Transkript
Malignes Melanom
Noch kaum therapeutische Optionen bei fortgeschrittener Erkrankung
FORTBILDUNG
In der Schweiz wird pro Jahr bei zirka 1700 Menschen
ein Melanom diagnostiziert. Die meisten Patienten
sind zum Zeitpunkt der Diagnose älter als 50 Jahre,
ein Drittel aller Betroffenen bereits 70 Jahre oder
älter. Während die Prognose bei der frühzeitigen Ent-
deckung und Entfernung eines Melanoms sehr gut ist,
gibt es bei der Behandlung fortgeschrittener Stadien
kaum Fortschritte. In einer Übersichtsarbeit schil-
dern Christina Thirlwell und Paul Nathan die wichtigs-
ten Punkte für das Vorgehen in der Praxis.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Während die Kriterien für einen Melanomverdacht hierzulande mit der ABCD-Regel umschrieben werden, listen die beiden Autoren im «British Medical Journal» (1) sieben Hauptund Nebenkriterien dafür auf (Tabelle ). Grösse, Farbe und Form des Pigmentmals sind in beiden Diagnoseschlüsseln gleich wichtig, die ABCD-Regel betont zusätzlich auch die Begrenzung (klarer vs. unscharfer Rand). Das «D» steht nicht mehr für Durchmesser sondern für die Dynamik des Pigmentmals, weil diese ein besserer Anhaltspunkt für die potenzielle Malignität ist; mindestens 15 Prozent aller primären Melanome haben einen Durchmesser unter 5 mm. In der britischen Checkliste ist der Durchmesser des Pigmentmals noch nicht verschwunden, gilt hier aber nur noch als Nebenkriterium. Doch gleichgültig, welche Kriterienliste man heranzieht, die Diagnose eines Melanoms ist nicht einfach. Besteht auch nur der geringste Zweifel an der Gutartigkeit eines Pigmentmals, sollte ein Dermatologe zurate gezogen werden, der es gegebenenfalls sofort entfernt. Die definitive Diagnose, ob es sich tatsächlich um ein Melanom handelte, kann nur histologisch gestellt werden.
Nationaler Hautkrebstag 2009
Am 11. Mai 2009 findet der vierte nationale Hautkrebstag statt. Wie in den Vorjahren werden die Hautärzte an diesem Tag ihre Erstuntersuchungen teils in ihren eigenen Praxen, teils in Spitälern oder in den Räumlichkeiten der kantonalen Krebsligen durchführen. Die Liste der beteiligten Dermatologen und Apotheken findet man ab Mitte April 2009 unter: www.hautkrebstag.ch.
Sicherheitsabstand mindestens 2 cm Die «BMJ»-Autoren empfehlen für die Exzision des verdächtigen Pigmentmals grundsätzlich einen Sicherheitsabstand von etwa 2 cm. Nicht empfohlen wird die oberflächliche Abtragung (sogenannte «shave biopsies»). Bei sehr grossflächigen Malen beziehungsweise bei grossen Pigmentmalen im Gesicht, kommen im Einzelfall auch Stanzbiopsien infrage, um abzuklären, ob tatsächlich exzidiert werden muss. Letzteres Vorgehen ist jedoch auf Hauttumoren spezialisierten Zentren vorbehalten. Bestätigt sich der Melanomverdacht, muss eine Nachexzision erfolgen. Der Sicherheitsabstand beträgt hier je nach Tumordicke (Breslow) 0,5 bis 3 cm. Bis in die Achtzigerjahre wurden Sicherheitsabstände von 4 bis 5 cm für notwendig erachtet. Prospektive Studien ergaben jedoch, dass ein Exzisionsrand von 1 cm bei Melanomen unter 2 mm Dicke und von 2 bis 3 cm bei Melanomen dicker als 2 beziehungsweise 4 mm ausreichende Sicherheit gewährleistet. Wird das Gewebe noch
Merksätze
■ Die frühzeitige Erkennung eines malignen Melanoms bietet nach wie vor die einzige echte Chance für eine gute Prognose.
