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Medikamentöse Behandlung der Alzheimer-Erkrankung
State of the Art und neue Ansätze
FORTBILDUNG
Die häufigste Ursache von Demenzerkrankungen ist der Morbus Alzheimer. Aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung stellen die Behandlung und die Versorgung von Menschen mit Demenz eine immer grössere Herausforderung dar. Im Folgenden werden die zugelassenen Wirkstoffe und neue therapeutische Ansätze bei der Alzheimer-Erkrankung vorgestellt.
Thomas Leyhe
von Thomas Leyhe
1906 stellte Alois Alzheimer erstmals die typischen Symptome und pathophysiologischen Veränderungen der später nach ihm benannten Erkrankung vor. Die damalige Behandlung zielte darauf ab, die Symptome der Erkrankten zu lindern (1).
Zugelassene Medikamente Heute gibt es vier Medikamente, die bei der AlzheimerErkrankung zur Verzögerung der Progression zugelassen sind: die drei Acetylcholinesterasehemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sowie der N-Methyl-DAspartate-(NMDA)-Antagonist Memantin (Kästen 1 und 2). Die Acetylcholinesterasehemmer sind für die Behandlung der leichten und mittelschweren Alzheimer-Demenz zugelassen, Memantin für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Alzheimer-Demenz. Alle bisherigen Studien haben keine Effizienz der Substanzen für die Behandlung der leichten kognitiven Störung zeigen können, die als Vorstadium der Erkrankung betrachtet wird (3). Die Acetylcholinesterasehemmer inhibieren das Enzym Acetylcholinesterase, erhöhen damit die Konzentration des Neurotransmitters Acetylcholin im synaptischen Spalt und verbessern dadurch die neuronale Transmission in für die Gedächtnisfunktion wichtigen Hirnbereichen, die früh von den Veränderungen der Alzheimer-Erkrankung betroffen sind. Donepezil hat mit zirka 70 Stunden eine lange Halbwertszeit, die eine orale Einmalgabe erlaubt. Neben seiner Wirksamkeit hinsichtlich kognitiver Funktionen scheint es auch eine moderate Effektivität bei funktionellen Problemen und Verhaltensstörungen wie Depression, Angst und Apathie zu haben. Es sollte mit 5 mg/Tag begonnen und bei guter Verträglichkeit nach 4 Wochen auf 10 mg/Tag gesteigert werden. Rivastigmin hat mit 1 bis 2 Stunden eine sehr kurze Halbwertszeit, weshalb es oral 2-mal täglich gegeben werden muss. Die transdermale Applikation wird nur 1-mal täglich angewandt. Rivastigmin scheint einen
moderaten Effekt auf Verhaltensstörungen und die Aktivitäten des täglichen Lebens zu haben. Oral sollte mit 3 mg/Tag begonnen werden, die Zieldosis liegt bei 6 bis 12 mg täglich. Transdermal ist die Initialdosis 4,6 mg/Tag, die bei guter Verträglichkeit nach 4 Wochen auf 9,5 mg täglich gesteigert werden kann. Nach 6-monatiger Behandlung mit 9,5 mg kann die Dosis auf 13,3 mg/Tag erhöht werden, wenn sich der Zustand des Patienten verschlechtert hat. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit wurde Galantamin früher 2-mal täglich verabreicht. Mit der jetzigen Retardformulierung reicht eine 1-mal tägliche Verordnung. Unter Galantamin sind ebenfalls moderate Effekte auf Verhaltensstörungen und die Aktivitäten des täglichen Lebens zu sehen. Die Anfangsdosis liegt bei 8 mg/Tag. Die Zieldosis beträgt 16 bis 24 mg täglich. Memantin verhindert einen exzessiven postsynaptischen Kalziumeinstrom bei glutamaterger Überstimulation und verbessert das Signal-Rausch-Verhältnis der Neurotransmission, das bei der Alzheimer-Erkrankung gestört ist. Es kann aufgrund seiner langen Halbwertszeit einmal täglich gegeben werden. Die Anfangsdosis beträgt 5 mg/Tag und kann bei guter Verträglichkeit wöchentlich um 5 mg bis zu einer Zieldosis von 20 mg/Tag gesteigert werden. Auch bei Memantin zeigen sich moderate Effekte auf die Aktivitäten des täglichen Lebens und Verhaltensstörungen, insbesondere Agitation und Aggression (2). Relative Kontraindikationen der Acetylcholinesterasehemmer sind das Sick-Sinus-Syndrom, höhergradige kardiale Reizleitungsstörungen, obstruktive Atemwegserkrankungen, Magenulzera, Blasenentleerungsstörungen und zerebrale Anfälle. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö und Kopfschmerzen, vor allem bei rascher Aufdosierung. Die transdermale Applikation von Rivastigmin scheint besser verträglich zu sein als die orale Formulierung. Relative Kontraindikationen von Memantin sind zerebrale Anfälle, Hypertonus, Myokardinfarkte und dekom-
