Transkript
Hypertoniemanagement
Tipps von Experten
Cardiology Update
Fotos: vh
Erhöhte Blutdruckwerte zu senken, kann sich mitunter als Herausforderung erweisen. Mit den von den neuen Guidelines empfohlenen Fixkombinationen lässt sich der Noncompliance etwas entgegenwirken. Woran man bei Therapieresistenzen und Blutdruckspitzen noch denken sollte, war in einem Hypertonieworkshop am Cardiology Update zu erfahren.
PD Dr. Isabella Sudano Prof. Paolo Suter PD Dr. Thomas Dieterle
Die Diagnose der Hypertonie sollte anhand von wiederholten Blutdruckmessungen in der Praxis und einer 24-Stunden-Messung oder einer Heimblutdruckmessung erfolgen. Bei neu diagnostizierten Hypertonikern müsse nach bereits aufgetretenen Organschäden sowie nach Ursachen für eine mögliche sekundäre Hypertonie geforscht werden, betont PD Dr. Isabella Sudano, Leiterin der Hypertonie-, Lipid- und Tabakentwöhnungssprechstunde, Universitätsspital Zürich, und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Hypertonie. Gemäss den neuen Guidelines 2018 der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC) liegt der Cut-off-Wert für eine Hypertonie bei 140/ 90 mmHg. Zwischen 130–139 und 85–89 mmHg ist der Blutdruck hochnormal, und Ratschläge zum Lebensstil sind ausreichend. Falls ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko vorliegt, kann eine medikamentöse Therapie erwogen werden. Bei einer Grad-1-Hypertonie (140–159/90– 99 mmHg) soll eine medikamentöse Therapie begonnen werden, wenn Lebensstilmassnahmen bei Patienten mit tiefem kardiovaskulärem Risiko nach 3 bis 5 Monaten zu keinem Erfolg geführt haben. Bei Patienten mit hypertonieinduzierten Organschäden, hohem oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko, Nieren- oder Herzerkrankungen soll unmittelbar eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden.
KURZ & BÜNDIG
Hypertonietherapie mit Fixkombination beginnen. Bei Therapieresistenz an Noncompliance denken. Bei hypertensiver Krise sofort nach möglichem Organ-
schaden suchen.
Bei einer Grad-2-Hypertonie (160–179/100–109 mmHg) wie auch bei einer Grad-3-Hypertonie (≥ 180/110 mmHg) ist zusätzlich zu Empfehlungen zum Lebensstil bei allen Patienten ein sofortiger medikamentöser Therapiebeginn empfohlen. Nach 3 Monaten soll der Fortschritt kontrolliert werden (Abbildung) (1).
Medikamentöse Strategie bei Hypertonie
Weil die Compliance bei einer Therapie mit mehreren Antihypertonika oft ungenügend war, empfehlen die Guidelines nun Fixkombinationen mit mehreren Antihypertonika, bei denen jedoch nur ein Präparat eingenommen werden muss. Fixkombinationen haben abgesehen von der einfacheren Einnahme auch den Vorteil verschiedener Wirkmechanismen in einer einzigen Pille, deren Komponenten tiefer dosiert sind und so weniger Nebenwirkungen verursachen. Als medikamentöse Therapie ist von Beginn an eine Zweierfixkombination aus ACE-Hemmer oder Sartan (ARB) plus Kalziumantagonist (CCB) oder Diuretikum empfohlen. Ist damit der Blutdruck nicht unter Kontrolle zu bringen, kommt als zweite Stufe eine Dreifachfixkombination aus ACE-Hemmer oder ARB plus CCB plus Diuretikum zum Einsatz. Bei einer therapieresistenten Hypertonie können zusätzlich Spironolacton (20–50 mg), andere Diuretika, Alphaoder Betablocker verordnet werden. Möglicherweise sollte der Patient zu diesem Zeitpunkt an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden. Bei sehr alten Patienten (> 80 Jahre) oder einer Grad-1Hypertonie (< 150 mmHg) mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko kann auch ein Start mit einer Monotherapie erwogen werden.
Wenn die Therapie nicht wirkt
Noncompliance ist ein Problem. In einer Berner Untersuchung erwiesen sich anhand von Plasmakonzentrationsmessungen von Patienten unter einer antihyertensiven Therapie 33 Prozent in der ersten und zweiten Konsultation als nicht adhärent (2). Es können aber auch andere Gründe zu einer Therapieresistenz führen. Hier ist an Auslöser einer sekundären Hypertonie zu denken wie zum Beispiel ein primärer Hyperaldosteronismus, Schlafapnoe, eine atherosklerotische renovaskuläre Erkrankung oder eine chronische Nierenerkrankung.
