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FORTBILDUNG
Chronische Pankreatitis – ein Review
Chronischer Alkoholkonsum und Rauchen gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer chronischen Pankreatitis. Wiederkehrende akute Pankreatitiden sind ein zentrales Merkmal der Erkrankung. Die Diagnose erfolgt anhand von Schnittbildverfahren oder endoskopischem Ultraschall. Da das Syndrom nicht geheilt werden kann, ist meist eine dauerhafte Behandlung von Schmerzen, Maldigestion und/oder sekundärem Diabetes erforderlich.
British Medical Journal
Die chronische Pankreatitis (CP) ist mit Entzündung und Fibrose sowie mit einem Verlust an exokrinem Gewebe (Azinuszellen) und endokrinem Gewebe (Inselzellen) verbunden. Weltweit erkranken etwa 50 von 100 000 Personen daran. In frühen Stadien deuten rezidivierende akute Pankreatitiden oder rezidivierende abdominelle Schmerzen auf eine CP hin. Zu den Spätkomplikationen, die Jahre oder Jahrzehnte nach Beginn der Erkrankung auftreten, gehören eine exokrine Insuffizienz (Steatorrhö) und/oder eine endokrine Insuffizienz (Diabetes).
Ursachen
Die Annahme, dass eine CP fast immer auf langjährigen Alkoholmissbrauch zurückzuführen ist, hat sich als falsch erwiesen. In einer grossen Studie war Alkohol für 60 Prozent der Erkrankungen bei Männern, jedoch nur für 28 Prozent der CP-Fälle bei Frauen verantwortlich. Bei ihnen handelte es sich eher um eine idiopathische Erkrankung. Langjähriger Alkoholkonsum gehört zwar zu den bedeutsamsten Risikofaktoren für eine CP. Das Syndrom entwickelt sich jedoch nur bei weniger als 5 Prozent der schweren Trinker. Durchschnittlich erhöhen 5 Drinks pro Tag über mehr als 5 Jahre das Risiko, während ein moderater Alkoholkonsum (< 1 Drink pro Tag) möglicherweise sogar vor allen Formen der Pankreatitis schützt.
MERKSÄTZE
Alkoholkonsum ist der bedeutsamste Risikofaktor für die Entwicklung einer chronischen Pankreatitis.
Zu den weiteren Risikofaktoren gehören Rauchen und genetische Mutationen.
Die Pankreasinsuffizienz kann mit einer Enzymersatztherapie behandelt werden.
Bei CP-Patienten sollte ein Monitoring im Hinblick auf sekundären Diabetes vorgenommen werden.
Mittlerweile hat sich auch das Rauchen als unabhängiger und ebenso bedeutsamer Risikofaktor wie der Alkoholkonsum erwiesen, wobei Rauchen und Alkoholkonsum synergistisch wirken. Genetische Mutationen und Polymorphismen sind ebenfalls Risikofaktoren für die Entwicklung einer CP. Die autoimmune Pankreatitis tritt in zwei Erscheinungsformen auf, die einem Pankreaskarzinom mit Verschlussikterus ähneln können. Autoimmune Pankreatitiden sprechen meist auf eine Steroidtherapie an, rezidivieren jedoch häufig beim Absetzen dieser Medikamente. Zu den weiteren Risikofaktoren für eine CP gehören dauerhafte Obstruktionen des Pankreasgangs, beispielsweise durch eine Striktur, wiederholte akute Pankreatitiden sowie eine einmalige schwere nekrotisierende akute Pankreatitis. Starkes Übergewicht und langjähriger Diabetes können eine CP ebenfalls begünstigen.
