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Rückblick 2018/Ausblick 2019
Angiologie
Dr. med. Ernst Groechenig Chefarzt Angiologie Kantonsspital Aarau
Chronisch-venöse Insuffizienz ist kein kosmetisches Problem
Welche neuen Erkenntnisse des letzten Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend?
Dazu gab es Ergebnisse in 5 Teilbereichen:
1. Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Auch im vergangenen Jahr gab es eine lebhafte Entwicklung bei der interventionellen Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Neue Katheter, neue CTO-Drähte (CTO = chronic total occlusion), neue Ballone und sonstiges Equipment kamen auf den Markt. Beeindruckt hat mich die Stosswellenlithothrypsie. In der Kardiologie wird schon länger damit gearbeitet, ein CE-Approval für die peripheren Arterien wurde im April 2018 vergeben. Das Haupteinsatzgebiet sind die bislang nur schwer behandelbaren, massiv verkalkten Läsionen. Der neu zugelassene Katheter (Shockwave S4) ist dabei in der Lage, Arterien vom Becken bis zu den Unterschenkelarterien abzudecken. Erhältlich ist dieser bislang nur in Neuseeland und in Europa. Der Katheter besteht aus einem langen hydrophilen Schaft, einer schmalen, lang zulaufenden Spitze, einem kleinen Lithotrypsie-Emitter und einen Ballon. Er wird wie bei einer Standardprozedur an die Läsion gebracht und über einen Konnektor mit einem batteriebetriebenen Generator verbunden. Von diesem werden pulsatile Ultraschallwellen ausgesandt, welche den Kalk in der Plaque «zermörsern», ohne das umliegende Weichteilgewebe zu schädigen. Das kann man sich so vorstellen, wie wenn das Fenster einer Autoscheibe eingeschlagen wird. Da zersplittert die Scheibe zwar, bleibt aber bei geringer Energieeinwirkung intakt. Mit der nachfolgenden Ballonangioplastie ist es dann einfacher, die Plaque in die Muscularis zu pressen. Das könnte einen Paradigmenwechsel vor allem bei Patienten mit schwer kalzifizierten Läsionen der Arterien distal des Kniegelenkes einleiten. Die DISRUPT-PAD-I- und -II-Studie und die DISRUPT-BTKStudie zeigten erste, sehr gute Ergebnisse mit geringer Komplikationsrate, das heisst keine Perforation, keine Embolisation, keine Komplikationen durch Reperfusion, kein akuter Gefässverschluss und nur in einem Fall eine Dissektion. In der 30-tägigen Nachbeobachtungszeit gab es auch keine grossen Ereignisse wie Tod, Myokardinfarkt, neuerliche Revaskularisation an der ursprünglich behandelten Arterie oder
Amputation. Somit scheint diese Methode sehr sicher und zukunftsträchtig zu sein.
2. Geschlechtsabhängige Unterschiede bei der Behandlung des Aortenaneurysmas
Empfohlen wird eine aktive Therapie des Aortenaneurysmas ab einem Durchmesser von 55 mm, weil hier die Rupturrate grösser ist als das Therapierisiko. Dass diese Grenzwerte für Frauen nicht zutreffen, wurde kürzlich in einer niederländischen Studie gezeigt. Zwischen Januar 2013 und Dezember 2015 wurden alle Patienten mit elektiver oder notfallmässig durchgeführter Aortenreparatur in einem Register erfasst (1). Von 1561 Patienten mit rupturiertem Aneurysma waren 14,7 Prozent Frauen, von 7063 Patienten mit elektiv behandeltem Aneurysma waren 13,7 Prozent Frauen. Eine Ruptur fand sich bei Frauen ab einem signifikant niedrigeren Durchmesser als bei Männern (70,5 ± 14,4 vs. 78,6 ± 17,5 mm). Bei Männern traten 8 Prozent der Rupturen unterhalb des kritischen Grenzwertes von 55 mm auf, bei Frauen waren es 52 mm. Sowohl bei der notfallmässig als auch bei der elektiv durchgeführten Therapie eines Aortenaneurysmas fand sich bei Frauen eine signifikant höhere 30-Tages-Mortalität. Ich gehe davon aus, dass in Zukunft nicht nur geschlechtsspezifische Grenzwerte entwickelt werden, sondern der Trend in Richtung individualisierter Medizin geht. Nicht der Durchmesser per se, sondern eine zu definierende Gesamtkonstellation wird für die Risikobeurteilung und Therapieentscheidung eine Rolle spielen.