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
Kasten 1:
Übersicht über Darreichungsform und Zieldosis der Acetylcholinesterasehemmer (nach [2])
Präparat Donezepil Galantamin
Rivastigmin
Applikationsform
Tabletten (5 mg, 10 mg) Schmelztabletten (5 mg, 10 mg) Retardierte Hartkapseln (8 mg, 16 mg, 24 mg) Lösung (1 ml entspricht 4 mg) Hartkapseln (1,5 mg, 3 mg, 4,5 mg und 6 mg) Lösung (1 ml entspricht 2 mg) Transdermales Pflaster (4,6 mg/24 h, 9,5 mg/24 h, 13,3 mg/24 h)
Einnahmeintervall Tägliche Startdosis
1 x täglich
5 mg abends
Zugelassene tägliche Maximaldosis 10 mg
Minimale tägliche Dosis, ab der ein Wirksamkeitsnachweis besteht 5 mg
1 x täglich 2 x täglich 2 x täglich 2 x täglich 1 x täglich
8 mg retard morgens 4 mg morgens und abends 1,5 mg morgens und abends morgens und abends 4,6 mg/24 h
24 mg
16 mg
12 mg
6 mg
6 mg
9,5 mg 13,3 mg (nach 6 Monaten Behandlung mit 9,5 mg mit klinischer Progression)
9,5 mg
Kasten 2:
Übersicht über Darreichungsform und Zieldosis von Memantin (nach [2])
Präparat
Applikationsform Einnahmeintervall
Memantin-HCL
Tabletten
1 x oder 2 x täglich
(10 mg, 20 mg)
Für die Aufdosierung: 2 x täglich
5 mg und 15 mg
Tropfen (1 ml
oder 20 Tropfen
entspricht 10 mg)
Tägliche Startdosis
5 mg
Zugelassene tägliche Maximaldosis 20 mg Kreatininclearance > 60 ml/min/1,73 m2 10 mg Kreatininclearance 40–60 ml/min/1,73 m2
Minimale tägliche Dosis, ab der ein Wirksamkeitsnachweis besteht 20 mg
pensierte Herzinsuffizienz. Bei Halluzinationen wird die Anwendung von Memantin nicht empfohlen; sie können sogar als Nebenwirkung auftreten. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen sind Schwindel, Kopfschmerzen, Verwirrtheit und Obstipation (4). Aussagekräftige Vergleichsstudien zu einer differenziellen Wirksamkeit der Acetylcholinesteraseinhibitoren liegen derzeit nicht vor Eine im Jahr 2004 veröffentlichte Studie zeigte bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz, die auf eine stabile Dosis von Donepezil eingestellt waren, eine zusätzliche Wirksamkeit von Memantin (5). Bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer AlzheimerDemenz, die auf eine stabile Dosis eines Acetylcholinesterasehemmers eingestellt waren, konnte eine andere Studie aus dem Jahr 2008 hingegen keine zusätzliche Wirksamkeit einer Gabe von Memantin zeigen (6). Eine weitere Studie untersuchte den Verlauf bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz, die auf Donepezil eingestellt waren. Dabei zeigte sich bei Absetzen eine Verschlechterung gegenüber den Patien-
ten, die die Behandlung mit Donepezil oder mit Memantin fortsetzten, aber kein zusätzlicher Gewinn durch die Kombinationsbehandlung (7). Neben der beschriebenen Evidenz für die Behandlung der Alzheimer-Demenz mit Acetylcholinesterasehemmern und Memantin gibt es auch Hinweise für die Wirksamkeit von Ginkgo biloba auf Kognition und nicht psychotische Verhaltenssymptome bei Patienten mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz, sodass auch eine Behandlung mit diesem Präparat in Erwägung gezogen werden kann (2). Allerdings sind alle zugelassenen Medikamente symptomatisch wirksam. Sie können den Krankheitsverlauf verzögern, aber nicht den neurodegenerativen Prozess aufhalten. Deshalb ist die Suche nach anderen wirksamen Substanzen dringend notwendig.
