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Schweizer Impfplan 2019
Neue Empfehlungen für Impfungen im Säuglings- und Kleinkindalter
BERICHT
Der Schweizer Impfplan 2019 bringt grundsätzliche Neuerungen für die Impfungen im Säuglingsalter. Das bisherige Dosisschema 3+1 für die DTPa-IPV-Hib-Impfung wird von einem 2+1-Schema abgelöst. Die MMR-Impfung erfolgt früher. Die Pneumokokken-Konjugatimpfung rückt zur Basisimpfung auf. Gegen Hepatitis B soll bereits im Säuglingsalter geimpft werden. Die neuen Empfehlungen treten in Kraft, sobald der Schweizer Impfplan 2019 publiziert sein wird.
Prof. Christoph Berger
Ziel der neuen Empfehlungen sei zum einen der möglichst frühe Schutz der Säuglinge und zum anderen ein möglichst einfaches Impfschema, sagte Prof. Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), als er am X. Schweizer Impfkongress in Basel die wesentlichen Neuerungen der Impfempfehlungen im Säuglingsalter vorstellte (Tabelle). Gemäss dem neuen Schema wird zum Teil früher geimpft, es werden Impfdosen eingespart und die Intervalle bis zur Booster-Impfung verkürzt.
2+1 statt 3+1
Die auffälligste Veränderung im neuen Impfplan ist die Verminderung der Impfdosen für die Basisimpfungen ab dem zweiten Lebensmonat. Mit der Empfehlung, gegen Diphterie, Tetanus, Pertussis, Polio und Haemophilus nur noch in den Monaten 2 und 4 sowie als Booster im Monat 12 zu impfen, wechselt nun auch die Schweiz zu einem 2+1-Schema, wie es in vielen anderen Ländern bereits seit Langem durchgeführt wird, ohne dass es dort zu einem Anstieg der Erkrankungen kam. Zu diesen Ländern gehören Österreich, Frankreich,
Tabelle:
Wesentliche Änderungen für Impfungen im Säuglingsalter
Bis anhin DTPa-IPV-Hib-(HB) 4 Dosen (3+1-Schema) Monat 2, 3, 6, 15–24
Neu DTPa-IPV-Hib-HB 3 Dosen (2+1-Schema) Monat 2, 4, 12
MMR 2 Dosen Monat 12, 15–24
MMR 2 Dosen, aber früher Monat 9, 12
PCV13 ergänzend
PCV13 als Basisimpfung
Hep B mit 11–15 Jahren, kann früher
Hep B im Säuglingsalter, kann später*
*Spätestens mit 11 bis 15 Jahren, vor Aufnahme sexueller Aktivität.
Rumänien, die Slowakei, Spanien, Tschechien, Dänemark, Finnland, Island, Italien, Norwegen und Schweden.
Guter Schutz trotz weniger Impfdosen
Es ist bekannt, dass Totimpfstoffe gegen Pneumokokken, Haemophilus und Pertussis 2 bis 4 Wochen nach der zweiten Impfdosis bereits einen guten Schutz bewirken. Jedoch weiss man, dass die durch eine Impfung erzielten Antikörpertiter höher sind, je später man impft und je länger das Intervall zwischen den Impfdosen ist. Was zählt nun mehr, wenn es um einen möglichst frühen, aber auch einen bestmöglichen Impfschutz geht? «Wir dürfen die Antikörpertiter nicht übergewichten», sagte Berger. Für die neuen Impfempfehlungen habe man die Antikörpertiter zwar auch berücksichtigt, aber nur als einen von vielen Faktoren, die für eine sinnvolle Impfempfehlung entscheidend sind. Berger erläuterte dies am Beispiel der Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ b (Hib). In einer 2015 publizierten Metaanalyse randomisierter, kontrollierter Impfstudien zeigte sich, dass der Schutz vor einer Hib-Infektion bereits nach der zweiten Impfdosis 79 Prozent beträgt (95%-Konfidenzintervall [KI]: 54–90%) und nach der dritten Impfung mit 82 Prozent (95%-KI: 73–87%) kaum höher liegt. «Wir fanden heraus, dass der Hib-Konjugatimpfstoff hoch wirksam ist und das 2-Dosen-Schema genauso gut ist wie das 3-DosenSchema», so die Studienautoren (1). Die Resultate einer anderen Studie, in der es um die Sicherheit und die Immunogenität von Kombinationsimpfstoffen ging (DTPa-IPV-Hib), dokumentieren, dass der Antikörpertiter im 2+1-Schema vor der Booster-Dosis geringfügig niedriger ist als beim 3+1-Schema. Nach dem