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SYMPOSIUM
6. Dreiländertagung Kopfschmerzsymposium Bad Zurzach
Orthostatische Kopfschmerzen durch spontane intrakranielle Hypotension
Dr. med. Christian T. Ulrich vom Inselspital Bern erhielt für seine Arbeit «Orthostatische Kopfschmerzen durch spontane intrakranielle Hypotension: Präzisionsdiagnostik und fokussierte Behandlung» das Hansruedi Isler Forschungsstipendium der Schweizer Kopfwehgesellschaft.
D ie Übergabe des Stipendiums fand im Rahmen der gemeinsamen Tagung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft (ÖKSG) und der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft (SKG) statt. Die Dreiländertagung gastierte bei ihrer sechsten Durchführung in den Räumen der RehaClinic Bad Zurzach.
Seltene, aber schwerwiegende Erkrankung Gemäss Literatur liegt die Inzidenz der spontanen intrakraniellen Hypotension (SIH) bei 5 pro 100 000 (1). «Ob das wirklich stimmt oder ob es sich hier um eine unterdiagnostizierte Erkrankung handelt, weiss jedoch keiner. Denn die Diagnosekriterien sind immer noch lückenhaft, und die Diagnostik an sich ist schwierig», erläuterte Ulrich in diesem Zusammenhang. Betroffen seien meist jüngere Erwachsene und Frauen häufiger als Männer. Georg Schaltenbrand beschrieb die SIH erstmals 1938 und bezeichnete sie als Liquorunterdrucksyndrom, verursacht durch eine Aliquorrhö, die traumatisch, toxisch oder aufgrund einer Plexusatrophie entstanden war (2). «Heute wissen wir, dass die SIH durch ein Liquorleck im Bereich der spinalen Achse bedingt ist. Die dem Leck zugrunde liegende Ursache ist aber nach wie vor idiopathisch», so Ulrich. Die Symptome einer SIH beschrieb er wie folgt: «Betroffene berichten über plötzlich neu aufgetretene, tägliche, lageabhängige Kopfschmerzen mit Begleiterscheinungen wie Schwindel, Übelkeit und intermittierenden Doppelbildern. Eine unserer Patientinnen war so stark beeinträchtigt, dass sie sich nicht einmal mehr zum Essen aufrichten konnte. Anamnestisch berichtete sie über ein Bagatelltrauma zwei Tage vor Beginn der Symptome.
Ähnliches findet sich in der Anamnese vieler Patienten mit einer SIH.» Dr. Ulrich erläuterte im Weiteren, dass sie für Patienten mit einer nicht auf konservative Massnahmen (Bettruhe, Supportivtherapie, Blutpatch) ansprechenden SIH in Bern ein systematisches diagnostisches Stufenschema entwickelt hätten, mit dem Ziel der genauen Lokalisation des wenige Millimeter grossen Liquorlecks. Das Stufenschema umfasst nicht invasive (kranielle Magnetresonanztomografie [MRI], spinale MRI 3T SPACE, transorbitalen Ultraschall der Opticusscheide) und invasive Techniken wie eine Lumbalpunktion mit Eröffnungsdruck und computergestütztem Infusionstest, gegebenenfalls ein spinales MRI mit intrathekaler Kontrastmittelaufnahme, eine dynamische Myelografie, ein Post-Myelo-CT der Zielregion sowie, bei bekannter Höhe des Liquorlecks, eine mikrochirurgische Exploration.
Zwei Hauptursachen identifiziert In der kranialen Bildgebung lassen sich verschiedene indirekte Hinweise auf ein SIH finden. Dazu gehören ein meningeales Enhancement, subdurale Hämatome/Hygrome, prominente Venen, eine hypophysäre Vergrösserung
und eine Verlagerung des Gehirns nach unten
(sagging of the brain) (3). Ulrich berichtete, dass
sie mithilfe ihrer systematischen Diagnostik bei
Patienten mit therapieresistenter SIH die exakte
Höhe und durch die mikrochirurgische Explo-
ration die spezifischen Verletzungen der Dura
nachweisen konnten (4): «Verursacht wurden
diese in 71 Prozent der Fälle durch von den
Bandscheiben ausgehende verkalkte Mikro-
sporne.» Eine mikrochirurgische Behandlung
mit Entfernung der Sporne und Verschluss der
Dura führe in der Regel nach einer gewissen
Erholungsphase zum Verschwinden der Be-
schwerden. «Bei knapp 30 Prozent der Betrof-
fenen konnten wir eingerissene arachnoidale
Zysten mit defekter Dura an der abgehenden
Nervenwurzel als Ursache für die SIH nachwei-
sen», berichtete Ulrich weiter. «Wir können also
mittlerweile sagen, dass die Ursache einer SIH
nicht mehr als idiopathisch bezeichnet werden
sollte.»
Zusammenfassend erklärte er, dass es das Ziel
ihres diagnostischen Stufenschemas sei, die
Diagnose einer SIH eindeutig zu bestätigen
oder zu widerlegen, die exakte Höhe des Li-
quorlecks zu bestimmen und eine fokussierte
Behandlung, bis hin zum mikrochirurgischen
Verschluss, anbieten zu können. Mittlerweile
würden SIH-Patienten aus verschiedenen
europäischen Ländern zur Abklärung und Be-
handlung nach Bern überwiesen. Eine Koope-
ration mit entsprechenden Zentren in anderen
Ländern bestehe und werde in Zukunft auch
noch weiter ausgebaut.
G
Dr. Therese Schwender
Kontakt bei Fragen an den Preisgewinner Dr. Christian Ulrich (im Bild links). E-Mail: christian.ulrich@insel.ch
Referenzen: 1. Schievink WI: Spontaneous spinal cerebrospinal fluid
leaks and intracranial hypotension. JAMA 2006; 295: 2286–2296. 2. Schaltenbrand G: Neuere Anschauungen zur Pathophysiologie der Liquorzirkulation. Zentralbl Neurochir 1938; 3: 290–299. 3. Schievink WI et al.: Spontaneous spinal cerebrospinal fluid leaks. Cephalalgia. 2008; 28: 1345–1356. 4. Beck J et al.: Diskogenic microspurs as a major cause of intractable spontaneous intracranial hypotension. Neurology 2016; 87: 1220–1226.
4/2018
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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