Diagnose
Eine CP wird meist aufgrund klinischer Kriterien wie rezidivierender pankreastypischer Schmerzen (Oberbauchschmerzen, die in den Rücken ausstrahlen) oder bei Auftreten von Steatorrhö oder Diabetes vermutet. Die Diagnose basiert auf Schnittbildverfahren wie einer Computertomografie (CT), einer Magnetresonanztomografie (MRT), einer (sekretinverstärkten) MagnetresonanzCholangiopankreatikografie (MRCP) oder auf einer endoskopischen Ultraschalluntersuchung (EUS). Im frühen Verlauf der CP ist allerdings mit diesen Verfahren nicht immer eine eindeutige Diagnose möglich, da die Bauchspeicheldrüse oft noch relativ normal erscheint. Erst bei fortschreitender Erkrankung entwickeln sich Pankreasatrophien, Kalzifizierungen und Pankreasganganomalien. Zur Diagnose einer CP – vor der Entwicklung radiologischer Merkmale – stehen Pankreasfunktionstests zur Verfügung. Aber auch diese sind nicht immer aussagekräftig, da in frühen Stadien die Funktionsfähigkeit der Bauchspeicheldrüse oft noch weitgehend erhalten ist.
Management
Da die Erkrankung nicht heilbar ist, benötigen die meisten CP-Patienten eine dauerhafte Behandlung von Schmerzen,
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Maldigestion und/oder Diabetes. Alle Patienten sollten darüber informiert werden, dass Alkoholkonsum und Rauchen den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussen und daher vermieden werden sollten.
Abdominelle Schmerzen
Am häufigsten leiden CP-Patienten unter abdominellen Schmerzen. Die Schmerzmechanismen im Zusammenhang mit der geschädigten Bauchspeicheldrüse sind komplex, und häufig kommt es zu Veränderungen der Nozizeptorfunktion und der zentralen Schmerzwahrnehmung. Bei ungewöhnlich starken Schmerzen oder unerwarteter Verschlimmerung sollte der Patient auch im Hinblick auf Komplikationen wie Pseudozysten, duodenale Obstruktionen, Gallengangobstruktionen oder sekundäre Pankreasmalignitäten untersucht werden. Bei CP-bedingten Schmerzen kann die Stufenleiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Auswahl geeigneter Analgetika für das Schmerzmanagement herangezogen werden. Häufig werden auch unterstützende Medikamente wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), trizyklische Antidepressiva (TCA) oder Gabapentoide angewendet. Diese Medikamente können allein oder in Verbindung mit Analgetika appliziert werden.
Eine Abstinenz von Alkohol und Rauchen verlangsamt nicht nur die Progression, sondern wirkt sich häufig auch positiv auf die Schmerzen aus. Eine angemessene Ernährung und eine erfolgreiche Behandlung der Maldigestion können das Schmerzgeschehen ebenfalls günstig beeinflussen. Bei manchen Patienten ist mit endoskopischen Eingriffen (Stents oder Steinentfernung) oder chirurgischen Eingriffen (Drainage des Pankreasgangs oder Resektion) eine Schmerzlinderung möglich.
Malabsorption
Ein Pankreasenzymmangel (PEI) tritt nach einer durchschnittlichen Erkrankungsdauer von 10 bis 15 Jahren auf und ist mit einer Maldigestion von Kohlenhydraten, Proteinen und Fett verbunden. Die Fettmaldigestion ist die häufigste und schwerwiegendste Komplikation. Zu einer Steatorrhö kommt es bei einer Verringerung der Enzymproduktion um mehr als 90 Prozent oder bei einer Blockade des Pankreasgangs, die verhindert, dass die Enzyme das Duodenum erreichen. Eine Malabsorption fettlöslicher Vitamine (A, D, E und K) wird ebenfalls häufig beobachtet. Bei zwei Dritteln der Patienten mit PEI entwickelt sich eine Osteopenie oder Osteoporose. Zur Evaluierung eines PEI kann eine Bestimmung der fäkalen Elastase vorgenommen werden
Tabelle:
Verlauf, Diagnose und Behandlung der chronischen Pankreatitis
Normaler Pankreas
Frühe chronische Pankreatitis
Späte chronische Pankreatitis
Klinische Charakteristika
Diagnostische Untersuchungen
Behandlung
3 bis 5 Jahre
5 bis 10 Jahre und später
L akute rezidivierende Pankreatitis L chronische oder rezidivierende
Schmerzen
L Ultraschall und CT; meist nicht diagnostisch
L endoskopischer Ultraschall L sekretinverstärkte MRCP L Pankreasfunktionstests
L medikamentöse Schmerztherapie L Toxinvermeidung (Alkohol, Rauchen) L Analgetika
– nicht narkotische – niedrigpotent narkotische wie Tramadol L Gabapentoide, SSRI, TCA
L chronische oder rezidivierende Schmerzen
L exokrine Pankreasinsuffizienz L pankreatogener Diabetes L sekundäres Pankreaskarzinom
L CT; meist diagnostisch L MRT/MRCP; meist diagnostisch L fäkale Elastase zur Evaluierung von PEI L HbA1c-Wert für Diabetes
L kontinuierliche Schmerztherapie L endoskopische oder
chirurgische Schmerztherapie – bei erweitertem Pankreasgang L Pankreasenzymersatztherapie – zusätzlich Vitamin D und Kalzium – Nährstoffevaluation und Monitoring L Diabetesbehandlung
CT: Computertomografie; MRT: Magnetresonanztomografie; MRCP: Magnetresonanz-Cholangiopankreatikografie; PEI: Pankreasenzymmangel; SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; TCA: trizyklische Antidepressiva (nach Gupte et al. 2018).
