Doch ist bei der Therapie mit Desmopressin der Natriumspiegelabfall in der ersten Therapiewoche im Auge zu behalten.
Nebenwirkung sei eine mögliche Libidoreduktion
zu beachten.
Bei Speichersymptomen kann eine Monotherapie
mit Antimuskarinika zielführend sein, eine Kogni-
tionsverschlechterung als mögliche Nebenwirkung
muss im Auge behalten werden, so der Experte
weiter. Mirabegron scheine bei Speichersympto-
men eine gute Alternative zu sein, es gebe aber
noch wenig Daten. Desmopressin findet seinen
Einsatz bei nächtlicher Polyurie, birgt jedoch ein
Risiko für eine Hyponatriämie.
x
Valérie Herzog
Sechs Substanzklassen Für Patienten mit LUTS stünden sechs Substanzklassen zur Verfügung, mit denen ihre Beschwerden gelindert werden könnten, fasst Garcia Mora zusammen (Tabelle). Mit einer sorgfältig gestellten Diagnose kann die Mono- beziehungsweise Kombinationstherapie gefunden werden, die die störenden Symptome lindert. Alphablocker reduzieren Entleerungsprobleme, bei einer Progression in Richtung Harnretention sollte man auf 5-ARI umsteigen, so sein Ratschlag. Diese könnten die Progression bremsen und das Risiko einer Operation um bis zu 50 Prozent senken, brächten aber nur bei grossen Prostatae einen Nutzen. Als
Referenzen: 1. Cyrus A et al.: Impact of metabolic syndrome on response to medical treatment of benign prostatic hyperplasia. Korean J Urol 2014; 55: 814–820. 2. Luke S et al.: Effects of bariatric surgery on untreated lower urinary tract symptoms: a prospective multicentre cohort study. BJU Int 2015; 115: 466–472. 3. Shin YS et al.: Twelve-week, prospective, open-label, randomized trial on the effects of an anticholinergic agent or antidiuretic agent as add-on therapy to an alpha-blocker for lower urinary tract symptoms. Clin Interv Aging 2014; 9: 1021–1030. 4. Gong M et al.: Tamsulosin combined with solifenacin versus tamsulosin monotherapy for male lower urinary tract symptoms: a meta-analysis. Curr Med Res Opin 2015; 31: 1781–1792. 5. Ichihara A et al.: A randomized controlled study of the efficacy of tamsulosin monotherapy and its combination with mirabegron for overactive bladder induced by benign prostatic obstruction. J Urol 2015; 193: 921–926. 6. Ahmed AF et al.: The impact of adding low-dose oral desmopressin therapy to tamsulosin therapy for treatment of nocturia owing to benign prostatic hyperplasia. World J Urol 2015; 33: 649–657.
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