■ Die routinemässige Sentinellymphknotenbiopsie bei Melanomen über 1 mm Dicke ist üblich, ihre Relevanz für die Überlebenszeit aber umstritten.
■ Bei metastasiertem Melanom ist noch keine Intervention bekannt, die das Überleben statistisch nachweisbar verlängern kann, auch wenn erstaunliche Erfolge in Einzelfällen zu beobachten waren.
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FORTBILDUNG
grossflächiger herausgeschnitten, reduziert dies zwar das Risiko von Lokalrezidiven, verlängert aber nicht die Überlebenszeit des Patienten.
Lymphknoten entfernen: Ja oder Nein? Früher wurde empfohlen, vorsorglich alle regionalen Lymphknoten rund um das primäre Melanom zu entfernen (elektive Lymphknotendissektion). Das ist heutzutage kein Thema mehr, da bei etwa 85 Prozent der Patienten histologisch keine Metastasen in den Lymphknoten nachgewiesen werden konnten. Statt dessen empfiehlt man heute die sogenannte «sentinel lymph node biopsy» (SLNB) bei primären Melanomen, die mehr als 1 mm dick sind. Dabei wird zunächst der Sentinellymphknoten mithilfe verschiedener Verfahren identifiziert (Injektion von Farbstoff und/oder Radioisotopen), herausgeschnitten und histologisch untersucht. Finden sich Mikrometastasen, werden alle Lymphknoten in der entsprechenden Region entfernt. Falls ein Melanom metastasiert, finden sich Mikrometastasen zuerst in dem ersten (oder den ersten beiden) Lymphknoten «stromabwärts» der abführenden Lymphgefässe. Dieser Lymphknoten wird Wächter- oder Sentinellymphknoten genannt. Ist er frei von Krebszellen, enthalten auch die anderen Lymphknoten weiter stromab mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Metastasen. Der histologische Sentinellymphknotenbefund geht in die pTNM-Klassifikation von Melanomen (T: Primärtumor; N: regionäre Lymphknoten; M: Fernmetastasen) ein. Dahinter steht die Überlegung, dass aus jeder noch so kleinen Mikrometastase über kurz oder lang eine manifeste Metastase heranwächst, falls der Lymphknoten nicht entfernt wird: «Das Staging primärer Melanome mit einer mittleren Dicke von 1,2 bis 3,5 mm gemäss den Sentinellymphknoten liefert wichtige prognostische Informationen und identifiziert Patienten mit nodalen Metastasen, deren Überleben durch die sofortige Lymphknotenentfernung verlängert werden kann», schrieben Donald L. Morton und seine Koautoren vor drei Jahren (2). Der Stellenwert des Sentinellymphknotens bei kleinsten Mikrometastasen ist jedoch nach wie vor umstritten. Zwar haben Patienten mit einem negativen Sentinellymphknotenbefund eine bessere Prognose, doch sei es keinesfalls so, dass jede noch so kleine Ablagerung von Melanomzellen zwangsläufig zur Metastase werden müsse, sagt J. Meirion Thomas, einer der prominentesten Kritiker der routinemässigen Sentinellymphknotenbiopsie: «Es gibt immer mehr Anhaltspunkte dafür, dass vereinzelte, winzige Ablagerungen von Melanomzellen im Sentinellymphknoten keine prognostische Relevanz haben.» Bei diesen Patienten die regionären Lymphknoten sofort zu entfernen und eine adjuvante Therapie durchzuführen, sei völlig überflüssig. Auch würden solche Patienten häufig zu Unrecht in klinische Studien eingeschlossen und verfälschten deren Resultate. Stattdessen empfiehlt Thomas regelmässige Kontrollen der Lymphknoten mit hochauflösendem Ultraschall. Mit dieser nicht invasiven Methode würden Mikrometastasen ab einem Durchmesser von 4 mm entdeckt, und sie sei
damit sensitiv genug, um relevante Metastasen rechtzeitig zu erkennen und erst dann zu operieren (3). Kritisch kommentierte kürzlich Anthony Dixon, Gutachter am Australasian College of Skin Cancer Medicine, die anhaltende Diskussion: «Wenn Chirurgen ihre Zeit nicht für Sentinellymphknotenbiopsien, sondern für die routinemässige Kontrolle der Haut beim Follow-up einsetzen würden, wäre das ein handfester Vorteil für unsere Patienten. Eine Operation mit einer Inzidenz von 10 Prozent für Komplikationen, die das Fünf-Jahres-Überleben nicht beeinflusst, ist dies hingegen wohl kaum.» Die Kliniker verzettelten sich in der Debatte um die Sentinellymphknotenbiopsie, während fundamentale Regeln, wie regelmässige Hautkontrollen oder der richtige Abstand bei der Exzision verdächtiger Pigmentmale, in der Praxis nach wie vor vernachlässigt würden, so Dixon (4).
