Transkript
Pflanzliche Ernährung hat kardial viel Potenzial
Überlebt es sich vegetarisch besser?
BERICHT
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind in der industrialisierten Welt zur Volkskrankheit geworden. Eine bessere Primärprävention wäre essenziell. Dass modifizierbare Risikofaktoren auch über die Ernährung beeinflusst werden können, zeigen die Daten von Vegetariern eindrücklich. Warum sie kardiovaskulär gesünder sind, erklärte Prof. Paolo Suter, Innere Medizin, Universitätsspital Zürich, am 16. Zürcher Review-Kurs in klinischer Kardiologie.
Mit dem medizinischen Fortschritt in der Kar-
diologie ist die Todesrate infolge Herzinfarkt in
der Schweiz in den letzten 20 Jahren eindrück-
lich gesunken (1), dafür steigen kardiovaskulä-
ren Erkrankungen kontinuierlich an. Man er-
krankt am Herzen, aber man stirbt nicht mehr
so schnell daran. Hinsichtlich der Frage, wie die
Erkrankung per se zu verhindern oder hinaus-
zuzögern sei, rücken die modifizierbaren Risi-
kofaktoren wie beispielsweise die Hypertonie
Prof. Paolo Suter
in den Fokus. In bestimmten Weltregionen wie
zum Beispiel in Mali steigt der Blutdruck mit
dem Alter nicht an, während das aber in den USA oder bei uns
durchaus der Fall ist. Die Frage stellt sich also, ob eine pflanz-
liche Ernährungsweise wie in Mali in der Primärprävention
von Hypertonie oder Herzinsuffizienz eine Rolle spielt.
Dies untersuchte eine Studie bei normalen Mäusen und sol-
chen, die so verändert wurden, dass sie im Alter zwingend
eine Hypertonie entwickeln. Deren Fütterung mit viel Nah-
rungsfasern bewirkte im Vergleich zur normalen Kost selbst
bei den auf Hypertonie programmierten Mäusen keinen
Blutdruckanstieg im Alter (2). Der Grund dafür liegt gemäss
Suter im Mikrobiom, das aus kurzkettigen Fettsäuren viel
Acetat und Propionat produziert, die über verschiedene Re-
zeptoren blutdrucksenkend wirken (2). Dass das auch für
Menschen relevant sein könnte, zeigte eine vier Jahre dau-
ernde chinesische Studie mit über 500 000 Probanden. Ihr
KURZ & BÜNDIG
TMAO (Trimethylamin-N-Oxid) ist atherogen, stammt aus Fischkonsum oder entsteht in der Leber nach Verzehr von Fleisch und Eiern.
Erhöhte TMAO-Spiegel stehen in Zusammenhang mit einem höheren kardiovaskulären Risiko.
Allicin aus frischem Knoblauch wie auch pflanzliche Fasern reduzieren den TMAO-Spiegel.
Blutdruck sank in Abhängigkeit der Anzahl konsumierter frischer Früchte pro Monat, Woche oder Tag. In der Gruppe mit täglichem Fruchtkonsum versus keine Früchte betrug die Hazard Ratio (HR) für kardiovaskuläre Events 0,75, jene für kardiovaskulären Tod 0,6 (3). In krassem Gegensatz dazu ist mit einer amerikanischen «Southern diet», bestehend aus Eiern, Brot, Fleisch, verarbeitetem Fleisch, Pommes frites, weiterem Frittiertem sowie zuckerhaltigen Getränken, die Wahrscheinlichkeit für ein Überleben ohne akute koronare Erkrankung im Vergleich zu einer pflanzlich basierten Ernährung um etwa 60 Prozent tiefer (4).
Leben Vegetarier länger?
Eine britische Studie untersuchte die Gesamtmortalität bei den verschiedenen Essergruppen, wie Fleischessern, Fischessern, Vegetariern und Veganern, und fand keinen Unterschied (5). Das steht im Einklang mit anderen europäischen Vegetarierstudien, jedoch nicht mit amerikanischen Adventistenstudien, deren Teilnehmer nach strengen Regeln leben und sich ebenfalls vegetarisch ernähren. Wie eine grosse Metaanalyse zeigte, leben die Adventisten im Durchschnitt zehn Jahre länger als europäische Vegetarier. Aber alle Vegetarier hatten im Vergleich zu Nichtvegetariern ein deutlich tieferes Risiko für ischämische Herzerkrankungen (HR: 0,71) (Adventisten: HR: 0,60, europäische Vegetarier HR: 0,84) (6).
