Transkript
FIRST-TO-DISCUSS-Newsletter Gynäkologische Endokrinologie
Peri-/Postmenopause
Hörvermögen in den Wechseljahren
Hintergrund: Schätzungsweise jeder Zweite über 60 Jahre hat eine Einschränkung des Hörvermögens. Während bei Männern die altersbedingte Höreinschränkung bereits ab 30 beginnt, setzt diese bei Frauen erst ab dem 50. Lebensjahr ein (1). Das Ziel der Studie von Zhang war es, den Einfluss von Ovarreserve (per Anti-Müller-Hormon [AMH] im Serum [i.S.]) und Hormonersatztherapie (HRT) auf das Hörvermögen bei Frauen in den Wechseljahren zu untersuchen.
Wie ist die oben genannte Untersuchung von Zhang und Kollegen zu bewerten?
Prof. Dr. med. Petra Stute, resümiert und kommentiert kürzlich publizierte Studien zu wichtigen und vielfach kontrovers diskutierten Themen.
Das Review im Resümee
109 gesunde Frauen im Alter von 45 bis 55 Jahren, die sich einem Gesundheitscheck unterzogen, wurden in diese Transversalstudie eingeschlossen und in drei Gruppen unterteilt. Diese waren Frauen: 1. mit erschöpfter Ovarreserve (AMH i.S.
< 0,01 ng/ml, keine HRT, n = 40) 2. mit erhaltener Ovarreserve (AMH i.S.
≥ 0,01 ng/ml, keine HRT, n = 48) 3. mit HRT seit mindestens 1 Jahr (niedrig
bzw. standarddosierte kombinierte HRT oder Tibolon, n = 21). Folgende Serumparameter wurden bestimmt: follikelstimulierendes Hormon (FSH), luteinisierendes Hormon (LH), AMH, Estradiol (E2) und Testosteron (T). Menopausale Symptome wurden per Kupperman-Index (KI) erfasst. Das audiologische Assessment umfasste eine Tonaudiometrie (Luft- und Knochenleitungshörschwelle bei 125–16 000 Hz bzw. 250– 8000 Hz) und Tympanometrie (Beurteilung der Steifigkeit des Trommelfells). Der primäre Endpunkt war die Hörschwelle.
Frauen mit HRT respektive Ovarreserve hören signifikant besser Der Gruppenvergleich zeigte keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Alter und Body-Mass-Index (BMI). Im Vergleich zu Frauen mit erhaltener Ovarreserve (Gruppe 2) hatten Frauen mit erschöpfter Ovarreserve (Gruppe 1) in der Tonaudiometrie eine Einschränkung der Hörschwelle bei allen Frequenzen. Dieser Unterschied war signifikant für die Luftleitungshörschwelle des rechten Ohres bei 8000 Hz, 10 000 Hz, 12 500 Hz und 16 000 Hz. Frauen mit HRT (Gruppe 3) hatten ein besseres Hörvermögen als Frauen mit erschöpfter Ovarreserve (Gruppe 1), wobei der Unterschied nur
für die Luftleitungshörschwelle des rechten Ohres bei 10 000 Hz signifikant war. Hinsichtlich Knochenleitungshörschwelle zeigte sich kein Gruppenunterschied. Zusätzlich wurden Faktoren evaluiert, die mit einem Hörverlust assoziiert waren. Hierzu wurden zwei Gruppen gebildet: (A) Hörverlust (Hörschwelle ≥ 25 dB bei mindestens einer untersuchten Frequenz (125–8000 Hz, n = 39) und (B) normales Hörvermögen (Hörschwelle < 25 dB bei allen untersuchten Frequenzen, n = 70). Folgende unabhängige Parameter wurden in das multivariate Modell integriert: Alter, Serumhormone (AMH, FSH, LH, E2, T), BMI, KI-Score, HRT, Schwangerschaften, Geburten, sexuelle Aktivität, Medikation, familiäre Taubheitsbelastung und Lifestyle (Lärm- und Nikotinexposition, Ernährung, Bewegung, Kopfhörergebrauch). Die multivariate Analyse ergab zwei Risikofaktoren für Hörverlust: I AMH i.S. < 0,01 ng/ml (Odds Ratio
[OR] = 2,624) und I häufiger Kopfhörergebrauch (OR =
3,846) (keine Definition von «häufig» in der Publikation). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Abnahme der Ovarfunktion mit einem Hörverlust assoziiert ist. Präventive Massnahmen umfassen die Aufrechterhaltung der Ovarfunktion (ggf. per HRT!?) sowie die Reduktion/Vermeidung des Gebrauchs von Kopfhörern.
Kommentar
Die vorliegende Studie unterstützt frühere Beobachtungen eines kontinuierlichen Hörverlusts ab der Perimenopause (2), wobei interessanterweise Tibolon in einer früheren Studie keinen präventiven Effekt zeigte (3). Die Frage, in welcher Dosierung die Gabe von Est-
Kommentierte Studie: Zhang J et al.: Effects of ovarian reserve and hormone therapy on hearing in premenopausal and postmenopausal women: A cross-sectional study. Maturitas 2018; 111: 77–81.
radiol eventuell gehörprotektiv ist, ist
noch unbeantwortet.
Für die Praxis lässt sich Folgendes ablei-
ten:
I Information der Patientin, dass die
Wechseljahre mit einer Einschrän-
kung des Hörvermögens assoziiert
sind und gegebenenfalls Empfehlung
eines audiologischen Tests.
I Aufklärung der Patientin, dass der
häufige Gebrauch von Kopfhörern
nachteilig fürs Gehör ist.
I Aber: Keine Empfehlung (!) zur Be-
stimmung von AMH i.S. zur Risikobe-
urteilung des Hörverlusts, denn: 60%
der 45- bis 49-jährigen Frauen mit nicht
nachweisbarem AMH erreichen inner-
halb von 5 Jahren die Menopause. So-
mit ist der Wert des AMH i.S. alleine
zur Beurteilung des reproduktiven Sta-
diums nicht geeignet (4).
I
Prof. Dr. med. Petra Stute Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital, 3010 Bern E-Mail: petra.stute@insel.ch
Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
Referenz: 1. Davis A: Hearing in Adults. Whurr Publishers Ltd, London, 1995: 102–103. 2. Johan S et al.: Hearing decline in menopausal women at 10year follow-up. Acta Otolaryngol. 2015; 135: 807–813. 3. Köşüş N et al.: Hearing levels in menopausal women and the effect of tibolone on audiological functions. J. Obstet. Gynecol. 2012; 32: 294–297. 4. Kim C et al.: Anti-Müllerian hormone, follicle stimulating hormone, antral follicle count, and risk of menopause within 5 years. Maturitas 2017; 102: 18–25.
32 GYNÄKOLOGIE 3/2018