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STUDIE REFERIERT
Influenza
Senioren regelmässig jedes Jahr gegen Grippe impfen
Ältere Menschen sprechen häufig nicht optimal auf eine Grippeimpfung an, sodass eine Infektion nicht immer verhindert werden kann. Regelmässige Impfungen sind bei ihnen aber dennoch sinnvoll. In einer Fall-Kontroll-Studie zeigte sich, dass Grippeimpfungen Senioren vor schweren Krankheitsverläufen schützen. Diese protektive Wirkung nahm mit der Anzahl der jährlichen Impfungen zu.
Canadian Medical Association Journal
Die saisonale Grippe ist bei älteren Menschen für viele Spitaleinweisungen und Todesfälle verantwortlich. Mit einer Grippeimpfung kann die Anzahl der Erkrankungen zwar gesenkt werden, altersbedingte Veränderungen des Immunsystems und/oder chronische Erkrankungen können jedoch das Impfansprechen beeinträchtigen. Wenn die Impfung eine Grippeerkrankung nicht verhindert, könnte sie zumindest den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Nach einer Grippeimpfung im vorangegangenen Jahr bleibt eine gewisse präventive Wirksamkeit erhalten. Eine weitere Impfdosis in der aktuellen Saison kann dann das bereits vorhandene Immungedächtnis gegen antigenetisch verwandte Virenstämme verstärken. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage, ob sich die Schutzwirkung jährlich aufeinanderfolgender Impfungen akkumuliert. Itziar Casado vom Institut für öffentliche Gesundheit von Navarra in Pamplona (E) und seine Arbeitsgruppe untersuchten nun in einer Fall-KontrollStudie die Wirksamkeit von drei vorangegangenen jährlichen Impfungen und einer aktuellen Grippeimpfung bei Personen ab 65 Jahren, die in den Saisons 2013/14 und 2014/15 aufgrund einer Grippe in zwanzig spanische Spitäler eingeliefert worden waren. Die Forscher schlossen 130 Patienten mit schwerer und 598 Personen mit leichter Grippe sowie 333 und 1493 Kontrollpersonen, die wegen anderer Erkrankungen im Krankenhaus waren, in ihre Untersuchung ein. In der Saison 2013/14 wurde vorwiegend das Influenzavirus A(H1N1)pdm09 und in der Saison 2014/15 hauptsächlich der Virenstamm A(H3N2) nachgewiesen.
Je mehr Impfungen, desto besser der Schutz
Bei Personen, die in der aktuellen Saison und in allen drei Jahren zuvor eine Impfung erhalten hatten, war die Rate leichter Grippeerkrankungen im Vergleich zu Patienten, die gar keine Impfung erhalten hatten, um 31 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI]: 13–46%) niedriger. Die Rate schwerer Grippeerkrankungen war bei den regelmässig geimpften Patienten um 74 Prozent (42–88%) und die Rate der Todesfälle um 70 Prozent (34–87%) niedriger als bei den nicht geimpften. Eine einzelne Impfung in der aktuellen Saison war nicht mit einer signifikanten Reduzierung schwerer Influenzaerkrankungen verbunden. Bei Patienten, die in der aktuellen und in einer zurückliegenden Saison eine Impfung erhalten hatten, sank das Risiko für schwere Verläufe dagegen um 55 Prozent (adjustierte Odds Ratio [OR]: 0,45; 95%-KI: 0,26–0,76). Die Anzahl der Impfdosen korrelierte mit der progressiven Reduzierung des Risikos für einen schweren Erkrankungsverlauf.
Antikörper und zelluläre Immunantwort
In der hier vorgestellten Fall-KontrollStudie waren wiederholte jährliche Impfungen bei älteren Personen im Hinblick auf die Prävention einer schweren Grippe doppelt so wirksam wie zur Verhinderung einer leichten Grippe. Dies zeigte sich konsistent – ungeachtet der Influenzasaison, des Virensubtypus und des Alters. Diese Beobachtung kann möglicherweise durch verschiedene Mechanismen im Rahmen der Immunabwehr erklärt werden. Während die Verhinderung einer Influenzainfektion in erster Linie
über die Bildung von Antikörpern er-
folgt, wird der Schutz gegen einen
schweren Krankheitsverlauf vermutlich
vorwiegend durch die zelluläre Immun-
antwort vermittelt. T-Zellen können
sich gegen interne Proteine des Influen-
zavirus richten, die verschiedene
Stämme gemeinsam aufweisen. Somit
schützen Vakzine, welche die zelluläre
Immunabwehr stimulieren, vor hetero-
logen Grippeviren. Bei Senioren ist die
zellvermittelte Immunantwort gegen In-
fluenzaviren häufig altersbedingt beein-
trächtigt. Die Studienergebnisse weisen
darauf hin, dass diese Abwehrform
durch wiederholte jährliche Impfungen
wieder verbessert werden kann.
Die Ergebnisse der Fall-Kontroll-Studie
stimmen mit den Resultaten anderer Ar-
beitsgruppen überein. Eine Verminde-
rung der Erkrankungsschwere durch re-
gelmässige Grippeimpfungen wurde
auch in weiteren Studien in Spanien und
den USA beobachtet.
Abschliessend weisen die Autoren da-
rauf hin, dass der Schutz vor schwerem
Erkrankungsverlauf vor allem in Jahren
mit suboptimaler Wirksamkeit des In-
fluenzaimpfstoffs von entscheidender
Bedeutung sein kann. Insgesamt kom-
men die Wissenschaftler zu dem Schluss,
dass die Ergebnisse ihrer Fall-Kontroll-
Studie und die Resultate der anderen
Studien die Empfehlung einer regelmäs-
sigen Grippeimpfung bei älteren Perso-
nen untermauern.
PS L
Quelle: Casado I et al.: Repeated influenza vaccination for preventing severe and fatal influenza infection in older adults: a multicentre casecontrol study. CMAJ 2018; 190(1): E3–E12.
Interessenlage: Vier der elf Autoren der referierten Studie haben Gelder von verschiedenen spanischen Gesundheitsinstitutionen erhalten.
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ARS MEDICI 12 | 2018