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STUDIE REFERIERT
Antibiotika bei Harnwegsinfektion
Bei älteren Patienten einer Sepsis vorbeugen
Etwa die Hälfte aller Sepsisfälle mit Escherichia coli geht auf eine zurückliegende Harnwegsinfektion zurück. Ältere Personen haben dafür ein höheres Risiko. Während eine Nicht- oder eine verzögerte Behandlung mit Antibiotika bei meist selbstlimitierenden leichten Infektionen wie beispielsweise Infekten der oberen Atemwege häufig keine schweren Konsequenzen haben, führt diese Strategie bei Harnwegsinfektionen bei jungen Frauen nur zu einer leichten Erhöhung von Symptomschwere und Krankheitsdauer. Ob das auch für ältere Patienten zutrifft, untersuchte eine britische Kohortenstudie.
BMJ
Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen bei Personen über 65 Jahre; E. coli ist hierfür das häufigste Uropathogen. Harnwegsinfektionen können bei dieser Altersklasse mild bis schwer verlaufen. Das Risiko, eine Sepsis zu entwickeln, steigt überproportional mit dem Alter. Bei beiden Geschlechtern treten Harnwegsinfektionen auf, bei Frauen häufiger, und bei Männern kann sie schwerer verlaufen. Die Harnwegsinfektion ist der zweithäufigste Grund für eine empirische Antibiotikatherapie. Etwa die Hälfte dieser Verschreibungen dürfte jedoch unnötig sein. Eine Zurückhaltung bei der Antibiotikaverschreibung ist daher angebracht, könnte jedoch vulnerablen älteren Patienten, die bereits ein höheres Risiko für eine Sepsisentwicklung haben, eher schaden. Inwieweit dies der Fall ist, war die Fragestellung einer britischen Kohortenstudie, die Daten aus Allgemeinpraxen von über 65-jährigen Patienten mit unkomplizierten Harnwegsinfekten in einem Zeitraum von 60 Tagen ab Diagnosestellung auf Sepsis, Spitaleinweisungen und Mortalität hin analysierte.
Mehr Sepsis, mehr Hospitalisierungen, höhere Gesamtmortalität
Von den 157 264 durchschnittlich 76-jährigen Patienten waren 78,8 Prozent Frauen, 22 Prozent hatten rezidivierende Harnwegsinfektionen. Insgesamt traten 312 896 Harnwegsinfek-
tionsepisoden auf. 7,2 Prozent davon wurden ohne Antibiotika und 6,2 Prozent mit verzögerter Antibiotikatherapie behandelt, bei allen anderen erfolgte eine sofortige Antibiose. Bei 0,5 Prozent der Harnwegsinfekte trat eine Sepsis auf. Bei Patienten ohne Antibiose war die Sepsisrate im Vergleich zu antibiotisch behandelten Patienten signifikant höher (2,9 vs. 0,2%), ebenso bei Patienten mit verzögerter Antibiotikatherapie (2,2 vs. 0,2%). Die NNH (number needed to harm) war ohne Antibiotika tiefer (höheres Risiko; NNH = 37) als mit verzögerter Antibiotikabehandlung (NNH = 51). Im Vergleich zu den sofort antibiotisch behandelten Patienten (14,8%) mussten aus der Nichtantibiotika- (27%) und der verzögerten Antibiotikagruppe (26,8%) nahezu doppelt so viele Patienten hospitalisiert werden. Dies mit ebenfalls längerer Spitalaufenthaltsdauer (6,3 vs. 12,1 und 7,7 Tage). Die Unterschiede waren statistisch signifikant. Von allen Patienten mit Harnwegsinfekten starben 2 Prozent innerhalb von 60 Tagen, in der Gruppe ohne Antibiotika 5,4 Prozent, in der Gruppe mit verzögerter Antibiose 2,8 Prozent und 1,6 Prozent unter sofortiger Antibiotikatherapie. Verglichen mit einer sofortigen Antibiotikatherapie war die Gesamtsterblichkeit ohne Antibiotika um den Faktor 2,18 höher, unter verzögerter Therapie um das 1,16-Fache, beides war signifikant.
Fazit der Autoren: Bei älteren Patienten, die in der Hausarztpraxis die Diagnose Harnwegsinfektion erhielten, war bei einer Therapie ohne oder mit verzögerter Antibiotikagabe im Vergleich zur sofortigen Antibiose eine signifikant höhere Sepsis- und Gesamtsterblichkeitsrate zu beobachten. Um schweren Komplikationen vorzubeugen, empfehlen die Autoren eine frühzeitige Antibiotikatherapie bei älteren Patienten, besonders bei über 85-jährigen Männern. VH s
Referenzen: Gharbi M et al.: Antibiotic management of urinary tract infection in elderly patients in primary care and its association with bloodstream infections and all cause mortality: population based cohort study. BMJ 2019; 364: l525.
Interessenlage: Die Autoren deklarieren keine finanziellen Interessenkonflikte.
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ARS MEDICI 10 | 2019