Transkript
Standespolitik
2 • 2019
«Dem politischen Druck politisch begegnen!»
doXmedical sprach mit Dr. med. Xaver Huber, Birsfelden
Dr. med. Xaver Huber ist ein sehr gut ausgebildeter junger Hausarzt mit zwei Facharzttiteln. Seit Januar 2018 führt er im Kanton Baselland eine Hausarztpraxis. In einem Leserbrief («SÄZ» 4/2019) hat er sich frustriert geäussert über die Sündenbockrolle, die er als Arzt übernehmen soll, und über die fehlende politische Strategie der Ärzteschaft. «doXmedical» hat ihn zu seiner im Leserbrief geäusserten Kritik befragt.
doXmedical: Herr Dr. Huber, in Ihrem Leserbrief heisst es: «Es fällt mir schwer, meine Motivation hochzuhalten.» Was macht Ihre Motivation heute? Dr. med. Xaver Huber: Meine Motivation ist der fachliche Ehrgeiz, die richtige Diagnose zu stellen und daraus die korrekte Behandlung abzuleiten. Motivierend ist darüber hinaus die langfristige Beziehung zu den Patienten und Patientinnen. Das ist eine ganz andere Situation als im Spital, wo man als Arzt weitgehend fremdbestimmt ist. In der Praxis kann ich mich maximal auf die Konsultationen und Hausbesuche konzentrieren. Der Anteil an administrativer Arbeit ist hier sogar kleiner als im Spital. In all diese Arbeit fliesst Herzblut, denn ich verantworte sie als selbstständiger Hausarzt allein. Beinträchtigt wird meine Motivation durch ärztefeindliche Publikationen in der Tagespresse und unverständliche Aktionen vonseiten der Verwaltung in Bern oder der Krankenkassen und durch das Gefühl, dagegen nichts unternehmen zu können. Ich komme mir nicht selten unverstanden, ja sogar behindert vor. Da Motivation und Persönlichkeit aufeinander einwirken, treffen einen die störenden Einflüsse – mag durchaus sein: irrational – auch als Person. Und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem der tägliche Ärger nicht mehr durch das Einkommen kompensiert wird. Noch ist es nicht so weit, aber ein ambulantes Globalbudget würde mich diesem Punkt garantiert näher bringen. Das Globalbudget trifft in jedem Fall die Grundversorger am stärksten!
Sie benennen eines der aktuellen gesellschaftlichen Probleme: die enorme Belastung der Bevölkerung durch Gesundheitsausgaben. Und gleichzeitig beklagen Sie den
Xaver Huber
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Kostendruck beziehungsweise den Sparauftrag an die praktizierenden Ärzte. Wie passt das zueinander? Als Ärzte stecken wir in einer argumentativen Falle. Wir wollen das Beste für unsere Patienten, und dafür wollen wir auch unbeschränkte Mittel. Die Patienten und Patientinnen ihrerseits wollen das Maximum (freie Arztwahl, keine Wartezeiten, alle Medikamente, neueste Technik u.v.m.). Dies möchte man als Arzt seinen Patienten natürlich auch nicht verwehren. Bis anhin schienen die Mittel tatsächlich unbegrenzt, aber jetzt scheint eine Schmerzgrenze erreicht zu sein. Diese wurde aber kampagnenartig erreicht: aufgrund politisch motivierter Umverteilungen in Richtung des Prämienzahlers, verzerrter Darstellung der Kostenwahrheit unter Verwendung des Begriffs «Kostenexplosion» und völliger Negierung der Leistungen der Medizin.
Wer also soll nun zurückstecken bei endlichen Ressourcen? Diesbezüglich hat der politische Wind eindeutig gedreht. Wir Ärzte und Ärztinnen stehen am Pranger als Hauptverursacher von Kosten – zumindest in den Medien. Wir werden dargestellt als geldgierige und gar inkompetente Kurpfuscher. Oder als durch Telemedizin und Internet ersetzbare Dienstleister. Mit dieser gezielten Abwertung stellt man bewusst auch den uns zustehenden Lohn infrage. Dagegen wehre ich mich.