3. Sekundärprophylaxe der Atherosklerose
In diesem Jahr wurde die Ergebnissse der ODYSSEY-Outcome-Studie präsentiert. 18 924 Patienten mit akutem Koronarsyndrom oder instabiler Angina pectoris wurden in 57 Ländern eingeschlossen. Das Ziel war herauszufinden, ob Alirocumab verglichen mit Plazebo die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität senkt. Alle Patienten hatten ein kurz zurückliegendes (1–12 Monate) akutes Koronarsyndrom und LDL-C-Werte > 70 mg/dl (1,81 mmol/l) und/oder Non-HDL-Cholesterin > 100 mg/dl (259 mmol/l). Zunächst wurde 2–16 Wochen hoch dosiertes oder maximal verträgliches Atorvastatin oder Rosuvastatin verabreicht. Wenn ein Lipid-Einschlusskriterium erreicht war, wurde randomisiert entweder Alirocumab (75 oder 150 mg) beziehungsweise Plazebo alle zwei Wochen subkutan verabreicht. Die mittlere Nachbeobachtungszeit war 2,8 Jahre. In beiden Gruppen starteten mit einem mittleren LDL-C von 87 mg/dl. Nach 12 Monaten war das mittlere LDL-C in der Plazebogruppe 96,4 mg/dl und in der Alirocumabgruppe 48 mg/dl. Die Hazard-Ratio für koronaren Tod, nicht fatalen Myokardinfarkt, ischämischen Schlaganfall oder Spitalaufenthalt wegen instabiler Angina pectoris betrug 0,85 (95%-KI 0,73– 0,98; p = 0,0003). Statistisch signifikante Reduktionen fanden sich für nicht fatalen Myokardinfarkt (14%), ischämischen Schlaganfall
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(27%) und instabile Angina pectoris (49%). Für die Inzidenz Die Antikoagulation kann in Abwägung des Rezidiv- und
eines koronaren Todes gab es keinen statistisch signifikanten Blutungsrisikos verlängert werden (3).
Unterschied (2).
Eine unprovozierte venöse Thromboembolie (VTE) wird an-
genommen, wenn keine der folgenden Auslöser in Frage
4. Venöse Thromboembolie
kommen: chirurgischer Eingriff, Trauma, aktiver Tumor,
Die venöse Thromboembolie ist die dritthäufigste Todesursa- Schwangerschaft oder Östrogentherapie. Im Hinblick auf
che weltweit. Über die Notwendigkeit einer gerinnungshem- das Rezidivrisiko spielen Alter und männliches Geschlecht
menden Therapie besteht kein Zweifel.
noch eine zusätzliche Rolle.
Seit Jahrzehnten beschäftigen uns aber zwei wichtige Fragen: Heute wird empfohlen, bei den provozierten venösen
1. Wie lange ist die optimale Antikoagulationsdauer?
Thromboembolien zwischen «major» und «minor» Risiko-
2. Wie behandelt man die venöse Thromboembolie bei faktoren und dann noch zwischen «persistierenden» und
Tumorpatienten?
transienten Risikofaktoren zu unterscheiden und eine Risiko-
Eine Antwort liefern zwei Publikationen aus diesem Jahr, beurteilung anhand dieser Kriterien durchzuführen.
deren Ergebnisse möglicherweise die geltenden Leitlinien be- Die Ergebnisse zweier grosser Studien, EINSTEIN Extension
einflussen könnten.
(Rivaroxaban 20 mg 1 × täglich vs. Plazebo) und EINSTEIN
Choice (Rivaroxaban 20 mg oder 10 mg vs. Aspirin 100 mg
4.1. Dauer der Antikoagulation
oder Plazebo) wurden in einer Publikation zusammengefasst
In den heute gültigen Guidelines wird eine Antikoagulation (4). Insgesamt wurden 4553 Patienten, 1188 aus der
mit einer Dauer von drei bis sechs Monaten empfohlen, wenn EINSTEIN-Extension- und 3365 aus der EINSTEIN-Choice-
die venöse Thromboembolie durch einen transienten «major» Studie eingeschlossen.
