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ERNÄHRUNG IN DER SCHWANGERSCHAFT
Alkohol in der Schwangerschaft:
«To drink a little or not to drink a little, that’s the new question»
Ana Paula Simões-Wüst, Jessica Pehlke-Milde1
Verschiedene Erhebungen zeigen, dass Frauen in der Schweiz Alkohol während der Schwangerschaft konsumieren. Bislang ist nicht eindeutig, ab wann ein kleiner bis moderater Alkoholkonsum während der Schwangerschaft einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben könnte. Evidenzbasierte Empfehlungen von Gesundheitsfachpersonen sowie qualitätsgesicherte Information im Netz können dazu beitragen, Frauen zu informieren und zu unterstützen.
Ana Paula Simões-Wüst
Jessica Pehlke-Milde
1 Departement Gesundheit Institut für Hebammen ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur
Welches Restaurant verfügt nicht über eine Weinkarte? Die in unserer Gesellschaft omnipräsente Assoziation zwischen Ernährung, Alkoholkonsum und Teilnahme am sozialen Leben lässt kaum vermuten, dass weltweit Alkohol die fünfhäufigste Ursache von Invalidität und Mortalität ist. Was noch selten berücksichtigt wird: Nicht nur die trinkende Person, sondern auch andere Menschen können dabei zu Schaden kommen. Das passiert häufig im Rahmen von Unfällen. So wurden schon zahlreiche Massnahmen ergriffen, um die Anzahl der Opfer von Verkehrsunfällen unter Alkoholeinfluss zu reduzieren. Bekannt, aber weiterhin tabuisiert werden zudem die sozialen Risiken der Sucht auf die gesunde Entwicklung von Kindern, wenn Eltern alkoholabhängig sind. Dies gilt auch für den Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft, der mit massiven Entwicklungsstörungen für das Kind einhergeht. Im Gegensatz zur Suchterkrankung ist der niedrige bis moderate Alkoholkonsum Teil unseres sozialen, gesellschaftlichen Lebens und unserer Kultur. Das Glas Sekt zur Feier eines Anlasses wird ebenso wenig als Gesundheitsrisiko wahrgenommen wie der Wein zu einem guten Essen in geselliger Runde. Wie verhält es sich aber, wenn eine Frau schwanger ist? Diese und andere Fragen sind Gegenstand der folgenden Betrachtungen.
Studienlage zum Alkoholkonsum in der Schwangerschaft
Mutter und Kind sind über den plazentaren Austausch miteinander verbunden, und Alkohol kann die sogenannte Plazentaschranke überwinden. Wenn die schwangere Frau Alkohol konsumiert, zirkuliert somit Alkohol auch durch den Blutkreislauf des Ungeborenes. Dass diese Wirkung schädlich für die weitere
kindliche Entwicklung ist, zeigt sich deutlich beim hohen Alkoholkonsum: Schäden im zentralen Nervensystem und im Körper des Ungeborenen entstehen, welche lebenslange spürbare Konsequenzen aufweisen. Schon der Sammelfachbegriff «Fetale Alkoholspektrumstörung» (Engl. «Fetal Alcohol Spectrum Disorder», FASD) deutet darauf hin, dass es viele Nuancen dieser Diagnosengruppe gibt. Nicht nur die ausgeprägtere Form, das «Fetale Alkoholsyndrom» (FAS), ist ein wichtiges Thema. Auch partielle FASFormen und die mit Alkohol assoziierte eingeschränkte Neuroentwicklung, welche für Verhaltensstörungen verantwortlich sein kann, sind unter FASD gemeint. Darüber hinaus ist die Vielfalt an FASD-Komorbiditäten beeindruckend (1). Die Evidenzlage für die schädliche Wirkung höherer Mengen an Alkohol, inklusive Rauschtrinken, ist sehr überzeugend (2) und scheint bekannt zu sein. Die Mehrheit der Frauen unterbinden oder reduzieren Alkoholkonsum, sobald sie wissen, dass sie schwanger sind (3). Die gesundheitsschädigenden Folgen des Konsums geringer bis moderater Mengen an Alkohol sind hingegen weniger eindeutig als diejenigen von höheren Mengen. Bei geringen bis moderaten Mengen sind die schädlichen Wirkungen