Transkript
Was lässt die Haut anschwellen?
Diagnostik und Therapie bei Urtikaria und Angioödemen
FORTBILDUNG
Juckende Quaddeln, plötzliche Hautschwellungen (Angioödeme) oder beides: Das sind typische Anzeichen einer Nesselsucht (Urtikaria). Ihre Symptome wie quälender Juckreiz und auffällige Hautveränderungen sind für den Patienten oft sehr belastend. Mit den Leitlinien-Updates zu Urtikaria und hereditärem Angioödem, die Anfang 2018 erschienen sind, liegen jetzt evidenzbasierte Empfehlungen für das diagnostische Vorgehen und die Therapie von Patienten mit wiederkehrenden Quaddeln und Angioödemen vor. Mit höher dosierten Antihistaminika, Omalizumab und Ciclosporin A lassen sich so gut wie alle betroffenen Patienten heute gut behandeln.
Marcus Maurer
Die häufigste Erklärung für juckende Quaddeln und Angioödeme ist eine chronische Urtikaria. Sie tritt als chronische spontane Urtikaria (csU) oder in Form einer induzierbaren Urtikaria auf (CINDU, Tabelle 1). Bei den CINDU gibt es für die Quaddeln und Angioödeme spezifische Auslöser, bei der Kälteurtikaria zum Beispiel den Hautkontakt mit Kälte oder beim symptomatischen Dermografismus das Kratzen der Haut. Jede chronische Urtikaria beginnt akut, wobei nur relativ wenige Fälle chronisch werden, also länger als 6 Wochen dauern. 1 Prozent aller Menschen ist trotzdem – meist für mehrere Jahre – betroffen, bevor die Erkrankung von selbst abheilt. Verantwortlich für Quaddeln und Angioödeme bei chronischer Urtikaria sind Hautmastzellen und deren Mediatoren, zum Beispiel Histamin. Diese aktivieren die Hautnerven (Juckreiz) und die Hautgefässe (Rötungen und Extravasation). Neben der chronischen Urtikaria gibt es noch andere Erkrankungen, die zu Quaddeln oder Angioödemen führen (Tabelle 1). Rezidivierende Quaddeln treten auch bei autoinflammatori-
MERKSÄTZE
Bei fast allen Patienten mit wiederkehrenden Quaddeln und/oder Angioödemen liegt eine chronische Urtikaria vor. Diese ist heute gut behandelbar.
Der Arzt sollte frühzeitig sicherstellen, dass wiederkehrende Quaddeln oder Angioödeme nicht durch andere Erkrankungen verursacht werden. Denn die Behandlung mit Urtikariamedikamenten kann bei diesen Patienten nicht funktionieren.
Es gibt aber auch wirksame und sichere Therapien für Patienten mit Quaddeln und Angioödemen, die nicht durch Urtikaria bedingt sind.
schen Syndromen und bei Urtikariavaskulitis auf. Wiederkehrende Angioödeme können bradykininvermittelt sein, wie beim hereditären Angioödem oder beim ACE-Inhibitorvermittelten Angioödem (Tabelle 2). Um Patienten mit wiederkehrenden Quaddeln und Schwellungen erfolgreich behandeln zu können, muss zunächst klar sein, welche Erkrankung vorliegt.
