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RHEUMA TOP
Rheumatoide Arthritis und ankylosierende Spondylitis
Neue Behandlungsmöglichkeiten bei Arthritis
Ausgehend von zwei eindrücklichen Fallbeispielen, stellte PD Dr. Tobias Manigold aus Basel an einem Workshop im Rahmen der Fortbildung «Rheuma Top 2018» drei neue Behandlungsmöglichkeiten bei Arthritis vor.
Ein 58-jähriger, schwer arbeitender Patient (Rangiermeister bei der Bahn) erkrankte an einer seropositiven, erosiven, rheumatoiden Arthritis (RA). Das MRI zeigte Synovitiden und Erosionen an mehreren Gelenken der Hände, zudem Tenosynovitiden mehrerer Flexoren- und Extensorensehnen. Gemäss den ACR/EULAR-Kriterien zur Klassifikation der RA war die Diagnose mit total 10 Punkten gesichert (benötigt werden ≥ 6 Punkte). Der Patient wurde mit Methotrexat (aufdosiert bis 20 mg pro Woche) behandelt. Da es jedoch immer wieder zu Schwellungen und Arbeitsausfällen kam, musste wiederholt Prednison zur Schubbehandlung eingesetzt werden. Während der Dosisreduktion zum Ausschleichen traten wiederholt Schübe auf. Weil Versuche, vom Prednison wegzukommen, misslangen, stellte sich die Frage nach einer geeigneten Therapieeskalation. Bei der Auswahl des Medikamentes galt es zu bedenken, dass der Patient grosse Angst vor Spritzen hatte. In dieser Konstellation bot sich ein Januskinaseinhibitor (JAK-Inhibitor) an, weil Vertreter dieser Klasse molekular gezielter Medikamente peroral gegeben werden können. JAKInhibitoren sind zur Therapie der mittelschweren bis schweren RA zugelassen, entweder in Kombination mit einem konventionellen krankheitsmodifizierenden Antirheumatikum (DMARD) oder als Monotherapie (wenn Methotrexat nicht
KURZ & BÜNDIG
Für die Therapie der rheumatoiden Arthritis stehen mit Tofacitinib und Baricitinib gut wirksame, molekular gezielte Medikamente zur Verfügung, die peroral eingenommen werden können.
Die Biologikatherapie mit TNF-α-Blockern kann bei ankylosierender Spondylitis nicht nur den Schmerz und die Entzündung reduzieren, sondern auch die Wirbelverknöcherung bremsen.
Auch der IL-17-Blocker Secukinumab kann zur Therapie der ankylosierenden Spondylitis eingesetzt werden.
in Betracht kommt, nicht vertragen wurde oder kein Ansprechen erreicht hat).
JAK-Inhibitoren in Aktion
Januskinasen sind Signaltransduktionsmoleküle, die intrazellulär an Zytokinrezeptoren hängen. JAK-Inhibitoren unterbrechen die Weiterleitung des Signals verschiedener Zytokine. Unter anderem wird so die Proliferation von Immunzellen und deren Zytokinproduktion reduziert, sodass die Entzündung abnimmt. Tofacitinib (Xeljanz®) ist ein JAK1/3Inhibitor und Baricitinib (Olumiant®) ein JAK1/2-Inhibitor. In Entwicklung befinden sich auch reine JAK1-Inhibitoren. In einer randomisierten, kontrollierten Monotherapiestudie erreichte Tofacitinib (5 mg zweimal täglich) nach 6 Monaten bei 25,5 Prozent und in der höheren Dosierung von 10 mg zweimal täglich bei 37,7 Prozent der Patienten mit RA ein ACR70-Ansprechen (1). In der Vergleichsgruppe, die mit Methotrexat (aufdosiert bis 20 mg pro Woche) behandelt wurde, lag die Rate des ACR70-Ansprechens signifikant niedriger (12,0%). Ein ACR20-Ansprechen konnte nach 6-monatiger Tofacitinib-Therapie bei 71,3 Prozent (5 mg zweimal täglich) beziehungsweise bei 76,1 Prozent (10 mg zweimal täglich) und mit Methotrexat bei 50,5 Prozent dokumentiert werden (1). Baricitinib wurde in einer randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudie bei RA-Patienten, die ungenügend auf Methotrexat angesprochen hatten, sowohl mit Plazebo als auch mit dem TNF-α-Blocker Adalimumab verglichen (2). Fast alle Patienten (> 99%) erhielten zusätzlich Methotrexat als Hintergrundbasistherapie. Nach 3 Monaten wurde mit Baricitinib bei 70 Prozent, mit Adalimumab bei 61 Prozent und mit Plazebo bei 40 Prozent ein ACR20-Ansprechen erreicht. Die Ansprechrate nahm mit Baricitinib bis zur Woche 20 noch weiter zu und blieb danach bis Woche 52 praktisch konstant (2).
