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behandlungdesTyp-2-diabetes
Praktische Tipps und ein Blick in die Zukunft
Foto: vh
in derTyp-2-diabetes-Therapie sind die Optionen vielfältig. Letztlich muss dieTherapie individuell abgestimmtsein,damitsiefunktioniert.WassichbeiwelchemPatienteneignet,skizzierteProf.Christoph Stettler, universitätsklinik für diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus,inselspitalbern,amSgAiM-Jahreskongressinbasel.
Wie kann man beim Diabetiker den erhöhten
Blutzuckerspiegel senken? Zweifellos hat ein
Gewichtsverlust bei übergewichtigen Diabe-
tikern einen grossen Effekt. Schnell ist das
mit der Bariatrie erreichbar, die in einer Studie
eine Halbierung der Mortalität im Verlauf von
14 Jahren bewirken konnte (1). Langsamer,
mühsamer, aber genauso effizient ist die Le-
bensstilmodifikation. Nach einem Jahr konnte
Prof. Christoph Stettler
in einer Hausarztstudie von 298 übergewichtigen Typ-2-Diabetes-Patienten mit bis zu 6 Jah-
ren Krankheitsdauer knapp die Hälfte einen Gewichtsverlust
erreichen, der zu einer Remission des Diabetes führte. Die
Interventionsgruppe erhielt eine Diät mit 850 kcal/ Tag, die
Kontrollgruppe nur Ratschläge. Die Remissionsrate war vom
Gewichtsverlust abhängig: Bei ≥ 15 kg erreichten 86 Prozent
die Remission, lag der Gewichtsverlust zwischen 10 und
15 kg waren es 57 Prozent, zwischen 5 und 10 kg waren es
34 Prozent und bei bis zu 5 kg waren es 7 Prozent (2).
Eine weitere Option ist die medikamentöse Therapie. Wich-
tiges Standbein ist dabei nach wie vor Metformin. Die Frage
stellt sich, ob dieses auch bei einer Niereninsuffizienz mit
einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) unter 60 ml/min
gegeben werden kann. Eine Studie ist dieser Fragestellung
nachgegangen und kommt zu dem Schluss, dass eine Dosis
von 1500 mg (0,5 g–0–1 g) bei einer GFR zwischen 45 und 59
möglich ist und 1000 mg (0,5 g–0–0,5 g) bei einer GFR von
30 bis 44 ml/min (3) gegeben werden können. «Bei stabilen
Patienten ist eine Gabe von Metformin prinzipiell auch bei
einer Niereninsuffizienz möglich, allerdings muss man sich
darüber bewusst sein, dass akute Ereignisse wie etwa eine
kurz&bündig
Ein erhöhter Blutzuckerspiegel kann mit Gewichtsreduktion korrigiert werden.
Eine Kombination von einem SGLT-2-Hemmer mit einem GLP-1-Analogon senkt den Blutzucker sehr effizient, zusätzlich auch das Gewicht.
Eine Insulintherapie muss auf den Patienten individuell abgestimmt sein.
Pneumonie die Situation rasch verändern können. Entsprechend muss individuell entschieden werden, ob bei Patienten im Grenzbereich Metformin noch gegeben werden kann. Sicher sollte es dann bei elektiven Eingriffen abgesetzt werden», schränkt Prof. Stettler ein. Die sehr günstigen Sulfonylharnstoffe werden in der Schweiz gemäss Stettler nur noch wenig eingesetzt, sie sind wegen der drohenden Hypoglykämien und der Gewichtszunahme ausser Mode gekommen. Unter den Sulfonylharnstoffen sei Gliclazid jedoch nach wie vor eine preisgünstige, effiziente und einfache Therapie, so Stettler. Von den Glitazonen ist noch Pioglitazon übrig. Zur Überbrückung von zwei Jahren, beispielsweise bei einem Chauffeur, eigne sich die Substanz sehr gut, denn sie provoziere keine Hypoglykämien, sei aber auf zwei Jahre limitiert, so Stettler weiter.
Vorteilhafteszusammenführen
Die Diabetestherapie revolutioniert haben die SGLT-2-Hemmer (Empagliflozin, Canagliflozin) wie auch die GLP-1-Analoga (z.B. Dulaglutid), weil sie nicht nur den Blutzucker verbessern, sondern auch die Nierenfunktion und das Gewicht sowie im Fall der SGLT-2-Hemmer die kardiovaskuläre Mortalität senken. Für Patienten, deren Blutzucker unter einem SGLT-2-Hemmer nicht genügend gesenkt wird, stehen künftig wohl bald Kombinationen mit GLP-1-Analoga zur Verfügung. «Die beiden Wirkstoffklassen passen gut zueinander», so Stettler. Die multizentrische Phase-III-Studie AWARD-10 untersuchte den Effekt eines zusätzlichen GLP-1-Analogons bei Typ-2Diabetikern, die unter einem SGLT-2-Hemmer (+/− Metformin) keine ausreichende Blutzuckerkontrolle erreichten. 424 erhielten dazu während 24 Wochen Dulaglutid 1,5 mg 1 × wöchentlich plus SGLT-2-Inhibitor (n = 142 bzw. 141) im Vergleich zu Plazebo plus SGLT-2-Inhibitor (n = 140) (4). Primärer Endpunkt war die Veränderung des HbA1c. Die Kombination reduzierte den HbA1c-Wert signifikant tiefer als Plazebo (−1,34 vs. 0,54%; p < 0,0001). Überdies erreichten deutlich mehr Patienten unter der Kombination den Zielbereich von < 7 beziehungsweise ≤ 6,5 Prozent versus Plazebo (71 vs. 32% bzw. 50 vs. 14%, p < 0,0001). Unter der Kombination verloren die Patienten ausserdem im Mittel 3,1 versus 2,1 kg Gewicht unter Plazebo plus SGLT-2-Hemmer (p = 0,028).
