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ERNÄHRUNG DES BETAGTEN MENSCHEN
Malnutrition und Frailty bei Erwachsenen 65+
Michael Gagesch, Heike A. Bischoff-Ferrari*
Michael Gagesch
Frailty (Englisch für Gebrechlichkeit) ist ein mit dem Alterungsprozess verknüpftes Syndrom, welches mit einem überproportionalen Verlust von körperlichen Reserven verbunden ist. Mangel- oder Fehlernährung sind wichtige Komponenten beziehungsweise Einflussfaktoren hinsichtlich der Entwicklung von Frailty (1). Eine kausale Ursache ist bis heute nicht bekannt, allerdings wurden wichtige Risikokonstellationen wie eine abnehmende Muskelmasse (Sarkopenie), verschiedene altersbezogene chronische Erkrankungen und Proteinmalnutrition als wichtige «Driver» von Frailty identifiziert (4). Entsprechend zeigen neuere wissenschaftliche Arbeiten, dass durch gezielte Interventionen Frailty vorgebeugt und auch behandelt werden kann. Bisher sind dabei vor allem auf multiplen Komponenten basierende Massnahmen, allen voran proteinreiche Ernährung und körperliches Training, erfolgreich in randomisierten Interventionsstudien untersucht worden (5). Dieser Artikel gibt eine kurze Übersicht über den wissenschaftlichen Stand 2018.
Heike A. Bischoff-Ferrari
* DrPH, Klinikdirektorin, Klinik für Geriatrie, Universitätsspital Zürich und Universitäre Klinik für Akutgeriatrie, Stadtspital Waid
Hintergrund
Es spricht derzeit einiges dafür, dass unser Körper in seiner maximal möglichen Lebenszeitspanne wahrscheinlich auf etwa 120 Jahre beschränkt (6) ist. Es gibt jedoch Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass der erste Mensch, der das Alter von 150 Jahren erreichen wird, bereits geboren wurde (7). Wie auch immer die Antwort auf diese Frage in spätestens 150 Jahren lauten wird, im Durchschnitt haben 50-jährige Schweizer Frauen bereits heute eine verbleibende Lebenserwartung von 36,3 Jahren und Schweizer Männer immerhin eine von 32,9 Jahren (44). Drei Faktoren beeinflussen dabei massgeblich unsere Lebensspanne: erstens die vorherrschenden Umweltbedingungen, zweitens unsere genetische Ausstattung und drittens unser alltägliches Verhalten, das heisst unser Lebensstil (8). Für alle drei genannten Einflussfaktoren bestehen relevante Wechselbeziehungen zur Ernährungssituation. Auch die stetige Weiterentwicklung der Medizin hat in den vergangenen Jahrzehnten die durchschnittliche Lebenserwartung immer weiter erhöht (6). Doch die Erweiterung unserer Lebensspanne allein ist nicht der entscheidendste Faktor für einen erfolgreichen Alterungsprozess. Vielmehr liegt in der möglichst langen Erhaltung der Gesundheit (d.h. der Lebenszeit ohne funktionelle Einschränkungen) bis ins höchste Alter nach heutiger Ansicht der Schlüssel für ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben bis zum Ende (9). Basierend auf den grundlegenden Arbeiten von Rowe und Kahn (10) sowie der im Verlauf komplexer gewordenen Definition des Active and
Healthy Aging (AHA), zum Beispiel in der Definition des European Partnership on Active and Healthy Aging Reference Site Networks, können heute folgende fünf Schlüsselelemente für ein erfolgreiches Altern angesehen werden: mentale Gesundheit, eine suffiziente Kontrolle von Lebensstilrisiken und chronischen Erkrankungen, ein guter körperlicher Trainingszustand, ein gesundes soziales Umfeld und gesellschaftliche Teilhabe sowie eine optimale Ernährungssituation (11). Auch als «Active and Healthy Ager» unterliegen wir alle in unserem Alterungsprozess einer ähnlichen Abnahme gewisser Körperfunktionen und -reserven. So nehmen zum Beispiel Knochen- und Muskelmasse zwischen dem 20. und dem 80. Lebensjahr im Durchschnitt um 40 Prozent ab (12), knapp die Hälfte aller über 70-Jährigen weist eine eingeschränkte Nierenfunktion auf (13), nahezu 50 Prozent leiden in der zweiten Lebenshälfte an degenerativen Gelenkerkrankungen, und bei 8,9 Prozent der europäischen Männer und bei 7,3 Prozent der Frauen ab 66 Jahren liegt ein gestörter Zuckerstoffwechsel als Vorstufe eines Altersdiabetes vor (14). Weiterhin zeigte die Schweizerische Gesundheitsbefragung 2012, dass 32 Prozent der Schweizer Frauen und 22 Prozent der Männer im Alter 75+ körperlich inaktiv sind (15). Bei robusten älteren Erwachsenen ist trotz zunehmender gesundheitlicher Probleme die Bewältigung des Alltags in der Regel ohne gravierende Einschränkungen möglich, und es bestehen ausreichend Reserven zum Erhalt der Autonomie und Selbstständigkeit, auch im Falle einer akuten Erkrankung.
