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BERICHT
Eine tropische Krankheit im Herzen Europas
Erkennung und Behandlung von Malaria in der Schweiz
Das klinische Bild der Malaria hat sich im Lauf der Zeit verändert. Nicht nur die als typisch bekannten Fieberschübe können Anzeichen einer Malaria sein. Patienten mit unklarem Fieber, die sich in den letzten Monaten in einem Malariagebiet aufgehalten haben, sollte man immer auf Malaria testen, erinnerte Dr. med. Andreas Neumayr vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Insutitut (Swiss TPH). Im Rahmen einer Fortbildung am Universitätsspital Basel erklärte er, wie die Krankheit am Swiss TPH diagnostiziert wird und welche Therapieoptionen empfohlen werden.
lediglich feststellen, ob Plasmodien vorhanden sind oder nicht. Da bei der Fixation die Membranen der Blutzellen lysiert werden, können nur Experten, die regelmässig mit Malariaproben in Kontakt kommen, die Morphologie beurteilen. Daher macht man anschliessend zur Bestimmung der Spezies einen Ausstrich, um sowohl die Grösse als auch andere morphologische Besonderheiten zu untersuchen. Der Zeitaufwand hierzu beträgt zirka eine Stunde, wovon allein das Färben 40 Minuten in Anspruch nimmt.
Anopheles minimus
(Foto: James Gathany, CDC)
Was ist Malaria?
Malaria ist eine Infektionskrankheit, die durch den Stich der AnophelesStechmücke übertragen wird. Sie kommt vor allem in tropischen und subtropischen Gebieten vor, da dort sowohl der Überträger heimisch ist, als auch das Gesundheitssystem nicht gut genug ausgebaut ist, um die Bevölkerung ausreichend zu schützen. Bei rechtzeitiger Erkennung und vorhandenen Möglichkeiten ist die Krankheit gut zu behandeln. Es gibt fünf Plasmodienarten, Parasiten, welche die Krankheit im Menschen auslösen können. Je nach Auslöser unterscheiden sich auch die Krankheitsverläufe voneinander. Mit Abstand am häufigsten ist dabei P. falciparum, diesem Erreger kommt die grösste Bedeutung zu.
«Die Diagnostik der Malaria ist einfach, schwieriger ist es, sich in der Schweiz der Problematik bewusst zu sein», sagte Dr. med. Andreas Neumayr. Klassischerweise ist die Mikroskopie der Goldstandard der Diagnostik. Beim «dicken Tropfen» hat man durch das grosse Volumen mehrere Lagen von Erythrozyten übereinander, weshalb die Methode eine hohe Sensitivität aufweist. Normalerweise lässt sich jedoch
Diagnostik der Wahl ist heute noch die Mikroskopie
Ein grosser Vorteil der Mikroskopie ist die Möglichkeit, die Parasitämie zu bestimmen. Damit kann die Parasitenlast quantifiziert und die Frage beantwortet werden, wie viel Prozent der Erythrozyten befallen sind. Dieser Wert dient als Surrogatmarker dafür, wie gefährlich die Krankheit ist. Handelt es sich noch um eine unkomplizierte oder schon um eine schwere Malaria? Die Expertise hierfür fehlt manchmal in peripheren Einrichtungen wie Spitälern und Diagnostiklabors in der Schweiz, da solche Untersuchungen dort nur sehr selten erfolgen. Die Bestimmung (vor allem der Art der Malaria) wird umso schwerer, je geringer die Parasitämie ist. Deshalb werden oft Proben zur Nachbestimmung an das Swiss TPH in Basel geschickt.
Schnelltests eröffnen andere Möglichkeiten bei der Diagnostik, aber ...
