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Managed Care steht auf der Kippe
von Karin Diodà
Am 17. Juni wird das Stimmvolk das letzte Wort über die Managed-Care-Vorlage haben. Die Vorlage ist umstritten, im Januar wurde das Referendum eingereicht. Es wird von der Mehrheit der Ärzte und vermutlich auch von einem grossen Teil der Hausärzte unterstützt, nicht aber von den Führungsgremien der hausärztlichen Standesorganisation.
G eht es nach dem Parlament, sollen Patienten künftig einen Selbstbehalt von 15 Prozent bezahlen, wenn sie sich nicht einem ManagedCare-Modell anschliessen. Mit Managed Care (integrierte Versorgung) sind Versorgungsnetze gemeint wie Hausarztmodelle, Ärztenetze und Gesundheitszentren. Dort schliessen sich Ärzte und weitere Leistungserbringer wie zum Beispiel Physiotherapeuten zusammen. Sie tragen dabei teilweise auch Budgetmitverantwortung, das heisst, die Ärzte sind auch unternehmerisch tätig und müssen auf ein vorgegebenes Budget achten. Die Befürworter sehen in Managed Care die einzig realistische Massnahme, die ständig steigenden Gesundheitskosten endlich in den Griff zu bekommen. Doch die vom Parlament im letzten Herbst verabschiedete Vorlage wird von
zahlreichen Ärzte- und Gesundheitsorganisationen, dem Personalverband VPOD und der SP bekämpft. Sie sammelten Unterschriften und argumentieren: Wer seinen Arzt frei wählen will, soll dafür nicht stärker zur Kasse gebeten werden. Aber es steckt noch mehr dahinter.
Sieben Jahre verhandelt Bereits die Ausarbeitung der Gesetzesvorlage stand unter einem ungünstigen Stern, denn die parlamentarischen Verhandlungen dauerten geschlagene sieben Jahre. Nur mit Mühe und mit zahlreichen Kompromissen konnten sich National- und Ständerat schliesslich zu dieser Vorlage durchringen. Und als sie letzten Herbst endlich zustande kam, wurde auf Initiative der Ärzte prompt das Referendum ergriffen, und man sammelte fast 133 000 Unterschriften. Doch
nicht alle Ärzte ziehen am gleichen Strick. Unter ihnen gibt es auch Befürworter der Vorlage, an erster Stelle der Vorstand und die Delegierten des Verbands Hausärzte Schweiz. Für sie bedeutet die Vorlage einen Schritt in die richtige Richtung. Was konkret bedeutet Managed Care für die Patienten? Die einfache Variante, das Hausarztmodell, ist in der Schweiz am meisten verbreitet. Hierbei akzeptiert der Patient, dass der Hausarzt grundsätzlich seine erste Anlaufstelle ist. Dafür bezahlt er wie bis anhin 10 Prozent Selbstbehalt. Besteht er auf der freien Arztwahl, stehen künftig 15 Prozent Selbstbehalt an. Insgesamt haben bis heute schweizweit lediglich 10 Prozent der Patienten ein Managed-Care-Modell gewählt. Der Bundesrat hofft aber, dass dieser Anteil bis zum Jahr 2015 auf 60 Prozent steigt.
Missglückte
Gesetzesvorlage? Welches sind nun aber die Argumente der Gegner und Befürworter der Vorlage? Es wird immer wieder betont, die Mehrheit der Ärzte sei grundsätzlich für Managed Care, aber nicht in dieser Form. Es handle sich um eine missglückte Geset-
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zesvorlage. Sie sehen in der Vorlage eine Mogelpackung. Stein des Anstosses ist für die Ärzte wie die Patienten der höhere Selbstbehalt und damit die Einschränkung der freien Arztwahl. Dies führe zwangsläufig zu einer Zweiklassenmedizin, so ein oft gehörtes Argument. Weiter wird angeführt, dass nicht die Patienten abgestraft werden sollten, die kein Ärztenetz wählen, sondern jene, die ein Managed-CareModell wählen, mit Prämienreduktionen belohnt gehören. Ein weiteres Argument der Ärzte gegen die Vorlage ist die obligatorische Budgetmitverantwortung oder generell die Ökonomisierung der Medizin. Es sei zu befürchten, dass künftig zu häufig wirtschaftliche Kriterien die Patientenbehandlung beeinflussten, was nichts anderes bedeute als eine verdeckte Rationierung von medizinischen Leistungen. Tatsache ist, dass Netzwerke belohnt werden, wenn sie möglichst kostengünstig arbeiten.
Hausärzte sehen Vorteile Ein Teil der Hausärzte sieht die Situation anders, sie unterstützen die Vorlage, nicht das Referendum. Dies beschlossen die Delegierten des Berufsverbandes Hausärzte Schweiz letzten November mit Dreiviertelmehrheit. Während die Gegner die Nachteile der Vorlage betonen, stellen diese Hausärzte deren Vorteile in den Mittelpunkt. Sie sehen darin eine Stärkung der Hausarztmedizin, denn bei Managed Care stehen sie im Zentrum der ambulanten Versorgung. Ein weiteres Plus: Eines der zentralen Anliegen der Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» würde damit umgesetzt. Indem sich nun also die Hausärzte und die Kinderärzte, die ebenfalls dem Verband Hausärzte Schweiz angehören, für die Vorlage stark machen und dafür kämpfen wollen, stellen sie sich gegen ihren eigenen Dachverband FMH. Dort hatten sich zwei Drittel für das Referendum ausgesprochen. Doch der FMH-Präsident wehrte sich an einer Pressekonferenz gegen den Eindruck, dass die Ärzteschaft in der Frage Managed Care völlig zerstritten sei. Dieses Statement kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ärzte in der Öffentlichkeit im Abstimmungskampf zerstritten dastehen werden. In dieser Situation ist es für die Stimmberechtigten nicht ganz einfach, sich eine Meinung zu Managed Care zu bilden. Aber letztlich sind sie es, die am 17. Juni ein klares Signal geben, in welche Richtung es mit Managed Care weitergehen soll.
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