Neue therapeutische Ansätze Die Alzheimer-Erkrankung ist durch das gehäufte Auftreten von abnormen Proteinen im Zentralnervensystem (ZNS) der Betroffenen gekennzeichnet. Zum
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FORTBILDUNG
einen entstehen intrazellulär pathologische Neurofibrillen, die aus hyperphosphorylierten Tau-Proteinen bestehen und zu einem Absterben der Nervenzellen führen, zum anderen bilden sich extrazellulär sogenannte Plaques, die überwiegend aus einem spezifischen β-Amyloid-Protein bestehen und neurotoxisch sind. Der derzeit wichtigste neue therapeutische Ansatz bei der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung ist der Versuch, die β-Amyloid-Akkumulation zu verhindern. Diese β-Amyloid-Peptide entstehen aus dem AmyloidPräkursor-Protein. Es kann durch eine Alpha- und Gammasekretase zu Endprodukten, die keine Amyloidplaques bilden, abgebaut werden. Es kann aber auch durch das β-site-APP-Cleaving-Enzym 1 (BACE-1), eine β-Sekretase, und die γ-Sekretase zu amyloidbildenden Aβ-Peptiden abgebaut werden. Normalerweise wird der zuerst genannte Abbauweg bevorzugt. Eine Verschiebung zum zweitgenannten Abbauweg wird als Initialfaktor der Alzheimer-Erkrankung betrachtet. Die sich dabei bildenden Oligomere und intermediären Amyloidproteine sind insbesondere toxisch für Synapsen. Sie aggregieren schliesslich spontan und bilden die schwer löslichen neurotoxischen Amyloidplaques (8). 1999 publizierten Schenk et al. (9) eine Untersuchung, in der an transgenen Mäusen, die ein mutiertes Amyloid-Präkursor-Protein überexprimieren, gezeigt werden konnte, dass eine Immunsierung mit β-Amyloid-1-42, dem wichtigsten Bestandteil der Amyloidplaques, bei jungen Tieren zu einem Ausbleiben der Entstehung und bei älteren Tieren zu einer deutlichen Reduktion der Amyloidplaques führte. Schon bald wurde eine erste Studie mit einer β-Amyloid-Vakzine bei Patienten mit Alzheimer-Demenz begonnen, die jedoch abgebrochen werden musste, weil ein Teil der Probanden teilweise schwere Meningoenzephalitiden entwickelte (10). Es konnte aber gezeigt werden, dass es bei mehr als der Hälfte der Probanden zur Antikörperbildung gekommen war. Darüber hinaus zeigte die Autopsie mehrerer Studienpatienten, dass weite Teile des Kortex frei von Plaques waren und dies offensichtlich von der Stärke der Antikörperbildung abhing. Trotz Antikörperbildung waren aber auch diese «plaquefreien» Patienten vor ihrem Tod schwer dement. Insgesamt waren die Ergebnisse der Langzeituntersuchung von Patienten, die an der abgebrochenen Studie mit der β-Amyloid-Vakzine teilgenommen hatten, enttäuschend. Weder hinsichtlich des Zeitraums bis zum Eintritt des Todes noch des Stadiums der schweren Demenz wurden Unterschiede gefunden zwischen den Patienten, die mit Wirkstoff oder Plazebo behandelt worden waren (11). Der Ansatz der β-Amyloid-Immunisierung wird aber insbesondere mit Antikörpern gegen β-Amyloid weiterverfolgt. Die Aβ-Immunisierung kann auf verschiedenen Wegen eine Immunantwort hervorrufen. Zum Ersten kann sie zu einer direkten Auflösung der Plaques führen, zum Zweiten kann sie eine Aktivierung von Mikrogliazellen, den Immunzellen des ZNS, hervorrufen, zum Dritten im Blut zirkulierendes β-Amyloid binden, wodurch es durch die Konzentrationsdifferenz zu einer Ausscheidung von β-Amyloid in den Blutkreislauf kommt, zum Vierten kann es zu einer IgM-vermittelten
