Transkript
RHEUMA TOP
Autoantikörper in der Rheumatologie
Experte beantwortet grundsätzliche Fragen
Die Bestimmung von Autoantikörpern kann bei der Diagnostik hilfreich sein, aber auch Verwirrung stiften. Wichtige Fragen im Umgang mit Autoantikörpern in der Rheumatologie beantwortete Dr. Stefan Kuchen vom Inselspital Bern an einem Workshop im Rahmen der Fortbildung «Rheuma Top 2018».
Frage: Fast alle Autoantikörper, die in der Rheumatologie bestimmt werden, richten sich gegen zytoplasmatische oder nukleäre Antigene (z.B. ANA = antinukleäre Antikörper). Wie ist das zu erklären, wo doch Antikörper gar nicht ins Innere von Zellen zu ihrem Antigen gelangen können? Antwort: Von B-Zellen gebildete Immunglobuline können als Antikörper sezerniert werden oder als B-Zell-Rezeptoren membrangebunden sein (zur B-Zell-Aktivierung und -Differenzierung zu Memory-B-Zellen). Sezernierte Antikörper schützen den Extrazellulärraum durch Neutralisierung, Opsonisierung und Komplementaktivierung. Nur lösliche extrazelluläre und an Zelloberflächen befindliche Antigene sind für Antikörper zugänglich. Zytoplasmatische und nukleäre Antigene sind primär nicht zugänglich, sondern können erst dann gebunden werden, wenn es zur Zellschädigung und Antigenfreisetzung gekommen ist.
Worin besteht der Unterschied zwischen pathogenetischen (kausalen) und nicht primär pathogenetischen (assoziierten) Autoantikörpern? Autoantikörper können Ursache oder Folge eines pathologischen Prozesses sein. Pathogenetische Autoantikörper sind kausal für eine Erkrankung verantwortlich. Das lösliche beziehungsweise Oberflächenantigen ist dabei dem Autoantikörper immer zugänglich (z.B. Antiphospholipid-Syndrom). Zwar können Autoantikörper auch bei Nichterkrankten vorhanden sein, aber ohne die kausalen Autoantikörper kommt es nicht zur Erkrankung. Fast alle Autoantikörper in der Rheumatologie sind mit Erkrankungen assoziiert, aber nicht ursächlich für die Erkrankungen verantwortlich. Fehlender Nachweis dieser Autoan-
tikörper bedeutet also nicht, dass die Erkrankungen nicht vorliegen. Beispielsweise ANA, ANCA (= Anti-Neutrophile zytoplasmatische Antikörper), myositisassoziierte Antikörper und so weiter sind die gegen intrazelluläre Antigene gerichtete Antikörper. Solche Autoantigene werden erst dann zugänglich, wenn sie durch einen Autoantikörper-unabhängigen Prozess freigesetzt werden.
Was ist Autoreaktivität? Unter Autoreaktivität versteht man eine Prädisposition, bei der ohne klinische Symptome Antikörper gegen körpereigene Strukturen vorhanden sind. Der Körper verhält sich tolerant und verhindert Schäden. Alle Personen haben Autoreaktivität, im Blut zum Beispiel Antikörper gegen Zellkernstrukturen. Das unverdünnte Serum aller Personen ist also ANA-positiv. Erst bei Serumverdünnungen werden die meisten Personen ANA-negativ.
Was ist Autoimmunität? Autoimmunität besteht bei manifester Erkrankung mit Nachweis von Antikörpern gegen körpereigene Strukturen im Kontext krankheitsspezifischer Symptome. Zur Autoimmunität kommt es durch den immunologischen Prozess des Toleranzverlusts bei Störungen der Apoptose und der Abräumung apoptotischer Partikel und bei Zellzerstörung, wenn Autoantigene freigesetzt und dem Immunsystem präsentiert werden. Weil die verwendeten Tests sowohl Autoimmunität als auch Autoreaktivität erfassen, müssen die Beschwerden und das klinische Bild des Patienten bei der Beurteilung des Testresultats mitberücksichtigt werden. Allein aufgrund der Serumverdünnung kann nicht entschieden werden, wo Autoreaktivität aufhört und Autoimmunität beginnt.
KURZ & BÜNDIG
Autoantikörperserologien allein machen keine Diagnosen. Die Beurteilung der Autoantikörpertestergebnisse muss im Kontext der Symptome und klinischen Befunde erfolgen.
Autoantikörper in der Rheumatologie sind nicht kausale, sondern assoziierte (nicht primär pathogenetische) Antikörper.
Diese Autoantikörper richten sich nicht gegen Antigene, die extrazellulär gelöst oder an Zelloberflächen zugänglich sind, sondern gegen intrazelluläre, primär nicht zugängliche Antigene.
Kann die Diagnose aufgrund des Autoantikörpernachweises gestellt werden? Der alleinige Nachweis von Autoantikörpern erlaubt keine Diagnose. Das Vorliegen einer Erkrankung kann nicht aufgrund des fehlenden entsprechenden Autoantikörpernachweises ausgeschlossen werden.
