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SGR
Gicht
Neue und altbewährte Ansätze
Als metabolische Wohlstandskrankheit ist die Gicht momentan auf dem Vormarsch. Die gute Nachricht: Auch therapeutisch gibt es einige neue Entwicklungen, die eine effektive Senkung des Harnsäurespiegels ermöglichen. Zum heutigen pathophysiologischen Verständnis und zu den neuen Therapieoptionen gab PD Dr. Anne-Kathrin Tausche aus Dresden (D) ein Update.
Gicht ist eine metabolische Erkrankung, die niemals ohne Hyperurikämie auftritt. Diese pathophysiologische Voraussetzung werde immer noch sehr häufig vergessen, sagte Tausche. Mit der Verbesserung des Wohlstandes und den damit einhergehenden Veränderungen der Ernährung haben nicht nur die Hyperurikämie, sondern auch die Häufigkeit der Gicht sowie der durch Gicht verursachten stationären Aufenthalte zugenommen. Als Ursachen von Hyperurikämie und Gicht werden sowohl bei Ärzten als auch in der Allgemeinbevölkerung vor allem Fleisch- und Alkoholkonsum identifiziert. Neu ist die Erkenntnis, dass die Genetik ebenfalls eine wesentliche Rolle spielt. So konnte gezeigt werden, dass die Veranlagung zur eingeschränkten Urat-Exkretion genetisch vererbt wird (1). Ein Aspekt, der die Zunahme der Gicht erklärt, ist der starke Anstieg der Niereninsuffizienz. Bereits mit einer moderaten Niereninsuffizienz wird das Risiko für die Entwicklung einer Gicht um den Faktor 5,9 erhöht (2). Schliesslich wird die Gicht auch durch verschiedene Medikamente – und hier in erster Hinsicht durch Diuretika – gefördert (3).
Neue deutsche Leitlinie
Im vergangenen Jahr wurde die deutsche Leitlinie zur Gicht veröffentlicht (4). Darin wird unter anderem betont, dass die typische Gicht in erster Linie eine klinische Diagnose ist. Die Herausforderung bilden allerdings die atypischen Präsentationen. Wichtig ist hier die Unterscheidung zur septischen Arthritis, die mittels einer Arthrozentese eines betroffenen Gelenks erfolgen kann. Mit einer Mikrobiologie kann die septische Arthritis ausgeschlossen, mit einer Mikroskopie und dem Nachweis von Uratkristallen die Gichtdiagnose gesichert werden.
Therapie – akut Antiinflammation, langfristig Uratsenkung
Die Entzündung bei der Gicht ist ein autoinflammatorischer Prozess, der über die Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms und die Freisetzung von Interleukin 1β getriggert wird (5). Auslöser dieser autoinflammatorischen Reaktion sind die Uratkristalle. Im Gichtanfall erfolgt eine rein symptomatische Therapie mit Kühlung des betroffenen Gelenks und nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR). Der Einsatz von Colchicin sei «ein emotionales Thema», das unterschiedlich gehandhabt werde, betonte Tausche. In niedrigen Dosierungen hat Colchicin eine gute Wirkung bei nur geringen Nebenwirkungen, so ihre Er-
fahrung. Dagegen sollte eine Tagesdosis von 8 mg niemals
überschritten werden (6). Erst im letzten Jahr wurde in
Deutschland eine akzidentelle Überdosierung von Colchicin
mit Todesfolge beschrieben (7). Eine weitere Option sind Glu-
kokortikoide – sie sollten mit einer Anfangsdosis von 30 mg
Prednisolon-Äquivalent pro Tag gestartet werden; anschlies-
send wird täglich um 10 mg/Tag reduziert (8). Als neueste
Option ist nun auch die einmalige Gabe von Canakinumab
(150 mg s.c.) möglich, wenn alle anderen Optionen nicht hel-
fen; diese Therapie sollte allerdings immer zusammen mit dem
Start einer uratsenkenden Behandlung erfolgen (9).