Risikofaktor wie chirurgischen Eingriff oder Trauma ausge- Die Rezidivrate war bei Männern und bei Patienten mit po-
löst wurde.
sitiver Anamnese im Hinblick auf eine VTE nicht signifikant
höher.
Diese Daten zeigen, dass das Rezidivrisiko
Patienten mit unprovozierter VTE oder VTE provoziert durch persistierende «major» Risikofaktoren
bei Patienten mit unprovozierter VTE nach Beendigung der Antikoagulation am höchsten ist. Ist die venöse Thromboembolie durch
Unprovozierte VTE VTE-Rezidiv
Rivaroxaban 1,6%
Aspirin 5,5%
Plazebo 8,2%
einen transienten «major» Risikofaktor wie chirurgischen Eingriff oder Trauma ausge-
Kumulative 1a-Inzidenz
2,0%
5,9%
10,0%
löst, besteht ein geringes Rezidivrisiko nach
«major bleeding»
0,7%
0,2%
0,0%
Absetzen der Antikoagulation.
Persistierende «major» Risikofaktoren VTE-Rezidiv «major bleeding»
0,0% 0,0%
5,1% 5,1%
3,8% 0,0%
Diese Erkenntnis entspricht auch den derzeit gültigen Leitlinien, die eine verlängerte Antikoagulation bei Patienten mit unprovozierter VTE empfehlen. Neu ist, dass das jährliche Risiko eines Rezi-
Patienten mit persistierenden «minor» Risikofaktoren
Als solche Risikofaktoren gelten inflammatorische Darmerkrankungen, Parese/Plegie, Herzinsuffizienz, BMI > 30 kg/m2, Kreatinin-Clearence < 50 m/min, positive Familienanamnese, hereditäre Thrombophilie, erworbene Thrombophilie (Antiphospholipidsyndrom, HIV, orale Kontrazeptiva ...).
Unprovozierte VTE VTE-Rezidiv
Rivaroxaban 1,5%
Aspirin 3,9%
Plazebo 6,9%
divs bei Patienten mit provozierter VTE durch einen persistierenden oder transienten «minor» Risikofaktor mindestens bei 7 Prozent liegt und hier eine verlängerte Antikoagulation gerechtfertigt wäre. Mit Rivaroxaban konnte das Rezidivrisiko verglichen mit Plazebo um 75 Prozent gesenkt werden.
Kumulative 1a-Inzidenz «major bleeding»
2,4% 0,2%
4,5% 0,0%
10,7% 0,0%
4.2. Therapie der venösen Thromboembolie bei Tumorpatienten
Patienten mit transienten «minor» Risikofaktoren
Als aktives Karzinom gilt: Diagnose innerhalb der letzten sechs Monate, Rezidiv, regio-
Als solche Risikofaktoren gelten Immobilisation, Reisen > 8 h, Östrogentherapie, Schwangerschaft oder Wechseljahre, Beinverletzung mit eingeschränkter Mobilität.
Unprovozierte VTE VTE-Rezidiv Kumulative 1a-Inzidenz «major bleeding»
Rivaroxaban 0,4% 0,4% 1,1%
Aspirin 3,3% 4,2% 0,0%
Plazebo 7,1% 4,2% 0,0%
nale Grössenzunahme oder Metastasen, Krebstherapie innerhalb der letzten sechs Monate, hämatologisches Malignom, das nicht in kompletter Remission ist. Bei Karzinompatienten empfehlen die meisten Guidelines die Anwendung von niedermolekularen Heparinen für drei bis sechs
Monate.
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Vier direkte orale Antikoagulanzien haben sich bei der Behandlung der venösen Thromboembolie etabliert: der direkte Thrombininhibitor Dabigatran (Pradaxa®) und die FaktorXa-Inhibitoren Apixaban (Eliquis®), Edoxaban (Lixiana®) und Rivaroxaban (Xarelto®). Nur in zwei randomisierten Studien wurden Karzinompatienten rekrutiert. HOKUSAI Cancer (5) war eine offene, Non-inferiority-Studie, in der 1050 Patienten mit Karzinom und akuter VTE eingeschlossen wurden. In den ersten fünf Tagen wurde niedermolekulares Heparin verabreicht, gefolgt von 60 mg Edoxaban oder Dalteparin (200 IU/kg KG). Die Behandlungsdauer betrug sechs bis zwölf Monate. Primärer Endpunkt war eine Kombination aus VTE-Rezidiv oder «major bleeding» zwölf Monate nach der Randomisierung.
