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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
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Prävention
Helfen E-Zigaretten beim Rauchstopp?
In einer Studie in Grossbritannien erhielten 886 Personen, die mit dem Zigarettenrauchen aufhören wollten, nach dem Zufallsprinzip entweder 3 Monate Nikotinersatzprodukte nach Wahl (Pflaster, Kaugummi, Spray etc.) oder ein Starterset mit einer E-Zigarette inklusive Nikotin-Liquid mit der Massgabe, sich später gegebenenfalls selbst neues Liquid zu kaufen. Alle Probanden wurden mindestens 4 Wochen lang zusätzlich einmal pro Woche in einem Rauchstopp-Programm betreut. Am Kontrolltermin nach einem Jahr rauchten die meisten Probanden wieder Zigaretten. Nur 18 Prozent der E-RaucherGruppe und 10 Prozent derjenigen mit Nikotinersatz griffen nicht mehr zur Ziga-
rette. Wirklich abstinent waren sie aber trotzdem nicht. In der E-ZigarettenGruppe hatten die weitaus meisten, die nicht mehr zur konventionellen Zigarette griffen, ihren Konsum schlicht umgestellt und konsumierten nun E-Zigaretten anstelle von Tabak (63 von 79 Personen). In der Nikotinersatzgruppe gebrauchten 4 von 44 Zigaretten-Abstinenten weiterhin Nikotinersatzprodukte, und gut ein Fünftel von ihnen gab an, nun auch ab und zu E-Zigaretten zu konsumieren (1). Mit E-Zigaretten fällt der Verzicht auf das Tabakrauchen offenbar ein klein wenig leichter, dies bedeutet jedoch meist keine Abkehr vom Rauchen an sich. E-Zigaretten seien kein sanfter Ausstieg aus der Sucht, heisst es in einer Pressemitteilung
der Deutschen Gesellschaft für Pneumo-
logie und Beatmungsmedizin (DPG) an-
lässlich der neuen Studie. Das Dampfen
könne zwar helfen, zeitweise auf Tabak-
produkte zu verzichten, es führe aber
auch in eine neue Abhängigkeit, deren
Folgen man heute noch nicht genau ab-
schätzen könne: «Es hat ja auch über
50 Jahre gedauert, die Folgen des Tabak-
rauchens zu untersuchen», so Professor
Dr. med. Stefan Andreas, Leiter der Lun-
genfachklinik Immenhausen bei Göttin-
gen (2).
RBO L
1. Hajek P et al.: A randomized trial of E-cigarettes versus nicotine-replacement therapy. N Engl J Med 2019; published online January 30, 2019.
2. Pressemitteilung der DGP vom 14. Februar 2019.
Infektiologie
Penicillinallergie ist in den meisten Fällen gar keine
Gemäss einer aktuellen Publikation gibt in den USA rund jeder zehnte Patient an, schon einmal allergisch auf ein Penicillin reagiert zu haben. Meist sind Nebenwirkungen wie beispielsweise Magen-DarmBeschwerden oder Juckreiz der Grund für die Vermutung. Allergologische Tests jedoch ergaben, dass bei rund 95 Prozent dieser Patienten keine Allergie vorliege, so die Autoren (1). Ähnliche Zahlen existieren für Deutschland: Hier zeigen Untersuchungen, dass etwa drei Viertel der Patienten, die glauben, an einer Penicillinallergie zu leiden, sogar alle Beta-LaktamAntibiotika vertragen (2, 3). Zu dieser wichtigen Wirkstoffklasse zählen neben den Penicillinen unter anderem auch die Cephalosporine. Selbst wenn tatsächlich eine Allergie gegen ein bestimmtes Penicillin vorliegen sollte, sei meist trotzdem
die Behandlung mit einem anderen Penicillin oder mit einem Cephalosporin aus dieser Gruppe möglich, heisst es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Es sei zu wenig im Bewusstsein von Ärzten und Patienten verankert, dass der gut gemeinte Verzicht auf die wirksamen Beta-Laktam-Antibiotika auch schädlich sein könne, etwa weil andere Antibiotika weniger gut wirken oder mit unter Umständen schwerwiegenden Nebenwirkungen einhergehen können, so die DGI. Nicht zuletzt trage der vermehrte Einsatz von Breitband- und Reserveantibiotika zudem zur Entstehung von Resistenzen bei. Patienten, die vermuten, eine Pencillinallergie zu haben, sollte man darum bald einmal von einem Allergologen abklären lassen – nicht erst im akuten Infektionsfall, wenn keine Zeit dafür bleibt.