CongressSelection Kardiologie | Mai 2019
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Cardiology Update
behandelt werden, und der Patient
1 Pille 1 Pille
Initiale Therapie: Zweierkombination
Stufe 2: Dreifachkombination
ACE-I oder ARB + CCB oder Diuretikum
ACE-I oder ARB + CCB + Diuretikum
Monotherapie bei Grad-1Hypertonie mit tiefem Risiko erwägen (syst. < 150 mmHg) oder bei sehr alten (≥ 80 J.) oder gebrechlichen Patienten.
kann in der Regel nach kurzer Beobachtungsphase entlassen werden (4). Auslöser für eine hypertensive Krise sind häufig Noncompliance oder ungenügende Behandlung bei Patienten mit essenzieller Hypertonie (70%).
2 Pillen
Stufe 3: Dreifachkombination + z.B. Spironolacton
Resistente Hypertonie: + Spironolacton
(25–50 mg/Tag) oder anderes Diuretikum, Alpha- oder Betablocker
Überweisung an spezialisiertes Zentrum zur weiteren Abklärung erwägen.
An eine renovaskuläre oder renoparenchymatöse Hypertonie sollte ebenfalls gedacht werden, bei schwangeren Frauen auch an eine Präeklampsie. Endokrinologisch
kommen Phäochromozytom, Mor-
Betablocker Betablocker können auf jeder Stufe bei spezifischer Indikation
erwogen werden, wie z.B. Herzinsuffizienz, Angina, nach Myokardinfarkt, Vorhofflimmern oder bei jungen Frauen
mit geplanter oder begonnener Schwangerschaft.
Abkürzungen: ACE-I = ACE-Inhibitor; ARB = Angiotensin-II-Rezeptorblocker (Sartan); CCB = Kalziumkanalblocker
bus Conn und Morbus Cushing als Ursachen infrage. Auch verschiedene Medikamente, darunter Nasentropfen, Ciclosporin, Erythropoetin oder Drogen wie Kokain und Amphetamine können zu einem Blutdruckan-
Abbildung: Behandlungsstrategie bei unkomplizierter Hypertonie gemäss ESC-Guidelines 2018 (1)
stieg führen, wie PD Dr. Thomas Dieterle, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Baselland, er-
klärte.
Auch Medikamente und andere Substanzen (z.B. Kokain, ex- Wichtig sind bei der Abklärung die Frage nach Medikamen-
zessiver Lakritzkonsum, pflanzliche Medikamente wie etwa ten, ein kardiovaskuläres und neurologisches Assessment
Ephedra und Ma Huang) könnten den Blutdruck erhöhen, sowie wiederholte Blutdruckmessungen in den ersten zwei
erklärt Prof. Paolo Suter, Adipositas- und Hypertoniesprech- Stunden. Bei einem hypertensiven Notfall geht es in erster
stunde, Universitätsspital Zürich. Kontrollieren Sie bei Linie um die Behebung des Organschadens und erst in zwei-
Therapieresistenz die Einnahme persönlich und die anschlies- ter Linie um die Blutdrucksenkung, so Dieterle. Dabei ist da-
sende Wirkung per 24-Stunden-Blutdruckmessung, so der rauf zu achten, dass der Blutdruck nicht zu schnell auf das
Rat des Experten.
normale Niveau abgesenkt wird, um kein Risiko für einen ir-
reversiblen Organschaden einzugehen. Eine Absenkung um
Massnahmen bei hypertensiver Krise
etwa 25 Prozent in den ersten 1 bis 2 Stunden ist empfohlen
Steigt der Blutdruck ungewöhnlich stark an, so ist von einem (4), so Dieterle abschliessend.
L
hypertensiven Notfall (hypertensive emergency) die Rede,
wenn akute Endorganschäden an Gehirn, Herz oder Nieren Valérie Herzog
vorhanden sind. Der hypertensive Notfall ist akut gefährlich und wird in der Regel stationär und i.v. behandelt. Wichtigste klinische Zeichen sind dabei Dyspnoe, Thoraxschmerz oder neurologische Ausfälle. 1 von 200 Patienten in der Notfallstation kommt mit Verdacht auf einen hypertensiven Notfall, was sich bei jedem zweiten bis dritten Verdachtsfall auch bewahrheitet. Häufigste Organschäden sind Herzinsuffizienz, Hirnschlag, akutes Koronarsyndrom, intrakraniale Blutung sowie Aortendissektion. Nach diesen richtet sich auch die Behandlung aus (4). Bei einem ungewöhnlich stark ansteigenden Blutdruck ohne Endorganschäden handelt es sich dagegen um eine hypertensive Dringlichkeit (hypertensive urgency). Diese kann peroral
Quelle: «Meet the Expert – Hypertension», Cardiology Update, 16. bis 20. Februar
2019 in Davos.
Referenzen: 1. Williams B et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management
of arterial hypertension. Eur Heart J 2018; 39: 3021–3104. 2. Sandbaumhüter FA et al.: Medication adherence during labora-
tory workup for primary aldosteronism: pilot study. Patient Prefer Adherence 2018; 12: 2449–2455. 3. Van den Born BH et al.: ESC Council on hypertension position document on the management of hypertensive emergencies. Eur Heart J Cardiovasc Pharmacother 2019; 5: 37–46. 4. Elliott WJ et al.: Clinical features in the management of selected hypertensive emergencies. Progr Cardiovasc Dis 2006; 48: 316– 325.
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