Transkript
GASTROENTEROLOGIE/HEPATOLOGIE
Interview mit Gerhard Rogler
«Wir haben heute viel mehr Möglichkeiten zu helfen»
Foto: KD
Bessere Vergleichsmethoden von Studien, Erstzulassungen von Januskinaseinhibitoren, neue p19-Antikörper oder Hoffnung auf Stammzelltherapie bei Fisteln – das waren nur einige Highlights am ECCO-Kongress in Wien, die der Gastroenterologe Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich für uns kommentiert hat.
darf. Die dortigen Kollegen werden diese neuen Informationen sicher nutzen.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich
Herr Prof. Rogler, was nehmen Sie mit vom diesjährigen ECCO-Kongress? Gerhard Rogler: Beeindruckt hat mich die neue Methode der «propensity score-matched analysis», nach der man nun die Effizienz und Wirksamkeit neuer Therapien miteinander vergleichen kann. Da steckt viel Statistik drin, und sie ist auch relativ schwer zu verstehen. Aber immerhin haben wir jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit, Vergleiche zwischen Medikamenten anzustellen, für die es keine echten Vergleichsstudien gibt. Beispielsweise wurden mit dieser Analyse zwei grosse Kohorten gematched, nämlich Patienten unter Vedolizumab und unter TNF-Hemmern. Die Gruppen wurden in den gleichen Zentren behandelt und waren auch hinsichtlich vieler Krankheitscharakteristika gut vergleichbar. Und da kam heraus, dass Vedolizumab zumindest nicht schlechter ist als die TNF-Hemmer. Diese ähnliche Effizienz ist für mich als jemand, der mit diesen Medikamenten täglich umgeht, schon eine wichtige Information. Bisher gingen viele davon aus, dass Vedolizumab gerade bei Morbus Crohn schwächer wirkt. Das hat dazu geführt, dass es in Frankreich nur noch bei Colitis ulcerosa eingesetzt werden
Wie steht es mit den Januskinaseinhibitoren? Rogler: In diesem Jahr kommt vermutlich Tofacitinib auf den Markt. (Anm. d. Red.: Neu ist die Indikation, Tofacitinib ist als Xeljanz® bereits bei rheumatoider Arthritis zugelassen.) Da war es wichtig, neue Informationen zur Effizienz bei schwerer Colitis ulcerosa oder auch zu den Nebenwirkungen wie der Malignität zu bekommen. Hinsichtlich der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen sieht das grundsätzlich gut aus. Allerdings gibt es eine gewisse Cholesterinerhöhung, und zwar sowohl beim LDL als auch beim HDL. Wenn das Medikament bei uns zum Einsatz kommt, werde ich bei den Patienten nach ein paar Wochen ein Lipidprofil erstellen. Spezifisch für die JAK-Inhibitoren scheint auch eine gewisse Anfälligkeit für Herpes zoster zu sein, sowohl lokal als auch systemisch. Das ist klassenspezifisch und bislang noch nicht verstanden. Gegenwärtig wird aus diesem Grund ein neuer Impfstoff entwickelt. All das muss man mit den Patienten besprechen. Auch Upadacitinib scheint vielversprechend zu sein. In den kommenden Jahren werden wir vermutlich drei oder vier dieser JAK-Inhibitoren haben. Das ist eine spannende Entwicklung.
Spannend sind auch die neuen Antikörper … Rogler: Ja, wir bekamen viele neue Daten zu einem p19-Antikörper präsentiert, sowohl aus Grundlagenstudien als auch aus Phase-II-Studien. Der könnte irgendwann eine harte Konkurrenz zu Ustekinumab werden. Denn nach allem, was man hört, ist eine selektiv auf p19 gerichtete IL-23-Hemmung effektiver als eine, die gleichzeitig IL-12 und IL-23 blockiert. Interessant sind auch geplante Programme mit Headto-head-Vergleichen des p19-Antikörpers mit TNF-Hemmern oder Vedolizumab. Solche Head-to-head-Studien könnten eine Chance für die noch nicht so etablierten Firmen sein.
Haben sie etwas Neues zur Fibrose gehört? Rogler: Das Thema Fibrose wird immer wichtiger. Man kann zwar mit TNF-Inhibitoren und Immunsuppressiva den Über-
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gang vom entzündlichen Crohn zum penetrierenden mit Abszessen und teilweise auch Fisteln verhindern, aber der Übergang vom entzündlichen zum fibrosierenden Crohn wird dadurch praktisch nicht beeinflusst. Fibrose entsteht da, wo Entzündung ist. Ist sie einmal angestossen, läuft sie immer weiter, und es bleibt nur noch die Chirurgie. Eine medikamentöse Therapie in diesem Bereich fände ich sehr wichtig. Derzeit werden neue radiologische klinische Endpunkte definiert. Vor ein paar Jahren hatten wir eine ECCO-Sitzung, an der beschlossen wurde, das Thema Fibrose mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Das dauerte seine Zeit, aber jetzt bin ich froh, dass das passiert ist.
spektive Analyse vorgestellt. Jetzt sollte man schauen, ob man mehr erreicht, wenn die Träger bestimmter negativer Keime als Stuhldonatoren ausgeschlossen werden. Allerdings könnten dann andere Keime vielleicht metabolisch dasselbe Problem machen. Grundsätzlich haben wir jedoch gesehen, dass eine Stuhltransplantation mit bestimmten Keimen bei einer Dysbiose funktionieren kann. Das ist ein guter Ansatz. Aber wir brauchen noch viel mehr Informationen, um das wirklich zu verstehen.