Wiederkehrende Quaddeln: Urtikariavaskulitis und Autoinflammation
Patienten mit Urtikariavaskulitis und vielen autoinflammatorischen Erkrankungen entwickeln wiederkehrende Quaddeln, die sich auf den ersten Blick nicht von jenen bei Urtikaria unterscheiden. Eine gute Anamnese und eine weiterführende Diagnostik sind hier wichtig, denn die Quaddeln bei Patienten mit Urtikariavaskulitis und autoinflammatorischen Erkrankungen sprechen auf klassische Urtikariamedikamente schlecht oder gar nicht an. Es gibt aber andere gut wirksame Therapien. Bei Patienten mit autoinflammatorischen Erkrankungen, wie dem Schnitzler-Syndrom oder cryopyrinassoziierten periodischen Fiebersyndromen (CAPS), bestehen neben den Quaddeln systemische Beschwerden, etwa Abgeschlagenheit, Knochen- oder Gelenkbeschwerden und wiederkehrende Fieberschübe. Bei Hinweisen in der Anamnese sollten eine gezielte Untersuchung auf Entzündungsparameter – unter anderem auf C-reaktives Protein (CRP), Serumamyloid A und S100 A8/9 – und eine Immunfixation erfolgen. Auch eine Hautbiopsie kann hilfreich sein. Bei Urtikariavaskulitispatienten bleiben die Quaddeln häufig länger als 24 Stunden und hinterlassen oft Hyperpigmentierungen. Hier führt eine Biopsie aus der Quaddel zum Ziel. Anders als bei der chronischen Urtikaria ist für Quaddeln bei autoinflammatorischen Erkrankungen und zum Teil auch bei Urtikariavaskulitis nicht Histamin, sondern Interleukin-(IL-)1 verantwortlich. Hier werden am besten IL-1-Antagonisten (z.B. Canakinumab) gegeben. Bei Urtikariavaskulitis sollte
ARS MEDICI 6 | 2019
193
FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Klassifikationen der chronischen Urtikaria
Spontane Urtikaria (csU)
Ursache bekannt
Ursache unbekannt
Induzierbare Urtikaria (CINDU)
Physikalische Urtikaria • Urticaria factitia • Kälteurtikaria • Lichturtikaria • Druckurtikaria • Vibrationsurtikaria Cholinergische Urtikaria Kontakturtikaria Aquagene Urtikaria
man nach Komorbiditäten und damit assoziierten Grunderkrankungen suchen, etwa nach einem Lupus erythematodes. Häufig ist eine immunsuppressive Therapie notwendig und effektiv.
Immer wieder Schwellungen – ACE-Hemmer und hereditäres Angioödem
Die Einnahme von ACE-(angiotensin-converting-enzyme-) Hemmern kann zu wiederkehrenden Schwellungen führen. Anders als bei Urtikariapatienten sind für diese nicht Histamin oder andere Mastzellmediatoren verantwortlich, sondern Bradykinin ist hier der Auslöser. Das ist ein stark vasoaktiver Stoff, der zu Extravasation und nachfolgender Ödembildung führt. Bradykinin wird durch ACE abgebaut. Die Einnahme eines ACE-Hemmers kann zu Bradykininkonzentrationen führen, die Angioödeme auslösen. Patienten mit wiederkehrenden Schwellungen ohne Quaddeln sollten deshalb ihren ACE-Hemmer absetzen beziehungsweise umstellen. Im weiteren Verlauf sollte auch kein anderer genommen werden. Schwellungen können Monate und Jahre nach Beginn einer ACE-Hemmer-Therapie auftreten, und es kann Wochen bis Monate dauern, bis die Angioödeme nach Absetzen des ACE-Hemmers ausbleiben.
Ebenfalls bradykininvermittelt ist das hereditäre Angioödem (HAE), eine seltene, potenziell tödliche Erkrankung, da es hier auch zu Schwellungen in der oberen Atem- und Schluckstrasse kommt. Anders als Urtikariapatienten mit Angioödemen können HAE-Patienten also aufgrund ihrer Erkrankung ersticken. Den Verdacht auf ein HAE sollte der Arzt durch Labordiagnostik weiterverfolgen. Auf ein HAE weisen der frühe Beginn der Schwellungen (schon in der Kindheit), das Auftreten von abdominellen Schwellungen, prodromale Symptome vor der eigentlichen Schwellung und natürlich das Auftreten von wiederkehrenden Schwellungen in der Familie hin. Die Kontrolle von C4- und C1-Inhibitor, von Konzentration und Funktion ist hier wegweisend – hilfreich ist auch die Zusammenarbeit mit einem HAE-Zentrum. Bei hereditärem Angioödem sind Medikamente nötig, die Schwellungen zum Stillstand bringen können: Icatibant, ein Bradykininrezeptorantagonist, oder ein C1-Inhibitor. Bei schwerem Verlauf ist eine Prophylaxe sinnvoll.
Welche Urtikariaform liegt vor?