Nebenwirkungen bei JAK-Inhibition
Bei der Behandlung mit JAK-Inhibitoren kann das Wegfallen von Zytokinwirkungen unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Zytokinrezeptoren werden nicht nur von Interleukinen (IL), welche die Lymphozytenproliferation regulieren, be-
24 CongressSelection Rheumatologie | November 2018
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nutzt, sondern auch von Stimulationsfaktoren der Hämatopoese wie GM-CSF (Granulozyten-Monozyten-Kolonie-stimulierender Faktor) und Erythropoietin. Bei JAK-Inhibition muss man dementsprechend mit Anämie, Leukopenie und Thrombopenie rechnen. Speziell bei Baricitinib kann es als Ausdruck einer Dysregulation zur Thrombozytose kommen. Bei Patienten mit Risikofaktoren für tiefe Venenthrombosen und Lungenembolie sei es ratsam, auf die Baricitinib-Therapie zu verzichten, so der Referent. Weil die Steuerung des C-reaktiven Proteins (CRP) durch IL-6 erfolgt, kann das CRP bei Blockierung des IL-6-Signalwegs durch JAK-Inhibition nicht mehr als zuverlässiger Biomarker herangezogen werden (JAK-Hemmung bewirkt CRP-Senkung). Regelmässige Cholesterinkontrollen und gegebenenfalls eine Statinbehandlung sind angezeigt, denn die JAK-Inhibition kann LDLCholesterin-Erhöhungen hervorrufen. Da die JAK-Inhibition mit einer erhöhten Rate von gastrointestinalen Perforationen in Verbindung gebracht werde, sei es bei Patienten mit einer Anamnese von Divertikulitis, Appendizitis oder MagenDarm-Perforation ratsam, auf eine andere Behandlung auszuweichen, so der Referent. Weil die Interferone alpha, beta und gamma als Faktoren des angeborenen Immunsystems ebenfalls Zytokinrezeptoren benutzen, ist die JAK-Hemmung mit einer Schwächung der Abwehr intrazellulärer Keime verbunden. Das Infektionsrisiko (z.B. mit Viren) und das Reaktivierungsrisiko latenter Infektionen (z.B. Herpes zoster) steigt. Vor Behandlungsbeginn ist ein Screening auf Hepatitis B und C sowie auf eine aktive oder latente Tuberkulose erforderlich.
Tragischer Fall mit axialer Entzündung und zunehmender Ankylosierung
Manigold schilderte den tragischen Fall eines 43-jährigen Patienten, der seit 20 Jahren an chronischen Rückenschmerzen litt und bei ungenügender Abklärung nur oberflächlich mit Acetylsalicylsäure zur Schmerzlinderung behandelt wurde. Der Patient berichtete über nächtliches, schmerzbedingtes Erwachen und Morgensteifigkeit von 3 Stunden – klare Hinweise auf ein entzündliches Problem. Bücken war zunehmend schwerer gefallen, Schuhebinden im Sitzen war schon seit 10 Jahren und Überschlagen der Beine seit 4 Jahren nicht mehr möglich. Ohne mit den Händen nachzuhelfen, konnte er aus dem Sitzen nicht mehr aufstehen. Seit 4 Jahren hatte er beim Autofahren Probleme mit dem Schulterblick. Zum Treppensteigen musste er den Handlauf benutzen. Bei der Untersuchung fiel eine starke Kyphosierung der Brustwirbelsäule auf. In Rückenlage konnte der Patient den Kopf nicht ablegen. Der Kinn-Sternum-Abstand betrug in Inklination 4 cm und in Reklination 17 cm. Es bestand eine Anämie, und das CRP war mit 15 mg/l, die Blutkörpersenkungsgeschwindigkeit mit 30 mm/h erhöht. Dieser Patient mit ankylosierender Spondylitis hätte viel von einer TNF-αBlocker-Behandlung profitieren können, so der Referent.