Welche Wertigkeit haben Autoantikörper in der Diagnostik von Autoimmunerkrankungen? Die klinische Vortestwahrscheinlichkeit (d.h. die klinische Symptomatik) bestimmt die diagnostische Wertigkeit. Wenn aufgrund von Anamnese und klinischer Untersuchung eine Autoimmunkrankheit vermutet wird, kann eine Serologie mit Autoantikörperscreening als Unterstützung bei der Dia-
CongressSelection Rheumatologie | November 2018
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Tabelle 1:
Für die Diagnose relevante Autoantikörper («Screening-Autoantikörper»)
ANA (Antinukleäre Antikörper)
Histon-Antikörper SS-A-Antikörper
Zentromer-Antikörper U1-RNP-Antikörper Cardiolipin-Antikörper Beta2-Glykoprotein-I Antikörper ANCA (Anti-Neutrophile zytoplasmatische Antikörper)
Rheumafaktor ACPA (Anti-citrullinated peptide antibodies) = Anti-CCP-Antikörper (Anti-Cyclisches-Citrulliniertes-Peptid)
Konnektivitis (Systemischer Lupus Erythematodes = SLE, Primäres Sjögren-Syndrom, Systemsklerose, Polymyositis/ Dermatomyositis) Autoimmune Hepatopathie
Medikamenteninduzierter SLE
Neonataler SLE Primäres Sjögren-Syndrom
Limitierte Systemsklerose
Mischkollagenosen
Antiphospholipidsyndrom SLE
Granulomatose mit Polyangiitis Mikroskopische Polyangiitis Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis
Rheumatoide Arthritis
(nach Stefan Kuchen)
Tabelle 2:
In Diagnose- und Klassifikationskriterien einbezogene Autoantikörper
Rheumatoide Arthritis (ACR/EULAR-Kriterien 2010)
Adulter Morbus Still (Yamaguchi-Kriterien 1992)
Systemischer Lupus Erythematodes (ACR-Kriterien 1997, SLICC 2012)
Systemsklerose (Klassifikationskriterien 2013)
Rheumafaktor ACPA = Anti-CCP-Antikörper Als Ausschlusskriterien: Rheumafaktor, ANA (müssen negativ sein) ANA, dsDNA, Sm, Cardiolipin, Beta2-Glykoprotein I
Zentromer, Topoisomerase I (Scl-70), RNA-Polymerase III
(nach Stefan Kuchen)
gnostik nützlich sein. Wenn man jedoch keine Ahnung hat, woran der Patient erkrankt sein könnte, sei die diagnostische Wertigkeit gleich null, so der Referent. Es sei also wertlos, zum Beispiel bei einem Patienten mit 38,5 °C Fieber und Myalgien ANA und ANCA zu bestimmen.
Korrelieren Autoantikörperspiegel mit der Krankheitsaktivität? Autoantikörperspiegel sind in der Regel nicht mit der Krankheitsaktivität korreliert und deshalb zur Bestimmung oder Überwachung der Krankheitsaktivität nicht geeignet. Ausnahmen von dieser Regel kommen vor. Der Referent empfahl, in der Grundversorgung keine Immunserologien zur Verlaufsbeurteilung zu machen.
Welcher Autoantikörpertyp wird bestimmt? Es werden nur Autoantikörper vom Typ IgG gemessen (Detektionsantikörper). Jede polyklonale B-Zell-Stimulation (Infekt, akute oder chronische Entzündung) führt zur Stimulation autoreaktiver B-Zellen und erhöht die Wahrscheinlich-
keit eines unspezifischen Autoantikörpernachweises (Koinzidenz). IgM-Autoantikörper werden nicht bestimmt.
Welchen Einfluss hat das Gesamt-IgG im Serum auf die Auto-
antikörperdiagnostik?
Bei Hypogammaglobulinämie ist die Sensitivität der Autoanti-
körperdiagnostik vermindert. Bei Hypergammaglobulinämie
besteht dagegen ein erhöhtes Risiko, dass das Resultat des
Autoantikörpertests unspezifisch positiv ist. Beispielsweise
entspricht das ANA-Testresultat von 1:80 bei erniedrigtem Ge-
samt-IgG von 4 g/l einem ANA von 1:320 bei einem Gesamt-
IgG von 16 g/l (an der oberen Normgrenze). Wenn der Test bei
Hypogammaglobulinämie negativ ist, könnte man sich fälsch-
licherweise in Sicherheit wiegen, so der Referent. Er bestimme
deshalb zusätzlich auch das Gesamt-IgG.
L
Alfred Lienhard
Quelle: Workshop von Stefan Kuchen «Labor bei Rheuma» an der Fortbildung «Rheuma Top 2018», 23. August 2018 in Pfäffikon SZ.
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