Primärer Endpunkt
Edoxaban Dalteparin
12,8% 13,5%
HR (Hazard-Ratio):
0,97; 95%-KI: 0,7–1,36,
p = 0,006 für non-
inferiority, p = 0,87
für superiority
VTE-Rezidiv
7,9%
11,3%
HR: 0,71; 95%-KI: 0,48–1,06
«major bleeding» 6,9%
4,0%
HR: 1,77; 95%-KI: 1,03–3,04
«clinical relevant 14,6% non major bleeding»
11,1%
HR: 1,38; 95%–KI: 0,98–1,94
Das Blutungsrisiko war bei Patienten mit gastrointestinalen Karzinomen besonders hoch. Die Select-D-Studie (6) war eine prospektive, randomisierte, offene Multizenter-Pilotstudie, in die 406 Karzinompatienten mit akuter venöser Thromboembolie eingeschlossen wurden. Sie erhielten entweder Dalteparin (200 IU/kg im ersten Monat, dann 150 IU/kg bis zum 6. Monat) oder Rivaroxaban 15 mg 2 × täglich für drei Wochen und dann 20 mg 1 × täglich. Die Therapiedauer betrug sechs Monate.
VTE-Rezidiv
«major bleeding»
«clinical relevant non major bleeding»
Dalteparin 11% (95%-KI: 7–16%) 4,0% (95%-KI: 2–8%) 4,0% (95%-KI: 2–9%)
Rivaroxaban 4% (95%-KI: 2–9%) 6,0% (95%-KI: 3–11%) 13,0% (95%-KI: 9–19%)
Auch hier fand sich bei gastrointestinalen Karzinomen ein erhöhtes Blutungsrisiko, sodass diese Patienten während der Studie ausgeschlossen wurden. Eine Metaanalyse (7) dieser beiden Studien zeigte, dass DOAC eine niedrigere VTE-Rezidiv-Rate haben, die man sich aber mit einer höheren Blutungsneigung erkauft. Interaktio-
nen zwischen den einzelnen Medikamenten, vor allem Induktoren beziehungsweise Inhibitoren von P-Glykoprotein oder Cytochrom P450 3A4, die beim Metabolismus der DOAC eine wichtige Rolle spielen, müssen beachtet werden. Möglicherweise spielt auch der Wirkmechanismus eine Rolle. Dabigatran ist ein direkter Thrombininhibitor, während die anderen DOAC indirekt den aktivierten Faktor Xa hemmen. Die Autoren empfehlen eine individuelle Therapieentscheidung, in die auch die Bedürfnisse des Patienten einfliessen sollten. Die Anwendung spezifischer DOAC (Edoxaban und Rivaroxaban) bei Karzinompatienten mit akuter VTE und niedrigem Blutungsrisiko und fehlender Medikamenteninteraktionen mit der laufenden systemischen Therapie kann in Erwägung gezogen werden. Niedermolekulares Heparin wird bei Karzinompatienten mit hohem Blutungsrisiko empfohlen. Es bleibt abzuwarten, ob die Guidelines in dieser Hinsicht ergänzt werden.