Sie haben eine der drohenden Massnahmen erwähnt: das Globalbudget. Was halten Sie davon? Was macht diese Massnahme so attraktiv, und wie liesse sie sich verhindern? Das Globalbudget ist intellektuell die billigste Lösung: Man definiert einfach einen Deckel und behauptet, die unter dem Deckel fänden schon einen Weg, die fehlenden Mittel irgendwie zu kompensieren, zum Beispiel durch Gratisarbeit der Hausärzte und Hausärztinnen. Unberücksichtigt bleiben dabei die Qualität der Arbeit, das Outcome, ebenso wie der medizinische Fortschritt. Verhindern lassen sich Globalbudgets wohl nur, wenn es gelingt, politischen Druck aufzubauen. Dazu gehören die rigorose Gegenwehr der Ärzteschaft ge-
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nauso wie eigene konstruktive Vorschläge für gerechte und transparente Mechanismen, mit denen das Kosten- und vor allem das Prämienwachstum verlangsamt werden können. Die Grundsatzfrage ist: Darf man den Aufwand objektiv berechnen? Wenn das kein Kriterium mehr ist, reicht es nicht, sich ausschliesslich an den Bedürfnissen der Patienten zu orientieren, sondern man muss Richter spielen, also abwägen zwischen dem Wohl des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft, die bezahlen muss. Diese Richterrolle vergiftet das medizinische Handeln. Theoretisch existiert ja bereits ein globaler Kostenrahmen – für jeden Einzelnen! Mit dem Tarmed lässt sich im Prinzip nur ein bestimmtes, zeitabhängiges Einkommen erzielen. Vor diesem Hintergrund müsste die Regulation eigentlich über eine effektive Zulassungssteuerung laufen. Das hiesse aber: Nicht jeder, der will, darf auch. Das scheint jedoch ein grosses Tabu in der Ärzteschaft zu sein; darüber werden keine fruchtbaren Diskussionen geführt.
Eine weitere Massnahme ist die Kostenverlagerung. Wie würden Sie denn die Kosten verteilen zwischen Staat (Steuern), Prämien und Selbstbeteiligung? Was halten Sie von einkommensabhängigen Kassenprämien? Muss der Grundleistungskatalog angepasst werden? Medizinischer Fortschritt und Alterung haben den Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP in allen westlichen Gesellschaften ansteigen lassen. Es handelt sich also um einen Megatrend, der mit der helvetischen Gesundheitsversorgung allein nichts zu tun hat. Viele Industrieländer geben zwischen 8 und 12 Prozent ihres BIP für Gesundheit aus. Das Ziel ist immer die Versorgungssicherheit und -gerechtigkeit, das heisst, alle sollen uneingeschränkt und schnellstmöglich Zugang zu modernen Behandlungen haben. In der Schweiz ist man auch grundsätzlich bereit, sich die Gesundheit viel kosten zu lassen. Nur, bezahlen können das die wenigsten. Stellt sich die Frage: Ist es gerecht, wenn die Kassiererin in der Migros die gleiche Prämie bezahlen muss wie der Millionär? Mit den Prämienverbilligungen wird die Kopfprämie zur Lebenslüge des schweizerischen Gesundheitswesens gemacht. Schlimmer noch, die Kantone versuchen, mit der Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Bereich die Kosten ganz dem Prämienzahler aufzubürden. Wenn weniger Geld aus dem Steuertopf kommt, wird die Kostenverteilung jedoch ungerechter. Also – man kann es drehen und wenden, wie man will –, es muss mehr Geld aus dem Steuertopf kommen, wenn man den gleichen Zugang für alle aufrechterhalten will. Opfert man diese Prämisse, könnte man allenfalls verschieden abgestufte Leistungskataloge diskutieren – aber wer wäre bereit, so etwas durchzusetzen?
