Transkript
SYMPOSIUMSBERICHT
Gluten-/Weizensensitivität und Reizdarm: Welche Rolle spielt das Mikrobiom?
Annegret Czernotta
Eine kürzlich publizierte Studie belegt, dass eine Ernährung, die auf Gluten und FODMAP verzichtet, bei Betroffenen mit Gluten-/Weizensensitivität zu einer optimierten Zusammensetzung des Mikrobioms und zu einer Besserung der Symptomatik führen kann. Auch beim Reizdarmsyndrom können mit diesen diätetischen Massnahmen gute Erfolge erzielt werden.
Seit einigen Jahren werden beim Management des Reizdarms gute Erfahrungen mit einer FODMAP-reduzierten Diät gemacht.
Unverträglichkeiten gegenüber Getreideprodukten werden in den letzten Jahren häufiger beklagt. Im Gegensatz zur Zöliakie, bei der es durch den Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel zu einer entzündlichen Immunreaktion mit Zerstörung der Dünndarmmukosa kommt, gibt es die Gluten-/Weizensensitivität, bei der Betroffene auf glutenhaltige Nahrung mit gastrointestinalen Beschwerden und auch extraintestinalen Symptomen reagieren. Die Symptome können von Stimmungsschwankungen, Gelenkschmerzen bis zu Abdominalbeschwerden reichen, so Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Professorin für klinische und experimentelle Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Erlangen. Die Genese dieser Sensitivität ist noch unklar, es gibt aber Hinweise darauf, dass das Mikrobiom bei den betroffenen Patienten häufig verändert ist und dass diese Dysbiose mit der Symptomatik in Zusammenhang stehen könnte.
Mikrobiom bei Gluten-/Weizensensitivität
In der aktuellen, von Zopf vorgestellten Studie der Universität Erlangen (1) wurde untersucht, wie sich das Mikrobiom von Menschen mit diagnostizierter Gluten-/Weizensensitivität von dem gesunder Probanden unterscheidet und wie sich eine gluten- beziehungsweise FODMAP-reduzierte Diät (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole) auf die Zusammensetzung der Darmflora und das Beschwerdebild auswirkt. Dazu wurden Stuhlproben von 19 Probanden mit Gluten-/Weizensensitivität und von 10 gesunden Probanden verglichen, die über 2 Wochen eine FODMAP-reduzierte und anschliessend eine glutenfreie Diät für weitere 2 Wochen befolgt hatten. In einem Beschwerdeprotokoll hielten die Teilnehmer auftretende Symptome fest. Zu Studienbeginn sei ein deutlicher Unterschied zwischen den Mikrobiota von Kontrollen mit und ohne Beschwerden festgestellt worden, berichtete die Koautorin Zopf: «Die Patienten zeigten ein erhöhtes Vorkommen der Bakterienstämme Firmicutes sowie einen verringerten Anteil an Bacteroidetes. Insgesamt wiesen die Patienten eine weniger stabile Darmflora auf als die Kontrollen.» Während sich unter den 2-wöchigen Diäten bei den Gesunden
weniger Veränderungen der Mikrobiota zeigten, kam es bei den Betroffenen zu einem deutlichen Rückgang der Entzündungszellen in der Darmschleimhaut, und das Beschwerdebild der Patienten verbesserte sich. So kam es bereits unter der FODMAP-reduzierten Ernährung zu einem Rückgang der gastrointestinalen Beschwerden und zu einer Besserung des psychischen Wohlbefindens. Diese Verbesserungen verstärkten sich weiter unter der glutenfreien Diät. «Die Diäten hatten bei den Patienten mit Gluten-/Weizensensitivität eine positive Wirkung auf die klinische Symptomatik und bewirkten eine deutliche Veränderung der Mikrobiota. Allerdings wissen wir nicht, welches Bakterium speziell wichtig ist», fasste Zopf zusammen. Als geeignetes Vorgehen bei Gluten-/Weizensensitivtät empfahl die Expertin deshalb einen Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel für 6 bis 8 Wochen und nach dieser Phase eine schrittweise Zufuhr geringer Mengen glutenhaltiger Nahrungsmittel bis zur individuellen Toleranzschwelle.
Reizdarm: Was können Diäten leisten?
Prof. Dr. Martin Storr, Gastroenterologe in Gauting, stellte zu Beginn typische Kasuistiken von Betroffenen mit einem Reizdarm vor. Gabi M. (34) beispielsweise ist Erzieherin in einer Kinderkrippe. Sie hat seit mehr als 5 Jahren Blähungen und Bauchschmerzen an 5 von 7 Tagen in der Woche, sie ist häufig abgeschlagen und hat Kopfschmerzen. Es liegt eine umfangreiche, aber leitlinienkonforme Vordiagnostik bezüglich eines Reizdarms vor. Die Nahrungsaufnahme verschlimmert ihre Beschwerden, auslösende Lebensmittel kann sie aber nicht benennen. Jede Stelle, an die sie sich wendet, gibt ihr unterschiedliche Diätempfehlungen. Für das Reizdarmsyndrom, so Prof. Storr, müssen drei Kriterien erfüllt sein: • chronische Beschwerden seit mehr als 3 Monaten,
die von Patient und Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlveränderungen einhergehen • eine relevante Beeinträchtigung der Lebensqualität • keine andere Krankheit liegt als Ursache der Beschwerden vor.
