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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Ernährungsmedizin
Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren enttäuschen in Studien
Am Kongress der American Heart Association (AHA) in Chicago wurden vor wenigen Tagen die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der VITAL-Studie vorgestellt und zugleich in der Zeitschrift «New England Journal of Medicine» publiziert. Um es kurz zu machen: Weder Vitamin D noch Omega-3-Fettsäuren schützen vor HerzKreislauf-Ereignissen oder Krebs. In die plazebokontrollierte, randomisierte Studie wurden von 2013 bis 2014 in den USA rund 25 000 Personen eingeschlossen (Männer ab dem 50., Frauen ab dem 55. Lebensjahr). Das Follow-up betrug im Mittel 5,3 Jahre. Die Teilnehmer hatten bei Studieneintritt keine kardiovaskuläre Erkrankung oder KarzinomVorgeschichte mit Ausnahme von NichtMelanom-Hautkrebs. Getestet wurden Vitamin D3 (2000 IE/Tag Cholecalciferol) und Omega-3-Fettsäuren (1 g/Tag). Es gab vier randomisierte Gruppen. Sie erhielten entweder Vitamin D3 plus Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D3 plus Plazebo, Omega-3Fettsäuren plus Plazebo oder zwei Plazebos.
Die primären Endpunkte waren ernste kardiovaskuläre Ereignisse (MACE: kombinierter Endpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär bedingtem Tod) sowie das Auftreten von invasivem Krebs. Sekundäre kardiovaskuläre Endpunkte waren koronare Revaskularisation und individuelle Komponenten der MACE. Bezüglich der Tumoren hatte man bestimmte Krebsarten und krebsbedingte Todesfälle als sekundäre Endpunkte definiert. Bei den primären Endpunkten fand sich weder fürVitamin D3 noch für die Omega-3Fettsäuren eine positive Wirksamkeit. Dieses negative Endresultat mag bei Betrachtung der primären Endpunkte für viele ernüchternd sein, wurde aber von vielen Wissenschaftlern schon länger vermutet. Die Auswertungen diverser Subgruppen und sekundärer Endpunkte sind zum Teil bereits erfolgt, weitere sind zu erwarten. So zeigte sich beispielsweise, dass die Rate an Myokardinfarkten, für sich allein betrachtet, unter Omega-3-Fettsäuren um 28 Prozent abnahm. Bei den rund
5000 schwarzen Studienteilnehmern sank sie mit Omega-3-Fettsäuren gar um 77 Prozent. Unter Vitamin D gab es auch ein «Signal» für einen Rückgang an Krebstodesfällen. Den Kardiologen Dr. Steven Nissen von der Cleveland Clinic in Ohio beeindruckt das alles nicht. Es handele sich dabei nur um «Subanalysen von Subanalysen oder von sekundären Endpunkten», welche allenfalls hypothesengenerierend seien aber mangels ausreichender Evidenz weder die Guidelines noch das Handeln in der Praxis verändern würden, sagte er gegenüber dem Nachrichtenportal Medscape.
Helmut Schatz/red L
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, https:// blog.endokrinologie.net Manson JE et al. for the VITAL Research Group: Vitamin D supplements and prevention of cancer and cardiovascular disease. N Engl J Med 2018, online Nov 10, 2018. Manson JE et al. for the VITAL Research Group: Marine n-3 fatty acids and prevention of cardiovascular disease and cancer. N Engl J Med 2018, online Nov 10, 2018.