In der uratsenkenden Langzeittherapie ist nach wie vor die
uratarme Diät die erste Säule. In der medikamentösen Thera-
pie bilden die Xanthinoxidase-Inhibitoren Allopurinol und
Febuxostat die Optionen zur Erstlinientherapie. In der
Zweitlinienbehandlung kommen Urikosurika sowie die
Kombination beider Therapieprinzipien zum Einsatz.
Eine neue Substanz aus der Gruppe der Urikosurika ist Lesi-
nurad, das sich in Phase-III-Studien als Kombinationspartner
für Xanthinoxidase-Inhibitoren bewährt hat. Dagegen wur-
de die Monotherapie-Studie mit Lesinurad wegen unklarer
renaler Nebenwirkungen abgebrochen.
Die uratsenkende Therapie erfolgt heute nach dem Treat-to-
Target-Prinzip. Als Therapieziel gilt eine Senkung unter
360 µmol/l (< 6 mg/dl), bei Vorliegen von Gichttophi sollte sogar unter 300 µmol/l (< 5 mg/dl) gesenkt werden (4, 10). Bei Beginn der harnsäuresenkenden Therapie sei eine Anfalls- prophylaxe essenziell, betonte Tausche, weil man durch das Lösen der Depots Gichtanflälle provozieren könne. Hierzu gibt es gute Daten zu niedrig dosiertem Colchicin (0,5 mg, ein- bis zweimal pro Tag, über 5 Monate). Laborchemisch sollten die Serumharnsäure sowie die Leber- und Nierenwerte kon- trolliert werden – und zwar initial alle 2 bis 4 Wochen, später alle 3 Monate. Denn etwa 80 Prozent der Gichtpatienten haben komplexe metabolische Probleme. Es gelte daher, bei den Betroffenen auch alle anderen metabolischen Erkrankun- gen zu erfassen und zu behandeln, forderte Tausche. L Adela Žatecky Quelle: Symposium «Kristallarthropathien» beim Jahrestreffen der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR), 30. August 2018 in Interlaken. 2 CongressSelection Rheumatologie | November 2018 Referenzen: 1. Köttgen A et al.: Genome-wide association analyses identify 18 new loci associated with serum urate concentrations. Nat Genet 2013; 45(2): 145–154. 2. Krishan E: Reduced glomerular function and prevalence of gout. NHANES 2009–10. PLoS One 2012; 7(11): e50046. 3. Bruderer S et al.: Use of diuretics and risk of incident gout: a population-based case-control study. Arthritis Rheumatology 2014; 66(1): 185–196. 4. Kiltz U et al.: Langfassung zur S2e-Leitlinie Gichtarthritis (fachärztlich). dgrh.de/dam/jcr:fb74117e-e706-49d7-9e92-d72f4 cca9489/20160712_Langfassung_Gicht.pdf. 5. Martinon F, Tschop J: Gout-associated uric acid crystals activate the NALP3 inflammasome. Nature 2006; 440(7081): 237–241. 6. Terkeltaub RA et al.: High versus low dosing of oral colchicine for early acute gout flare: Twenty-four-hour outcome of the first multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled, parallelgroup, dose-comparison colchicine study. Arthritis Rheum 2010; 62(4): 1060–1068. 7. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Akzidentelle Überdosierung von Colchicin mit Todesfolge. Deutsches Ärzteblatt 2017; 114(3): A96–A97. 8. Janssens HJ et al.: Use of oral prednisolone or naproxen for the treatment of gout arthritis: a double-blind, randomised equivalence trial. Lancet 2008; 371(9627): 1854–1860. 9. Schlesinger N et al.: Canakinumab for acute gouty arthritis in patients with limited treatment options: results from two randomised, multicentre, active-controlled, double-blind trials and their initial extensions. Ann Rheum Dis 2012; 71(11): 1839–1848. 10. Richette P et al.: 2016 updated EULAR evidence-based recommendations for the management of gout. Ann Rheum Dis 2017; 76(1): 29–42. SGR CongressSelection Rheumatologie | November 2018 3