Interferon alpha als adjuvante Therapie Die ersten Berichte über Pilotstudien mit einem deutlichen Überlebensvorteil für Interferon alpha bestätigten sich im Lauf der Zeit nicht, sondern die Wirksamkeit der Substanz erwies sich als eher bescheiden. In einer vor zwei Jahren am ASCO vorgestellten Metaanalyse lag die Überlebensrate mit Interferon alpha nach fünf Jahren um 3 Prozent höher als ohne die Substanz. Dabei zeigte sich in der nachträglichen Auswertung von Subgruppen ein Trend, dass Patienten mit ulzerierenden primären Melanomen möglicherweise in grösserem Masse von der Interferon-alpha-Therapie profitieren (5). Vorläufige Resultate einer Studie mit pegyliertem Interferon (EORTC 18991) sprechen für eine Verlängerung des rezidivfreien Intervalls, ohne jedoch das Auftreten von Fernmetastasen zu verzögern oder die gesamte Überlebensdauer zu beeinflussen. Eine Subgruppenauswertung ergab hier, dass die sentinellymphknotenpositiven Patienten im N1-Stadium (mikroskopische nodale Erkrankung) möglicherweise am meisten von der Behandlung profitieren. Ob dies echter Effekt oder Bias ist (s. oben, Argumentation von J.M. Thomas), soll eine neue, geplante EORTC-Studie klären. Angesichts der Tatsache, dass es keine allgemein anerkannte adjuvante Therapie bei primären Melanomen gibt, empfehlen Thirlwell und Nathan, dass möglichst alle Patienten in Studien aufgenommen werden sollten.
Wenig Chancen bei metastasiertem Melanom Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung ist bis heute keine Intervention bekannt, die das Überleben statistisch nachweisbar verlängern kann. Nach wie vor beträgt die mediane Überlebenszeit von Patienten mit Melanommetastasen nur sechs bis neun Monate. Kutane, In-Transit- (Ablagerungen von Tumorzellen längs der regionären Lymphbahnen) oder Lymphknotenmetastasen werden in der Regel chirurgisch entfernt. Laser- und Radiotherapie können zusätzlich nützlich sein. Bei mehreren kutanen Metastasen an einer Extremität ohne gleichzeitige Fernmetastasen ist eine lokale, isolierte Chemotherapie der Extremität mit Melphalan (Alkeran®) als Monotherapie oder in Kombination
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MALIGNES MELANOM
Tabelle: Verschiedene Kriterien für einen Melanomverdacht
ABCD-Regel Pigmentmerkmale A Asymmetrie:
harmlos
regelmässige, symmetrische Form
verdächtig
unregelmässige, nicht symmetrische Form
B Begrenzung:
regelmässige, klare Ränder unregelmässige, unscharfe Ränder
C Farbe (Color):
einheitliche Färbung
verschiedenfarbig, fleckig
D Dynamik
verändert sich nicht
verändert sich (Grösse, Farbe, Form oder Dicke)
Falls einer der Punkte erfüllt ist, besteht Verdacht auf ein Melanom.