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Frailty dagegen bedeutet, dass ein überproportionaler Verlust von Reservekapazität und eine damit einhergehende erhöhte Vulnerabilität gegenüber selbst kleineren Stressoren wie zum Beispiel banalen Infekten vorliegen. Manche Experten nennen diese Einschränkung der funktionellen Fähigkeit und der gestörten Anpassung im Rahmen eines WHO-Schwerpunktes «Altern» auch einen Verlust der «intrinsischen Kapazität» (16). Trotz einer gewissen Überschneidung des Vorhandenseins mehrerer chronischer Erkrankungen und des Auftretens von Gebrechlichkeit kann Frailty auch ohne gleichzeitiges Vorliegen einer offensichtlichen Mehrfacherkrankung (sog. Multimorbidität) bestehen (17). Im Gegensatz zum chronisch progredienten Verlauf anderer Erkrankungen wie zum Beispiel einer Herzinsuffizienz ist es wichtig anzumerken, dass Frailty grundsätzlich einen dynamischen Prozess darstellt und zumindest in frühen Stadien die Möglichkeit einer Reversibilität besteht (18). Man kann Frailty auf mehrere Weisen wissenschaftlich beschreiben. Die zwei bekanntesten Konzepte sind das Defizit-Akkumulations-Modell nach Rockwood und Mitnitski (2) und der Frailty-Phänotyp nach Fried und Walston (3). Neben den genannten bis heute gebräuchlichsten Frailty-Konzepten ist über die letzten 10 bis 20 Jahre eine Vielzahl von weiteren Definitionen und Screeninginstrumenten publiziert worden (19). Der sogenannte Fried-Frailty-Phänotyp kann darunter mit knapp 440 Anwendungsbeschreibungen und insgesamt mehr als 1900 wissenschaftlichen Arbeiten als das bis anhin am besten untersuchte Modell gelten, danach folgt der Frailty-Index (19). Beide Modelle sollen daher im Folgenden kurz näher vorgestellt werden.
Der Frailty-Index und das Phänotyp-Modell
Vor dem Hintergrund, dass Menschen unterschiedlich schnell und auf verschiedene Weise altern, zeigten bisherige Untersuchungen, dass die Anzahl körperlicher Defizite dabei mit einer durchschnittlichen Rate von etwa 3 bis 4,5 Prozent pro Jahr steigt (20). Liegt die individuelle Rate höher, altern wir biologisch schneller, liegt sie darunter, entsprechend langsamer. Altersforscher der Universität Halifax haben dies 2001 erstmals in einem Frailty-Index beschrieben, um diese Akkumulation von gesundheitlichen Defiziten im Alter messbar zu machen (2). Das alternative, am weitesten verbreitete FrailtyKonzept stellten Wissenschaftler der Johns-HopkinsUniversity in Baltimore erstmals in einer Beobachtungsstudie zur Herz-Kreislauf-Gesundheit (Cardiovascular Health Study) bei älteren amerikanischen Erwachsenen 2001 dar (3). Sie erkannten, dass das Vorliegen von 3 oder mehr der insgesamt 5 Faktoren – (1) selbst gefühlte Erschöpfung, (2) tiefere Ganggeschwindigkeit, (3) niedriges Aktivitätsniveau, (4) reduzierte Handkraft und (5) ungewollter Gewichtsverlust – in Kombination mit einem 2- bis 3-fach
Abbildung 1: Frailty-Zyklus nach Fried et al. (3)
Abbildung 2: Patienten mit typischen geriatrischen Syndromen profitieren häufig von einem Frailty-Screening
