Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
© Can Stock Photo / ajt
Diabetes
Orales Insulin lässt noch auf sich warten
In einer Phase-II-Studie erhielten je 25 Typ-2-Diabetes-Patienten, deren Blutzucker unter Metformin als Monotherapie oder zusammen mit weiteren oralen Antidiabetika ungenügend eingestellt war, 8 Wochen lang entweder 2700 nmol eines oralen Insulinpräparats (I-338) oder 10 IE Insulin Glargin; es konnte bis zu 16 200 nmol I-338 oder 60 IE Glargin auftitriert werden. Primärer Endpunkt war die Differenz im Nüchternblutzucker. Dieser betrug mit I-338 nach 8 Wochen 7,1 mmol/l (129 mg/dl), mit Glargin 6,8 mmol/l (121 mg/dl). In den letzten 3 Wochen der Studie war die Variabilität des Nüchternblutzuckers unter I-338 um
90 Prozent höher als in der Glargingruppe. Die unerwünschten Nebenwirkungen, am häufigsten Diarrhö und Nasopharyngitis, unterschieden sich zwischen den beiden Gruppen nicht. Angesichts der notwendigen hohen Insulinmenge bei der oralen Gabe wurde die weitere Entwicklung des Präparats jedoch gestoppt (1). Die Unterschiede in den eingesetzten Dosierungen der beiden Insulinpräparate waren in der Tat enorm: Es war eine ungefähr 45-fach höhere Insulinmenge für I-338 gegenüber Glargin notwendig. Dennoch heisst es in einem Kommentar zu der Studie, nun sei endlich bewiesen, dass der orale Weg der Insulinzufuhr prinzipiell möglich sei, darum sei es «an der Zeit, die Lehrbücher neu zu schreiben» (2). Im Präparat I-338 wurde als Absorptionsverstärker Natrium-Caprat verwendet. Es wird an weiteren oralen Insulinen geforscht, wobei unterschiedliche Verfahren getestet werden. So ist ORMD-0801 ein Proteasehemmer mit einem veränderten Insulinmolekül, sodass dieses gegenüber Abbau resistenter und auch verstärkt resorbiert wird. ORMD-0801 wurde bereits vor Jahren in einer Phase-II-
Studie getestet, mit allerdings nur tendenziell, aber nicht statistisch signifikant positiven Resultaten (3). An Ratten wurde ein weiteres orales Insulin getestet, das galenisch mithilfe einer ionischen Flüssigkeit aus Cholin und Geranat (CAGE) aufbereitet wurde. Dies soll den parazellulären Insulintransport verstärken und das Insulin auch vor enzymatischem Abbau schützen. Damit wurden im Tierversuch Blutzuckersenkungen bis zu 45 Prozent erzielt (4).
Helmut Schatz/red L
DGE-Blog vom 7. März 2019, https://blog.endokrinologie.net
1. Halberg IB et al.: Efficacy and safety of oral basal insulin versus subcutaneous insulin glargine in type 2 diabetes: a randomised, doubleblind, phase 2 trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7(3): 179–188.
2.Mathieu C: Oral insulin: time to rewrite the textbooks. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7(3): 162–163.
3.Eldor R et al.: Glucose-reducing effect of the ORMD-0801 oral insulin preparation in patients with uncontrolled type 1 diabetes: a pilot study. PLoS one 2013; 8(4): e59524.
4.Banerjee A et al.: Ionic liquids for oral insulin delivery. Proc Natl Acad Sci 2018; 115(28): 7296–7301.
