Transkript
SGAIM
Servier-Preis 2018 geht nach Bern an PD Dr. Jürgen Bohlender
Kann die Messung von Medikamentenspiegeln die Hochdruckbehandlung verbessern?
Der von Servier ausgeschriebene Preis ist der Verbesserung der Hypertoniebehandlung gewidmet und mit 10 000 Franken dotiert. Anlässlich der Sitzung der Schweizerischen Hypertonie Gesellschaft im Rahmen der SGAIM-Jahrestagung wurde er an PD Dr. Jürgen Bohlender, Universitätsspital Bern, verliehen. Sein Projekt soll eruieren, inwieweit regelmässig kontrollierte Medikamentenblutspiegel zur Verbesserung der antihypertensiven Therapie beitragen können.
Von links nach rechts: Prof. Dr. Yves Allemann (mittlerweile Past President der SGH), Preisträger PD Dr. Jürgen Bohlender und Isabelle Genoud (Servier)
Trotz medikamentöser Therapie kommt es leider häufig vor, dass erhöhte Blutdruckwerte nicht in den Zielbereich gesenkt werden können. Das kann verschiedene Gründe haben, wie Bohlender darlegte. Vielleicht wurde nicht die für den individuellen Patienten optimale Medikamentenkombination verschrieben, oder die Substanzen waren nicht ausreichend dosiert. Eine ungenügende Konzentration im Blut kann auch auf eine unzureichende Absorption zurückzuführen sein oder aber auf eine Nonadhärenz des Patienten. Die Wahrscheinlichkeit für Letzteres steigt mit der Anzahl der Medikamente. Um die Therapietreue zu quantifizieren, werden verschiedene Methoden eingesetzt, zum Beispiel Adhärenzfragebogen, das Zählen der Tabletten, die kontrollierte Abgabe unter Aufsicht, Feedbacks aus der Apotheke (wie viele Verschreibungen wurden eingelöst?), elektronisch überwachte Boxen mit Memoryfunktion sowie Konzentrationsmessungen in Blut oder Urin.
Aussagekraft von Medikamentenblutspiegeln
Die Massenspektrometrie gilt als Goldstandard für ein Adhärenzscreening in Blut oder Urin. Diese hochsensitive und effiziente Messmethode kann mehrere Wirkstoffe parallel untersuchen und quantitative Informationen zu deren Konzentrationen liefern. Bislang wird das Verfahren zur Gewinnung qualitativer Parameter in Adhärenzstudien eingesetzt, Daten zur Langzeitadhärenz fehlen. Ob ein solches Medikamentenscreening auch im Rahmen der Routinebehandlung hypertensiver Patienten nützlich eingesetzt werden könnte, wurde noch nicht untersucht.
Inwieweit kann das Wissen um die Konzentrationen verschiedener verschriebener Substanzen unsere normale ärztliche Betreuung verbessern? Diese Frage interessierte nicht nur Bohlender, sondern auch die Jury, die mit der Preisvergabe und der damit verbundenen Zuwendung seine Pilotstudie unterstützt. In dieser randomisierten, prospektiv angelegten Studie mit zwei Gruppen sollen jeweils dreissig ambulante Patienten mit Bluthochdruck ein Jahr lang verfolgt werden. Vierteljährlich sind klinische Kontrollen vorgesehen, zu denen auch eine massenspektrometrische Messung der Medikamentenblutspiegel gehört. In der Interventionsgruppe werden Ärzte und Patienten über die Messergebnisse informiert und können anhand dieser Resultate die Therapie optimieren. In der Kontrollgruppe werden die Messungen nur durchgeführt, die Therapie erfolgt wie üblich. Von Interesse sind Blutdruck, Anzahl adhärenter Patienten, Anzahl der Antihypertensiva sowie Anzahl der Medikamentenkonzentrationen im therapeutischen Bereich nach einem Jahr im Vergleich zur Baseline.