erhöhten Risiko für den Verlust von Alltagsfähigkeiten (Activities of Daily Living, ADL), Stürzen, Spitaleinweisungen und höherer Mortalität verbunden war. Auf diese Weise identifizierte Probanden wurden als gebrechlich (Frailty-Phänotyp) klassifiziert. Probanden, bei denen 1 bis 2 der genannten Faktoren positiv waren, wiesen ein 2,5-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Frailty in den nächsten 3 Jahren auf und wurden daher als Risikogruppe («pre-frail») beschrieben (3). Die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der 5 Frailty-Charakteristika verknüpften die Autoren um Linda Fried in einem sogenannten Frailty-Kreislauf (Abbildung 1). Das Vorliegen einer Fehl- oder Unterernährung (Malnutrition) hat dabei einen zentralen Stellenwert, sowohl als begünstigender Faktor für die Entwicklung einer Sarkopenie (dem altersassoziierten Verlust von Muskelmasse und Muskelfunktion) (21) als auch in der Folge eines verminderten Energieumsatzes. Beim Auftreten von Stressoren wie akuten Erkrankungen, wiederkehrenden oder chro-
Malnutrition et frailty chez l’adulte de plus de 65 ans
Mots-clés: active and healthy – cycle du syndrome de frailty – index de frailty – sarcopénie – malnutrition – interventions nutritionnelles
Le syndrome de frailty (fragilité) est lié au processus de vieillissement et associé à une perte excessive de réserves corporelles. La cause n’en est pas encore connue mais d’importantes constellations de risque comme une diminution de la masse musculaire (sarcopénie), diverses maladies chroniques liées à l’âge ainsi que la malnutrition protéique ont toutefois été identifiées comme étant des facteurs de frailty. De récents travaux scientifiques montrent que des interventions ciblées permettent de prévenir l’apparition de ce syndrome et aussi de le traiter. Il s’agit jusqu’à présent surtout de mesures basées sur de multiples composantes, en particulier une alimentation riche en protéines et l’entraînement physique. L’article livre une brève vue d’ensemble de l’état actuel, en 2018, des connaissances scientifiques sur la question.
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nischen starken Schmerzen oder auch beim Auftreten von unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen ist die ausreichende Nährstoffversorgung von älteren Erwachsenen darüber hinaus akut gefährdet. Gleichzeitig wurde die Bedeutung des Ernährungsstatus gerade bei älteren Spitalpatienten lange vernachlässigt, sie findet in den letzten zehn Jahren jedoch mehr und mehr Beachtung (4, 22, 23). An dieser Stelle muss weiter erwähnt werden, dass die Untersuchung des Zusammenhangs von Körpermasseindex (engl. BMI – Body Mass Index) als Risikofaktor für Frailty einen U-förmigen Verlauf beschreibt, das heisst, dass auch eine Adipositas (vor allem stammbetont) mit einem erhöhten Risiko für eine Gebrechlichkeit assoziiert zu sein scheint (24).
Bei welchen Patienten sollte man nach Frailty suchen?