In den letzten Jahren haben sich aber auch Schnelltests (rapid diagnostic tests, RDT) weit verbreitet. Diese sind unkompliziert und einfach zu benutzen. Sie reagieren auf bestimmte Antigene der Parasiten im Blut. Sind solche vorhanden, ergeben sich verschiedene Banden. Aus den Mustern kann man schliessen, ob Malaria vorhanden ist, und wenn ja, ob es sich um P. falciparum handelt (für das ein eigenes, spezifisches Protein nachgewiesen wird, nämlich das HRP-2.) Dies ist im Allgemeinen die wichtigste Frage, da vor allem P. falciparum für die schwere Form der Krankheit verantwortlich ist. Für
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andere Erreger wie P. vivax, P. ovale, P. knowlesi oder P. malariae weisen die Schnelltests jedoch eine schlechte Sensitivität auf, hier kann wieder die Mikroskopie weiterhelfen. Allerdings birgt der zunehmende Einsatz der Schnelltests auch eine Gefahr. Da sie das Mittel der Wahl zur Diagnostik im Feld sind, haben sich in den letzten Jahren in vielen Gebieten (Südamerika, Afrika und Südostasien) HRP-2-negative Mutanten verbreitet; diese Mutanten haben einen evolutionären Selektionsvorteil. Da sie im Schnelltest nicht nachweisbar sind, erfolgt bei den betroffenen Patienten keine rasche Therapie, sodass sich die HRP-2-negativen Mutanten weiterverbreiten können, während Plasmodienstämme mit HRP-2 zurückgedrängt werden. Die Entwicklung neuer Tests ist darum wichtig. Ein allgemeines Problem aller Schnelltests ist, dass im Gegensatz zur Mikroskopie keine Quantifizierung der Parasitenlast möglich ist. Sowohl bei sehr niedrigen wie auch seltener bei extrem hohen Parasitämien können solche Tests negativ ausfallen (bekannt als Prozonenphänomen, d.h. eine ausbleibende Präzipitationsreaktion). Hinzu kommt, dass die Antigene im Blut noch eine Weile erhalten bleiben, weshalb auch die Tests noch positive Resultate anzeigen, wenn der Betroffene schon wieder eine Weile gesund ist. Deshalb sind die Schnelltests für die Verlaufskontrolle von Patienten nicht geeignet. Es gibt noch eine weitere interessante Methode, wenn man sich mikroskopisch nicht ganz sicher ist. Mithilfe der PCR (Polymerasekettenreaktion mit Vervielfältigung von ErregerDNA) lässt sich die genaue Spezies sicher bestimmen. Nachteile sind dabei allerdings der hohe Preis und die geringe Verfügbarkeit, weshalb das Verfahren (noch) weit vom Routineeinsatz entfernt ist.
Abhängig von Region, Infektionsdruck und Anzahl vorhergehender Malariaerkrankungen, kann auch eine Teilimmunität erworben werden. Diese baut sich nur auf, wenn man jährlich zwei- bis dreimal erkrankt, und bleibt auch nur erhalten, wenn man danach regelmässig mit den Krankheitserregern in Kontakt bleibt. Zieht jemand aus einem endemischen Gebiet fort, wird die Semi-Immunität nach einer Weile schwächer, bis die Person dann irgendwann fast genauso zu behandeln ist, wie eine Person, die noch nie in einem solchen Gebiet war. Bei Migranten der ersten Generation, bei denen der Kontakt mit Erregern noch nicht lange zurückliegt, tritt deshalb extrem selten die schwere Form der Krankheit auf.
Unbedingt schnell behandeln
Hinsichtlich der Therapie ist der Zeitfaktor entscheidend, die Krankheit wird immer gefährlicher, je länger sie unbehandelt bleibt. Neumayr drückte es so aus: «Über Malaria geht an keinem Tag die Sonne unter», das heisst, bei Verdacht auf Malaria nie abwarten. Da sich die Empfehlungen der WHO an Einheimischen orientieren, die im Umgang mit der Krankheit robuster sind als Menschen, die noch nie zuvor damit in Kontakt waren, gibt es in der Schweiz angepasste Kriterien (1). Schon innerhalb von drei Tagen kann sich bei nicht immunen Patienten eine enorme Parasitenlast aufbauen, weshalb jeder, der länger krank ist, bei uns deutlich gefährdeter ist als in Endemiegebieten, unterstrich Neumayr. Besteht ein Verdacht auf Malaria ohne direkte Möglichkeit, diese zu diagnostizieren, sollte man zunächst einmal empirisch behandeln. Im Zweifelsfall gilt es, sich an den Behand-
Schwere der Krankheit bestimmt die Therapie
Generell gilt es als Erstes herauszufinden, ob es sich um eine unkomplizierte oder eine schwere Form der Malaria handelt, um den Patienten entweder ambulant behandeln zu können oder ihn zu hospitalisieren. Meist werden die Infektionen in der Schweiz jedoch früh genug erkannt, um die Krankheit ambulant gut behandeln zu können; Hospitalisierungen kommen nur äusserst selten vor. Handelt es sich um einen unkomplizierten Verlauf, können alle Erreger der Auslöser sein, beim schweren Verlauf kommt dagegen nur P. falciparum in Frage. Nur hier kann eine solch hohe Parasitämie entstehen, dass es für die infizierte Person gefährlich wird. Das hängt sowohl mit dem Parasiten, als auch mit dem Wirt und seinen Schutzmechanismen zusammen.