DGI/RBO L
1. Shenoy E et al.: Evaluation and management of penicillin allergy. A review. JAMA 2019; 321(2): 188–199.
2. Trcka J et al.: Penicillintherapie trotz Penicillinallergie? Plädoyer für eine allergologische Diagnostik bei Verdacht auf Penicillinallergie. Dtsch Arztebl 2004; 101(43): A-2888/B2444/C-2331.
3. Sachs B et al.: Penicillinallergie: Wenn die Vermutung nicht zutrifft. Dtsch Arztebl 2018; 115(24): 20.
Diabetes
Pankreaszellen umprogrammiert
Dem Team um Prof. Pedro Herrera an der Universität Genf ist es gelungen, menschliche Alpha- und Gammazellen des Pankreas so umzuprogrammieren, dass sie wie die eigentlich dafür zuständigen Betazellen Insulin produzieren. Sie verwendeten dazu sowohl Zellen von gesunden als auch von diabetischen Spendern. Nach der Transplantation der umprogrammierten Zellen in Form künstlicher Inselzellaggregate in diabetische Labormäuse erledigten diese Zellen auch weiterhin den Insulinjob: Selbst nach einem halben Jahr produzierten sie weiterhin Insulin. Das erfolgreiche Experiment eröffnet die neue Perspektive, irgendwann einmal eigene Alpha- und Gamma-Pankreaszellen eines Typ-1-Diabetikers als Betazellersatz zu programmieren und somit das Problem der Transplantatabstossung, wie es heute mit der Inselzellübertragung einhergeht, zu vermeiden.
RBO L
Furuyama K et al.: Diabetes relief in mice by glucose-sensing insulin-secreting human α-cells. Nature 2019; published online 13 Feb 2019.
94 ARS MEDICI 4 | 2019
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Physiologie
Wein auf Bier? Bier auf Wein? Egal!
Rückspiegel
Nicht nur im deutschsprachigen Raum kennt man den Spruch «Wein auf Bier, das rat‘ ich Dir. Bier auf Wein, das lass‘ sein». Auch auf Französisch ist die vermeintliche Volksweisheit wohl bekannt: «Bière sur vin est venin, vin sur bière est belle manière». Im angloamerikanischen Sprachraum gibt es sogar zwei Varianten: «Beer before wine and you’ll feel fine; wine before beer and you’ll feel queer» sowie den Rat, sich definitiv für eine der beiden Alkoholikaformen zu entscheiden: «Grape or grain but never the twain!» Höchste Zeit also, sich der Sache einmal wissenschaftlich anzunehmen. Ein Forscherteam der Universität Witten/Herdecke und der Uni-
versität Cambridge hat dazu nun eine sauber designte Studie mit 90 Probandinnen und Probanden durchgeführt. Eine Bierfirma spendierte Pilsner, für die Weintrinker gab es auf die gleiche Temperatur gekühlten Bio-Chasselas. Am ersten Termin betrank sich Gruppe 1 mit Wein auf Bier, Gruppe 2 mit Bier auf Wein und Gruppe 3 mit Bier oder Wein. Am zweiten Termin, frühestens eine Woche später, betranken sich alle Probanden gemäss einem genau entgegengesetzten Schema. Gruppe 1 also mit Bier auf Wein, Gruppe 2 mit Wein auf Bier, und in der Gruppe 3 tranken die Ex-Bier-Konsumenten nun Wein beziehungsweise umgekehrt. Nach den Gelagen wurde jeweils akribisch das Ausmass des Katers mit der Acute Hangover Scale (AHS) ermittelt. Das Ergebnis: Es machte überhaupt keinen Unterschied, womit und in welcher Reihenfolge sich die Probanden betranken – für das Ausmass des Katers war nur relevant, wie viel Alkohol man getrunken hatte. RBO L
Köchlin J et al.: Grape or grain but never the twain? A randomized controlled multiarm matched-triplet crossover trial of beer and wine. Am J Clin Nutr 2019; 109: 345–352.
