Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Die sogenannte Seniorenbewilligung ist Thema des Editorials in diesem Heft. Kollege W. G. hat uns dazu eine satirisch angehauchte und doch anrührende Geschichte geschickt, die genauso gut wahr wie erfunden sein könnte. Sie zeigt jedenfalls die ganze Absurdität der aktuellen Regelung.
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Sie, liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege, die oder der Sie noch in der Praxis arbeiten, kennen den Hintergrund dieses Geschichtchens vermutlich (noch) nicht. Die Zürcher Gesundheitsdirektion ist offenbar der Ansicht, dass Ärzte, die ihre Praxisbewilligung abgegeben haben und nun weder bei Krankenkassen noch Kanton als praktizierende Ärzte registriert sind, in affenartiger Geschwindigkeit verblöden und deshalb umgehend daran zu hindern sind, beim Grossisten oder in der Apotheke selbstständig Medikamente einzukaufen und sich, ihre Familie und den einen oder andern Freund korrekt zu behandeln, gratis natürlich und deshalb zum Wohl der Krankenkassen. Stattdessen sind die alten Ärzte mit Jahrzehnten an Erfahrung sofort gewöhnlichen Patienten gleichzustellen. Was bedeutet, dass sie ohne ein «richtiges» Rezept – nämlich einem nicht von Ihnen selbst, sondern von einem «richtigen», nämlich noch praktizierenden Arzt ausgestellten – nicht mehr zu einem rezeptpflichtigen Medikament kommen, schon gar nicht zu einer läppischen Kleinstpackung Lexotanil 1,5 mg, einem Betäubungsmittel. Hinweis: https://seniorenbewilligung. jimdofree.com
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Kennen Sie das auch: Sie fragen nach dem Weg, hören sich die Auskunft an, bedanken sich, gehen in die angegebene Richtung und merken gleichzeitig, dass Sie die Beschreibung schon vergessen haben. Das ist offenbar ein weltweit bekanntes Phänomen. in Hawaii gibt es dafür sogar einen eigenen Begriff: akihi.
Das Ende oder Eine Zürcher Geschichte
Ein alter Kardiologe spürte nach sieben Treppenstufen ein Stechen in der Brust und in
der linken Achselhöhle. «Typisch», murmelte er und kramte nach einer Kapsel Nitro-
glyzerin; er wusste genau, dass ihn einige dieser Gelatinekügelchen seit Jahren in der
Reiseapotheke rund um die Welt begleitet hatten. Sie waren am Ort, steinhart zwar,
aber mit dem Taschenmesser angestochen, floss noch der segensreiche Tropfen. Und
tatsächlich, der Schmerz war weg. Und so machte er sich auf zur nahen Apotheke.
Nitroglyzerin wolle er, Kapseln oder Spray.
«Guter Mann, da brauchen Sie aber ein Rezept.» – «Ich war Doktor.» – «Haben Sie
einen Ausweis?» – «Ah, ja, natürlich, eine Karte der FMH.» – «Die sieht heute aber an-
ders aus, Moment bitte.» Die junge Frau mit besorgt ernstem Gesicht ging zum Bild-
schirm, der zugleich als Kasse diente, und tippte und tippte. Es dauerte. «Ich finde Sie
in keinem Register und überhaupt, gehen Sie, ohne Zeit zu verlieren, zu einem Arzt, Ihre
Beschwerden könnten lebensgefährlich sein.» – «Ich möchte aber nicht zum Arzt, ich
möchte nur keine Schmerzen, wenn denn welche kommen.» – «Das wollen alle, aber
ich darf ohne Rezept nichts abgeben.» – «Gute Frau, ich bin am Ende meines Lebens,
und der Herztod ist mein Freund. Ich möchte ihn persönlich empfangen, nicht hinter
Barrikaden von Spitalapparaturen.» Die Frau schüttelte den Kopf und wollte bereits
ihre Vorgesetzte, die Apothekerin, holen, um über einen fürsorgerischen Freiheitsentzug
oder das Kardiomobil zu entscheiden, da erinnerte er sich: «Ja, stimmt, Sie haben recht,
ich hatte es fast vergessen: Ich hatte seit vielen Jahren eine ärztliche Seniorenbewilli-
gung für meine Medizin, aber diese Bewilligung gibt es neu nur noch mit Berufshaft-
pflicht und Fortbildungszertifikat. Ist schon gut, danke und auf Wiedersehen.»
Der alte Kardiologe machte sich auf den Heimweg, auf dem sein Wunsch erfüllt
wurde. Er durfte seinen Freund persönlich empfangen. Dank der letzten Nitrokapsel
ohne Schmerzen.
W. G.
Akihi bedeutet «eine Wegbeschreibung hören, loslaufen und die Beschreibung dabei vergessen». (Wir sind alle Hawaiianer …)
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anständig produzierte Nahrung will, kauft sie weiter teurer bei uns, und wer nur Billiges will, sowieso weiterhin ennet der Grenze. Nein, das eine Pro-Argument genügt.
Es gibt viele Argumente gegen die FairFood-Initiative, aber kein schlagendes. Hingegen gibt es ein überzeugendes Argument dafür: Warum sollen Nahrungsmittel aus dem Ausland nicht denselben Anforderungen an Produktions- und Tierhaltungsmethoden genügen, die bei uns gelten? Weil’s schwierig zu kontrollieren ist? Weil dann geschummelt wird? Das war doch noch nie ein ernsthafter Grund gegen Vorschriften. Weil Nahrungsmittel dann teurer werden? Aber hallo, wir zahlen eh fast nichts mehr für unser Essen, und fair produzierte Lebensmittel dürfen doch wohl ein munziges Bisschen (mehr ist’s nicht im Vergleich zu iPhone, Klamotten, Kosmetika & Co.) mehr kosten. Weil dann mehr «drüben» eingekauft wird? Unsinn. Wer
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Umweltschutz ist, wenn der Staat erlaubt, einen ganzen Wald zu roden, um Braunkohle zu fördern und damit den dreckigst möglichen Strom zu erzeugen, aber gleichzeitig Fahrverbote für Dieselautos erlässt.
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Und was meint Walti? Heute rein gar nichts. Das Nachdenken über das Ende der Seniorenbewilligung hat ihm die Sprache verschlagen.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 19 | 2018