Transkript
SGR
Entzündliche Arthritis durch Tumortherapie
Interdisziplinäres Management erforderlich
Die Eröffnungssession des SGR-Kongresses drehte sich um klinische Aspekte der Tumorbehandlung mit Checkpoint-Inhibitoren. Spätestens beim Referat von Dr. Clifton O. Bingham III aus Baltimore (USA) wurde klar, weshalb dieses Thema seinen Platz im Programm einer rheumatologischen Veranstaltung hatte.
Als Einstieg in sein Referat fasste Bingham kurz die Prinzipien der Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren zusammen: «Bei einer physiologischen Immunantwort werden unsere T-Zellen aktiviert. Diese Aktivität wird mithilfe von verschiedenen Checkpoints überwacht und reguliert, sodass eine Immunantwort auch wieder gebremst werden kann. Tumorzellen nutzen diesen Mechanismus ebenfalls, damit sie dem Immunsystem entkommen können. Die therapeutisch eingesetzten Checkpoint-Inhibitoren nun lösen sozusagen die Bremse des Immunsystems und machen es den T-Zellen damit möglich, gegen die Tumorzellen vorzugehen.» Die Schattenseite dieses Prinzips ist, dass es in der Folge in verschiedensten Organen zu Off-target-Schäden kommen kann, den immunvermittelten Nebenwirkungen (immune-related adverse effects, irAE). «Dabei spielt es keine Rolle, welche Substanz wir einsetzen oder welche Tumorart wir damit bekämpfen, wir sehen stets solche Nebenwirkungen. Selbst bei neuen Checkpoint-Inhibitoren, die noch in klinischer Prüfung sind, sehen wir diese Effekte», so Bingham. Der Schweregrad der irAE variiert von mild bis lebensbedrohlich. «Einige immunvermittelte Nebenwirkungen treten bei bis zu 40 Prozent der Patienten auf», erläuterte er weiter. Risikofaktoren für irAE hätten bisher nicht identifiziert werden können. «In manchen Fällen erweisen sich die irAE aber auch als ein gutes prognostisches Zeichen für das Ansprechen auf die Therapie.»
Verschiedene Organe betroffen
Immunvermittelte Nebenwirkungen können in jedem Organsystem auftreten. Am häufigsten betroffen sind Haut, Gastrointestinaltrakt und endokrine Drüsen wie die Schilddrüse oder die Hypophyse, seltener die Lunge (1). Bingham ging kurz auf die generellen Therapieprinzipien der irAE ein. Nicht rheumatologische irAE werden in der Regel mit Steroiden behandelt (1). «In der Behandlung einer steroidrefraktären Kolitis hat sich Infliximab als wirksam erwiesen. Hier werden oft nur ein bis zwei Dosen benötigt», führte er aus. Bei irAE vom Grad 3 sollte die Therapie unterbrochen und bei Grad 4 ganz abgesetzt werden. «Von besonderer Bedeutung ist, dass die Patienten oft erst bei einer Nebenwirkung vom Grad 3 an einen Organspezialisten überwiesen werden. In der Rheumatologie bedeutet dies jedoch, dass die Patienten bereits unter Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens leiden», machte er deutlich.