Körpereigene Abwehrmechanismen
Kein Abwehrmechanismus im eigentlichen Sinn sind Mutationen, die in Bezug auf die Malaria für die betroffenen Personen von Vorteil sind, obwohl die Mutation an sich nicht günstig ist. Dazu gehört zum Beispiel die Sichelzellanämie, weil die verformten Erythrozyten nicht von Plasmodien befallen werden können. In Malariagebieten ist der Anteil der heterozygoten Träger des entsprechenden Gens darum deutlich höher als in der Schweiz. Auch andere genetische Aberrationen, wie beispielsweise Thalassämien im Mittelmeerraum, können dazu führen, dass die Wirtszellen schwerer zu infizieren sind.
Eigenschaften von P. falciparum, die es gefährlicher machen als andere Erreger
1. Die Parasiten bauen in den infizierten Erythrozyten von innen Rezeptoren in deren Membran ein. Diese funktionieren nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip zu den Endotheloberflächenrezeptoren der Blutgefässe, und der Rezeptorkomplex haftet wie ein Klettverschluss. Erythrozyten verkleben untereinander (Rosetting) und heften sich ans Endothel an (Zytoadhärenz), was auf Dauer dazu führt, dass die Blutgefässe verengt oder bei schwerer Malaria sogar komplett blockiert werden.
2. Durch dieses Anheften entgehen infizierte Erythrozyten der Aussortierung in der Milz (Sequestration).
3. Die Parasiten besitzen Gene für zirka 50 verschiedene Varianten dieser Rezeptoren, sodass sie diese regelmässig ändern und so der Entdeckung durch das Immunsystem entgehen können.
4. Zytoadhärenzausbildung und damit auch fehlende Sequestration führen dazu, dass das Resultat der Parasitämiebestimmung komplett falsch ausfallen kann. Zum falschen Zeitpunkt ist kaum etwas nachzuweisen, da sämtliche infizierten Blutzellen gerade nicht zirkulieren.
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lungsempfehlungen für P. falciparum zu orientieren, da diese auch auf die anderen Spezies anwendbar (downkompatibel) sind. Dies gilt auch bei Unsicherheit über die Schwere der Erkrankung. Lieber später deeskalieren, falls es sich um einen unkomplizierten Fall handelt, als von Anfang an unterzutherapieren (1). Aufgrund der Eigenschaften von P. falciparum (siehe auch Kasten) kann die Parasitämie bei einer Infektion mit diesem Erreger bis zu 50 Prozent erreichen, bei anderen Erregern kommt sie selten über 4 Prozent hinaus. Das liegt daran, dass diese anders als P. falciparum (das Erythrozyten aller Reifestadien befallen kann) auf bestimmte Subpopulationen der roten Blutzellen spezialisiert sind, und sich als «Feinschmecker» selber limitieren. P. vivax hat wenig Substrat, weil es vor allem Retikulozyten befällt, wovon in der Zirkulation nicht mehr als 4 Prozent vorhanden sind.
«Die Diagnostik der Malaria ist einfach, schwieriger ist es, sich in der Schweiz der Problematik bewusst zu sein.»
