Transkript
FORTBILDUNG
Antibiotikum nach Abszessdrainage – wann und wenn ja, welches?
Empfehlungen für die Praxis
In seiner Serie der «Rapid Recommendations» hat das «British Medical Journal» in Zusammenarbeit mit der MAGIC-Gruppe eine Praxisguideline zum Einsatz von Antibiotika als Ergänzung zu Inzision und Drainage bei Hautabszessen publiziert.
British Medical Journal
Eine Identifikation des Pathogens ist bei unkomplizierten Hautabszessen nicht notwendig, kann aber bei Rezidiven oder systemischen Grunderkrankungen weiterhelfen. Häufigste Erreger sind Staphylococcus aureus, besonders methicillinresistente Stämme (MRSA), ferner auch etliche andere, der normalen Hautflora entstammende Bakterien. Leitlinien aus verschiedenen europäischen und amerikanischen Quellen sprechen sich gegen einen Einsatz von Antibiotika bei Hautabszessen aus. Das britische Leitlinienpanel stützt sich auf eine systematische Übersicht von 14 randomisierten, kontrollierten Studien, in denen bei unkomplizierten Hautabszessen zusätzlich zur Inzision und Drainage jeweils Patienten mit und ohne Antibiotikabehandlung oder Therapien mit verschiedenen Antibiotika verglichen wurden.
Eher Antibiotika einsetzen – aber dies mit den Betroffenen besprechen
Die Empfehlungen beziehen sich auf Patienten mit unkomplizierten Hautabszessen und können nicht bei Verdacht auf systemische Erkrankung (z.B. Sepsis), bei oberflächlichen Hautinfekten, Hidradenitis suppurativa oder Immundefekten angewendet werden. Empfehlung 1 (schwach): Verabreichung von Cotrimoxazol oder Clindamycin zusätzlich zu Inzision und Drainage anstatt alleiniger Inzision und Drainage. Die Frage der Therapiewahl muss aber mit jedem Patienten besprochen werden.
MERKSÄTZE
Bei bakteriellen Hautinfekten empfiehlt die Guideline den Einsatz von Cotrimoxazol oder Clindamycin zusätzlich zu Inzision und Drainage.
Cotrimoxazol oder Clindamycin reduziert in bescheidenem Umfang Schmerz und Therapieversagen und verringert wahrscheinlich Abszessrezidive, allerdings verbunden mit dem Risiko von Übelkeit und Durchfall.
Cotrimoxazol ist Clindamycin vorzuziehen, da es ein geringeres Durchfallrisiko aufweist.
Im Vergleich zum Verzicht auf Antibiotika reduzieren Cotrimoxazol oder Clindamycin das Risiko eines Therapieversagens nach 1 Monat um ungefähr 5 Prozent (Evidenz hoher Qualität). Bei geheilten Patienten verringerten diese Antibiotika das absolute Risiko eines Rezidivs nach 3 Monaten um zirka 8 Prozent (Evidenz hoher Qualität). Zählt man initiales Therapieversagen und Rückfallrisiko zusammen, bewirken Cotrimoxazol oder Clindamycin eine Reduktion von 13 Prozent. Evidenz mittlerer Qualität lässt zudem auf eine mässige Reduktion von Schmerzen, auf selteneres Fieber sowie auf etwas seltenere Hospitalisationen und weniger ähnliche Infektionen bei Kontaktpersonen im selben Haushalt schliessen. Da Patienten mit Hautabszessen in der Allgemeinpraxis im Vergleich zu Patienten auf Notfallambulanzen andere Charakteristika aufweisen, dürfte der Therapienutzen der Antibiotika hier geringer ausfallen. Wahrscheinlich verringern Antibiotika das Risiko für schwere oder invasive Infektionen oder Todesfälle nicht (Evidenz moderater Qualität). Das Guidelinegremium ist sich bewusst, dass hinsichtlich des Einsatzes von Antibiotika bei Patienten und Ärzten eine grosse Variationsbreite in der Gewichtung erwarteter erwünschter und unerwünschter Behandlungseffekte besteht. Deshalb wurde die Empfehlung als schwach eingestuft. Empfehlung 2 (stark): Wenn Patienten sich für eine Antibiotikabehandlung ausgesprochen haben, sind Cotrimoxazol oder Clindamycin gegenüber Cephalosporinen zu bevorzugen. Die Effekte anderer Antibiotika sind spekulativ, ausser für Cephalosporine, die wahrscheinlich weniger oder nicht effektiv sind. Gemäss Netzwerkmetaanalyse bieten Cephalosporine bei einer substanziellen Prävalenz von MRSA gegenüber dem Verzicht auf Antibiotika keinen Vorteil hinsichtlich Therapieversagen (Evidenz moderater Qualität). Empfehlung 3 (schwach): Soll eine Antibiotikabehandlung begonnen werden, ist Cotrimoxazol dem Clindamycin vorzuziehen. Dies muss mit dem Patienten zur gemeinsamen Entscheidfindung diskutiert werden. Mit Clindamycin ist das Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen, in erster Linie Durchfälle, im Vergleich zu einer Behandlung ohne Antibiotika um zirka 10 Prozent höher (Evidenz hoher Qualität). Das Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen ist bei Cotrimoxazol mit etwa 2 Prozent geringer (Evidenz moderater Qualität) und besteht vor allem in Nausea. Insgesamt gibt es
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beim Therapieversagen zwischen Cotrimoxazol und Clindamycin keinen wichtigen Unterschied. Patienten, die der Vermeidung eines Abszessrezidivs einen höheren Stellenwert beimessen, werden sich eher für Clindamycin entscheiden, während diejenigen, denen es wichtig ist, Durchfälle zu vermeiden und die Kosten tief zu halten, sich wahrscheinlich eher für Cotrimoxazol entscheiden werden, wie die Autoren schreiben.
Und die Gefahr von Antibiotikaresistenzen?
Diese Empfehlungen machen sich explizit eine patientenorientierte Sichtweise zu eigen, anstatt eine sozialmedizinische oder gesellschaftliche Perspektive einzunehmen. Aus gesellschaftlicher Sicht überwiegt angesichts der Beunruhigung über die Zunahme von Antibiotikaresistenzen der bescheidene Nutzen adjuvanter Antibiotika bei Hautabszessen das Risiko weiterer Resistenzen möglicherweise nicht. Dazu äussert sich das Leitlinienpanel wie folgt: «Die Auswirkung einer
individuellen Antibiotikabehandlung auf die Resistenzraten
in der Bevölkerung ist jedoch unbekannt, und somit bleibt
hoch spekulativ, ob Antibiotika in dieser Situation einen
Nettonutzen oder Nettoschaden bewirken.»
L
Halid Bas
Quelle: Vermandere M et al.: Antibiotics after incision and drainage for uncomplicated skin abscesses: a clinical practice guideline. BMJ 2018; 360: k243.
Auch zugänglich über https://www.magicapp.org/app#/guideline/ 2303
Interessenkonflikte: Für die Autoren werden im Zusammenhang mit der referierten Originalpublikation keine finanziellen Interessenkonflikte deklariert.
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