Kardiologie
Individueller Blutdruckzielwert im hohen Alter
Bei alten Patienten kann eine Blutdrucksenkung unter die empfohlenen Werte auch Schaden anrichten. Zu diesem Schluss kommen Berliner Ärzte an der Charité aufgrund klinischer Erfahrung. In einer Beobachtungsstudie stellten sie fest, dass die medikamentöse Senkung des Blutdrucks auf unter 140/90 mmHg, und insbesondere auf unter 130/90 mmHg, nicht grundsätzlich eine schützende Wirkung hat. Grundlage der Analyse sind epidemiologische Daten von mehr als 1600 Frauen und Männern, die zu Beginn der Studie im Jahr 2009 mindestens 70 Jahre alt waren und unter blutdrucksenkender Behandlung standen. Die über 80-Jährigen mit < 140/90 mmHg hatten demnach ein um 40 Prozent höheres Sterberisiko als diejenigen, deren Blutdruck höher als 140/90 mmHg war. Eine ähnliche Beob- achtung machte die Forschungsgruppe bei den Patienten, die in der Vergangenheit einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erlitten hatten: Bei < 140/90 mmHg stieg das Sterberisiko um 61 Prozent im Vergleich zu denjenigen, deren Blutdruck trotz der medikamentösen Behandlung oberhalb dieses Grenzwertes blieb. Eine Beobachtungsstudie wie diese beweist allerdings keinen kausalen Zusammenhang. So könnten Patienten mit besonders hohem Risiko auch von ihren Ärzten intensiver behandelt werden, sodass nicht die intensive Blutdrucksenkung, sondern ihr ohnehin höheres Risiko für den früheren Tod verantwortlich ist. Etwa 70 bis 80 Prozent der über 70-Jährigen haben einen erhöhten Blutdruck, der langfristig lebensbedrohliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall nach sich ziehen kann. Laut den europäischen Leitlinien soll der Blut- druck bei über 65-Jährigen auf unter 140/90 mmHg eingestellt werden. Diese Zielwerte gelten auch für über 80-Jährige, bei ihnen sind jedoch verstärkt individu- elle Faktoren wie Begleiterkrankungen zu berücksichtigen. Die Beobachtungsstudie bestätigt insofern diese Massgabe der Leit- linien: «Unsere Ergebnisse machen deut- lich, dass die Behandlung eines erhöhten Blutdrucks bei diesen Patientengruppen individuell angepasst werden sollte», so Erstautor Dr. Antonios Douros vom Insti- tut für Klinische Pharmakologie und Toxi- kologie der Charité. Charité/red L Pressemitteilung der Charité, 7. März 2019. Douros A et al.: Control of blood pressure and risk of mortality in a cohort of older adults: the Berlin Initiative Study. Eur Heart J 2019, online Feb 25. 174 ARS MEDICI 6 | 2019 Diagnostik Tattoos und MRT – ein Risiko? Rückspiegel Wenn tätowierte Patienten im Magnetresonanztomografen (MRT) untersucht werden sollen, stellt sich die Frage, wie riskant das ist. In Fallberichten wurden hauptsächlich zwei Nebenwirkungen beschrieben: Die Farbe der Tattoos kann eisenhaltig sein, sodass die Pigmente im statischen Magnetfeld des MRT angezogen werden. Dies kann dazu führen, dass die Patienten einen Zug beziehungsweise ein Prickeln an der tätowierten Haut spüren. Eine andere Interaktion, die von einzelnen Betroffenen beschrieben worden ist, stellt aus Sicht der Experten ein grösseres Gefahrenpotenzial dar: Viele der Farbpigmente sind leitfähig. Die tätowierte Haut könnte sich, abhängig von der Tattoogrösse, im Hochfrequenzfeld der MRT stark erwärmen; sogar Verbrennungen sind denkbar. Die erste prospektive Studie mit statistisch belegbaren Zahlen wurde kürzlich im «New England Journal of Medicine» publiziert. Bei den 330 Probanden mit insgesamt 932 Tätowierungen, meist mit schwarzer Farbe, kam es in kei- nem einzigen Fall zu schweren Nebenwirkun- gen. Nur in einem Fall wurde das MRT wegen eines Wärme- und Spannungsgefühls an einem Tattoo abgebrochen; das Phänomen ver- schwand innert 24 Stunden. Allerdings wurden nur Probanden eingeschlos- sen, deren grösstes einzelnes Tattoo maximal 20 cm gross war, und die Tattoos durften nicht mehr als 5 Prozent des Körpers bedecken. Ob also auch für stark Tätowierte Entwarnung ge- geben werden darf, ist nach wie vor unklar. Auch sei zu beachten, dass die Ergebnisse nur be- grenzt auf andere MRT-Gerätetypen übertrag- bar seien, heisst es in einer