Neutralisation von Oligomeren kommen. Die Mechanismen können parallel auftreten beziehungsweise in verschiedenen Stadien der Erkrankung jeweils eine mehr oder weniger grosse Rolle spielen (12). Inzwischen sind zwei grosse Phase-III-Studien mit passiver Immunisierung gegen β-Amyloid bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz abgeschlossen. Für den Wirkstoff Bapineuzumab konnte gezeigt werden, dass er eine Reduktion der Amyloidbeladung des Gehirns von Patienten mit Alzheimer-Demenz in vivo bewirkt. Dies konnte durch Positronenemissionstomografie (PET) mithilfe der Pittsburgh Compound B ([11C]PiB-PET), eines Markers von kortikalem fibrillärem Amyloid-β, gezeigt werden (13). Aber weder Bapineuzumab (14) noch Solanezumab (15) zeigten einen Effekt bei den primären Endpunkten Kognition und Alltagsfunktion. Darüber hinaus kam es bei Bapineuzumab zu einem vermehrten Auftreten von amyloidbezogenen Auffälligkeiten in der kraniellen Kernspintomografie, teilweise mit klinischen Symptomen (20). Für Solanezumab wiederum zeigten sich Hinweise auf eine Besserung von Kognition und Alltagsfunktion bei Patienten mit leichter Alzheimer-Demenz (Mini-MentalStatus 20–26). Dieses Ergebnis stützte die Überlegung, dass eine Therapie gegen die Amyloidakkumulation im Stadium der Demenz zu spät kommt. Denn man geht heute davon aus, dass am Anfang der pathophysiologischen Kaskade der Alzheimer-Erkrankung viele Jahre vor Beginn der klinischen Symptome die Akkumulation von β-Amyloid steht. Beim Hinzutreten weiterer Faktoren wie Alter, genetischer Vulnerabilität und insbesondere vaskulärer Risikofaktoren kommt es dann zur synaptischen Dysfunktion, zur Gliaaktivierung, zur neuronalen Schädigung und zur Bildung der neurofibrillären Bündel, die vor allem aus hyperphosphoryliertem Tau-Protein bestehen. Protektiv wirken Faktoren, die die kognitive Reserve verbessern, wie körperliche und geistige Aktivität und soziale Kontakte. Mit Beginn der neuronalen Schädigung setzt dann der kognitive Abbau ein (17). Die Ergebnisse mit Solanezumab liessen sich bei Patienten mit leichter Alzheimer-Demenz in einer weiteren Studie nicht bestätigen. Es liessen sich keine überzeugenden Effekte hinsichtlich der primären kognitiven Endpunkte zeigen, sodass eine Zulassung der Substanz nicht beantragt wurde. Es wird diskutiert, ob der Antikörper Solanezumab zu wenig direkt an den β-Amyloid-Peptiden angreift (Eli Lilly and Company, November 2016). Ein anderer Antikörper, Aducanumab, konnte hingegen in einer Phase-Ib-Studie nicht nur zeigen, dass er dosisabhängig β-Amyloid-Peptide im Gehirn von Patienten mit leichter Alzheimer-Demenz reduziert, sondern auch den kognitiven Abbau verzögert (16). Zurzeit laufen zwei grosse Phase-III-Studien, in der diese Ergebnisse repliziert werden sollen (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02477800 und NCT02484547).