Entzündliche Arthritis als Folge der Immuntherapie
Rheumatologische irAE werden vermehrt als eigenständige klinische Entitäten wahrgenommen (2). Gemäss einer Fallserie entwickelten von 13 mit Nivolumab und/oder Ipilimumab behandelten Patienten 9 eine entzündliche Arthritis (Rheumafaktor- und ACPA-negativ) sowie 4 ein Sicca-Syndrom (3). Bei den Patienten mit Sicca-Syndrom war die Mundtrockenheit jeweils ausgeprägter als die trockenen Augen. Im Weiteren wurden Fälle einer Riesenzellarteriitis (mittels Biopsie bestätigt) und einer Lupus-Nephritis beschrieben sowie einzelne Fälle einer Polymyositis und Dermatomyositis (4–6). «Kommt es unter der Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren zu einer Arthritis, so sind in den meisten Fällen zuerst die mittleren bis grossen Gelenke, vor allem Knie, Sprunggelenke und Schultern, betroffen. Jedoch sehen wir bei etlichen Patienten auch die kleinen Gelenke als ersten Manifestationsort», beschrieb Bingham. Typisch sei, dass dabei schon früh, innerhalb von Monaten, Erosionen auftreten würden. «Der Phänotyp dieser Arthritis ist extrem aggressiv und zerstörerisch», betonte er. «Diese Arthritiden können innerhalb eines grossen Zeitraums auftreten – bei einigen Patienten bereits rasch nach Beginn der Therapie, bei anderen erst nach einem Jahr oder später.» In einer aktuellen Studie wurde untersucht, ob sich das klinische Bild einer Arthritis bei Patienten, die mit einer Checkpoint-Inhibitoren-Monotherapie (Anti-PD-1 oder -PD-L1) behandelt werden, vom dem bei einer Kombinationsbehandlung (Anti-CTLA4 plus Anti-PD-1) unterscheidet (7). Dabei zeige sich, dass in der Gruppe mit Kombinationstherapie das Kniegelenk häufiger betroffen war als in der Gruppe mit Monotherapie. Die kleinen Gelenke dagegen waren unter Monotherapie mehr als doppelt so häufig betroffen wie unter Kombinationstherapie. Daneben wiesen die Patienten der Gruppe mit Kombinationstherapie höhere CRP-Spiegel und eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, bereits eine weitere immunvermittelte Nebenwirkung erlitten zu haben. Steroide mussten bei 62 Prozent der Patienten in der Monotherapiegruppe und 85 Prozent der Patienten in der Gruppe mit Kombinationstherapie eingesetzt werden. Der Anteil an Patienten, die neben Steroiden eine weitere Immunsuppression benötigten (TNF-α-Blocker und/oder Methotrexat), war in der Gruppe der Patienten mit Kombinationstherapie signifikant höher.
CongressSelection Rheumatologie | November 2018
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SGR
CTCAE-Grad
1 • Milde Gelenkschmerzen • Entzündungssymptome • Gelenkschwellung
Untersuchungen
Management
Follow-up
• Untersuchung Gelenk
(Schwellung, Schmerzhaftigkeit)
• Funktionelles Assessment • Überweisung an Rheumatologen
in Betracht ziehen
Immuntherapie weiterführen
• NSAR • Falls NSAR nicht wirken, Prednison
10–20 mg täglich für 2 bis 4 Wochen
• Intraartikuläre Steroide in Betracht ziehen
(nur falls ≤ 2 Gelenke betroffen und
tief dosiertes Prednison [10 mg/Tag]
und NSAR nicht wirksam)
• Falls keine Besserung in 2 bis 4 Wochen
→ zu Grad-2-Management übergehen
• Fortlaufende rheumatologische
Untersuchungen (2 Wochen, 4 Wochen, dann 4 bis 6 Wochen)
• Funktionelles Assessment
2 • Milde/moderate
Gelenkschmerzen
• Entzündungssymptome • Einschränkungen in den
instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens
3+ • Starke Gelenkschmerzen • Entzündungssymptome • Gelenkschwellung • Einschränkungen in den
selbstversorgenden Aktivitäten des täglichen Lebens
• +/- irreversible Gelenkschäden
• Untersuchung Gelenk
(Schwellung, Schmerzhaftigkeit)
• Funktionelles Assessment • Überweisung
an Rheumatologen
• Labor:
– ANA
– RF
– CCP
– ESR/CRP
• Bildgebung in Betracht ziehen
– Röntgen betroffener Gelenke
• Muskuloskelettalen Ultraschall
in Betracht ziehen
Unterbrechung der Immuntherapie
in Betracht ziehen
• Überweisung an Rheumatologen • Prednison 20 mg täglich für 2 bis 4 Wochen • Falls kein Ansprechen innerhalb von
2 bis 4 Wochen, Prednison auf
1 mg/kg/Tag (oder äquivalent) erhöhen
und zum Management Grad 3
übergehen
• Falls sich Symptome verbessern,
Steroide über 4 bis 8 Wochen, oder bis Grad 1 erreicht, ausschleichen
Unterbrechung der Immuntherapie
• Überweisung an Rheumatologen • Prednison 1 mg/kg/Tag (oder äquivalent)
für 2 bis 4 Wochen oder bis zur
Rückbildung der Symptome auf Grad 1
• Zusätzliche Immunsuppression
in Betracht ziehen (z.B. TNF-α-Hemmer, MTX, Sulfasalazin, Leflunomid)
• Falls sich Symptome verbessern,
Steroide über 4 bis 8 Wochen, oder bis Grad 1 erreicht, ausschleichen
• Falls sich Symptome über 4 bis
6 Wochen nicht verbessern: Immuntherapie abbrechen
Abbildung: Algorithmus zur Behandlung bei einer immunvermittelten entzündlichen Arthritis (8, adaptiert von [9])
«Solche Beobachtungen sind wichtig und könnten uns dabei helfen, diese Nebenwirkungen zu erkennen und entsprechend zu behandeln», meinte der Redner.
