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FORTBILDUNG
Autoimmune Enzephalitiden: Erste interdisziplinäre Sprechstunde
Am Universitätsspital Zürich wurde 2017 die erste interdisziplinäre Sprechstunde zur Diagnostik und Therapie der autoimmunen Enzephalitiden eingerichtet. Für die Sprechstunde dieser seltenen Erkrankung sind die Neurologen Prof. Andreas Lutterotti, Oberarzt und Leiter Studienteam, und Dr. Lukas Imbach, Oberarzt Epileptologie, verantwortlich.
Psychiatrie + Neurologie: Warum war es wichtig, eine solche Sprechstunde einzurichten? Prof. Andreas Lutterotti: Die Grundidee hinter der interdisziplinären Sprechstunde ist die frühzeitige Abstimmung in den diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen zwischen der Epileptologie und der Neuroimmunologie, um eine optimale Betreuung gewährleisten zu können. In der Vergangenheit war es häufig so, dass die Betreuung der Patienten parallel in der Epilepsie- und der Neuroimmunologie-Sprechstunde erfolgt ist. Durch dieses Vorgehen konnten wir unsere eigenen therapeutischen Massnahmen manchmal nur eingeschränkt beurteilen. In der Epilepsiebehandlung wurde beispielsweise an den Medikamenten geschraubt, und Ähnliches passierte in der Immuntherapie. So konnten wir manchmal nicht eindeutig zuordnen, welche Massnahme den Ausschlag für eine Verbesserung, aber auch für eine Verschlechterung beim Patienten gegeben hat. Das war ein Grund, weshalb wir gesagt haben, dass wir die Patienten gemeinsam sehen und zusammen besprechen, was gemacht werden muss. Zusätzlich hat die Zusammenarbeit den Lerneffekt, dass wir durch gemeinsames Überlegen stark voneinander profitieren können. Und bei diesem seltenen Krankheitsbild ist das sehr wertvoll. Die erste grosse Studie zur autoimmunen Enzephalitis wurde 2007 im «Lancet» publiziert. Das Krankheitsbild ist seit dieser Publikation zwar mehr in den Fokus gerückt. Die Diagnostik erschwert sich allerdings dadurch, dass sich unter der Erkrankung verschiedene klinische Syndrome subsummieren. Das kann eine initiale Psychose sein, aber auch eine damit einhergehende Epilepsie.
Wie oft findet die Sprechstunde statt? Dr. Lukas Imbach: Die gemeinsame Sprechstunde findet einmal pro Woche an einem Nachmittag statt. Diese Kontinuität ist sehr wichtig in der Betreuung und Behandlung. Denn neben dem Therapieansprechen, das wir so besser monitorisieren können, hat der Patient den Vorteil, dass er nicht immer wieder den Behandler wechseln muss, also zum Beispiel für die epileptologi-
Andreas Lutterotti
Lukas Imbach
sche Abklärung zum Epileptologen, für die autoimmune Behandlung zu einem anderen Neuro-Immunologen und für die psychiatrische Symptomatik zum Psychiater. Die Idee der Sprechstunde ist, dass wir gemeinsam besprechen, was wir in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht als nächsten Schritt anstreben, und unsere Interventionen aufeinander abstimmen. Dafür gibt es einen Termin, eine Synopsis und eine ganzheitliche Beurteilung.
Ist die Sprechstunde mittlerweile bekannt? Lukas Imbach: Wir sehen durchschnittlich zwei bis drei Patienten pro Woche. Die gesamte Kohorte von aktiven Patienten mit autoimmuner Enzephalitis liegt momentan bei rund 20 bis 30. Allerdings sind nicht immer nur neue Patienten in der Sprechstunde, sondern auch solche, die wir bereits kennen und nachverfolgen. Die meisten Patienten kommen über unsere Notfallstation oder aus den internen Sprechstunden, aber mittlerweile weisen uns auch niedergelassene Neurologen Patienten zu. Das ist auch sinnvoll, weil das Krankheitsbild selten ist und die Betroffenen schwer krank sind. Für niedergelassene Ärzte ist es oft schwieriger, diese Fälle ambulant zu managen. Wenn die Epilepsie im Vordergrund steht, werden die Patienten oft zuerst der Epilepsiesprechstunde zugewiesen. In der Sprechstunde führen wir die Fragestellungen dann zusammen.
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Andreas Lutterotti: Es kann aber auch sein, dass die Patienten schon diagnostiziert sind – über den niedergelassenen Arzt oder durch andere Spitäler und für die weitere Betreuung oder eine Zweitmeinung zu uns zugewiesen werden. Unser Einzugsgebiet ist aber mittlerweile der ganze Kanton Zürich. Wir arbeiten auch mit anderen Zentren zusammen. Allerdings ist das mehr ein Netzwerk, in dem man sich austauscht.