in der beobachteten Gesamtpopulation seltener, nicht so markant und deren Erfassung ist komplexer. Die benötigten Studien brauchen hohe Teilnehmerinnenzahlen, längere Beobachtungszeiten (bis ins Jugendalter) der Kinder und, last but not least, die Bereitschaft der Schwangeren, ihr Trinkverhalten offenzulegen. Dies in einer Lebensphase, in der auch der geringe beziehungsweise moderate Alkoholkonsum zu gravierenden Gewissenskonflikten und zu sozialer Stigmatisierung führen kann. In einer Metaanalyse von Flak et al. (2014) wurde aufgezeigt, dass pränatales Rauschtrinken nachteilige
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Auswirkungen auf die Kognition von Kindern hat. Weiterhin wurde festgehalten, dass der geringe bis moderate Alkoholkonsum während der Schwangerschaft kindliche Verhaltensstörungen nach sich ziehen kann, wobei die Beweislage zum geringen Konsum inkonsistent ist (4). In einer nachfolgenden systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse kommen Mamluk et al. (2017) zu vergleichbaren Schlussfolgerungen (5): Die Evidenzlage über die Wirkungen von geringen bis moderaten Mengen an Alkohol sei niedrig, dennoch sei Vorsicht angebracht (dabei wurden «geringe bis moderate Mengen» definiert als nicht mehr als 32 g Alkohol pro Woche; Beispiel: 285 ml von Wein mit 14% Alkoholgehalt, bei der Alkoholdichte von ca. 0,8 g/ml oder 2 bis 3 Gläser Wein). Dies weil einige der eingeschlossenen Studien darauf hinwiesen, dass sogar der Konsum geringer Mengen an Alkohol damit einhergehen kann, dass Neugeborene mit einem für das Gestationsalter zu niedrigen Geburtsgewicht oder zu früh geboren werden. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass die Abstinenz als Vorsichtsmassnahme während der Schwangerschaft empfohlen, jedoch die niedrige Evidenz erklärt werden sollte. Neuere Aspekte möglicher Wirkungen geringer bis moderater Mengen an Alkohol, die eine individuelle Risikoabschätzung erschweren, kommen aus der Molekularbiologie. Einerseits beeinflussen genetische Varianten einzelner Enzyme der Mutter ihren Alkoholmetabolismus (3). Demnach könnten biologische Unterschiede zwischen den Frauen die unterschiedlichen Wirkungen auf die Kinder erklären. Andererseits kann der mütterliche Verbrauch von Alkohol epigenetische Veränderungen im Kind hervorrufen (6). Diese könnten wichtige und bisher noch nicht endgültig untersuchte Aspekte beeinflussen. Zum heutigen Wissensstand gibt es somit keine sichere Menge Alkohol, welche während der Schwangerschaft konsumiert werden kann. Diese Menge scheint ausserdem für jede einzelne Frau anders zu sein und die individuellen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung sind nicht vorhersagbar.
Alkoholkonsum während der Schwangerschaft
Der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft in der gesamten Schweiz wurde vor Kurzem im Rahmen einer epidemiologischen Studie untersucht. Das Ziel der Ende 2017 publizierten Studie (7) war es, Erkenntnisse über den Gesundheitszustand von Schwangeren in der Schweiz zu gewinnen, insbesondere zu Einstellungen bezüglich der Ernährung, zum Medikamenteneinsatz und zum Drogenkonsum, einschliesslich Alkohol. Dafür wurden entsprechende Daten, die im Rahmen der konsekutiven schweizerischen Gesundheitsbefragungen 2007 und 2012 erhoben wurden, analysiert. Solche Befragungen werden regelmässig durch das Bundesamt für Statistik durchgeführt. Die Zielpopulation dieser Gesundheitsbefragungen sind alle Einwohner der Schweiz im Alter von mindestens
15 Jahren, die einen Festnetzanschluss haben, eine der
drei Landessprachen Deutsch, Französisch oder Ita-
lienisch sprechen und die nicht in einer Institution le-
ben.
