Transkript
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Rippengürtel adieu?
Im Folgenden wird eine neue Methode zur Behandlung der Rippenfraktur vorgestellt, die — im Gegensatz zum heute hauptsächlich verwendeten Rippengürtel — die Thoraxexkursionen nicht einschränkt. Die lokal applizierbare formbare Rippenschiene aus Aluminium ist einfach anzuwenden, wirkt schmerzmindernd und vermeidet die schmerzbedingte und durch eine vollständige Thoraximmobilisation begünstigte Minderventilation.
Adrian Müller
Dilemma Rippenfraktur Die Rippenfraktur ist ein bekanntes und häufiges Problem in der Hausarztpraxis. Schon 1851 empfahl der französische Chirurg Joseph-François Malgaigne (1806—1865) zur Therapie die Fixation des Brustkastens. In der heutigen Praxis wird in erster Linie ein Rippengürtel angelegt, der die Beweglichkeit der gebrochenen Rippe einschränkt und so teilweise die Beschwerden lindert. Diese Methode hat ihren Preis: Leider wird nicht nur die Rippe, sondern der ganze Thorax in seiner Exkursion eingeschränkt, was zu einer Minderventilation und schlimmstenfalls zu einer Pneumonie führen kann. Eine neue Methode beziehungsweise ein neues Hilfsmittel soll diese unerwünschten Begleiterscheinungen vermeiden: die Brustkorborthese oder Rippenschiene. Das Prinzip ist einfach: Statt wie in früheren Jahrhunderten und bis heute üblich alle Rippen zirkulär mit einem Gürtel oder einem Verband einzuschränken, wird lokal, das heisst auf die gebrochene Stelle, eine 12 x 12 bis 17 x 17 cm grosse, harte, aber formbare Aluminium-Rippenschiene aufgeklebt. Das erfordert nur wenige Sekunden. Die Rippenschiene bewirkt, dass die auf diese Weise fixierten, ober- und unterhalb der Frakturstelle liegenden gesunden Rippen die Frakturstelle mitfixieren und immobilisieren. Eine die Orthese umgebende wasserdichte Folie ermöglicht darüber hinaus eine normale Körperpflege.
Abbildung: Angelegte Rippenschiene.
Die Idee ist im Grundsatz nicht neu, sondern eigentlich altvertraut: Seit Jahrhunderten schienen wir Zehenfrakturen, indem wir die gebrochenen Zehen an den gesunden Zehen fixieren.
Weniger Schmerzen und höhere Vitalkapazität Dass die Rippenschiene sowohl Lungenfunktion wie Schmerzen positiv beeinflusst, wurde anlässlich des 7. Europäischen Traumakongresses 2006 aufgezeigt. Vorgestellt wurde eine «Plazebo»-kontrollierte Studie zur Brustkorborthese. Den Patienten der Verumgruppe wurde eine harte alumi-
niumbasierte Rippenschiene auf die Frakturstelle aufgeklebt. Als Plazebo diente in der Kontrollgruppe ein identisch aussehender weicher Schwamm, der zu keiner partiellen Immobilisation des Thorax führte. Prospektiv wurden mittels visueller Analogskala von 1 bis 10 die Schmerzempfindung sowie spirometrisch die Lungenfunktionswerte erfasst. Die Schmerzmedikation mit NSAR sowie wenn nötig Atemtherapie und Mukolytika wurden in beiden Gruppen identisch eingesetzt. Ausgeschlossen von der Studie waren sehr adipöse Patienten sowie Patienten mit einem Polytrauma.
268 ARS MEDICI 7 ■ 2009
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FVC-Veränderung (ml)
700 600 500 400 300 200 100
0 -100 -200
Kontrolle Chrisofix
161
410 301
00 -154
-134
-31
0h
1—2 h
24 h
48 h
Zeit nach Erstkonsultation
616 161
72 h
Grafik: Zunahme der forcierten Vitalkapazität (FVC) mit Rippenschiene gegenüber Kontrollgruppe (p < 0,005). Visual Analogue Scale (Schmerz) 0 0h -0.5 -1 -1.5 -2 -2.5 -3 1 h 24 h Kontrolle Rippenschiene 48 h 72 h normalen Verlauf einer schmerzbedingt reduzierten forcierten Vitalkapazität zeigten, wiesen die Rippenschienenpatienten von Beginn an Werte auf, die zwischen 315 und 450 ml höher lagen. Dieser Effekt liess sich schon am Unfalltag, unmittelbar nach Aufkleben der Orthese, nachweisen (+ 315 ml, p = 0,0005). Fazit Die aufklebbare Rippenschiene führt bei der Behandlung von Rippenfrakturen zu einer nachweisbaren Schmerzreduktion und verhindert eine Einschränkung der Ventilation der Lunge. Sie stellt eine viel versprechende Alternative zum her- kömmlichen Rippengurt dar, die gerade in der Grundversorgerpraxis grossen Anklang finden könnte. ■ Dr. med. Adrian Müller FMH Innere Medizin Zugerstrasse 64 8810 Horgen E-Mail: mullera@chaseren.com Interessenlage: Die Studien wurden durch die Herstellerfirma Chrisofix AG, Neuhausen am Rheinfall, ermöglicht. Der Autor berät die Firma Chrisofix AG und ist Mitglied des VR. Grafik: Schmerzabnahme gemäss VAS (visual analogue score) bei Inspiration. In der Gruppe mit der Rippenschiene (Durchschnittsalter 55,8 Jahre) kam es zu einer schnelleren und deutlicheren Schmerzreduktion als in der Plazebogruppe (Durchschnittsalter 44,7 Jahre). Der Unterschied war statistisch signifikant: p = 0,015 bei n = 72. Hospitalisierte Patienten der Rippenschienengruppe konnten trotz des höheren Durchschnittsalters im Mittel 2,2 Tage früher entlassen werden (nach 4,6 statt nach 6,8 Tagen; p < 0,001). Bei den Lungenfunktionen zeigten sich bereits in den ersten Tagen massive Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: Während die Plazebopatienten den Referenzen: Bolla K., Bolla O.: Medical splint and method of its manufacturing. European Patent Office: EP 0874607 B1 Internat. Public. No.: WO 97/022312 (26.06.1997 Gazette 1997/27). Bolla K.: Vorrichtung zur schmerzlindernden Immobilisierung von gebrochenen Rippen. PCT/PCT/CH 2004/00109, 2004. Mészáros T., Sárváry A., Petri A., Záborszky Z., Bolla K.: Use of chest orthosis can significantly shorten the hospitalisation of rib fracture patients. 7th European Trauma Congress; Code: G514C0281. Zsiros L., Zaborszky Z., Petri A., Gergels Zs., Bolla K.: Easy and effective method for the treatment of rib fracture by using Chrisofix-technique. 7th European Trauma Congress; Code: G514C0347 ARS MEDICI 7 ■ 2009 269