Transkript
4 • 2018
Editorial
Man mache sich keine Illusionen: Ärzteeinkommen sind per se ungerecht …
Zwei Zitate, die den Umfang der Diskussion um Ärztelöhne etwa abstecken: «Wer gerechte Löhne will, soll sich an die Kirche wenden.» (Unbekannter Arzt) Und: «Seit etwa 10 Jahren steuert die Politik die medizinische Versorgung zunehmend über das Geld und Tarife. Da darf man sich nicht wundern, wenn auch die Ärzte zu Rappenspaltern werden.» (Josef Widler, Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft) Nicht unwichtig dabei, sich zu erinnern: Die Ökonomisierung der Medizin war nicht die Idee der Ärzte, sondern das Lieblingsprojekt von Ökonomen und Gesundheitspolitikern. Der Satz, der den meisten Artikeln dieser Tage und Wochen, in denen die Löhne der Ärzte wieder einmal publizistisches Thema wurden, implizit zugrunde liegt, lautet: Wie viel sollen und wie viel dürfen Ärzte verdienen? Gute Frage! Nur, sogar die «NZZ am Sonntag», die sich vielleicht am ausführlichsten und seriösesten mit dem Problem auseinandergesetzt hat, kommt zu keiner befriedigenden Antwort. Und bleibt damit wenigstens ehrlich. Die Frage ist nicht zu beantworten, weil sie nicht klar ist. Jedenfalls nicht, solange vorgängig einige weitere Fragen nicht geklärt sind wie: Von welchen Ärzten ist die Rede? • Von Ärzten in Aus- und Weiterbildung (inkl. Oberärzten
im Spital)? • Von Allgemeinärzten in eigener Praxis? • Von Spezialisten in Spitälern? • Von Spezialärzten mit eigener Praxis? Mit wessen Einkommen sollen Ärztelöhne verglichen werden? • Mit den Löhnen von Berufsleuten mit gleicher oder ähnlicher
Ausbildung? • Mit den Löhnen von Berufsleuten mit gleicher oder ähnlicher
Arbeitszeit? • Mit den Löhnen von Berufsleuten mit gleicher oder ähnlicher
Verantwortung? Was ist Einkommen? • Der Lohn pro Monat – oder Jahr? • Der Lohn summiert bis Alter 65 geteilt durch die Zahl der
Arbeitsjahre, also das Lebenshonorar (analog zur Lebensarbeitszeit)? • Der Praxisumsatz (wie so häufig kolportiert)?
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Welches Einkommen ist relevant für die Diskussion? • Nur jenes aus der öffentlichen Krankenversicherung? • Auch das aus Privatversicherungen?
Je nach Voraussetzung sind dann halt 150 000, 240 000, 600 000 oder 1,1 Millionen Franken wenig, viel, adäquat oder überrissen. Aus den Zahlen, deren statistische Relevanz auch nicht gerade über alle Zweifel erhaben sind, kann man je nach ideologischer Basis lesen, was man will. Die einen sehen in den Ärzten per se die Abzocker in Weiss (die es ganz gewiss gibt, genau wie bei Handwerkern, Unternehmern oder Politikern), die andern können mit allem leben. Etwas vom Perfidesten: Die Kritiker der angeblich hohen Ärzteeinkommen verschweigen trotz besseren Wissens (manche auch aus Ignoranz) gerne, dass die Spitzenverdiener ihr Geld nicht aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) beziehen. Sie suggerieren stattdessen, hohe Ärztehonorare hätten etwas zu tun mit den steigenden Prämien der OKP. Peinlich wird solche Meinungsmanipulation vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass genau dieser Umstand bei der Verteidigung der exorbitanten Bezüge der Chefs der grossen Krankenkassen (zwischen 479 000 Franken bei der Concordia und 781 000 Franken bei der Assura) zur Entschuldigung angeführt wird. Als ob die Manager zweierlei Löhne bezögen, einen aus der OKP und einen aus der Privatversicherung. Bei den Ärzten ist diese Aufteilung immerhin schwarz auf weiss nachweisbar. Dass es Bereiche gibt, in denen man auch bei den Ärzteeinkommen sparen könnte – wer möchte dem widersprechen? Wenn Spitäler rein ökonomische Anreize setzen für lukrative Operationen, dann läuft etwas schief, und man möchte den Kollegen in den Kliniken raten, sich besser an die WWZ-Kriterien zu erinnern. Für ein generelles Bashing, vor allem der Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Praxis, eignen sich die jetzt publizierten Zahlen aus den Erhebungen von 2015 jedoch garantiert nicht.
Richard Altorfer und Peter H. Müller