Booster besteht bezüglich der Antikörpertiter dann kein Unterschied mehr zwischen dem 2+1- und dem 3+1-Schema (2). Angesichts der Epidemiologie der Haemophilusinfektionen in der Schweiz bei Kindern bis zu 4 Jahren seien die geringfügig niedrigeren Antikörpertiter vor der Booster-Dosis jedoch kein Problem, erläuterte Berger. Dank einer hohen Durchimpfungsrate von heute 95 Prozent der 2-Jährigen (3) sank die Inzidenz der Hib-Erkrankungen bei den bis zu 1-jährigen Säuglingen von durchschnittlich 50 Fällen pro Jahr vor der Einführung der Impfung auf 2 bis 3 Fälle im Jahr 2011, bei den Kinder von
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BERICHT
Änderungen auch bei der Meningokokkenimpfung
Im neuen Schweizer Impfplan 2019 wird nun ein Konjugatimpfstoff
empfohlen, der die Serogruppen A, C, W und Y abdeckt. Grundlage der
neuen Empfehlung ist die deutliche Verschiebung des Meningokokken-
serogruppenprofils in der Schweiz. Die Inzidenz invasiver Meningokok-
kenerkrankungen sinkt in der Schweiz kontinuierlich. Der Ruc̈ kgang ist
in allen Altersgruppen zu verzeichnen. Gleichzeitig verschob sich das
Spektrum der beteiligten Meningokokkenserumgruppen. Infektionen
mit C-Meningokokken sind mittlerweile in der Schweiz deutlich seltener
als fruḧ er, während der Anteil der Erkrankungen mit W- und Y-Meningo-
kokken angestiegen ist.
Es gibt weltweit mehrere quadrivalente Meningokokkenimpfstoffe, in
der Schweiz ist zurzeit einer zugelassen (Menveo®), gemäss Fachinfor-
mation ab einem Alter von 24 Monaten. Der empfohlene Impftermin fur̈
gesunde Kinder ist nun der Monat 24. Die Empfehlung früherer Impfter-
mine für Risikogruppen gilt weiterhin.
RBO
Bull BAG 2018; 46: 10–17.
1 bis 4 Jahren sanken sie von 37 auf weniger als einen Fall pro Jahr (4). «In dieser epidemiologischen Situation können wir mit der 2+1-Impfung sehr gut leben», sagte Berger. Er betonte, dass es sehr wichtig sei, die Booster-Dosis im neuen 2+1-Schema dann tatsächlich auch pünktlich zu geben, das heisst im 12. Lebensmonat und nicht erst später.
Aber mein Kind ist noch viel zu klein fürs Impfen …
Einige Eltern befürchten, dass ihr 2 Monate altes Kind noch viel zu jung für das Impfen sei. In der Tat gefährde man durch einen späteren Impftermin das Kind jedoch erheblich, erläuterte Berger. Beispielsweise starben wegen Hib-bedingter Hirnhautentzündungen, wie man aus der Zeit vor der Impfung weiss, gerade Kinder im ersten Lebensjahr. Bis zu einem Alter von 2 Jahren ist die Immunabwehr gegenüber bekapselten Bakterien, wie Hib oder Pneumokokken, noch nicht ausgereift. Gleichzeitig schwindet der Nestschutz durch mütterliche Immunglobuline. In dieser besonders kritischen Phase sei ein Kind also keineswegs zu jung für das Impfen, sondern dies sei im Gegenteil genau der Zeitraum, in dem es den Impfschutz am dringendsten benötige, betonte Berger. Auch gegen Pertussis ist ein möglichst früher Schutz nötig, denn die Spitze der Erkrankungsfälle liegt in den ersten 5 Lebensmonaten. Daher sei es auch hier wichtig, die Kinder früh zu impfen, insbesondere aber auch die Schwangeren. Auch für die Pertussis-Impfung ist nachgewiesen, dass der Schutz nach der zweiten Impfdosis mit 80 Prozent sehr gut ist, sodass auch hier keine Bedenken gegenüber dem für die Schweiz neuen 2+1-Schema bestehen (5).
Erste Dosis MMR schon mit 9 Monaten
Bisher war der Termin für die erste Dosis der MMR-Vakzine der 12. Lebensmonat, die zweite Dosis sollte mit 15 bis 24 Monaten (frühestens 1 Monat nach der ersten) gegeben werden. Bereits vor dem 12. Monat gegen MMR zu impfen, wurde nur für bestimmte Risikogruppen sowie bei Masernepidemien empfohlen. Neu gilt nun: s erste Dosis MMR mit 9 Monaten s zweite Dosis MMR mit 12 Monaten.
