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Was bringt Managed
Managed Care – das Zukunftsmodell unserer medizinischen Versorgung? Jedenfalls ein Modell, das von der Politik stark gefördert wird, soll es doch zu einer besseren Koordination und Versorgungsqualität beitragen und gleichzeitig die Gesundheitskosten senken. Doch was bringt Managed Care den Patienten?
von Karin Diodà
D ie Begriffe «Managed Care» und «integrierte Versorgung» bedeuten dasselbe. Die Idee, die dahinter steckt, ist an sich überzeugend: Indem die ambulante medizinische Versorgung besser geplant und gesteuert wird, lassen sich unnötige Abklärungen und Doppelspurigkeiten vermeiden. Die Behandlung wird dadurch effizienter, die Qualität verbessert und der Zugang zu medizinischen Leistungen optimiert. Für alle Beteiligten schaut etwas dabei heraus: Die Patienten bezahlen weniger Prämien, die Krankenkassen sparen Kosten. Die Ärzte tragen je nach System eine Mitverantwortung für die Höhe der Kosten ihrer Patienten, das heisst, sie profitieren in beschränktem Ausmass, wenn sie weniger Kosten verursachen. Damit wird in der integrierten Versorgung auf finanzielle Anreize gesetzt. Weshalb aber haben angesichts dieser Vorteile nicht längst alle Versicherten ein Managed-Care-Modell gewählt? Und weshalb arbeitet bis heute nur rund die Hälfte der Ärzte in einem Ärztenetz, das integrierte Versorgung anbietet?
Mehrheit der Patienten
besteht auf freier Arztwahl Für die Patienten bedeutet Managed
Care, immer zuerst den (Haus-)Arzt aufzusuchen, wenn sie krank sind, und nicht direkt zum Spezialisten zu gehen. Es ist also immer der Hausarzt (oder ein Arzt der gleichen Managed-Care-Praxis), der die gesamte Behandlung koordiniert und in einem Netzwerk mit Spezialärzten, Labors und Physiotherapeuten zusammenarbeitet. Managed Care bedeutet damit eine Einschränkung der freien Arztwahl. Dies ist genau der Punkt, bei dem viele Patienten Bedenken äussern. Das ergab auch eine Befragung des «Gesundheitsmonitors 2010» bei 1200 Stimmberechtigten: Die Mehrheit der Bevölkerung besteht auf der freien Arztwahl. Ausserdem scheint die integrierte Versorgung nicht für alle Patienten gleichermassen attraktiv. Wer jung und gesund ist, fühlt sich mit Managed Care gut versorgt. Hingegen stösst das Modell bei älteren und chronisch kranken Menschen nach wie vor auf Skepsis bis Misstrauen. Auf die Frage «Kommt für Sie eine Versicherung in einem ManagedCare-Modell infrage?», antworteten gerade einmal 11 Prozent der 60- bis 69Jährigen mit Ja, während es in der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen 27 Prozent waren. Auch wenn die Einschrän-
kung der freien Arztwahl normalerweise kaum negative Auswirkungen hat, wird sie von vielen Patienten als massiver Eingriff in das Verhältnis zwischen Patient und Arzt empfunden. Ganz besonders dann, wenn sie beim Übertritt in ein Managed-Care-Modell ihren Hausarzt wechseln müssten.
Grosse Hoffnungen
aufseiten der Politik Die Politik setzt grosse Hoffnungen in Managed Care, in erster Linie weil sie sich davon Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen verspricht. Sie fördert die Reform mit finanziellen Anreizen, um so die Patientennachfrage nach integrierter Versorgung zu steigern. So beschloss der Nationalrat im Juni, dass künftig der Selbstbehalt bei Arztrechnungen für Patienten, die nicht in einem Ärztenetz sind, verdoppelt wird. Oder anders herum: Wer weiterhin seinen Arzt frei wählen möchte, soll statt 10 Prozent demnächst 20 Prozent Selbstbehalt bezahlen müssen. Dies dürfe nicht sein, kritisieren Patientenorganisationen, da es für die Patienten eine finanzielle Mehrbelastung in dreistelliger Millionenhöhe bedeuten würde.