Behandlung immunvermittelter, entzündlicher Arthritiden
«Ziel unserer Behandlung der Nebenwirkungen soll sein, dass die Patienten mit der Immuntherapie so lange wie möglich fortfahren und so hoffentlich ihre Tumorerkrankung besiegen können», führte Bingham weiter aus. Er machte deutlich, dass der intraartikuläre Einsatz von Steroiden nicht in allen Fällen einer immunvermittelten Arthritis eine ausreichende Wirkung zeigt. «Wenn wir dann systemische Steroide einsetzen müssen, kann die notwendige Dosis mit 40 bis 120 mg doch beträchtlich sein.» Sie hätten auch schon konventionelle DMARD wie Hydroxychloroquin, Sulfasalazin, Methotrexat und Leflumonid eingesetzt, allerdings würden diese nur langsam wirken. In manchen Fällen sei jedoch eine raschere Besserung notwendig. «Unter den Biologika liegen am meisten Erfahrungen zu den TNF-α-Blockern vor. Ihr Einsatz sollte jedoch stets mit dem behandelnden Onkologen besprochen werden.»
Vor Kurzem wurde ein überarbeiteter Algorithmus zur The-
rapie der immunvermittelten entzündlichen Arthritis publi-
ziert (Abbildung) (8, 9). «Wir haben in dieser adaptierten
Version die Überweisung an den Rheumatologen bereits ab
dem Schweregrad 2 vorgesehen», erläuterte Bingham. Ab-
schliessend betonte er nochmals, wie wichtig die Zusammen-
arbeit zwischen Onkologen und Rheumatologen beim Ma-
nagement von Patienten mit immunvermittelten Nebenwir-
kungen ist: «Jeder bringt hier sein spezifisches Fachwissen
mit. Im Falle des Rheumatologen sind es Kenntnisse in Bezug
auf immunsuppressive Therapien, multisystemische ent-
zündliche Erkrankungen oder auch ganz praktische Dinge
wie ein Infektionsscreening.»
L
Therese Schwender
Quelle: Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie, 30. bis 31. August 2018 in Interlaken.
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Referenzen: 1. Michot JM et al.: Immune-related adverse events with immune
checkpoint blockade: a comprehensive review. Eur J Cancer 2016; 54: 139–148. 2. Cappelli LC et al.: Cancer immunotherapy-induced rheumatic diseases emerge as new clinical entities. RMD Open 2016; 2(2): e000321. 3. Cappelli LC et al.: Inflammatory arthritis and sicca syndrome induced by nivolumab and ipilimumab. Ann Rheum Dis 2017; 76(1): 43–50. 4. Goldstein BL et al.: Drug-associated polymyalgia rheumatica/ giant cell arteritis occurring in two patients after treatment with ipilimumab, an antagonist of CTLA-4. Arthritis Rheumatol 2014; 66(3): 768–769. 5. Fadel F et al.: Anti-CTLA4 antibody-induced lupus nephritis. N Engl J Med 2009; 361(2): 211–212. 6. Sheik Ali S et al.: Drug-associated dermatomyositis following ipilimumab therapy: A novel immune-mediated adverse event associated with cytotoxic T-lymphocyte antigen 4 blockade. JAMA Dermatol 2015; 151(2): 195–199. 7. Cappelli LC et al.: Clinical presentation of immune checkpoint inhibitor-induced inflammatory arthritis differs by immunotherapy regimen. Semin Arthritis Rheum 2018; pii: S00490172(18)30042-8. (Epub ahead of print). 8. Puzanov I et al.: Managing toxicities associated with immune checkpoint inhibitors: consensus recommendations from the Society for Immunotherapy of Cancer (SITC) Toxicity Management Working Group. J Immunother Cancer 2017; 5(1): 95. 9. Naidoo J et al.: Inflammatory Arthritis: A Newly Recognized Adverse Event of Immune Checkpoint Blockade. Oncologist 2017; 22(6): 627–630.
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