Wie läuft die Diagnostik dann ab? Andreas Lutterotti: Bei den autoimmunen Enzephalitiden handelt es sich um sehr unterschiedliche klinische Krankheitsbilder. Am bekanntesten, weil am häufigsten, ist die NMDA-Antikörper-assoziierte Enzephalitis. In der Regel ist der Krankheitsverlauf sehr schwerwiegend und die initiale Behandlung stationär, oftmals liegen diese Patienten auch lange auf der Intensivstation. Die Diagnostik findet dann nicht in der Sprechstunde statt, aber die Nachbetreuung. Das ist wichtig, denn diese Krankheiten können sich auch wieder verschlechtern beziehungsweise in Schüben auftreten. Deshalb ist es wesentlich, miteinander zu sprechen. Zudem kann auch die Erholungsphase sehr lange dauern. Für uns ist es wichtig, diese Patienten selbst zu betreuen und zu lernen, wie sich der Verlauf gestaltet. Lukas Imbach: Speziell für die Epilepsie gilt, dass diese ganz am Anfang oder am Ende der Krankheit im Vordergrund stehen kann. Häufig haben Patienten als erstes Symptom einen epileptischen Anfall, später kommen weitere dazu. Unsere Aufgabe ist es, aufgrund der Anfallssemiologie, der Häufigkeit der Anfälle und der EEG-Muster, früh die Verdachtsdiagnose einer autoimmunen Enzephalitis zu stellen.
Arbeiten Sie auch mit Psychiatern zusammen? Andreas Lutterotti: Die Zusammenarbeit mit Psychiatern ist auf jeden Fall gewünscht. Sie ist schon deshalb sehr relevant, weil ein Teil dieser Patienten aufgrund der psychiatrischen Symptome an uns überwiesen wird. Wir merken, dass die Psychiater diesbezüglich sehr wachsam sind. Lukas Imbach: Uns als Neurologen fehlt das fachärztliche psychiatrische Know-how, um einen psychiatrischen Patienten fundiert beurteilen und auch behandeln zu können. Deshalb ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig.
Kasten:
Autoimmune Enzephalitiden
Unter dem Begriff der autoimmunen Enzephalitiden ist eine Reihe von klinischen Syndromen zusammengefasst. Gemeinsam ist diesen eine zelluläre und/oder humorale Immunreaktion gegen zentrales und/oder peripheres Nervengewebe. Die Symptome hängen von der betroffenen Gehirnregion ab. In den letzten Jahren wurde eine Gruppe von Enzephalitiden charakterisiert, deren gemeinsamer Nenner der Nachweis von Autoantikörpern gegen synaptische Bestandteile ist, beispielsweise der N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDAR), und die ein Ansprechen auf immunsuppressive Therapien zeigen. Seit 2007 gelang der Nachweis von mehr als elf spezifischen synaptischen Autoantikörpern.
Wären Psychiater auch in der Sprechstunde erwünscht? Andreas Lutterotti: Man könnte sich das vorstellen. Allerdings liegt die psychiatrische Komponente im Gegensatz zur Epilepsie meist nur initial vor. Sie ist die primäre Manifestation, reagiert aber häufig gut auf die Immuntherapie, sodass die psychiatrischen Symptome nicht über einen längeren Zeitraum im Vordergrund stehen. Lukas Imbach: Zudem brauchen diese Patienten auch danach keine psychiatrische Betreuung mehr.
Wird gleichzeitig geforscht? Andreas Lutterotti: Wir würden sehr gerne weiterführend forschen und sind dabei, die entsprechenden Genehmigungen bei der Kantonalen Ethikkommission einzuholen, sodass wir die Patientendaten auswerten können und beispielsweise auch Proben sammeln dürfen. Viele Daten kommen noch immer aus retrospektiven Analysen von Patienten in der Grössenordnung von 30 bis maximal 100. Das ist nicht viel, und es gibt auch nicht viele Zentren, die das weiterverfolgen.
Wie lange dauert es, bis die Patienten zu Ihnen gelangen. Gibt es auch Verzögerungen? Lukas Imbach: Verzögerungen können immer noch auftreten, obwohl die Aufmerksamkeit für diese Krankheit zunimmt. Zum Teil gibt es niedergelassene Neurologen, die uns die Patienten mit der entsprechenden Verdachtsdiagnose sehr früh im Krankheitsverlauf zuweisen. In anderen Fällen konnten wir aber auch beobachten, dass es Monate brauchte, bis die Patienten zu uns gelangten. Dies geschieht nicht, weil nicht sorgfältig gearbeitet wurde, sondern weil die Symptomatik am Anfang sehr diskret sein kann. Allerdings gilt: Je früher behandelt wird, desto besser ist der Verlauf.
Was sind denn die Kardinalsymptome der autoimmu-
nen Enzephalitis?
Andreas Lutterotti: Dazu zählt eine Vielzahl von Sym-
ptomen, im Vordergrund stehen eine neuartige Epilep-
sie oder psychiatrische Symptome wie eine Psychose
oder ein neu aufgetretenes kognitives Defizit. Die Dia-
gnostik kann bei uns sehr rasch erfolgen, da die spezifi-
schen Antikörper im Labor der Klinik für Immunologie
analysiert werden können. Entscheidend ist es, eine Be-
handlung frühzeitig beginnen zu können.
Lukas Imbach: Aus dem Bereich der Epileptologie kann
ich noch ergänzen, dass man aufmerksam werden soll,
wenn zu Beginn der Erkrankung viele Anfälle auftreten
und diese schlecht auf die medikamentöse Therapie an-
sprechen oder verschiedene und wechselnde Anfälls-
typen vorliegen. Zudem gibt es seltene, aber sehr cha-
rakteristische Zeichen für eine autoimmune Enzephalitis
in der Hirnstromkurve.
G
Korrespondenzadresse:
Prof. Andreas Lutterotti
E-Mail: Andreas.Lutterotti@usz.ch
Dr. Lukas Imbach
E-Mail: Lukas.Imbach@usz.ch
Sehr geehrter Herr Prof. Lutterotti, sehr geehrter Herr Dr. Imbach, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Annegret Czernotta.
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