Eingriff in die Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung Pathophysiologisch zeigen sich zuerst auffällige Biomarker, die die Amyloidpathologie anzeigen. Dies sind das erniedrigte β-Amyloid 1-42 im Liquor beziehungsweise der Nachweis von β-Amyloid-Plaques in der PET-Unter-
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FORTBILDUNG
Kasten 3:
Hypothetisches Modell für Stadien der präklinischen Alzheimer-Erkrankung (nach [17])
Stadium 1
Asymptomatische Amyloidose G Erhöhte PET-Amyloid-Tracer-Retention G Erniedrigtes β-Amyloid 1-42 im Liquor
Stadium 2
Amyloidose und Neurodegeneration G Neuronale Dysfunktion, nachweisbar in der Fluoro-Desoxy-
Glukose-Positronenemissionstomografie oder in der funktionellen Magnetresonanztomografie G Erhöhtes Tau-/Phospho-Tau-Protein im Liquor G Kortikale Ausdünnung/hippokampale Atrophie in der Magnetresonanztomografie
Stadium 3
Amyloidose + Neurodegeneration + subtiler kognitiver Abbau G Evidenz für subtile kognitive Verschlechterungen G Schlechte Leistungen bei anspruchsvolleren kognitiven Tests G Kriterien für eine leichte kognitive Störungen (MCI) noch nicht erfüllt
MCI AlzheimerDemenz
Hypothetisch wird eine Einteilung des präklinischen Stadiums der Alzheimer-Erkrankung in 3 Stadien vorgeschlagen: Stadium 1 ist die asymptomatische Amyloidose, in der sich Hinweise auf eine zunehmende Amyloidpathologie finden, im Stadium 2 finden sich zusätzliche Hinweise auf eine neuronale Dysfunktion und eine TauPathologie und im Stadium 3 erste subtile Hinweise auf eine kognitive Verschlechterung in schwierigeren neuropsychologischen Testuntersuchungen (17).
suchung. Dann zeigen sich Veränderungen von Biomarkern für die synaptische Dysfunktion wie ein temporo-parietaler Hypometabolismus in der Fluoro-Desoxy-Glukose-Positronenemissionstomografie und in der funktionellen Kernspintomografie sowie erhöhte Werte von Tau-Protein im Liquor. Schliesslich findet sich eine zunehmende Atrophie in der strukturellen Bildgebung im medialen Temporallappen, im paralimbischen und temporoparietalen Kortex, begleitet von fortschreitender kognitiver und klinischer Verschlechterung. Hypothetisch wird eine Einteilung des präklinischen Stadiums der Alzheimer-Erkrankung in 3 Stadien vorgeschlagen (Kasten 3). Diese hypothetischen Vorstellungen des Verlaufs der Alzheimer-Erkrankung werden gestützt durch eine aktuelle Studie an Patienten mit autosomal-dominanter Alzheimer-Erkrankung. In einer Querschnittuntersuchung von Mitgliedern von Familien mit dieser genetischen Form zu verschiedenen Zeitpunkten vor und nach dem bekannten familiären Erkrankungsalter fand sich der postulierte Verlauf der Biomarkerveränderungen sowie der kognitiven und funktionellen Störungen (18). So sind nun 3 neue Therapiestudien mit Antikörpern gegen β-Amyloid initiiert worden: Bei Patienten der Studie von Bateman et al. (18), die zwischen 15 Jahren jünger und 10 Jahren älter sind als ihr betroffenes Elternteil zum Zeitpunkt des Auftretens der ersten Krankheitssymptome, werden Solanezumab, Gantenerumab oder der BACE-Inhibitor JNJ-54861911 gegeben (Dominantly Inherited Alzheimer Network Trial; DIAN-TU; ClinicalTrials.gov number, NCT01760005).