28 CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | August 2018
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Tabelle:
insulindosisbeiTherapiestart
bMikg/m2≤26 ≤30 >30
Tagesdosis pro kg KG
0,2–0,3 IE
0,5 IE
0,7 IE
Tagesdosis zu Beginn
6 IE
8 IE 12 IE
Faustregel: Morgenzucker = Anzahl IE (bei Insulinresistenz oft mehr nötig)
(Quelle: mod. nach Prof. Stettler)
Nebenwirkungen waren hauptsächlich gastrointestinaler Art wie Übelkeit (15 vs. 4% unter Plazebo), Durchfall (6 vs. 3%) und Erbrechen (4 vs. 1%). Es wurden keine neuen dulaglutidbezogenen Sicherheitsbedenken festgestellt. Seit kurzem erweitert noch ein weiteres, sehr potentes GLP1-Analogon die Palette: Semaglutid (Ozempic®), das einmal wöchentlich verabreicht wird.
Empfehlungenzurinsulintherapie
Seit bald 100 Jahren gibt es Insulin, das heute noch unübertroffen ist, wenn der Blutzucker schnell gesenkt werden soll. Die Startdosis für ein Bedtime-Insulin entspreche gemäss Faustregel etwa dem gemessenen Morgenzucker, so Stettler. Interessant sind Fixkombinationen mit GLP-1-Analoga wie Insulin degludec/Liraglutid oder Insulin glargin/Lixisenatid, die einmal pro Tag gespritzt werden müssen. Sie haben einen vergleichbaren Effekt bezüglich Blutzuckerkontrolle wie die Basis-Bolus-Therapie, bei der mehrere Male gespritzt werden muss. Die Fixkombinationen haben ausserdem den Vorteil, dass sie weniger Hypoglykämien verursachen und das Gewicht sinkt, wie eine Studie mit Degludec/Liraglutid zeigen konnte (5).
Eine gute Insulintherapie muss auf den Patienten abgestimmt
sein. So empfiehlt Stettler bei Typ-2-Diabetikern mit nächt-
lichen Hypoglykämien oder unzureichendem Wirkprofil
über 24 Stunden eher die lang wirksamen Insuline degludec
(Tresiba®) oder glargin (Toujeo®), bei jenen mit hohem Be-
darf (> 100 IE/Tag) die Insuline degludec U200 oder lispro
U200 (Humalog®). Erlitten Typ-2-Diabetiker viele Hypoglyk-
ämien, könnte vielleicht ein Typ-1-Diabetes dahinterstecken.
Bei Typ-1-Dabetikern kämen – falls nicht eine Pumpe einge-
setzt wird – als Basisinsuline heute generell Insulin degludec
oder glargin zum Einsatz. Bei Patienten mit sehr variablem
Insulinbedarf – beispielweise Sportlern – verwendet man oft
auch Insulin detemir (Levemir®) oder Insulin glargin (Lan-
tus®). Bei Typ-1-Diabetes könne zusätzlich das ultraschnelle
Insulin aspart (Fiasp®) zusätzliche Vorteile bringen.
L
Valérie Herzog
Referenzen 1. Arterburn DE et al.: Association between bariatric surgery and
long-term survival. JAMA 2015; 313; 62–70. 2. Lean ME et al.: Primary care-led weight management for remis-
sion of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet 2018; 391: 541–551. 3. Lalau JD et al.: Metformin treatment in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease stages 3A, 3B, or 4. Diabetes Care 2018; 41: 547–553. 4. Ludvik B et al.: Dulaglutide as add-on therapy to SGLT-2 inhibitors in patients with inadequately controlled type 2 diabetes (AWARD-10): a 24-week, randomised, double-blind, placebocontrolled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 370–381. 5. Billings LK et al.: Efficacy and safety of IDegLira versus basalbolus Insulin therapy in patients with type 2 diabetes uncontrolled on metformin and basal insulin: the DUAL VII randomized clinical trial. Diabetes Care 2018; 41: 1009–1016.
Quelle: «Diabetes 2018 – hochdynamisch und doch ganz praktisch», Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Innere Medizin (SGAIM), 30. Mai bis 1. Juni 2018, Basel.
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