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Ein weiteres Phänomen: Begleitdienstleister, also Berufe, die immer mehr des Gesundheitskuchens für sich beanspruchen, häufig mit der Begründung «Qualität». Wie wird man die los? Oder haben sie auch ihr Gutes? Der Gesundheitsmarkt ist allein aufgrund seiner Grösse interessant für viele «Player». Viele haben gemerkt: Wenn man in Bern genügend Druck macht, gibt es neue Gesetze, und prompt kostet deren Umsetzung viel Geld, ohne dass dabei Nutzen generiert wird und ohne dass wir Ärzte für den daraus resultierenden Mehraufwand entschädigt würden. Die Einführung der elektronischen KG ist so ein Beispiel. Der Bund generiert ein grosses Auftragsvolumen an Informatikdienstleister, ohne dafür Verantwortung zu übernehmen. Ich wüsste auch nicht, welchen Vorteil eine elektronische KG für den Patienten bringen könnte (ausser, dass die Datensicherheit abnimmt). Deswegen ist Zwang auch nicht gerechtfertigt. Wie also wird man diese «Begleitdienstleister» im Bereich der Arztpraxis los? Vermutlich nur, indem man ihren Einfluss auf Gesetzesebene bekämpft und wenn immer möglich ärzteeigene Lösungen sucht. Trotzdem wird das Gewicht der Begleitdienstleister unweigerlich zunehmen: Die Medizin wird vernetzter und komplexer, das Datenmanagement wird wichtiger. Auch in der begleitenden Technologie werden die Begleitberufe wichtiger, weil wir die Skills nicht haben. Entscheidend ist, dass der Markt frei bleibt und wir Praktiker die Dienstleister auswählen können.
Wer soll, wer kann eine von Ihnen geforderte Gesamtstrategie entwickeln? Kann sie Erfolg versprechend sein angesichts der Heterogenität der Ärzteschaft? Für die Gesamtstrategie ist die FMH zuständig. Sie ist jedoch nur so schlagkräftig, wie es die ärztlichen Partikularinteressen zulassen. Kaderärzte im Spital haben andere Interessen als wir Hausärzte. Strukturell stehen sich freie Spezialisten und Hausärzte wahrscheinlich näher als akademische Eliten. Spitalärzte sind in ihrer Meinungsfreiheit als Angestellte einer Firma eingeschränkt. Sie sind auch in der Entlöhnung nicht so sehr auf einen funktionierenden Tarif angewiesen wie wir freien Ärzte und Ärztinnen. Die FMH hat eine – eher zu diskrete – Gesamtstrategie. Im Editorial von Dr. Schlup in der «SÄZ» (2017; 98, 1–2: 3) zur Strategie 2017 bis 2020 wird erkennbar, wie wichtig ihm Einheit intern und extern ist. Ich bin überzeugt, dass unsere Vertreter im Zentralvorstand der FMH ihr Bestes geben. Aber es ist vermutlich auch eine Frage der Ressourcen. (M)eine Vision wäre es, eigene Gesetzesentwürfe in die Diskussion zu bringen, um dem politischen Druck politisch zu begegnen.
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Die Rückmeldungen auf meinen Leserbrief machen mir allerdings keine grossen Hoffnungen, dass das gelingt. Zu sehr dominieren Resignation und Hinweise auf «Torpedos» aus den eigenen Reihen bereits in frühen Stadien von Projekten. Zur Gesamtstrategie: Ich glaube, dass die Ärzteschaft selbst Ideen mit neuen Vorschlägen zu Finanzierung und Struktur des Gesundheitswesens entwickeln und politisch pushen muss. Möglicherweise haben neue Ideen und Projekte grössere Chancen, wenn grosse Verbände wie VSAO, MFE oder FMCH zusammenspannen. Dafür wäre eine ausgiebige innerärztliche Diskussion erforderlich.