Medikamentöse Behandlung
Seit Ende der 1990er-Jahre ist Artesunat auf dem Markt und mittlerweile das Mittel der Wahl bei schwerer Malaria, sogar während der Schwangerschaft. Hier überwiegt der Überlebensvorteil klar das potenzielle Risiko. Allerdings wird die Substanz erst jetzt langsam weltweit verfügbar (auch in der Schweiz gibt es noch keine zugelassenen Präparate), im Gegensatz zu Chinin, welches seit mehr als 500 Jahren verwendet wird und deshalb auch vielerorts noch genutzt wird, wo kein Zugriff auf die neuere Alternative besteht. Im Vergleich zu Chinin lässt sich die Mortalität mit Artesunat um bis zu 30 Prozent senken (2). Artesunat wirkt effektiver gegen die zirkulierenden Ringstadien und kann dem Problem der Zytoadhärenz und der Sequestration vorbeugen. Ein Grossteil der Erreger wird abgetötet, bevor diese in der Lage sind zu sequestrieren, während Chinin erst auf die sequestrierten Stadien wirken kann. In den meisten nicht endemischen Gebieten sind Arzneimittel mit Artesunat nicht zugelassen, und es kommt vermehrt zu Off-label-Gebrauch. Deshalb wird in der Schweiz häufig Riamet® als Standard in der Notaufnahme verwendet, eine Kombination aus Artemether, aus der gleichen Wirkstoffklasse wie Artesunat, und Lumefantrin. Diese Wirkstoffkombination wird sowohl bei unkomplizierter, wie auch bei schwerer Malaria eingesetzt (1). Allerdings gebe es Hinweise, dass die empfohlene Therapiedauer von drei Tagen ungenügend sein könnte, um P. falciparum wirksam zu behandeln. Vorgeschlagen wird daher eine Verlängerung der Therapie auf insgesamt 5 Tage, erläuterte der Experte (1). Vermehrte Nebenwirkungen seien darunter nicht zu verzeichnen.
Im Hinterkopf zu behalten
Allerdings gelte es dennoch, bei der Therapie einige Aspekte
im Hinterkopf zu behalten. Es werde fast immer von Mono-
infektionen ausgegangen, allerdings sei das nicht der Stan-
dard. Oftmals komme es zu Mehrfachinfektionen, die antizy-
klisch im Patienten Symptome auslösen, weshalb die Be-
schreibung der klassischen Fiebermuster veraltet sei. So kann
die erste Infektionswelle die folgenden beeinflussen, da das
erste Fieber einen negativen Einfluss auf das Wachstum der
zweiten Welle hat. Nach einiger Zeit kann es passieren, dass
sich die Zyklen synchronisieren, um ihre Wachstumsbedin-
gungen zu optimieren. Das ist zwar bei Patienten in der
Schweiz nicht so oft der Fall, dennoch sind die klassischen
Bilder damit nicht mehr zutreffend.
Die Anzahl der Infektionen kann den gesamten weiteren
Krankheitsverlauf beeinflussen. Ist die Infektionsdosis gerin-
ger, kann es viel länger dauern, bis genügend Erreger vorhan-
den sind, damit das Fieber klinisch wahrgenommen wird. Bei
einer hohen Dosis ist die Fieberschwelle wesentlich schneller
erreicht. Das erklärt auch gewaltige Unterschiede bei den In-
kubationszeiten. Die minimale Dauer beträgt eine Woche, bei
P. falciparum machen sich 99 Prozent der Fälle innerhalb der
ersten Monate bemerkbar, bei selteneren Erregern wie P. ma-
lariae und P. ovale kann das auch über ein Jahr dauern. Dies
müsse man stets bedenken und Patienten mit Fieber, die in
den letzten Monaten in endemischen Gebieten waren, immer
auf Malaria testen, betonte Neumayr.
Vorsicht geboten ist bei Migranten, die eine potenzielle Teil-
immunität aufweisen können. Sie können als Zeichen einer
Malaria beispielsweise Kopf- und Gliederschmerzen haben,
während das klassische Fieber komplett fehlen kann. Perso-
nen aus Endemiegebieten sind nicht zu vergleichen mit Tou-
risten, die in eben jene Länder reisen.
Auch die Prophylaxe, welche meistens mit Malarone® durch-
geführt wird, bietet keinen 100-prozentigen Schutz. Die
Effektivität liegt im Optimalfall bei 98 bis 99 Prozent, aller-
dings ist eine perfekte Einnahme bei Touristen nicht zu erwar-
ten. Im Falle einer Infektion wird dadurch auch die Sympto-
matik abgeschwächt. Das gleiche gilt für Antibiotika wie
zum Beispiel Doxycyclin, dass ebenso Malaria attenuieren
kann. Deshalb muss man bei der Anamnese immer nach Pro-
phylaxe- und anderen Medikamenten fragen und darf nie
komplett ausschliessen, dass Malaria vorhanden ist.
L
Jakob Mücke
Quelle: «Malaria: Diagnostik und Therapie-Essentials», Vortrag im Rahmen der reise- und tropenmedizinischen Fortbildungen der Ambulanten Inneren Medizin am 28. November 2017, am Universitätsspital Basel.
Quellen: 1. Malaria Treatment Recommendations 2017 des Swiss TPH. 2. White NJ et al.: Malaria. Lancet 2014; 383: 723–735.
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