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STUDIE REFERIERT
Thromboseprophylaxe nach PCI und Vorhofflimmern
Zwei- oder dreifach therapieren?
Die aktuellen Guidelines empfehlen bei Status nach PCI und gleichzeitig bestehendem Vorhofflimmern eine dreifache Thrombozytenaggregationshemmung. Neuere, qualitätsbasierte Studien belegen jedoch ein vermindertes Blutungsrisiko bei vergleichbarer Wirksamkeit unter Zweifachtherapie. Sie stellen damit eine valable Behandlungsoption dar.
American Journal of Cardiology
Bei 5 bis 8 Prozent der Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) und Status nach perkutaner Koronarintervention (PCI) besteht gleichzeitig ein Vorhofflimmern (1). Eine optimale antithrombotische Prävention für diese Patienten zu finden, stellt eine grosse Herausforderung dar. Die Patienten müssen einerseits vor einem kardialen oder zerebralen thromboembolischen Ereignis geschützt werden, andererseits sollte das Blutungsrisiko möglichst gering gehalten werden. Die aktuellen Guidelines zur postoperativen Thromboseprophylaxe sehen für Patienten mit Status nach PCI und gleichzeitigem Vorhofflimmern eine Dreifachtherapie vor,
bestehend aus oraler Antikoagulation (OAK) mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und einer zweifachen Thrombozytenaggregationshemmung (dual antiplatelet therapy, DAPT) mit Acetylsalicylsäure (ASS; Aspirin cardio®) und einem P2Y12-Antagonisten (Clopidogrel [Plavix®], Ticagrelor [Brilique®] oder Prasugrel [Efient®]). Die Behandlungsdauer sollte je nach Blutungsneigung des Patienten und Art des implantierten Stents möglichst kurz gehalten werden (1–6 Monate). Clopidogrel ist das Medikament erster Wahl und soll Ticagrelor und Prasugrel vorgezogen werden.
Weniger schwere Blutungen durch Weglassen von ASS
Eine Studie aus dem Jahr 2013 (2) konnte jedoch zeigen, dass die Kombination eines VKA (Warfarin) mit Clopidogrel zu weniger schweren Blutungen (major bleedings) und weniger kardiovaskulären Nebenwirkungen führte als die Tripeltherapie. ASS trägt somit wesentlich zur Entstehung von Blutungskomplikationen bei. Auch die Resultate von erst kürzlich durchgeführten plazebokontrollierten Studien zeigen, dass mit der Zweierkombination aus einem der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) wie Rivaroxaban (Xarelto®) oder Dabigatran (Pradaxa®) und einem
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P2Y12-Antagonisten weniger Blutungen auftreten. Demgegenüber existieren eine Reihe von Beobachtungsstudien, welche die grössere Sicherheit und Wirksamkeit der Tripeltherapie belegen. Deshalb stellten die Initianten der hier besprochenen Studie die Hypothese auf, dass das bessere Abschneiden der dreifachen Antikoagulation auf Daten aus reinen Beobachtungsstudien (observational studies, OS) basiert, welche nicht dieselben Ergebnisse liefern wie die in jüngerer Zeit durchgeführten und qualitativ anspruchsvolleren klinischen Studien (RCT). Diese Hypothese wurde mittels einer Metaanalyse der bis dato zum Thema vorhandenen Publikationen überprüft, wobei Studiendesign und Behandlungsmethode (OAK plus ein einzelner Thrombozytenaggregationshemmer vs. OAK und DAPT) berücksichtigt wurden. Die Suche nach passenden Artikeln erfolgte über die elektronischen Datenbanken von Medline, Embase und Central und umfasste den gesamten Zeitraum seit den Anfängen der jeweiligen Datensammlungen bis zum 31. Oktober 2017. Die Anzahl Studienteilnehmer, allfällige Komorbiditäten oder die Länge des Beobachtungszeitraums spielten für den Einschluss in die Untersuchung keine Rolle. Schliesslich konnten 9 Studien weiter analysiert werden: 4 RCT und 5 OS mit insgesamt 13 704 untersuchten Patienten. ASS (84%) und Clopidogrel (55%) waren die am häufigsten verwendeten antithrombotischen Medikamente, danach folgten Ticagrelor (12%) und Prasugrel (0,13%). 4 Studien verwendeten herkömmliche VKA, 2 Studien setzten NOAK ein, und bei den übrigen 3 Studien waren keine Angaben über die verwendete OAK erhältlich.