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Care den Patienten?
Budgetverantwortung auf
Kosten der Patienten? Auch nicht wenige Ärzte sind Managed Care gegenüber kritisch eingestellt und führen die Einschränkung der freien Arztwahl als Argument gegen Managed Care an. Ein weiterer Stein des Anstosses ist für sie die Budgetverantwortung, die sie in Netzwerken mit übernehmen müssen. Konkret bedeutet das: Ein Ärztenetz trägt die Verantwortung, dass für eine bestimmte Gruppe von Patienten ein vereinbartes Kostenziel eingehalten wird. Ein solches Budget wird zwischen dem Ärztenetz und den Krankenkassen ausgehandelt. Es gibt Ärzte, die Budgetverantwortung unethisch finden, weil dadurch ihre Arbeit auf wirtschaftliche Interessen fokussiert werde. Das hält sie davon ab, sich einem Ärztenetz anzuschliessen. Ihre Sorge ist, dass sie sich bei diesen Vorgaben nicht mehr genug Zeit für Patienten nehmen können und ihre Therapiefreiheit verlieren. Manch ein Arzt argumentiert, er steige zum Schutz seiner Patienten nicht in ein Managed-Care-Modell ein. In den USA gibt es seit 20 Jahren Ansätze für eine integrierte Versorgung. Dabei wurde der Schwerpunkt zu Beginn auf die Vergütung durch Kopfpauschalen gelegt. Das sind jährliche Pauschalzahlungen der
Krankenkassen an die Ärzte für die gesamte Behandlung eines Patienten. Ziel war, auf diese Weise die Effizienz der medizinischen Leistungen zu erhöhen. Es zeigte sich jedoch, dass die Pauschalen dazu animierten, bei Diagnostik und Therapie eher zurückhaltend zu handeln – nicht immer zum Nutzen der Patienten! Managed-Care-Befürworter in der Schweizer Politik sind demgegenüber der Ansicht, wenn die Ärzte für die Kosten verantwortlich wären, würden Behandlungen optimiert und nutzlose Leistungen nicht erbracht. Dem halten viele Hausärzte entgegen, sie würden auch in den konventionellen Systemen nicht zu viele oder unnötige Leistungen erbringen, die Managed-Care-Systeme könnten demnach gar keine echten Einsparungen bringen. Tatsache sei vielmehr, dass sich die Gesundheitskosten nur mit Leistungsrationierungen stabilisieren liessen. Diese in die Verantwortung von Ärztenetzen zu geben, sei ein inakzeptables Schwarzer-Peter-Spiel.
Das Wohl der Patienten muss im Zentrum stehen Bei einem gut organisierten Netzwerk mit Budgetverantwortung erwartet man
Einsparungen bei den Behandlungskosten von 20 bis 25 Prozent. Dies kann aber unter Umständen dazu führen, dass teure Patienten abgeschoben werden und bei Behandlungen gespart wird. So gesehen würde Managed Care tatsächlich zu einer Rationierung führen. Und damit wäre die Befürchtung von Patienten, Managed Care laufe auf eine «Billigmedizin» hinaus, berechtigt. Dann würde auch die Beziehung zwischen Arzt und Patient empfindlich gestört, wo doch gegenseitiges Vertrauen ein zentraler Punkt für eine erfolgreiche Behandlung ist. Kein Zweifel: Die Patienten müssen im Zentrum aller medizinischen Aktivitäten stehen. Dabei wünschen sie sich eine gute, menschliche Beratung und eine qualitativ hochstehende Betreuung zu fairen Kosten. Dies muss auch bei Managed Care gewährleistet sein, denn nur dann lassen sich mehr Patienten (und Ärzte) von diesem Modell überzeugen. Die verschiedenen Vorbehalte müssen sorgfältig geklärt werden, damit die integrierte Versorgung ein Erfolg wird. Dass dabei finanzielle Anreize allein nicht genügen, zeigen die Erfahrungen aus den USA.
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