Die Studie soll sich der folgenden drei Fragestellungen anneh-
men:
1. Kann die regelmässige Messung der Konzentration von
Wirkstoffen im Plasma die Blutdruckkontrolle im klini-
schen Alltag verbessern, indem sie die Adhärenz fördert
und die Dosierungen optimieren kann?
2. Wie ist es um die Langzeitstabilität der Medikamenten-
adhärenz bei Patienten mit Bluthochdruck bestellt?
3. Stimmen die erzielten Plasmakonzentrationen antihyper-
tensiver Medikamente mit den erwarteten therapeuti-
schen Bereichen überein und wenn ja, wie lange?
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Christine Mücke
CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | August 2018
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SGAIM
NACHGEFRAGT
Interview mit PD Dr. med. Jürgen Bohlender, Oberarzt, Abteilung für Klinische Pharmakologie Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern
trationen nach einem Jahr die Ergebnisse unserer Hypertonietherapie verbessern können. Aber erst mal müssen wir herausfinden, ob wir mit diesem Verfahren in der Praxis etwas anfangen können oder nur die Dossiers mit nutzlosen Daten füllen.
Gezielte Optimierung insbesondere bei resistenter Hypertonie wichtig
Erst einmal herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet Ihnen der Hypertoniepreis? PD Dr. Jürgen Bohlender: Der Preis ist mit einer Zuwendung in Höhe von 10 000 Franken verbunden, die wir sehr gut gebrauchen können, um die administrativen Kosten zu decken und das Material für unsere Studie zu finanzieren, das ja nicht von den Krankenkassen übernommen wird. Persönlich freut es mich, dass auch die Fachkollegen von der Hypertonie Gesellschaft das Projekt als wichtig einschätzen und damit anerkennen, dass es hier einen Bedarf gibt – an wissenschaftlichen Daten einerseits und andererseits auch eine verbesserungswürdige Situation in der Hypertoniebehandlung hinsichtlich der Adhärenz und der Medikamentenspiegel. Hier wollen wir ansetzen, um die Behandlung zu verbessern.
Wie soll das geschehen? Die Messung von Medikamentenspiegeln ist zunehmend technisch möglich und mit der Massenspektrometrie auch sehr effizient. Wir wollen untersuchen, ob wir durch regelmässiges Messen und Offenlegen der Medikamentenkonzen-
Kann man anhand der Messung auch unterscheiden, ob jemand sein Medikament nicht nimmt oder ein Nonresponder ist? Wir hoffen, diese Frage ebenfalls beantworten zu können. Wenn ein Patient ein Medikament regelmässig eingenommen hat, der Medikamentenspiegel im therapeutischen Bereich liegt und die Blutdruckwerte trotzdem nicht sinken, dann ist das für diesen Patienten offensichtlich nicht das geeignete Medikament. Dieses Wissen ist zum Beispiel bei Patienten mit resistenter Hypertonie relevant. Zur Stellung der Diagnose «resistente Hypertonie» muss man einige Aspekte sicher ausschliessen, beispielsweise Nonadhärenz und technische Schwierigkeiten bei der Blutdruckmessung. Ausserdem muss die Therapie hinsichtlich Dosis und Zusammensetzung optimiert werden – auch das können wir anhand der Spiegel überprüfen oder sogar bestätigen und bei Bedarf dann ganz gezielt eskalieren. Wir hoffen, mit diesem objektiven Verfahren einen Beitrag leisten zu können, erst mal in den Zentren und später vielleicht auch im hausärztlichen Setting, speziell im Bereich der resistenten Hypertonie.
Wann dürfen wir realistisch mit Ergebnissen rechnen? Ich schätze, dass in zwei bis zweieinhalb Jahren Ergebnisse vorliegen werden.
Wir wünschen Ihnen alles Gute für das Gelingen Ihrer Studie
und danken für das Gespräch.
L
Das Gespräch führte Christine Mücke.
18 CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | August 2018