TNF-Blocker und Secukinumab zur Therapie der ankylosierenden Spondylitis
Konventionelle synthetische DMARD (z.B. Sulfosalazin, Methotrexat, Leflunomid) wirkten nur auf die periphere Spondylarthritis (z.B. auf Daktylitis, periphere Enthesitis), hätten aber keinen Einfluss auf die axiale Spondylarthritis,
betonte Manigold. Biologika wirken dagegen an der Wirbel-
säule und in der Peripherie. Mit Biologika können beide For-
men von axialer Spondylarthritis behandelt werden, sowohl
die ankylosierende Spondylitis als auch die nicht radiologi-
sche axiale Spondylarthritis (mit typischen klinischen Sym-
ptomen, aber ohne Hinweis im Röntgenbild oder MRI auf
Beteiligung des Rückens).
Zur Behandlung der ankylosierenden Spondylitis sind
TNF-α-Blocker gut etabliert. Neu konnte anhand von Daten
des nationalen SCQM-Registers (Swiss Clinical Quality
Management in Rheumatic Diseases) gezeigt werden, dass
TNF-α-Blocker die Ankylosierung bremsen können (3).
Durch Suppression der Entzündung mit TNF-α-Blockern
während mindestens 2 Jahren konnte das radiologische Pro-
gressionsrisiko deutlich reduziert werden (3). Der Nachweis,
dass diese Biologika die Wirbelverknöcherung bremsen kön-
nen, beendet eine lange Debatte, in der darüber diskutiert
wurde, ob TNF-Inhibitoren nur den Schmerz und die Ent-
zündung lindern oder ob sie auch das Fortschreiten der An-
kylosierung beeinflussen können.
Als weiteres Biologikum ist der IL-17-Blocker Secukinumab
(Cosentyx®) zur Behandlung erwachsener Patienten mit
schwerer, aktiver ankylosierender Spondylitis zugelassen
worden (bei unzureichendem Ansprechen auf konventionelle
Therapie, z.B. NSAR). In der randomisierten, plazebokon-
trollierten Doppelblindstudie MEASURE 3 konnte mit Secu-
kinumab eine rasche, während 52 Wochen anhaltende, signi-
fikante Besserung der Krankheitssymptome und -zeichen er-
reicht werden (4). Von den Patienten, die zuvor keinen
TNF-Blocker erhalten hatten, sprach ein grösserer Anteil auf
Secukinumab an (nach 16 Wochen ASAS20-Ansprechen bei
fast 65%), verglichen mit Patienten mit Versagen oder Unver-
träglichkeit einer vorgängigen TNF-Blocker-Therapie (nach
16 Wochen ASAS20-Ansprechen mit 300-mg-Dosierung
47%, mit 150-mg-Dosierung 41%; ASAS = Assessment of
SpondyloArthritis international Society) (4). Wenn Patienten
nach TNF-Blocker-Versagen mit Secukinumab behandelt
würden, seien alle 4 Wochen zwei subkutane Spritzen zu je
150 mg (statt nur eine Spritze) erforderlich, sagte der Refe-
rent.
L
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Lee EB et al.: Tofacitinib versus methotrexate in rheumatoid
arthritis. N Engl J Med 2014; 370: 2377–2386. 2. Taylor PC et al.: Baricitinib versus placebo or adalimumab in
rheumatoid arthritis. N Engl J Med 2017; 376: 652–662. 3. Molnar C et al.: TNF blockers inhibit spinal radiographic progres-
sion in ankylosing spondylitis by reducing disease activity: results from the Swiss Clinical Quality Management cohort. Ann Rheum Dis 2018; 77: 63–69. 4. Pavelka K et al.: Efficacy, safety, and tolerability of secukinumab in patients with active ankylosing spondylitis: a randomized, double-blind phase 3 study, MEASURE 3. Arthritis Res Ther 2017; 19: 285.
Quelle: Workshop «Neue Therapien bei Arthritis» an der Fortbildung «Rheuma Top 2018», 23. August 2018 in Pfäffikon SZ.
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