Der Grund für die Vorverlegung der MMR-Impfung und des kürzeren Intervalls bis zur zweiten Dosis ist eine Schweizer Studie, in der man die tatsächlichen Durchimpfungsraten nach Alter erfasste (6). Man geht davon aus, dass im ersten halben Jahr noch ein gewisser Nestschutz durch mütterliche Antikörper besteht. Danach dauert es mit dem bisherigen Impfschema aber zu lange, bis die meisten Kinder vollständig MMR-geimpft und damit geschützt sind. Mit der 12-Monats-Empfehlung für die erste Dosis und dem langen Intervall bis zur zweiten Dosis waren gemäss dieser Studie 61 Prozent der ½- bis 2-Jährigen beziehungsweise 49 Prozent der ½- bis 3-Jährigen nicht geschützt. Auf den Einwand, dass der langfristige MMR-Schutz aber doch besser sei, wenn man später impfe, antwortete Berger, dass dies zwar zutreffe, im Falle der Masern jedoch die spezielle Epidemiologie in der Schweiz das entscheidende Argument für die Vorverlegung der Impfung sei. Weil Masern in der Schweiz noch viel häufiger seien als in anderen Ländern, komme es hierzulande mehr darauf an, die Kinder möglichst früh zu schützen. Wären die Masern seltener, wie etwa in den USA, könnte man später impfen. «Hier in der Schweiz verhindern wir aber mehr Fälle, wenn wir früher impfen», sagte Berger.
Pneumokokken und Hepatitis B auch im 2+1-Schema
Die Pneumokokken-Konjugatimpfung mit dem 13-valenten Impfstoff (PCV13) wird neu als Basisimpfung empfohlen, und zwar ebenfalls im 2+1-Schema mit der ersten Dosis in Monat 2. Ziele sind die Reduktion invasiver Pneumokokkeninfektionen bei Kindern, aber auch indirekte Effekte auf Bevölkerungsniveau (Herdenschutz). Seit der Einführung der Hepatitis-B-Impfung hat sich die Epidemiologie grundlegend geändert. Der früher übliche Erkrankungsgipfel um das 20. Lebensjahr ist verschwunden (7). Bis anhin wurde die Hepatitis-B-Impfung für Kinder im Alter von 11 bis 14 Jahren empfohlen mit der Option, diese Impfung bereits früher durchzuführen. Mit dem neuen Impfplan lautet die Empfehlung umgekehrt: Nun wird empfohlen, gegen Hepatitis B im Säuglingsalter im 2+1-Schema mitzuimpfen (Sechsfachimpfstoff inkl. Hep B für Säuglinge) und nicht geimpfte Kinder spätestens im Alter von 11 bis 15 Jahren zu impfen (vor Aufnahme der sexuellen Aktivität).
Drei Impfungen im 12. Monat
Das kompaktere 2+1-Schema mit den kürzeren Intervallen bedeutet eine Vereinfachung. Gleichzeitig wird es wichtiger, tatsächlich pünktlich zu impfen. Ausserdem bedeutet es, dass im 12. Monat drei Impfinjektionen anfallen: eine mit dem Sechsfachimpfstoff (DTPa-IPV-Hib-HB), eine mit MMR und eine mit PCV13. Ob und gegebenenfalls wie man diese Injektionen über den Monat hinweg verteilt, könne man von Praxis zu Praxis und von Fall zu Fall anders regeln; dies sollte aber eigentlich kein unüberwindliches Problem sein, fasste Berger die Konsequenzen für den Ablauf in der Praxis zusammen. s
Renate Bonifer
Quellen: Genannte Publikationen sowie Vortrag von Prof. Christoph Berger: «Impfplan 2019: Das neue Säuglingsimpfschema», am X. Schweizer Impfkongress, Basel, 28. und 29. November 2018.
Literatur unter www.arsmedici.ch
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BERICHT
Literatur: 1. Thumburu K et al.: Two or three primary dose regime for Haemophilus
influenzae type b conjugate vaccine: meta-analysis of randomized controlled trials. Ther Adv Vaccines 2015; 3: 31–40. 2. Carlson R et al.: Safety and immunogenicity of a combined diphtheriatetanus-acellular pertussis-inactivated polio vaccine-Haemophilus influenzae type b vaccine administered at 2-4-6-13 or 3-5-12 months of age. Paediatr Infect Dis J 1998; 17: 1026–1033. 3. www.bag.admin, Zahlen zu Infektionskrankheiten. 4. Bull BAG 2013; 37: 635–639. 5. SAGE Working Group on Pertussis Vaccines Summary of Evidence: Strategies to Prevent Early Mortality. WHO SAGE Meeting, April 1–3, 2014. www.who.int/immunization/sage/meetings/2014/april/3_SAGE_April_ Pertussis_Miller_Strategies.pdf (abgerufen 20. Januar 2019). 6. Bielicki JA et al.: Timing of measles immunization and effective population vaccine coverage. Pediatrics 2012: 130: e600–606. 7. Bull BAG 2018; 35: 7–12.
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