Psychologie
«Grün beruhigt» – auch psychologische Plazebos wirken
Als Plazebo taugen nicht nur Zuckerpillen, sondern es klappt auch, der Wahrnehmung bestimmter Reize eine psychologische Wirkung zuzuschreiben. Das fanden Forscher an den Universitäten Basel und Zürich in drei Experimenten mit insgesamt 421 gesunden Probanden heraus. Als Plazebo dienten kurze Filme, in denen die Farbe Grün eine Rolle spielte. Im ersten Experiment handelte es sich um einen grünen Punkt, der über eine weisse Fläche wandert, im zweiten sahen die Probanden ein schillerndes Farbenspiel in verschiedenen Grüntönen und im dritten eine einfarbige Fläche, deren Grünton sich mit der Zeit verändert. Den Probanden machte man zuvor weis, es ginge um ein psychologisches Experiment zur Wahrnehmung. Diese Filme wurden mit oder ohne Behauptung einer psychologischen Wirksamkeit präsentiert, wie zum Beispiel «Grün beruhigt, weil es früh geprägte emotionale Schemata aktiviert». Als zweiten Parameter variierte man die Art der Be-
ziehung zwischen Forscher und Proband als neutral oder freundlich. Danach protokollierten die Probanden über mehrere Tage hinweg ihre Befindlichkeit. Dabei zeigte sich erwartungsgemäss, dass das PsychoPlazebo dann eine positive Wirkung für gute Laune und Ausgeglichenheit hatte, wenn eine positive psychologische Wirkung behauptet worden war. Die Wirkung war direkt nach dem Film-Plazebo am stärksten, aber auch noch eine Woche später nachweisbar. Besonders wirksam war das Plazebo, wenn es von einer freundlich zugewandten Person verabreicht wurde. Eine wichtige Rolle spielt also sowohl die begleitende Erklärung als auch die Art der Beziehung zwischen Forscher und Proband – genauso, wie das für pharmakologische Plazebos bekannt ist.
RBO L
Gaab J et al.: Effects and components of placebos with a psychological treatment rationale – three randomized-controlled studies. Sci Rep 2019; 9(1): 1421.
Vor 10 Jahren
Akupunktur zur Migräneprophylaxe
Die Autoren einer Cochrane-Analyse kommen zu dem Schluss, dass Akupunktur die Anzahl von Migräneattacken vermindern kann. Allerdings scheint es nicht so wichtig zu sein, wo genau die Nadeln gesetzt werden. Die Scheinakupunktur, das heisst das Setzen der Nadeln nicht an den klassischen Akupunkturpunkten, wirkt genauso gut. Sieben Jahre später wiederholen die Autoren den Review und kommen zu dem Schluss, dass akkurat gestochene Nadeln wahrscheinlich doch etwas besser wirken, der Effekt aber klein sei. So oder so sei die prophylaktische Akupunktur aber mindestens genauso wirksam wie die medikamentöse Prophylaxe.
Vor 50 Jahren
Was verursacht Krebs?
Die «endgültige Ursache der Krebskrankheit» glaubt Alfons Weber, ein Arzt aus Erding in Oberbayern, gefunden zu haben. Eine Krebserkrankung sei eine chronische Infektionskrankheit, hervorgerufen durch «belebte Krankheitserreger, die zur Gruppe der Plasmodien gehören», schreibt er in ARS MEDICI.
Vor 100 Jahren
Morphingebrauch
Der Wiener Arzt Alexander Pilcz mahnt zu
einem vernünftigen Gebrauch des Morphins.
Während es bei neurologisch-psychiatri-
schen Indikationen nicht sinnvoll sei, dürfe
man es Patienten mit grossen Schmerzen
nicht aus Furcht vor der Sucht vorenthalten.
«Zum Morphinisten muss man geboren
sein», schreibt Pilcz in ARS MEDICI und gibt
Ratschläge zur Minderung des Suchtpoten-
zials. So solle man das Morphin nicht ohne
Not subkutan, sondern zuerst einmal oral
geben. Auch «dürfte der Kranke überhaupt
nicht wissen, was er bekommt», und es sei
«ein Kunstfehler, dem Patienten etwa Pra-
vaz-Spritze und Medikament selbst in die
Hand zu geben».
RBO L
ARS MEDICI 4 | 2019