Primärer Endpunkt sind die Veränderungen im DIAN-TU Cognitive Composite Score. Die zwischen 30 und 60 Jahre alten Mitglieder einer grossen kolumbianischen Familie mit einer Mutation von Präsenelin 1 (PSEN1 E280A), die weder die Kriterien für eine Demenz noch eine leichte kognitive Störung aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung erfüllen dürfen, werden in der Alzheimer’s Prevention Initiative (API; NCT01998841) mit Crenezumab behandelt. Primärer Endpunkt sind Veränderungen im totalen Score des APIComposite-Cognitive-Tests nach 5 Jahren. In der Anti-Amyloid Treatment in Asymptomatic Alzheimer’s Disease Study (A4 Study; NCT02008357) sollen kognitiv unauffällige gesunde Personen zwischen 65 und 85 Jahren, die in der PET-Untersuchung mit Florbetapir, einem anderen Marker von zerebralem Amyloid-β, Hinweise auf eine asymptomatische Amyloidose haben, mit Solanezumab behandelt werden. Primärer Endpunkt sind Veränderungen im Alzheimer Disease Cooperative Study Preclinical Alzheimer Cognitive Composite (ADCS-PACC) nach 168 Wochen. Darüber hinaus sind 2 Studien mit gesunden homound heterozygoten APOE4-Trägern, dem wichtigsten genetischen Risikofaktor für die sporadische AlzheimerErkrankung, initiiert worden. Diese werden entweder mit CAD106, einer aktiven Immunisierung gegen β-Amyloid, oder CNP520, einem BACE-Inhibitor, behandelt (Generation Studien; ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02565511). Primärer Endpunkt ist die Zeit bis zur Diagnose einer leichten kognitiven Störung (MCI) oder einer Demenz aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung
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beziehungsweise die Veränderungen im API-Composite-Cognitive-Test-Score (bestehend aus spezifischen Tests der Repeatable Battery for the Assessment of Neurological Status [RBANS], aus Mini-Mental Status Tests [MMSE] und Raven’s Progressive Matrices) bis zum Monat 60. Die aufgeführten Studien werden sicher wichtige Hinweise darauf geben, ob die Modellvorstellung hinsichtlich der Alzheimer-Erkankung, die am Anfang der pathophysiologischen Kaskade die Akkumulation von β-Amyloid sieht, richtig und relevant ist und ob ein substanzielles Eingreifen in diesen Prozess durch die Amyloidimmunisierung möglich ist. Es besteht offensichtlich einen Einfluss zahlreicher Risikofaktoren und pathologischer Mechanismen auf die Entwicklung eines demenziellen Syndroms (8). Deshalb sind neben der Amyloidimmunisierung auch noch zahlreiche andere Substanzen zur Behandlung der Alzheimer-Erkankung in Erprobung. Unter anderem werden BACE-Inhibitoren und Wirkstoffe gegen die intrazellulären Tau-Fibrillen getestet. Aber keiner dieser Ansätze hat bis jetzt die Phase III erreicht oder in einer Phase-III-Studie seine Wirksamkeit zeigen können (19).
Zusammenfassung Zurzeit stehen nur symptomatisch wirksame Medikamente zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung zur Verfügung. Es besteht die dringende Notwendigkeit zur Entwicklung von kausal wirksamen Therapien. Die βAmyloid-Immunisierung ist ein solcher Ansatz. Da die neuropathologischen Prozesse bei der Alzheimer-Erkrankung schon viele Jahre vor dem Auftreten der ersten
Merkpunkte:
G Die Acetylcholinesterasehemmer und Memantin sind zugelassene und wirksame Medikamente bei der Alzheimer-Demenz. Sie verzögern die Krankheitsprogression und sollten den Patienten verordnet werden. Auch Ginkgo biloba EGb761 kann eingesetzt werden.
G Da sie nur symptomatisch wirksam sind, ist die Suche nach neuen Wirkstoffen geboten. Ein wichtiger neuer therapeutischer Ansatz ist die β-Amyloid-Immunisierung.
G Für die Zukunft werden voraussichtlich die Diagnose der Erkrankung im präklinischen Stadium und eine Behandlung von Risikopersonen mit möglichst sicheren Medikamenten entscheidend sein.
Symptome beginnen, ist voraussichtlich eine Therapie im
präklinischen Stadium am aussichtsreichsten.
G
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Thomas Leyhe
Ärztlicher Zentrumsleiter
Zentrum für Alterspsychiatrie
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Wilhelm-Klein-Strasse 27
4002 Basel
E-Mail: thomas.leyhe@upkbs.ch
und
Leitender Arzt
Bereich Alterspsychiatrie
Universitäre Altersmedizin
Felix-Platter-Spital
Burgfelderstrasse 101
4002 Basel
E-Mail: thomas.leyhe@fps.ch
Literatur:
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