Müsste sich die Ärzteschaft dafür anders organisieren? Oder bloss personell anders besetzt sein? Die Einzigen, die je eine Volksinitiative durchgebracht haben, sind die Hausärzte und Hausärztinnen. Das ist aus meiner Sicht das Mass aller politischen Dinge. Ich vermute, die meisten anderen Verbände sind zu schwach dafür. Die FMH erscheint mir gelähmt durch Partikularinteressen. Die Frage ist: Schaffen wir den gemeinsamen geeinten Auftritt? Das bedingt, wie gesagt, dass operativ tätige Ärzte und Hausärzte sich annähern. Hierzu ein interessanter «Zwischenfall»: Es kam anlässlich der zweiten Ärztekammer 2018 zu einem Antrag der FMCH, der es erlauben sollte, gegen Organisationen der FMH vorzugehen, wenn diese die «Ehre» von Ärzteorganisationen, medizinischen Fachgesellschaften, ärztlichen Berufsgruppen und ihren Mitgliedern verletzten. Der Grund? Die FMCH stiess sich an einem Kampagnenvideo der MFE für den medizinischen Nachwuchs, in dem «die Spezialisten heruntergemacht» worden seien. Materiell kann ich das nicht beurteilen. Aber nur schon die Tatsache eines solchen «Scharmützels» (O-Ton Newsletter FMCH) lässt tief in die Psyche des interdisziplinären Dialogs blicken. Es braucht offenbar zuerst eine Familientherapie … Eigentlich erstaunt es mich, dass es an den SGAIM-Kongressen, als Beispiel, keine gemeinsamen standespolitischen Podien mit Chirurgen und Internisten gibt, genauso wenig wie bei den Kongressen der SGC. Es fehlt also jeglicher Austausch darüber, was der jeweilige andere Fachverband braucht.
Warum schaffen es die grundversorgenden Ärzte als wichtigstes Glied der medizinischen Behandlungs- und Betreuungskette nicht, ihre Vorstellungen politisch durchzusetzen? Vielleicht geht es uns noch zu gut. Vielleicht lassen sich einige von Lippenbekenntnissen zur Hausarztmedizin täuschen. Vielleicht wirkt der demografische Faktor: Viele
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Grundversorger werden bald pensioniert und sagen sich: Wofür soll ich noch kämpfen? Und die jüngere Generation ist noch nicht erwacht. In diesem Zusammenhang finde ich die zahlreichen Lifestylediskussionen wenig hilfreich, aber leider symptomatisch.
Grosse Frage zuletzt: Was schlagen Sie als erste Schritte für einen politischen Strategieplan vor? Als Greenhorn in standespolitischen Fragen kann ich das nur vage und aus dem Bauch heraus beantworten: Geld sammeln für den politischen Kampf. Und als Erstes alle Vorschläge für egal welche Formen von Globalbudgets rigoros mit einer Referendumsdrohung belegen. Vielleicht brauchen unsere Vertreter in der FMH auch ein starkes Signal. Wie wäre es, wenn die kantonalen Ärztegesellschaften organisatorische und materielle Vorkehrungen träfen, einen Abstimmungskampf auf nationaler Ebene zu unterstützen und regional Publicity zu betreiben? Das würde den politischen Gegnern beweisen, dass es die Ärztebasis ist, die sich auf breiter Ebene mobilisiert. Parallel dazu müssten Hausärzte und Chirurgen einen Dialog führen und sich auf langfristige Eckpfeiler einigen, die sie politisch in eine Neugestaltung von Gesetzen einfliessen lassen wollen. Das KVG ist nämlich nicht so schlecht wie sein Ruf. Es trägt immer noch ziemlich freiheitliche Elemente in sich, die es zu bewahren gilt. Wir müssen aber beweisen, dass wir mit auf die Kostenbremse treten, mit steigenden Anforderungen an die Qualität, stärkerer Vernetzung, Peer Reviews von Behandlungsindikationen und anderem.
Besten Dank für Ihre Stellungnahme!
Das Interview führte Peter H. Müller.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Xaver Huber Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH Facharzt für Chirurgie FMH Hauptstrasse 35 4127 Birsfelden
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