5. Chronisch-venöse Insuffizienz
Die chronisch-venöse Insuffizienz wird trotz des häufigen Vorkommens und Symptomen, die die Lebensqualität einschränken, oft nicht als Erkrankung wahrgenommen, sondern als kosmetisches Problem abgetan (8). Eine im JAMA publizierte Studie aus Taiwan schloss 425 968 Patienten ein (9). Bei jenen mit Varizen fand sich im Vergleich zu Patienten ohne Varizen ein signifikant höheres Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose (10 360 vs. 1980) und Lungenembolie (793 vs. 451). Das kann man ja noch irgendwie verstehen. Erstaunlicher war aber, dass Patienten mit Varizen signifikant häufiger an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (16 615 vs. 9709) erkranken. Auf den ersten Blick auch von den Autoren nicht erklärbar. Die Pathophysiologie der chronisch-venösen Insuffizienz weist viele Parallelen zur endothelialen Dysfunktion in Arterien auf. In dieser Hinsicht wird es aber noch etwas mehr Forschungsarbeit brauchen. Im neu aufgelegten Handbuch der venösen und lymphatischen Erkrankungen (10) sind 105 spezifische Richtlinien zum Management der chronisch-venösen Insuffizienz publiziert. Besonderes Augenmerk wird auf die thermalen und nicht thermalen Verfahren gelenkt. Die endovenöse Laserablation gibt es nun schon seit sehr langer Zeit, wenngleich sie in der Schweiz erst seit 2016 Pflichtleistung ist. Inzwischen werden durch eine steigende Zahl von Studien solide Daten geliefert. In einer Metaanalyse (11), in welche drei randomisierte kontrollierte Studien und zehn Follow-up-Studien mit einer Beobachtungszeit von mehr als fünf Jahren eingeschlossen wurden, werden chirurgische, thermale und nichtthermale Methoden bei der Behandlung der Vena saphena magna verglichen. L Die ultraschallgezielte Schaumsklerosierung war mit 34%
weniger erfolgreich als Ligatur und Stripping (83%), Laserablation (88%) und Laserablation mit hoher Ligatur (88%). L Nach fünf Jahren Beobachtungszeit zeigten thermische Verfahren (Laser und Radiofrequenzblation) Verschlussraten
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von 96% und eine andauernde Verbesserung der Lebensqualität, erhoben anhand eines Venous Clinical Severity Scores oder Aberdeen Varicose Vein Questionnaires.
«Man soll die Dinge so einfach machen wie möglich, aber nicht einfacher» war schon die Meinung von Einstein. Derzeit laufen Bestrebungen, die einfachen thermalen Behandlungsverfahren durch noch simplere Methoden zu ersetzen, bei denen keine Tumeszenzanästhesie mehr notwendig ist. Wobei, in der Hand eines geübten Therapeuten ist das kein grosser Aufwand, solange die Stammvarize in der Faszienlücke verläuft. Die Dreijahresergebnisse der Non-Inferiority-VeClose-Studie verglich die Applikation von Cyanoacrylatkleber (VenaSeal Closure System) mit Radiofrequenzablation. Diese Kleber werden seit den 1960er-Jahren als Wundkleber beziehungsweise seit den 1980er-Jahren zum Verkleben von Aneurysmata verwendet. Über einen dünnen Katheter wird der Klebstoff direkt in die variköse Vene appliziert. Verletzungen der Haut oder Nervenschädigungen sind praktisch ausgeschlossen. Nach drei Jahren wurde eine Verschlussrate von 94,4 Prozent dokumentiert, was im Vergleich zur Radiofrequenzablation mit 91,3% keinen signifikanten Unterschied und damit keine Unterlegenheit dieser Methode ergab (12). Vor allem das fortgeschrittene Stadium der chronisch-venösen Insuffizienz mit Lipodermatosklerose, Stauungsdermatitis, Ekzem, Atrophie blanche oder Ulzerationen ist ein grosses gesundheitliches Problem, das die Lebensqualität erheblich einschränkt und zur sozialen Isolation der Patienten führt (13). Nach unserer eigenen Erfahrung führt die Ausschaltung einer insuffizienten Stammvene, die ein venöses Ulkus speist, in 100 Prozent zur Abheilung, selbst wenn diese Ulzera seit Jahren therapieresistent waren. Diese persönliche Erfahrung deckte sich bislang nicht mit der publizierten Literatur, wo beispielsweise in der ESCHAR-Studie kein signifikanter Unterschied zwischen Kompressionstherapie, verglichen mit Stripping und Ligatur der Vena saphena magna, gefunden werden konnte. Und in den gängigen Guidelines wurde eine Ablation der V. saphena magna bisher nur zur Rezidivprophylaxe empfohlen. Das wird sich nun nach Publikation der EVRA-Studie 2018 ändern (14). In 20 Zentren in Grossbritannien wurden 450 Patienten mit venösen Ulzera eingeschlossen. Es wurde eine Kompressionstherapie und eine frühe endovenöse Laserablation innerhalb von zwei Wochen mit Kompressionstherapie alleine verglichen. Als primärer Endpunkt wurde die Zeit bis zur Ulkusheilung definiert, sekundärer Endpunkt waren Ulkusheilung nach 24 Wochen, Rezidivulkusrate, ulkusfreie Zeit und ein durch den Patienten dokumentierter Fragebogen zur Lebensqualität im ersten Jahr nach Randomisierung. In der frühen Interventionsgruppe fand sich eine bessere und signifikant raschere Ulkusheilung nach 24 Wochen sowie eine geringere Rezidivrate innerhalb des ersten Jahres.