Frühe Anzeichen für eine beginnende Frailty sind eine verminderte Ganggeschwindigkeit oder eine reduzierte Kraft sowie ein reduziertes Aktivitätsniveau (25, 26). Ebenso besteht bei Menschen mit einer oder mehreren chronisch progredienten Erkrankungen wie einer Herzinsuffizienz, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung oder Typ-2-Diabetes ein erhöhtes Risiko, eine Frailty zu entwickeln (9). Das Vorhanden-
Tabelle:
Assessmentinstrumente zum Malnutritionsscreening bei älteren zu Hause lebenden Patienten
Elemente
Malnutrition
BMI, ungewollter
Universal Screening Gewichtsverlust,
Tool (MUST)
akute Erkrankung
Mini Nutritional Assessment short form (MNA-SF)
Nutritional Risk Screening (NRS 2002)
Short Nutritional Assessment Questionnaire 65+ (SNAQ 65+)
1. Verminderte Nahrungsaufnahme 2. Ungewollter Gewichtsverlust 3. Eingeschränkte Mobilität 4. Akute Erkrankung 5. Neuropsychologische Probleme 6. BMI 1. BMI 2. Ungewollter Gewichtsverlust 3. Verminderte Nahrungsaufnahme 4. Krankheitssituation 1. Ungewollter Gewichtsverlust 2. Oberarmumfang/BMI 3. Reduzierter Appetit
BMI (Body-Mass-Index), adaptiert nach (43)
Skalierung Niedriges, mittleres, hohes Risiko mit direkter Massnahmenempfehlung Normaler Ernährungszustand, Risiko für Mangelernährung
Zweistufiges Screening. Bei positivem initialem Screening erfolgt als finales Screening eine Schweregradeinteilung
Ampelsystem anhand positiver Elemente (nicht unterernährt, Risiko einer Unterernährung, unterernährt)
Validierung/Ressource Stratton RJ, 2004 (39); www.bapen.org.uk
Rubenstein LZ, 2001 (29), Vellas B, 2006 (40); www.mna-eldery.com
Kondrup J 2003 (41); www.espen.info
Wijnhoven HAH, 2012 (42); www.fightmalnutrition.eu
sein der genannten Faktoren kann als Red Flag dienen, um ein kurzes Frailty-Screening in der hausärztlichen Praxis durchzuführen. Bei einem positiven Screening sollte eine umfassende geriatrische Standortbestimmung an einem geriatrischen Zentrum erfolgen (Abbildung 2). Hieraus resultierende Empfehlungen können dann in die weitere ambulante Versorgung im Rahmen eines personalisierten Behandlungsplans integriert werden (27).
Abgrenzung zur Malnutrition
Das Problem einer Mangel- und Fehlernährung ist bei Spitalpatienten auch in der Schweiz häufig und betrifft je nach Setting 20 bis 60 Prozent aller Eintritte (23, 28). Die Prävalenz nimmt dabei mit dem Alter zu. Im Rahmen eines geriatrischen Assessments (d.h. der umfassenden geriatrischen Beurteilung von vorhandenen Ressourcen und Defiziten älterer Menschen) hat daher auch die Abklärung der Ernährungssituation einen ausgewiesenen Stellenwert (29). Eine 2017 am Universitätsspital Zürich durchgeführte Untersuchung des Ernährungszustandes von alterstraumatologischen Patienten im Alter 70+ zeigte bei 56,3 Prozent eine Malnutrition oder ein dafür erhöhtes Risiko (23). Die Prävalenz von Gebrechlichkeit war in dieser Studie bei den Patienten mit beeinträchtigtem Ernährungsstatus mit 32,5 Prozent deutlich höher als unter den gut ernährten älteren Erwachsenen (8%). Die Ätiologie eines unfreiwilligen Gewichtsverlustes bei geriatrischen Patienten ist ungefähr zu 50 Prozent organbezogen (v.a. bei Herzinsuffizienz, chronischen Lungenerkrankungen, neurodegenerativen Erkrankungen), zu 20 Prozent durch bösartige Tumoren bedingt und zu 10 Prozent auf psychosoziale Zustände zurückzuführen. Die verbleibenden 20 Prozent werden daneben bis anhin oft ungenau als idiopathisch beschrieben und schliessen als Ursachen Sarkopenie und Frailty mit ein (30). Sowohl für Frailty als auch für Malnutrition besteht ein Zusammenhang mit längeren Spitalaufenthalten, einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für einen erneuten Spitaleintritt und einer höheren Mortalität (4). Eine grosse Chance besteht darin, dass beide Zustände, sofern rechtzeitig erkannt, potenziell behandelbar sind (22). Im Rahmen des pathophysiologischen Circulus vitiosus, der dem Frailty-Phänotyp seine Dynamik verleiht, nimmt eine quantitative und qualitative Fehlernährung, unabhängig von ihrer Ursache, eine zentrale Position ein (Abbildung 1). Durch den oft resultierenden Nährstoffmangel, vor allem an hochwertigen Proteinen, wird die Entwicklung von Sarkopenie begünstigt (31), in deren Folge der Grundumsatz sinkt, die Insulinsensitivität reduziert wird und die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2 max.) abnimmt. Weiterhin kommt es bei Frailty zu einem verstärkten altersassoziierten Katabolismus am Muskel und somit auch zu einer amplifizierten Abnahme von Muskelmasse (32).