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(< 200 µg/g Stuhl = leichter PEI; < 100 µg/g Stuhl = schwerer PEI). Serumtrypsinwerte unter 20 ng/ml weisen ebenfalls auf einen PEI hin. Der Enzymmangel kann mit einer Pankreasenzymersatztherapie (PERT) behandelt werden. Dazu stehen Pankreasextrakte vom Schwein mit Lipase, Amylase und Proteasen zur Verfügung (Pankreatin; Combizym®, Creon®, Panzytrat®). Die Wirksamkeit der Pankreasenzymersatztherapie wird anhand des Steatorrhöstatus, der Gewichtszunahme und der Serumspiegel fettlöslicher Vitamine evaluiert. Bei unzureichendem Ansprechen trotz Dosiseskalation sollte nach anderen Ursachen der Malabsorption wie einer Zöliakie oder einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms gesucht werden.
Sekundärer Diabetes
In späteren Stadien der CP entwickelt sich häufig ein sekundärer Diabetes (Diabetes Typ 3). Dabei kommt es zu einem Verlust der Betazellen, einer beeinträchtigten Insulinsekretion und einem Verlust an gegenregulatorischen Hormonen wie Glukagon. Bei den Patienten kann ein Brittle-Diabetes oder eine Mangelernährung mit nicht vorhersagbarer Nährstoffaufnahme vorliegen, was mit einem erhöhten Risiko für behandlungsinduzierte Hypoglykämien verbunden ist. Manche Patienten mit Diabetes Typ 3 können mit oralen Antidiabetika behandelt werden, die meisten benötigen jedoch Insu-
lin. Zusätzlich ist ein optimales Management des PEI erforderlich, um eine kalkulierbare Nährstoffabsorption zu gewährleisten.
Weitere Komplikationen
Bei CP-Patienten kann sich eine Obstruktion des Duodenumoder Gallengangs entwickeln, was zu einer gastrischen Outlet-Obstruktion oder zum Ikterus führt. Obstruktionen benachbarter vaskulärer Strukturen – der Milzvene oder der Pfortader – können gastrische oder ösophageale Varizen verursachen. Zudem liegt bei CP-Patienten ein erhöhtes Risiko für Pankreasmalignitäten vor. Daher sollten bei Veränderungen der Symptomatik wie Gewichtsverlust oder funktionellem Verfall entsprechende Untersuchungen vorgenommen werden. Ein Pankreaskarzinom sollte vor allem bei schlanken älteren Patienten mit neu einsetzendem Diabetes in Betracht gezogen werden, bei denen kein familiärer Diabetes vorhanden ist. L
Petra Stölting
Quelle: Gupte A et al.: Chronic pancreatitis. BMJ 2018; 361: k2126; doi: 10.1136/bmj.k2126.
Interessenlage: Einer der vier Autoren der referierten Studie war als Berater für verschiedene Pharmaunternehmen tätig. Die anderen erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.