Für die oben genannte Studie wurden die Daten aller
schwangeren Frauen in die Auswertung eingeschlos-
sen (Gruppe der Frauen, die angaben, zum Zeitpunkt
der Befragung schwanger zu sein, n = 309). Um zu
verstehen, was typisch für die Schwangerschaft ist,
wurde eine Vergleichsgruppe von zehnmal so vielen
nicht schwangeren Frauen (Referenzgruppe, n =
3090) gebildet, die in Bezug auf Alter, Spracheregion
und Jahr der Erhebung der Gruppe der schwangeren
Frauen ähnelten. Die Gruppen der schwangeren und
nicht schwangeren Teilnehmerinnen waren in Bezug
auf die meisten soziodemografischen Merkmale ver-
gleichbar, und beide Gruppen wiesen ein hohes Ge-
sundheitsbewusstsein auf.
Wie zu erwarten, waren schwangere Frauen deutlich
restriktiver im Alkoholkonsum als nicht schwangere
Frauen. Zwei Drittel der nicht schwangeren Frauen
(2030/3090, 66%) gaben an, während der zurücklie-
genden 12 Monate mindestens ein- bis dreimal pro
Monat Alkohol getrunken zu haben. Dagegen berich-
tete nur etwas mehr als ein Drittel der schwangeren
Frauen (117/309, 38%) einen vergleichbaren Alkohol-
konsum während der letzten 12 Monate. Die Teilneh-
merinnen, die angaben, während der zurückliegenden
12 Monate mindestens ein- bis dreimal pro Monat
Alkohol konsumiert zu haben, wurden zusätzlich
über den Alkoholkonsum in den letzten 7 Tagen be-
fragt, was für diese Studie aussagekräftiger ist, da die
Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeit-
punkt schwanger waren. Dabei gaben 10 Prozent der
Schwangeren (31/309) an, in den letzten 7 Tagen Wein
konsumiert zu haben, während 1,9 Prozent von ihnen
(7/309) mitteilten, Bier getrunken zu haben. In der
Regel wurde während der letzten 7 Tage ein- bis zwei-
mal Wein beziehungsweise Bier getrunken. Bezüglich
der Menge Wein tranken die Schwangeren meistens
1 dl oder 1 Glas pro Ereignis (24 von 30 Frauen, die
diese Frage beantworteten; sonst 2 dl in 5 Fällen und
3 bis 4 dl in 1 Fall). In Bezug auf die Menge
Bier tranken sie meistens 1 Glas à 3 dl (5/7)
pro Ereignis, sonst 2 Gläser (2/7). Diese Alcool et grossesse
Angaben legen nahe, dass die meisten
Frauen nicht aufgrund einer Alkoholabhängigkeit Wein oder Bier tranken, sondern dass es hier um den sogenannten
Mots-clés: syndrome d‘alcoolisation fœtal – échanges placentaires – grossesse et alcool
«normalen Alkoholkonsum» geht. Eine frühere Umfrage über den Alkoholkonsum während der Schwangerschaft in der Schweiz zeigte einen höheren Konsum (2). In dieser Studie wurden im Zeitraum 2005/06 am Universitätsspital Lausanne 1258 Frauen einbezogen. 30,8 Prozent der Schwangeren wiesen einen geringen (definiert als kleiner als 2 Getränke pro Woche), 7,9 Prozent einen moderaten (2–4 Getränke pro Woche) und 0,9 Prozent einen hohen (5 Getränke pro Woche
Différentes enquêtes montrent que les femmes suisses consomment de l’alcool pendant la grossesse. A ce jour, on ne sait pas à partir de quelle quantité une consommation d’alcool légère à modérée pendant la grossesse pourrait s’avérer nocive pour le développement de l’enfant à venir. Des recommandations fondées sur des preuves émises par des professionnels de la santé ainsi qu’une information à la qualité vérifiée sur internet pourraient contribuer à informer les femmes et à leur apporter un soutien.
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* http://www.hesav.ch/docs/defaultsource/recherche-et-developpementdocs/recherches-nouvelle-mise-enpage/résumé-de-recherche-hammer-r -ang.pdf?sfvrsn=8
oder mehr) Alkoholkonsum auf. Weiter berichteten 4,7 Prozent der Schwangeren über Rauschtrinken (definiert als 3 Getränke pro Ereignis). Nach den aktuelleren Angaben zur Prävalenz des Alkoholkonsums in der Schweiz scheint der Konsum vergleichbar mit den anderen Ländern zu sein, wie zum Beispiel aus einer Befragung in Deutschland hervorgeht. In Deutschland konsumierten 14 Prozent der Mütter (meist gelegentlich) Alkohol während der Schwangerschaft.