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Lorenzo-Lopes und Kollegen identifizierten 2017 im Rahmen einer Metaanalyse insgesamt 19 Studien mit mehr als 22 000 zu Hause lebenden älteren Erwachsenen (63% Frauen, durchschnittliches Alter 74 Jahre) bezüglich Assoziation des Ernährungsstatus mit dem Frailty-Syndrom. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass das Auftreten von Frailty zum einen mit einer niedrigen Mikronährstoffaufnahme (einschliesslich Carotinoide, a-Tocopherol und der Vitamine B6, C, D, E und Folsäure) assoziiert ist und zum anderen eine hohe Proteinzufuhr mit einem niedrigeren Frailty-Risiko verknüpft ist (33).
Ernährungsinterventionen bei Frailty
Der Stellenwert einer gesunden Ernährung (z.B. mediterrane Ernährung) auf wichtige «Driver» von Frailty wie chronische, altersbezogene Erkrankungen (kardiovaskuläre Erkrankungen, Typ-2-Diabetes) und sturzbezogene Verletzungen (z.B. Hüftbrüche) wurde in grossen longitudinalen Studien sehr konsistent gezeigt (4). Bezüglich der individuellen Nährstoffe ist der grosse Stellenwert einer ausreichenden Versorgung mit Proteinen im Alter in die Empfehlungen der Fachgesellschaften eingeflossen. Die aktuellen Guidelines der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung empfehlen entsprechend den D-A-CH-Referenzwerten eine tägliche Proteinzufuhr von 1,0 g pro kg Körpergewicht für alle Menschen ab dem 65. Lebensjahr in der Schweiz (34). Darüber hinaus besteht eine Empfehlung der PROT-AGE-Expertengruppe aus dem Jahr 2013, welche sowohl für aktive und regelmässig trainierende als auch für gebrechliche ältere Erwachsene beziehungsweise für ältere Menschen mit akut chronisch beeinträchtigtem Gesundheitszustand eine noch höhere Proteinzufuhr von 1,2 bis 1,5 g pro kg Körpergewicht pro Tag empfiehlt (35). Da eine derart hohe Proteinzufuhr bei älteren Erwachsenen über die normale Ernährung nicht einfach zu erreichen ist, erklären letztere Zielwerte den wachsenden Markt mit Proteinsupplementen für ältere Erwachsene. Zusammenfassend bildet eine gute Ernährungssituation einschliesslich einer ausreichenden Proteinzufuhr in Kombination mit körperlicher Bewegung die Grundlage der Frailty-Prävention (36). Bei nachgewiesener Malnutrition sollten die zugrunde liegenden Ursachen abgeklärt werden und individuell zuge-
schnittene Massnahmen, abgelesen an den Resultaten eines umfassenden geriatrischen Assessments, eingeleitet werden.
STRONG-Studie
Inwieweit eine Molke-Protein-Supplementation als Konzept in der Frailty-Prävention nützlich sein wird, untersucht derzeit die vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte randomisierte, kontrollierte STRONG-Studie. STRONG wird unter der Leitung des Universitätsspitals Zürich (Studienleitung: Prof. H.A. Bischoff-Ferrari) und in Kollaboration mit der Universität Basel (Prof. R.W. Kressig) bei insgesamt 800 Erwachsenen im Alter von 75+ Jahren durchgeführt.
Fazit
Das Risiko für Menschen 65+, gebrechlich, das heisst «frail» zu werden, ist mit der Ernährungssituation verknüpft (37). Da dabei die zugrunde liegenden Faktoren einer Malnutrition vielfältig sind, ist es wichtig, die bedeutendsten Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen, um gegenüber einer weiteren Verschlechterung der Ernährungssituation möglichst effektiv intervenieren zu können (4). Ein regelmässiges Screening der Ernährungssituation in der hausärztlichen Primärversorgung älterer Patienten ist daher aus geriatrischer Sicht als wichtige Säule auch zur Prävention der Entwicklung von Frailty zu empfehlen (38). Hierbei können als Minimalprogramm eine neu aufgetretene Appetitminderung und ein ungewollter Gewichtsverlust über die zurückliegenden Monate erfragt werden. Für den Fall, dass eine der genannten Fragen positiv beantwortet wird, stehen validierte Assessment-Tools für ein explizites Malnutritionsscreening zur Verfügung (Tabelle).
Korrespondenzadresse: Dr. med. Michael Gagesch Oberarzt Klinik für Geriatrie Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: Michael.Gagesch@usz.ch
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