Kardiologie
Luftverschmutzung, Lärm und Herzinfarktrisiko in der Schweiz
Lärmmessung am Spalentor in Basel
(Foto: ©Swiss TPH)
Werden die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung untersucht, ohne die gleichzeitige Lärmbelastung ausreichend zu berücksichtigen, könnte der schädigende Effekt der Luftverschmutzung überschätzt werden. Dies ergab eine Studie des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts (Swiss TPH). Die Studienautoren untersuchten die kombinierten Auswirkungen von Luftver-
schmutzung und Verkehrslärm auf die Herzinfarktmortalität an Wohnorten in der gesamten Schweiz (Todesfälle von 2000 bis 2008). Betrachtet man nur die Feinstaubbelastung (PM2,5), so scheint das Risiko für einen Herzinfarkt pro 10 µg/m3 Zunahme der Langzeitkonzentration am Wohnort um 5,2 Prozent zu wachsen. Studien, die auch Verkehrslärm berücksichtigen, verdeutlichen jedoch, dass das Herzinfarktrisiko durch Feinstaub in der Realität geringer steigt, nämlich um 1,9 Prozent pro Erhöhung um 10 µg/m3. «Unsere Studie zeigte, dass Verkehrslärm, je nach Quelle, das Risiko für einen Herzinfarkt um 2 bis 3,4 Prozent pro 10 Dezibel Erhöhung des durchschnittlichen Schalldruckpegels zu Hause erhöht», sagte Martin Röösli, Studienleiter und Leiter der Abteilung für Umweltexposition und Gesundheit am Swiss TPH: «Auffallend ist, dass die Auswirkungen von Lärm unabhängig von der Luftverschmutzung waren.»
Die Studie ergab auch, dass Menschen, die sowohl Luftverschmutzung als auch Lärm ausgesetzt sind, das höchste Risiko für einen Herzinfarkt haben. Das bedeutet, dass sich die Auswirkungen von Luftverschmutzung und Lärm addieren. «Die öffentliche Diskussion konzentriert sich oft auf die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung oder Lärm, berücksichtigt aber nicht die kombinierten Auswirkungen», so Röösli. «Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass beide Expositionen gleichzeitig berücksichtigt werden müssen.» Dies habe Auswirkungen sowohl auf die Politik als auch auf die zukünftige Forschung.
Swiss TPH/red L
Héritier H et al.: A systematic analysis of mutual effects of transportation noise and air pollution exposure on myocardial infarction mortality: a nationwide cohort study in Switzerland. Eur Heart J 2018; published online Oct 24, 2018.
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ARS MEDICI 23 | 2018
© pixabay.com
Psychologie
Nur ein einziges Wort genügt
Rückspiegel
Ein einziges Wort zu hören, ohne eine Person dabei zu sehen, genügt offenbar bereits für das erste Urteil über ihre Persönlichkeit. Zu diesem Ergebnis kommt ein Psychologenteam an der Universität Glasgow. Dass die Stimme für den ersten Eindruck von Vertrauenswürdigkeit, Dominanz und Attraktivität enorm wichtig ist, wusste man bereits. Dass dafür aber bereits eine halbe Sekunde genügt, ein einziges Wort,
ist die neue Erkenntnis aus dieser Studie, in der 181 Probanden, die meisten davon Frauen, jeweils 30 Frauen- und 30 Männerstimmen beurteilten. Sie hörten einzelne Worte oder einen kurzen Satz mit neutralem oder emotionalem Inhalt. Wie sich herausstellte, spielte es für die Persönlichkeitseinschätzung anhand der kurzen Audio-Schnipsel (500 ms für das Wort, 3 Sekunden für den Satz) überhaupt keine Rolle, was gesagt wurde, sondern nur wie sich die Stimme anhörte. Die Probanden waren sich in ihrem Urteil erstaunlich einig, ohne dass man genau sagen kann, welche Faktoren dafür entscheidend waren. Aus Studien mit längeren Stimmproben weiss man zwar, dass bestimmte Stimmlagen bevorzugt werden, dabei spielen aber auch die persönlichen Einstellungen des Probanden sowie der Inhalt des Gesagten (neutral oder emotional) eine Rolle. Bei den ultrakurze Stimmproben schien das nicht so zu sein. Für die erste, unmittelbare Bewertung ist offenbar bereits ein einziger Laut massgebend, der rein intuitiv und von den meisten Menschen, zumindest innerhalb desselben Kulturkreises, ähnlich beurteilt wird.
RBO L
Mahrholz G et al.: Judgements of a speaker’s personality are correlated across differing content and stimulus type. PLoS ONE 2018; 13(10): e0204991.