Wichtig ist auch die Frage: Liegt eine chronische spontane oder eine chronische induzierbare Urtikaria vor? Und lassen sich Quaddeln gezielt herbeiführen? Hier empfiehlt sich eine Provokationstestung. Ist diese positiv, sollte man eine Schwellentestung mit dem relevanten Auslöser vornehmen. So lässt sich die Krankheitsaktivität bestimmen und die Therapie optimal gestalten. Auch mehrere Formen der chronischen Urtikaria, zum Beispiel eine chronische spontane und eine chronische induzierbare Urtikaria, können zusammen auftreten. Bei chronischer spontaner Urtikaria empfiehlt sich für die Differenzialdiagnose – neben der Anamnese – eine Blutuntersuchung auf Entzündungsmarker, also auf CRP und/oder Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), sowie ein Differenzialblutbild. Auch sollte man Krankheitsaktivität, -auswirkung und -kontrolle bestimmen. Hier eignen sich der Urtikaria-Aktivitäts- und/oder Angioödem-Aktivitäts-Score ebenso wie der Urtikaria-Kontrolltest. Damit lässt sich bestimmen, wie gut die Therapie funktioniert. Ergeben sich aus der Anamnese konkrete Hinweise auf Komorbiditäten, zum Beispiel auf Autoimmun- oder psychosomatische Erkran-
Tabelle 2:
Klassifikationen wiederkehrender Angioödeme
Bradykininvermittelte Angioödeme
xC1-Inhibitor-Defizienz/-Defekt
Angeboren
Erworben
C1-Inhibitor normal
Angeboren
Erworben
HAE-1 HAE-2
AAE-C1-INH
HAE nC1-INH (HAE-FXII, HAEANGPTI, HAEPLG, HAE-UNK)
ACEI-AÖ
Mastzellmediatorvermittelte Angioödeme
IgE-vermittelt mit Anaphylaxie
Nicht IgE-vermittelt
bei Urtikaria
bei Urtikaria
Unbekannter Mediator
idiopathisches AÖ
HAE-1: hereditäres Angioödem (AÖ) wegen C1-Inhibitor-(C1-INH-)Defizienz; HAE-2: hereditäres Angioödem wegen C1-Inhibitor-Defekt; AAE-C1-INH: erworbenes Angioödem wegen C1-Inhibitor-Defizienz; HAE nC1-INH: hereditäres Angioödem bei normalem C1-Inhibitor, entweder wegen einer Mutation in FXII (FXIII), ANGPT1 (Angiopoietin 1), PLG (Plasminogen) oder bei unbekannter Mutation (HAE-UNK, HAE unknown); ACEI-AÖ: ACE-(angiotensin-converting-enzyme-)Hemmer-induziertes Angioödem.
nach Maurer et al., 2008
194
ARS MEDICI 6 | 2019
FORTBILDUNG
kungen, sollten diese weiter abgeklärt werden. Man geht heute davon aus, dass die chronische spontane Urtikaria eine Autoimmunerkrankung ist, die entweder Immunglobulin-E(IgE-)Antikörper gegen Autoantigene (Autoallergie) oder mastzellaktivierende IgG-Antikörper hervorruft (1). Ziel der Behandlung der chronischen Urtikaria – sie dauert im Schnitt 5 bis 7 Jahre – ist die Symptomfreiheit bis zum spontanen Abheilen. Die aktuellen Leitlinien raten zu einer Erstlinientherapie mit einem modernen, nicht sedierenden Antihistaminikum (2, 3). Führt dies nicht zum Erfolg, sollte die bis zu vierfache Standarddosis gegeben werden. Bestehen die Beschwerden weiter, wird mit Omalizumab behandelt. Bei Patienten, die darauf nicht ansprechen, empfiehlt sich Cyclosporin A. Dieses Vorgehen führt bei den meisten Patienten zu Beschwerdefreiheit und Krankheitskontrolle. Bei Patienten, die auf Antihistaminika nicht ansprechen, ist eine fachärztliche dermatologische oder allergologische Expertise zu empfehlen. Patienten, bei denen auch Omalizumab und Ciclosporin A nicht helfen, sollte der Arzt in Urtikaria-Spezialzentren (Urticaria Centers of Reference and Excellence
(UCARE, http://www.ga2len-ucare.com/centers.html) über-
weisen.
L
Prof. Dr. med. Marcus Maurer Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Dermatologische Allergologie D-10117 Berlin
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Literatur: 1. Kolkhir P et al.: Autoimmune chronic spontaneous urticaria: what we know
and what we don‘t know. J Allergy Clin Immunol 2017; 139(6): 1772–1781. 2. Maurer M et al.: The international WAO/EAACI guideline for the manage-
ment of hereditary angioedema – the 2017 revision and update. Allergy 2018; 73(8): 1575–1596. 3. Zuberbier T et al.: The EAACI/GA²LEN/EDF/WAO guideline for the definition, classification, diagnosis and management of urticaria. Allergy 2018; 73(7): 1393–1414.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2018. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
ARS MEDICI 6 | 2019
195