Was ist Ihre wichtigste Message für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis 2019?
Die periphere arterielle Verschlusskrankheit ist unabhängig von der Symptomatik eine ernst zu nehmende Erkrankung mit einem hohen Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall, unabhängig von den Symptomen. Bei asymptomatischen Patienten sollte eine chronische kritische Ischämie durch die Kombination mehrerer Methoden (ABI, Oszillografie, tcPO2-Messung, Duplexsonografie) ausgeschlossen werden, da die einzelnen Parameter per se keine 100-prozentige Sensitivität und Spezifität aufweisen. Falschnormale arterielle Druckwerte können eine chronische kritische Ischämie verschleiern, und Symptomfreiheit kann auch Ausdruck einer schweren (ischämischen) Polyneuropathie sein. Bei der interventionellen Therapie der kritischen Durchblutungsstörung hat sich auch im vergangenen Jahr viel getan. Neue CTO-Drähte und Low-profile-Ballone erlauben die Rekanalisation beziehungsweise Passage chronischer Arterienverschlüsse auch in kleinsten Arterien. Faszinierend und vielversprechend ist eine neue Technik, bei der mithilfe hochfrequenter Ultraschallwellen ein sklerotischer Plaque «zerbröselt» und so einfacher behandelbar wird. Die Gendermedizin hält in der Angiologie schon lange Einzug. Einmal mehr wurde bestätigt, dass bei Frauen mit einem infrarenalen Aortenaneurysma andere Grenzwerte als bei Männern gelten und ein therapeutisches Vorgehen zu einem früheren Zeitpunkt notwendig ist. Bei der Therapie der venösen Thromboembolie nehmen die direkten oralen Antikoagulanzien inzwischen einen festen Platz ein. Die Dauer der Antikoagulation ist immer noch nicht ganz klar. In den Leitlinien ist von drei bis sechs Monaten die Rede. Auch hier gibt es einen Trend in Richtung individualisierte Therapie. Bei Patienten mit persistierenden oder transienten «minor» Risikofaktoren (inflammatorische Darmerkrankungen, Adipositas, Niereninsuffizienz, Reisethrombose ...) findet sich eine hohe Rezidivrate, was eine verlängerte Antikoagulation rechtfertigen würde. Noch schwieriger wird es bei Karzinompatienten, die eine venöse Thromboembolie erleiden. Der Standard in der Therapie ist ein niedermolekulares Heparin für drei bis sechs Monate. DOAK als Alternative sind möglich, sofern kein erhöhtes Blutungsrisiko und vor allem keine Interaktion mit der gängigen Basismedikation besteht. Gastrointestinale Tumore zeigten unter DOAC ein erhöhtes Blutungsrisiko. Bei der Behandlung der chronisch-venösen Insuffizienz stehen risikoarme, kostengünstige thermale und nichtthermale Ablationsverfahren zunehmend im Vordergrund. Hier gibt es inzwischen gut dokumentierte Langzeitergebnisse und angepasste Leitlinien. Bei Patienten mit einem venösen Ulkus führt eine frühe Ablation zu einer rascheren Ulkusheilung und zu weniger Rezidiven als eine Standardtherapie. Niedrig dosiertes Xarelto® (2,5 mg) in Kombination mit Acetylsalicylsäure verhindert signifikant mehr kardiovaskuläre Ereignisse als Acetylsalicylsäure alleine und ist in Europa bereits zugelassen.
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Auf dem Lipidsektor sind PCSK9-Inhibitoren im Hinblick
auf eine LDL-Senkung bei Patienten mit familiärer Hyper-
cholesterinämie derzeit unschlagbar. Alirocumab (Praluent®)
hat in einer grossen Studie gezeigt, dass Patienten nach aku-
tem Koronarsyndrom eine deutlich geringere kardiovasku-
läre Morbidität aufweisen und Evolucumab (Repatha®)
wurde am 5. November 2018 vom BAG zur Verminderung
des Risikos für Herzinfarkte und Schlaganfälle bei Patienten
mit Hypercholesterinämie und hohem kardiovaskulärem
Risiko zugelassen.
L
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