7-Punkte-Checkliste
Pigmentmerkmale
Hauptkriterien: — Grössenveränderung — ungleichmässige Form — ungleichmässige Farbe Nebenkriterien: — grösster Durchmesser 7 mm oder mehr — Entzündung — nässend/blutend — Empfindungsänderung
Falls ein Hauptkriterium oder drei der Nebenkriterien erfüllt sind, besteht Verdacht auf ein Melanom.
mit anderen Zytostatika oder Biologika möglich. Diese Therapie kann bei einzelnen Patienten gut anschlagen, ist aber mit einer erheblichen Morbidität verbunden. Handelt es sich um solitäre oder wenige Metastasen bei Patienten mit einer relativ langen rezidivfreien Zeit, kommt ein chirurgischer Eingriff infrage. Patienten mit ZNS-Metastasen haben eine besonders schlechte Prognose, obgleich heutzutage neurochirurgische Verfahren wie das Gammaknife zur Verfügung stehen und Radiotherapie oder spezielle ZNS-gängige Chemotherapien häufig versucht werden. Es gibt bis anhin keinen Anhaltspunkt für einen Überlebensvorteil. Auch bei der systemischen Chemotherapie gibt es keine Fortschritte. Dacarbazin (Dacin®) ist seit rund 20 Jahren der Standard und führt bestenfalls zu einer Verzögerung der Progression um wenige Monate bei 5 bis 15 Prozent der Patienten. Beweise für eine lebensverlängernde Wirkung gibt es nicht. Auch der Versuch, Interferon alpha und Interleukin 2 mit dieser Chemotherapie zu kombinieren, brachte keine längere Überlebensdauer und wird darum heute nicht mehr empfohlen. Hoch dosiertes Interleukin 2 als Monotherapie verlängerte in einer kleinen Studie mit 26 Patienten das durchschnittliche Überleben nicht, bei 2 Patienten kam es aber zu einer lang anhaltenden Response, wobei die Metastasen zum Zeitpunkt
☞ LINKTIPP
Video zur Sentinellymphknotenbiopsie http://content.nejm.org/cgi/content/full/355/13/1307/DC1
der Datenerhebung 26 beziehungsweise 41 Monate nach der Therapie klinisch mehr nicht nachweisbar waren (6).
Neue Biologika in ersten Studien
Wie bei anderen Tumoren versucht man auch beim Melanom,
bestimmte Signalwege in der Zelle zu blockieren, die – zumin-
dest teilweise – für die Malignität verantwortlich sind. Eine
Monotherapie mit Sorafenib (Nexavar®) ergab keinen statis-
tisch relevanten Vorteil; Kombinationen mit verschiedenen
Chemotherapien befinden sich in Phase-II-Studien. Substan-
zen, die den programmierten Zelltod (Apoptose) in Tumorzel-
len induzieren (Bcl-2 Antisense-Nukleotide) oder den Effekt
von Chemotherapeutika verstärken sollen (Elesclomol/STA-
4783 plus Paclitaxel), werden in grossen klinischen Studien ge-
testet. Neue, immunstimulierende Biologika wie Ipilimumab
(MDX 010) führten zu ermutigenden Resultaten bei Patienten
mit fortgeschrittener Erkrankung und sollen nun als adjuvante
Therapie getestet werden.
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Interessenlage: Die Autoren der genannten Beiträge geben keine Interessenkonflikte an.
Quellen: 1. Thirlwell C., Nathan P.: Melanoma – Part 2: management. BMJ 2008; 337: 1345—1348. 2. Morton D.L. et al.: Sentinel-Node Biopsy or Nodal Observation in Melanoma. N Engl J Med 2006;
355: 1307—1317. 3. Thomas J.M.: Prognostic False-positivity of the Sentinel Node in Melanoma. Nat Clin Pract Oncol
2008; 5(1): 18—23. 4. Dixon A.: Let’s get back to basics in managing melanoma. BMJ 2008; 336: 1033. 5. Wheatley K. et al.: Interferon-alfa as adjuvant therapy for melanoma: an individual patient data
metaanalysis of randomised trials. Clin Oncol 2007; 25(18S): 8526. 6. Tarhini A.A. et al.: Durable Complete Responses With High-Dose Bolus Interleukin-2 in Patients
With Metastatic Melanoma Who Have Experienced Progression After Biochemotherapy. J Clin Oncol 25: 3802—3807.
Renate Bonifer
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