30 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2018
SYMPOSIUMSBERICHT
Auch bei Patienten mit Reizdarmsyndrom wird häufig eine Dysbiose beobachtet. Für die Entstehung der Beschwerden sei das mukosale Mikrobiom möglicherweise relevanter als das Darmmikrobiom, erläuterte Prof. Storr. Seit einigen Jahren werden beim Management des Reizdarms gute Erfahrungen mit einer FODMAP-reduzierten Diät gemacht. FODMAP werden im Kolon von der Darmflora aufgenommen und fermentiert, wodurch es zu einer vermehrten Gasbildung und Wasserbindung im Darmlumen kommt. Bei empfindlichen Menschen führt dies zu Beschwerden wie Blähungen und zu einer Veränderung von Stuhlvolumen und -konsistenz. Ein Verzicht auf FODMAP bei der Ernährung kann das Mikrobiom modifizieren und die Gasproduktion vermindern, so Storr. Zudem liegen keine Hinweise auf eine Mangelernährung vor. Dabei werden für 6 bis 8 Wochen FODMAP-haltige Lebensmittel gemieden. Bei einem Grossteil der Patienten führt dies zu einem deutlichen Rückgang der Beschwerden. Nach dieser Karenzphase können einzelne FODMAP-haltige Nahrungsmittel nach und nach wieder in die Ernährung eingeführt werden. Allerdings ist es sinnvoll, so Storr, dafür eine Ernäh-
rungsberatung in Anspruch zu nehmen. Zudem wies der Gastroenterologe darauf hin, dass ein Teil der Patienten mit Verdacht auf eine Reizdarmerkrankung eher an einer Gluten-/Weizensensitivität leidet. Durch einen Glutenbelastungstest liesse sich dies prüfen. Bis der Effekt einer glutenarmen Ernährung eintritt, kann es allerdings mehrere Wochen dauern. Zusammenfassend hielt Storr fest, dass ernährungstherapeutische Konzepte eine hohe Erfolgschance hätten. Die Ernährungsumstellung müsse aber immer ärztlich bestätigt sein, da diese einen grossen Eingriff in den Körper darstelle.
Quelle: Pressegespräch Dr. Schär vom 13.9.2018 in München, anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), und Pressemitteilung Weber Shandwick vom 8.10.2018.
Literatur: 1. Dieterich W. et al: Influence of low FODMAP and gluten-free diets on disease activity and intestinal microbiota in patients with non-celiac gluten sensitivityClinical Nutrition (2018), 1e11 https://doi.org/10.1016/j.clnu.2018.03.017.
Swissmilk-Fachtagung:
Ernährung von Kindern und Jugendlichen
Annegret Czernotta
Essen soll für Kinder und Jugendliche gesund und genussvoll sein. Doch bei einer Nahrungsmittelallergie oder einer Darm- oder Stoffwechselkrankheit ist die Essenswahl eingeschränkt. An der Swissmilk-Fachtagung informierten Experten über verschiedene aktuelle Themen in der Ernährung von Kindern und Jugendlichen, wie Ernährungstrends, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Übergewicht.
Systemisch-lösungsorientierte Ernährungsberatung
Shima Wyss, Abteilungsleiterin der Ernährungsberatung am Spital Zofingen, sprach über die systemischlösungsorientierte Ernährungsberatung und die Therapie bei Kindern und Jugendlichen. Sie stellte den Verlauf einer Essstörung am fiktiven Fallbeispiel Laura dar, einer 12-jährigen Jugendlichen mit Übergewicht. So möchte Laura gern nach einem Teller mit dem Essen aufhören, aber das Essen schmeckt ihr oftmals so gut, «weil Mami so fein kocht». Im Gespräch zeigt sich, dass Laura oft alleine isst und Essen ihr dabei hilft, Emotionen zu regulieren. «Nimmt sie ab, bekommt sie Komplimente, nimmt sie zu, erbricht sie das Essen», so Shima Wyss. So entwickelt sich im Laufe der Zeit eine Binge-Eating-Störung, das Ge-
wicht bleibt aber hoch, und aus Hilflosigkeit wird das Essen verweigert, und es kann eine Anorexie entstehen. Der lösungsorientierte systemische Ernährungsberatungsansatz hilft dabei, Ressourcen von Laura zu entdecken und einzusetzen. «Es wird positiv formuliert, und die Schritte werden individuell angepasst», so Shima Wyss. Lösungsorientiert bedeutet auch, dass die Erkrankung nicht als Problem betrachtet wird, sondern als Störung in einem Beziehungsgeflecht. Neben einer sorgfältigen Autragsklärung gehören auch verschiedene Interviewtechniken zur Beratung. Da bei Kindern und Jugendlichen die Beratung eine besondere Herausforderung ist, setzt Shima Wyss auch «kindgerechte» Möglichkeiten ein. Dazu gehören beispielsweise Puppen, die dabei helfen, Probleme vom Klienten wegzunehmen, die sozusagen eine Stellvertreterfunktion einnehmen.
«Nimmt sie ab,
bekommt sie Komplimente, nimmt sie zu,
»erbricht sie das
Essen.
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2018 31