TMAO fördert Atherosklerose
Die ungünstigere Wirkung einer tierischen Ernährung könnte mit der Substanz Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) zu tun haben, die beim Verzehr von Eiern (Cholin) und Fleisch (Carnitin) über das von Darmbakterien produzierte TMA in der Leber synthetisiert oder via Fischverzehr direkt zugeführt wird. Erhöhte TMAO-Spiegel stehen in Zusammenhang mit einem höheren Risiko für grössere kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, Hirnschlag, Tod über drei Jahre gesehen, wie eine Studie gezeigt hatte (7). Omnivoren haben eine höhere TMAO-Konzetration als Vegetarier und zeigen eine höhere prothrombotische Aktivität. Interessanterweise ist auch die antithrombotische Wirkung von Acetylsalicylsäure bei Omnivoren viel schlechter als bei Vegetarieren (8).
ARS MEDICI 22 | 2018
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BERICHT
Knoblauch und Fasern
Die grosse Frage ist nun, wie sich TMAO-Spiegel senken lassen. Durch die Hemmung der TMA-Lyase kann die Umwandlung von TMA zu TMAO unterbunden werden. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Im Tierversuch konnte beispielsweise mit dem Cholinanalogon Dimethylbutanol (DMB) die Produktion von TMA sowie von TMAO gedrosselt werden. Die Mäuse entwickelten mit DMB trotz cholinreicher oder carnitinreicher Diät weniger atherosklerosefördende Schaumzellen (9). Einen ähnlichen Effekt hat die im Knoblauch enthaltene Substanz Allicin. Diese entfaltet in frischem Knoblauch eine antimikrobielle Wirkung und damit eine hemmende Wirkung auf die TMA-produzierenden Bakterien. Im Mausversuch hatten mit Carnitin gefütterte Mäuse nach Knoblauchzusatz gleich tiefe TMAO-Plasmaspiegel wie die Kontrollgruppe ohne Carnitinfutter. Die Autoren dieser Studie folgern daraus, dass ein Zusatz von frischem Knoblauch zu einem Fleischmenü die TMAO-Produktion tief halten und dies etwas zur Atheroskleroseprävention beitragen könnte (10). Nicht nur mit Knoblauch, sondern auch mit unverdaulichen Nahrungsfasern wie beispielsweise aus der Weizenkleie kann auf das Mikrobiom Einfluss genommen werden. Sie reduzieren ebenfalls die Entstehung von TMAO durch Hemmung der TMA-Lyase (11). Ein hoher Anteil pflanzlicher Bestandteile in der Ernährung kann somit das kardiovaskuläre Risiko mitbeeinflussen.
«Essen Sie mehr Pflanzen», lautet daher der einfache ab-
schliessende Ratschlag von Suter.
L
Valérie Herzog
Quelle: «Besser Überleben dank pflanzlicher Ernährung?», 16. Zürcher Review-Kurs in klinischer Kardiologie, 12. April 2018 in Zürich Oerlikon.
Referenzen: 1. Radanovic D et al.: Gender differences in the decrease of in-hospital
mortality in patients with acute myocardial infarction during the last 20 years in Switzerland. Open Heart 2017; 4: e000689. 2. Marques F et al.: High-Fiber Diet and Acetate Supplementation Change the Gut Microbiota and Prevent the Development of Hypertension and Heart Failure in Hypertensive Mice. Circulation 2017; 135: 964–977. 3. Du H et al.: Fresh Fruit Consumption and Major Cardiovascular Disease in China. N Engl J Med 2016; 374: 1332–1343. 4. Shikany J et al.: Southern Dietary Pattern is Associated with Hazard of Acute Coronary Heart Disease in the Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke (REGARDS) Study. Circulation 2015; 132: 804–814. 5. Appleby PN et al.: The long-term health of vegetarians and vegans. Proc Nutr Soc 2016; 75: 287–293. 6. Kwok CS et al.: Vegetarian diet, Seventh Day Adventists and risk of cardiovascular mortality: a systematic review and meta-analysis. Int J Cardiol 2014; 680–686. 7. Tang WH et al.: Intestinal microbial metabolism of phosphatidylcholine and cardiovascular risk. N Engl J Med 2013; 368: 1575–1584. 8. Zhu W et al.: Gut Microbe-Generated TMAO from Dietary Choline Is Prothrombotic in Subjects. Circulation 2018; 135: 1671–1673. 9. Wang Z et al.: Non-lethal Inhibition of Gut Microbial Trimethylamine Production for the Treatment of Atherosclerosis. Cell 2015; 163: 1585– 1595. 10.Wu WK et al.: Dietary allicin reduces transformation of L-carnitine to TMAO through impact on gut microbiota. J Functional Foods 2015; 15: 408–407. 11. Li Q et al.: Soluble dietary fiber reduces trimethylamine metabolism via gut microbiota and co-regulates host AMPK pathways. Mo Nutr Food Res 2017; 61: Epub ahead of print.