Information und Beratung der Schwangeren
Frauen erhalten in der Regel mit Bestätigung der Schwangerschaft eine Ernährungsberatung durch ihre betreuende Frauenärztin oder Hebamme, welche auch die Information zum Umgang mit Suchtmitteln beinhaltet (s. entsprechende Broschüre «Ernährung rund um Schwangerschaft und Stillzeit» [8]). Darüber hinaus suchen sich Frauen zunehmend Informationen in Gesundheitsportalen und bilden sich im Austausch mit Kolleginnen und Freundinnen eine Meinung zu Fragen der Ernährung und des Alkoholkonsums. In vielen Ländern, wie auch in der Schweiz, tragen medizinische Leitlinien dazu bei, Orientierung zum Umgang mit Alkohol und Schwangerschaft zu geben. In der Schweiz gibt zum Beispiel die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) Empfehlungen zur Verbesserung der Müttergesundheit in der Präkonzeptionsberatung (9), mit dem Ziel, bereits in der Phase vor Eintritt der Schwangerschaft zu informieren. Ebenfalls hat der Schweizerische Hebammenverband (SHV) eine evidenzbasierte Leitlinie entwickelt und empfiehlt auf Grundlage der Studienlage die Abstinenz für Frauen, die schwanger werden wollen oder es bereits sind (10). In der Schweiz zeigen Frauen im gebärfähigen Alter ein hohes allgemeines Gesundheitsbewusstsein. Während der Schwangerschaft passt ein beträchtlicher Teil der Frauen ihre Ernährung an und verzichtet auf Schmerzmittel und den Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen (7). Dennoch stellt sich die Frage, warum eine nicht zu vernachlässigende Anzahl schwangerer Frauen in der Schweiz dem Alkoholkonsum nicht entsagt.
Anpassungsprozesse in der Schwangerschaft und der Umgang mit dem Risiko
Das Eintreten und die Bestätigung einer Schwangerschaft geht für viele Frauen mit ambivalenten Gefühlen einher – auch bei einer geplanten Schwangerschaft. Freude und Stolz, ein Kind empfangen und den optimalen Raum für seine Entwicklung bieten zu können, bestimmen die Gefühlslage, wie auch Ängste und Unsicherheiten, die mit der Mutterschaft einhergehen können. Das private Umfeld sowie die betreuenden Ärzte und Hebammen geben Empfehlungen ab, die eine Anpassung zum Teil lang erprobter und als nicht gesundheitsgefährdend eingestufter Verhaltensweisen erfordert. Die Lebensphase der Schwan-
gerschaft wird daher auch als Prozess der Anpassung beziehungsweise der Transition zur Elternschaft beschrieben (11). Werdende Mütter und ihre ungeborenen Kinder sind aus rechtlicher und ethischer Sicht als untrennbare Einheit zu behandeln. Dennoch wird der geringe beziehungsweise moderate Alkoholkonsum einer schwangeren Frau in der öffentlichen und fachlichen Diskussion zunehmend unter dem Aspekt des Risikos für die kindliche Entwicklung diskutiert (12). Inwieweit Frauen den «normalen Alkoholkonsum» als Risiko wahrnehmen und wie sie mit den öffentlichen Gesundheitsempfehlungen umgehen, wurde in einer ersten Studie in der Schweiz untersucht (13). Dazu wurden fünfzig schwangere Frauen in der französischsprachigen Schweiz zwischen Mai 2008 und Juni 2009 anhand teilstrukturierter Interviews zu ihrem Alkohol- und Tabakkonsum sowie ihrer Sicht bezüglich eines «sicheren» Alkoholkonsums während der Schwangerschaft befragt. Im Gegensatz zum Tabakkonsum wurde das moderate Trinken von Alkohol als, unter gewissen Umständen, akzeptables Verhalten bewertet. Allgemeingültige Empfehlungen zum Alkoholkonsum während der Schwangerschaft wurden kontextualisiert und die Wahrnehmung des Risikos in Bezug gesetzt zur Art des Alkohols (Wein oder Bier), zur Menge und zur Häufigkeit des Konsums. Seit 2017 wird an der Haute Ecole de Santé Vaud in Lausanne zusammen mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften eine longitudinale qualitative SNF-finanzierte Studie durchgeführt*. In dieser werden Frauen und ihre Partner während der Schwangerschaft und Stillzeit zum Thema Alkoholkonsum in beiden Landessprachen befragt. Ergänzend zu den oben genannten Fragestellungen wird ein zusätzlicher Fokus auf die Sichtweisen beider Eltern und die Dynamik des Paares gelegt.