Pressemitteilung. In der Studie kamen Geräte mit einer Feldstärke von 3 Tesla zum Einsatz, wie sie in vielen Spitä- lern verwendet werden. idw/RBO L Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kognition und Neurowissenschaften, Leipzig, vom 30. Januar 2019. Callaghan MF et al.: Safety of Tattoos in Persons Undergoing MRI. N Engl J Med 2019; 380(5): 495–496. Neurologie Ein neuer Alzheimer-Marker Während man sich bei der Suche nach einem frühen Alzheimer-Marker bisher auf die Amyloide konzentriert hat, wurde nun ein Neurofilament als Marker für die Neurodegeneration identifiziert. In einer kürzlich publizierten Studie konnte man zeigen, dass sich dieses Filament schon lange vor dem Auftreten klinischer Symptome im Blut anreichert, den Verlauf der Krankheit widerspiegelt und Vorhersagen über die künftige Entwicklung ermöglicht. Die Studie beruht auf Daten und Proben von 405 Personen, in deren Familien eine Alzheimer-Erkrankung aufgrund genetischer Vorbelastung bereits im mittleren Lebensalter auftritt. Bei diesen Personen verfolgte man die Filamentkonzentration von Jahr zu Jahr. Bis zu 16 Jahre vor dem zu erwartenden Eintreten von Demenzsymptomen zeigten sich auffällige Veränderungen in der Filamentkonzentration. Entscheidend für die Vorhersage des Krankheitsverlaufs sei aber nicht der absolute Wert der Konzentration, sondern deren zeitliche Entwicklung. Hingegen war der Zusammenhang zwischen dem präklinischen Fortschreiten der Alzheimer- Erkrankung und Amyloidablagerungen weit weniger ausgeprägt. Diese Beobachtung stütze die Annahme, dass Amyloide zwar ein Auslöser der Erkrankung seien, der neuronale Abbau im weiteren Verlauf jedoch unabhängig erfolge, so die Autoren der Studie. Allerdings kommt es nicht nur bei der Alzheimer-Demenz, sondern auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen zur Anreicherung von Neurofilamenten im Blut. Darum eignet sich der Test nur bedingt zur Alzheimer-Diagnose. Er sei aber gut geeignet, um in klinischen Studien neue Alzheimer-Therapien zu testen, heisst es in einer Pressemitteilung der Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), des HertieInstituts für klinische Hirnforschung (HIH) und des Universitätsklinikums Tübingen. idw/RBO L Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) vom 21. Januar 2019. Preische O et al.: Serum neurofilament dynamics predicts neurodegeneration and clinical progression in presymptomatic Alzheimer’s disease. Nat Med 2019; 25(2): 277–283. Vor 10 Jahren Biostents Resorbierbare Stents könnten das Problem der gefürchteten Spätthrombosen nach dem Einsetzen von Koronarstents lösen, zumindest bei Patienten mit nur einer koronaren Gefässverengung. Dies ergibt eine zweijährige Pilotstudie mit 30 Patienten, denen ein Koronarstent aus einem Milchsäurepolymer eingesetzt worden ist. Im Vergleich zu herkömmlichen Stents bleibt die Gefässwand elastischer und kann wieder adäquat auf vasoaktive Stimuli reagieren. Vor 50 Jahren Warnung vor Suchtpotenzial Ephedrin und das als Diät- und Psychopharmakon eingesetzte Phenmetrazin, ein Amphetaminderivat, werden häufig als aufputschende beziehungsweise enthemmende Drogen missbraucht. Auch als der Hersteller sein phenmetrazinhaltiges Präparat neu mit einem Laxans versetzt auf den Markt bringt, unterbleibt der Missbrauch nicht, berichtet ARS MEDICI. Vor 100 Jahren Atophan gegen Lähmungen Die Chemischen Werke Grenzach bringen Tabletten mit Tetrahydroatophan auf den Markt. Das Mittel hatte im Tierversuch eine Steigerung der Reflexe und tetanische Dauerkrämpfe verursacht. Nun will man es nutzen, um Lähmungen zu kurieren, sofern keine kompletten Paralysen, sondern nur stärkere oder schwächere Paresen bestehen, eine Reizleitung also prinzipiell noch möglich ist. Die Idee: Die Substanz erhöhe die Erregbarkeit der spinalen Ganglien, sodass auch schwächere Impulse noch durchdringen könnten. Man berichtet von erfolgreichen Fallbeispielen, wobei unklar bleibt, ob die Paresen nicht auch von selbst wieder verschwunden wären. Später versucht man es, ohne Erfolg, auch bei Parkinson-Patienten. RBO L ARS MEDICI 6 | 2019