Mehr Myokardinfarkte in den Beobachtungsstudien
Bezüglich schwererer Blutungen konnte in den RCT für die duale Therapie (OAK und ein einzelner Thrombozytenaggregationshemmer) im Vergleich zu einer DAPT eine signifikante Reduktion des relativen Risikos um 30 Prozent nachgewiesen werden (relatives Risiko [RR]: 0,70; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,60–0,81; p < 0,001). Hingegen wiesen die Beobachtungsstudien ein ähnlich hohes Blutungsrisiko für beide Therapien nach (RR: 0,93; 95%-KI: 0,65–1,29; p = 0,61). Beide
Therapieregime kamen betreffend schwerer kardiovaskulärer Ereignisse zu einem ähnlichen, nicht signifikanten Ergebnis (RR: 0,93; 95%-KI: 0,68– 1,27; p = 0,64 [RCT] bzw. RR: 1,43; 95%-KI: 0,84–2,24; p = 0,19 [OS]). Spezifisch auf einen Myokardinfarkt bezogen, fanden die RCT ein etwa gleich hohes Risiko unter dualer beziehungsweise dreifacher Thrombozytenaggregationshemmung. Die Beobachtungsstudien wiesen gegenüber der DAPT jedoch ein um 76 Prozent erhöhtes Herzinfarktrisiko unter dualer Therapie nach (RR: 1,76; 95%-KI: 1,25– 2,47; p < 0,001). Kleinere Blutungen und Hirnschläge traten unter beiden Behandlungsmethoden ähnlich häufig auf. Auch für die Gesamtmortalität konnte kein signifikanter Unterschied ausgemacht werden.
Beobachtungsstudien vorsichtig interpretieren
Beobachtungsstudien sind wegen ihrer grossen Anfälligkeit für Fehler (Selektions-, Studienabbruchs-, Fehlklassifizierungs-Bias) vorsichtig zu interpretieren, und Daten aus reinen Beobachtungsstudien können zu trügerischen oder fehlerhaften Therapieentscheidungen führen. Durch Stratifizierung der Resultate entsprechend dem jeweiligen Studiendesign wurde diesem Problem in dieser Metaanalyse Rechnung getragen. Die Limitationen der Studie ergeben sich aus der grossen Heterogenität bezüglich Patienten- (Blutungsneigung, Hirnschlagrisiko) und Stentcharakteristika, aus den Unterschieden der verwendeten Studienmedikamente und deren Dosierungen, der Behandlungsdauer, den zusätzlich verabreichten Medikamenten (z.B. Protonenpumpenhemmer) und dem Beobachtungszeitraum. Da Clopidogrel am häufigsten eingesetzt wurde, sagen die Resultate primär etwas über dieses eine Medikament aus.
Bessere Sicherheit der dualen Therapie
Die meisten der Qualitätsdaten aus den RCT bestätigen die bessere Sicherheit der dualen antithrombotischen Prophylaxe mit einem OAK und einem einzigen Thrombozytenaggregationshemmer und weisen zudem auf eine Nichtunterlegenheit bezüglich der Wirksamkeit hin. Es kommt unter der dualen Thrombozytenaggregationshemmung zu we-
niger schweren Blutungen, ohne dass
dabei die Wirksamkeit bezüglich isch-
ämischer und thromboembolischer Er-
eignisse verringert würde. Beobach-
tungsstudien attestieren dagegen der
Dreifachtherapie eine ähnliche Sicher-
heit und gar eine bessere Wirksamkeit
bei der Prävention eines Myokardin-
farkts. Mit dieser Metaanalyse ist es be-
handelnden Ärzten möglich, die Resul-
tate der beiden antithrombotischen
Therapieregime nach PCI und gleichzei-
tig bestehendem Vorhofflimmern quali-
tätsbasiert zu vergleichen. Stets gilt es
jedoch, vorsichtig abzuwägen zwischen
der individuellen Blutungsneigung des
Patienten und dem Thromboserisiko,
um zu einer optimalen Therapieent-
scheidung zu gelangen.
MIK L
Quelle: Khan SU et al.: Meta-analysis of antithrombotic therapy in atrial fibrillation after percutaneous coronary intervention. Am J Cardiol 2018; 121(10): 1200–1206.
Referenzen: 1. Gibson CM et al.: Prevention of bleeding in
patients with atrial fibrillation undergoing PCI. N Engl J Med 2016; 375: 2423–2434. 2. Dewilde WJ et al.: Use of clopidogrel with or without aspirin in patients taking oral anticoagulant therapy and undergoing percutaneous coronary intervention: an open-label, randomised, controlled trial. Lancet 2013; 381(9872): 1107–1115.
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