FMT als potenzielle Behandlung
Apropos Fisteln: Da tut sich seit ein paar Jahren etwas ganz Spannendes. Rogler: Es gab einige Analysen und Präsentationen zu mesenchymalen Stammzellen, die zur Abheilung von Fisteln eingesetzt werden. Ein sehr wichtiges Thema. Diese neue Therapie wird ab diesem Jahr zur Verfügung stehen, in der Schweiz aus logistischen Gründen nur in Lausanne und Zürich. Das neue Produkt Cx601 (Darvadstrocel/Alofisel®) wird aus allogenen Stammzellen gewonnen, also Stammzellen von Spendern. Tatsächlich rufen mesenchymale Stammzellen so wenig Immunreaktionen hervor, dass es völlig egal ist, ob sie autolog oder allogen sind. Für Patienten mit Fisteln sind das alles sehr positive Zukunftsperspektiven. Verschlussraten von 60 bis 70 Prozent – das wäre fantastisch. Ich habe schon etliche Anfragen auf dem Schreibtisch, wann die Therapie nun endlich bei uns zugelassen und einsetzbar ist. Übrigens haben auch wir Versuche zur Fistelheilung gemacht: Wenn man eine Kürettage des Fistelganges vornimmt und dann Doxycyclin einspritzt, führt das zu einer lokalen Entzündung. Das herausgeschwitzte Fibrin verklebt die Fistelgänge und tötet die oberflächliche Zellschicht ab, welche normalerweise die Fisteln aufrechterhält. Die Verschlussraten sind da ebenfalls sehr hoch. Mich persönlich hat die Verleihung des Pioneer Awards an unser Labor für unser Fistelmodell sehr gefreut.
Der Gedanke einer Übertragung von Fremdfäkalien in den
eigenen Körper zwecks Mikrobiomverbesserung (FMT) ist
gewöhnungbedürftig. Mediziner aus Ulm wollten erfahren,
was CED-Patienten darüber wissen und denken. Von den
302 Befragten litten 63 Prozent an Morbus Crohn und
37 Prozent an Colitis ulcerosa. 51 Prozent hatten zuvor be-
reits von FMT gehört, 47 Prozent könnten sich, vor allem
wenn dadurch eine Operation vermieden werden könnte,
eine Behandlung potenziell vorstellen. Als bevorzugte Me-
thoden wurden eine koloskopische Einführung (30%) und
die Einnahme von Kapseln (44%) angegeben, wobei ein
Drittel dieser Patienten bereit wäre, die Kapseln auch
wöchentlich zu nehmen.
KD L
Quelle: Schäfer A et al: Patients Perceptions on fecal microbiota transfer in IBD. ECCO 2018; Poster
«Während man sich in der Vergangenheit eine negative Studie nach der anderen anhören musste, sind die Studien zu den heutigen Innovationen zumeist positiv.»
«Ich finde es aber schon wichtig, dass weiter nach Prädiktionsmöglichkeiten gesucht wird.»
Was halten Sie von den neuen Studien zur Prädiktion von CED? Rogler: Ich bin bei den neuen Prädiktivmarkern eher skeptisch. Das verbessert möglicherweise etwas unser «try and error», aber das ist nichts, mit dem man eine solide Therapie im Vorfeld planen könnte. Ich finde es aber schon wichtig, dass weiter nach Prädiktionsmöglichkeiten gesucht wird. Aber die fünf Poster zu den Prädiktivmarkern zeigen Ergebnisse, die wir schon kannten.
Aber die Zusammensetzung des Darmmikrobioms bei Stuhltransplantation scheint gewisse Vorhersagen zuzulassen … Rogler: Man weiss heute besser, welche Keime im Darm eher negativ wirken und welche Keime positive Prädiktoren hinsichtlich einer Remission sind. Das finde ich schon spannend. Letztlich ist aber die Genauigkeit dieser Prädiktoren noch nicht sehr hoch. Am ECCO-Kongress wurde dazu eine retro-
Kurzes Fazit zum Kongress?
Rogler: Wenn ich ganz ehrlich bin, gab es am diesjährigen
ECCO-Kongress nicht so sehr viel Neues.
Aber einen grossen Unterschied zu früher gibt es schon: Wäh-
rend man sich in der Vergangenheit eine negative Studie
nach der anderen anhören musste, sind die Studien zu den
heutigen Innovationen zumeist positiv. Vor fünf Jahren hat-
ten wir TNF-Hemmer, Steroide und 5-ASA – und sonst
nichts. Jetzt werden permanent neue hoffnungsvolle Wirk-
stoffe vorgestellt.
Als ich Assistent war, sassen oft sehr unglückliche Patienten
vor einem, und wir hatten kaum Möglichkeiten, ihnen zu
helfen. Operieren wollte man nicht, also mussten wieder
Steroide ran. Heute kann man den Grossteil der Patienten
ganz anders behandeln und damit viele Komplikationen
verhindern.
L
Das Interview führte Klaus Duffner.
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