Blick der öffentlichen Gesundheit: Was brauchen Schwangere?
Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit stellt sich die Frage, ob die beobachtete Prävalenz von Alkoholkonsum in der Schweiz noch weiter reduziert werden kann und wenn ja, welche Massnahmen vorgeschlagen werden können, um eine Reduktion zu erreichen. Die oben erwähnte Initiative der SGGG bereits vor der Konzeption zu beraten, erscheint ebenso vielversprechend wie Ansätze des SHV, die evidenzbasierte Information und Beratung während der Schwangerschaft zu intensivieren. Dies auch vor dem Hintergrund, dass in der Swiss Infant Feeding Study aus dem Jahre 2014 ein Drittel aller schwangeren Frauen angaben, nicht zum Rauchen, zum Alkoholkonsum und zur Ernährung während der Schwangerenvorsorge informiert worden zu sein (14). Idealerweise sollten diese Informationen den Frauen aber zugänglich sein, lange bevor sie schwanger werden. Das Zeitfenster zwischen der Entscheidung für (noch) ein Kind und der Konzeption kann und sollte für verschiedene Anpassungen des eigenen Lebensstils genutzt werden. In Bezug auf eine Reduktion des Alkoholkonsums
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wäre eine dreimonatige Periode optimal (15). Somit sollte die Zielgruppe der Public-Health-Kampagnen auf alle Frauen im gebärfähigen Alter erweitert werden, vielleicht auch auf die zukünftigen Väter. Hier könnten Möglichkeiten genutzt werden, um während der gynäkologischen Untersuchungen von Mädchen wie auch im Unterricht an allgemeinbildenden Schulen junge Menschen zu erreichen. Angesichts des hohen Gesundheitsbewusstseins in der weiblichen Bevölkerung im gebärfähigen Alter in der Schweiz kann erwartet werden, dass Informationskampagnen dazu beitragen werden, dass der Alkoholkonsum, vergleichbar dem Konsum von Tabak, in der Schwangerschaft weiter reduziert wird. Dennoch sollte man davon ausgehen, dass auch in der Schweiz allgemeingültige Empfehlungen von Gesundheitsexperten und Experten nicht eins zu eins übernommen werden. Eine Studie aus der französischen Schweiz im Jahre 2008 zeigt, dass Schwangere eher Alkohol trinken, wenn entweder der Partner trinkt oder wenn sie dazu durch andere soziale Kontakte animiert werden (16). Eine Sensibilisierung des sozialen Umfelds, die Schwangere in ihrer Entscheidung für ein abstinentes Verhalten zu unterstützen, sollte daher erwogen werden. Dabei darf die Autonomie der Schwangeren, für sich und ihr Kind bestmögliche Entscheidungen fällen zu können, nicht untergraben werden. Die Evidenzlage zu den gesundheitlichen Folgen des geringen Alkoholkonsums ist niedrig und Möglichkeiten, belastbare individuelle Risikoabschätzungen zu generieren, sind in nächster Zukunft nicht zu erwarten. Frauen und ihre Partner sollten daher neben der Empfehlung zur Abstinenz auch darüber aufgeklärt werden, auf welchen Ergebnissen diese Empfehlung beruht, damit sie für sich und ihre Kinder eine informierte Entscheidung treffen können.
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Korrespondenzadresse: PD Dr. Ana Paula Simões-Wüst Klinik für Geburtshilfe Forschung Geburtshilfe Universitätsspital Zürich Schmelzbergstrasse 12, Postfach 125 Path G 51a 8091 Zürich E-Mail: anapaula.simoes-wuest@usz.ch
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