HNO
Kleinkind hört dank Hirnstammimplantat
Zum ersten Mal in der Schweiz wurde am Universitätsspital Zürich (USZ) einem gehörlosen, dreijährigen Kleinkind ein Hirnstammimplantat eingesetzt. Der Junge kam ohne Gehörnerven zur Welt. Hirnstammimplantate sind eine besondere Form von Hörimplantaten. Sie werden in der Regel bei Erwachsenen eingesetzt, bei denen Cochlea-Implantate nicht verwendet werden können, weil die Hörnerven zum Beispiel durch eine Tumorerkrankung, durch Degeneration oder nach einer Entzündung nicht mehr funktionieren. Anders als bei den Cochlea-Implantaten werden bei einem Hirnstammimplantat die Elektroden zur Hörreizübertragung direkt am Hirnstamm angebracht. Das Einsetzen der Elektroden am Hirnstamm ist eine anspruchsvolle Operation. Wichtige
Nerven können verletzt werden, falls das Im-
plantat während der Operation oder später ver-
rutscht. Den Eingriff führte ein Team aus der
ORL und Neurochirurgen des USZ im August
durch. Dem jungen Patienten geht es heute gut.
Erste Tests zeigten, dass er dank des Implantats
auditive Reize wahrnehmen kann und auf Töne,
Geräusche und Sprache reagiert. Das Hörerle-
ben mit einem Implantat ist aber nur begrenzt
mit dem eines gesunden Gehörs vergleichbar.
Das Gehirn muss erst lernen, die empfangenen
Reize richtig zu interpretieren. .
USZ/red L
Pressemitteilung des Universitätsspitals Zürich vom 8. November 2018
Vor 10 Jahren
HIV-Impfung gescheitert
Nachdem die HIV-Impfung mit einem modifizierten Adenovirus bei Affen erfolgreich war, wird nun die Hoffnung auf eine wirksame HIV-Impfung beim Menschen enttäuscht. Die Vakzine versagen in einer plazebokontrollierten Studie mit 3000 Probanden in Nord- und Südamerika, der Karibik und Australien. Die Studie wird vorzeitig abgebrochen, weil sich kein Unterschied in der HIV-Infektionsrate abzeichnet.
Vor 50 Jahren
Warnung vor billigem Schnaps
Das Schweizerische Komitee gegen den Alkoholismus fordert den Bundesrat auf, Schnaps höher zu besteuern, um dessen Konsum zu mindern oder zumindest nicht über das aktuelle Niveau ansteigen zu lassen. Grund für das Postulat ist die Aufhebung der Preisbindung für Markenspirituosen, sodass Schnaps nun um bis zu 40 Prozent billiger zu haben ist. Der Bundesrat dürfe dieser «die Volksgesundheit bedrohenden Entwicklung» nicht untätig zusehen sondern müsse entsprechende Gesetze erlassen, damit «Einfuhr und Verbrauch von Trinkbranntwein vermindert werden».
Vor 100 Jahren
Was tun bei Grippe?
Die zweite Welle der Spanischen Grippe
wütet in Europa. In ARS MEDICI tauschen
sich Ärzte über mehr oder minder erfolg-
reiche Behandlungsversuche aus. Unter
anderem empfiehlt man Trikresol-Einreibun-
gen, Urotropin oral oder i.v., Neosalvarsan
oder Kalomel. Abgeraten wird von Alkohol
als Grippeprophylaxe. In therapeutischer
Hinsicht wirke Alkohol «bloss als Herztoni-
kum». Zwar leiste er «Vorzügliches bei den
leichten Myokardermüdungen und Pneumo-
nien als Komplikation der Grippe», doch
fehle der Beweis einer spezifischen Wirkung
des Alkohols «auf die Bakterien der Grippe».
Über den wahren Erreger der Influenza ist
man sich nicht im Klaren. Erst 1933 wird
das Grippevirus von britischen Forschern
identifiziert. Sie injizieren Nasen- und
Rachensekret eines erkrankten Forschers in
ein Frettchen, das daraufhin an Influenza
erkrankt.
RBO L
ARS MEDICI 23 | 2018