Transkript
FORTBILDUNG
Therapieoptionen bei chronischer induzierbarer Urtikaria
Aktualisierung der gemeinsamen Leitlinie von EAACI/GA2LEN/EDF/WAO
Im Rahmen einer Leitlinienaktualisierung wurden Wirksamkeit und Sicherheit der derzeit verfügbaren Optionen zur Behandlung verschiedener Formen der chronisch induzierbaren Urtikaria untersucht. Experten verschiedener Fachgesellschaften empfehlen auch weiterhin eine abgestufte Therapie mit Antihistaminika der zweiten Generation in ein- bis vierfacher Dosis, dem IgE-Antikörper Omalizumab und Ciclosporin.
Journal of Allergy and Clinical Immunology
Eine Urtikaria ist durch Quaddeln, Angioödeme und Juckreiz gekennzeichnet. Sie gilt als chronisch, wenn die Beschwerden länger als sechs Wochen bestehen bleiben. Die spontane chronische Urtikaria (SCU) entwickelt sich ohne erkennbare Ursache. Chronische induzierbare Urtikarien (CindU) stehen dagegen mit bestimmten Triggern in Verbindung. Physikalische Urtikarien werden durch physikalische Reize wie Hitze, Kälte, Vibration oder Druck ausgelöst. Zu den weiteren Formen der CindU gehören die cholinerge Urtikaria, die Kontakturtikaria und die aquagene Urtikaria. Das Management der CindU beinhaltet das konsequente Vermeiden der jeweiligen Trigger. Ist dies nicht möglich, wird die Erkrankung leitliniengemäss nach einem Stufenplan mit Antihistaminika in einfacher bis vierfacher Dosis, dem IgE(Immunglobulin E-)Antikörper Omalizumab (Xolair®) und Ciclosporin (Sandimmun® und Generika) behandelt.
Review und Leitlinienaktualisierung
In einem systematischen Review untersuchten Corinna Dressler von der Charité in Berlin (D) und ihre Arbeitsgruppe die Sicherheit und Wirksamkeit der derzeit verfügbaren Optionen zur Behandlung von CindU. Die Evaluierung erfolgte im Rahmen einer Aktualisierung der gemeinsamen Leitlinie der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI), des Global Allergy and Asthma European Network (GA2LEN), des European Dermatology Forum (EDF) und der World Allergy Organization (WAO) zum Management der Urtikaria.
MERKSÄTZE
Zur Behandlung der chronischen induzierbaren Urtikaria gelten H1-Antihistaminika der zweiten Generation als Medikamente der ersten Wahl.
Bei unzureichendem Ansprechen auf Antihistaminika kann Omalizumab angewendet werden.
Als weitere Alternative steht Ciclosporin zur Verfügung.
In ihrem Review werteten die Wissenschaftler dreissig randomisierte Studien und kontrollierte Interventionsstudien aus. Bei den meisten Studien handelte es sich um Cross-overStudien mit wenigen Teilnehmern, die an Kälteurtikaria, symptomatischem Dermografismus, cholinerger Urtikaria oder Druckurtikaria litten. Zu anderen CindU-Formen lagen keine Studien vor. Das Verzerrungsrisiko war häufig unklar oder hoch.
Kälteurtikaria
In einer Studie war das Antihistaminikum der ersten Generation Ketotifen (Zaditen®) nach Auskunft der Patienten wirksamer als Plazebo. Chlorphenamin (Arbid N®) und Hydroxyzin (Atarax®) zeigten in zwei anderen Studien keine bessere Wirksamkeit als Plazebo. In acht Studien erwiesen sich H1-Antihistaminika der zweiten Generation zur Behandlung der Kälteurtikaria als wirksamer im Vergleich zu Plazebo. Beim Vergleich verschiedener Dosierungen war lediglich die vierfache Dosis einer einfachen Dosis überlegen. Bei der Behandlung von Quaddeln waren Rupatadin (nicht im AK der Schweiz) und Acrivastin (in der Schweiz nicht mehr erhältlich) in jeweils einer Studie wirksamer als Plazebo. Zwischen Mizolastin (in der Schweiz nicht mehr erhältlich) und Plazebo wurde kein Unterschied beobachtet. Zur Beurteilung weiterer Substanzen wie Doxepin (Sinquan®) oder Cyproheptadin (in der Schweiz nicht mehr im Handel) lagen keine ausreichenden Daten vor. In einer Studie erwies sich Omalizumab bei der Behandlung von Kälteurtikaria als wirksam.
Symptomatischer Dermografismus
Auch bei dieser Erkrankungsform waren Antihistaminika der zweiten Generation wie Cetirizin (Zyrtec® und Generika) oder Acrivastin wirksamer als Plazebo. Mit einer Kombination von Cetirizin und dem Glukokortikoid Betamethason (z.B. Betnesol®) wurde im Vergleich zur Monotherapie mit Cetirizin keine weitere Verbesserung erreicht. Zwischen der Wirksamkeit von Astemizol (in der Schweiz nicht mehr im
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Handel) und Chlorphenamin wurde bei der Behandlung von Quaddeln in einer Studie kein Unterschied beobachtet. In einer anderen Studie war das Dihydropyridin Nifedipin in verschiedenen Dosierungen nicht wirksamer als Plazebo. In einer weiteren Studie zeigte Omalizumab bei unzureichendem Ansprechen auf Antihistaminika Wirksamkeit.
Druckurtikaria
Im Rahmen des Reviews konnte nicht geklärt werden, ob Antihistaminika der zweiten Generation als Monotherapie zur Behandlung einer Druckurtikaria geeignet sind. Zwischen Cetirizin und Plazebo sowie zwischen Desloratadin (Aerius® und Generika) und Plazebo wurde kein Wirksamkeitsunterschied beobachtet. Mit einer Kombination von Desloratadin oder Loratadin (Claritine® und Generika) mit Montelukast (Sinclair® und Generika) wurde eine Verbesserung der Symptomatik im Vergleich zur jeweiligen Monotherapie erzielt.
Cholinerge Urtikaria
In drei kleinen Studien mit hohem Verzerrungsrisiko waren
Hydroxyzin, Cetirizin und Acrivastin bei cholinerger Urtika-
ria wirksamer als Plazebo. In einer weiteren Studie erwies
sich Chlorphenamin in Kombination mit Maprotilin (in der
Schweiz nicht mehr im Handel) als wirksamer im Vergleich
zur Kombination mit Chlordiazepoxid (in der Schweiz als
Monopräparat nicht mehr im Handel), Clidiniumbromid (in
der Schweiz nicht als Monopräparat erhältlich) oder Cimeti-
din (in der Schweiz nicht mehr im Handel).
L
Petra Stölting
Quelle: Dressler C et al.: Chronic inducible urticaria: a systematic review of treatment options. J Allergy Clin Immunol 2018; 141(5): 1726–1734.
Interessenkonflikte: Drei der sechs Autoren der referierten Studie haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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