Transkript
BERICHT
Einfache Harnwegsinfekte
Wie man sie ohne Antibiotika wieder loswerden kann
Antibiotika sind die übliche Therapie bei Harnwegsinfekten. Während sie bei einer Pyelonephritis unverzichtbar sind, sieht das bei unkomplizierten, unteren Harnwegsinfekten anders aus. Hier können Phytotherapeutika eine Alternative sein, berichtete Dr. med. Dorothee Struck an der Schweizerischen Jahrestagung für Phytotherapie.
In den einschlägigen Guidelines sind Antibiotika die erste Wahl bei Harnwegsinfekten. Die Kieler Frauenärztin Dr. med. Dorothee Struck ist anderer Meinung. Nach ihrer Erfahrung gehe es in den allermeisten Fällen auch ohne. Bei vielen Frauen reichten Phytotherapeutika und die bekannten Hygienemassnahmen aus. Wenn die Infektion jedoch in Richtung Nieren ziehe und zur Pyelonephritis zu werden drohe, «müssen Antibiotika unbedingt sein», betonte die Referentin. Gerade vor Wochenenden oder Feiertagen gebe sie den Patientinnen deshalb ein Antibiotikarezept für alle Fälle mit auf den Weg und erkläre ihnen ganz genau die Alarmzeichen einer Nierenbeckenentzündung: Flankenschmerzen, Fieber, Schüttelfrost.
Abwarten und Tee trinken?
Kräutertee gilt als bewährtes Hausmittel gegen Harnwegsinfekte. Im Prinzip stimmt das auch, aber man kann dabei viel falsch machen. Es beginnt mit der Teequalität. Was im Supermarkt angeboten werde, sei leider oft «klein geschnittenes, wirkstofffreies Zeug» minderer Qualität, sagte Struck. Tee aus der Apotheke sei die bessere Wahl, aber auch damit könne noch einiges schiefgehen. Man müsse die botanisch korrekte Pflanze wählen, der Tee müsse korrekt zubereitet und gelagert werden, und viele Patientinnen tränken zu wenig. Doch selbst wenn alles richtig gemacht werde, erreicht man mit einem Tee nicht immer ausreichende Wirkstoffkonzentrationen für eine heilsame Wirkung in den Harnwegen, die über den reinen Durchspüleffekt hinausgehe. Deshalb sei sie in ihrer Praxis auf Phytopräparate umgestiegen, die eingenommen werden könnzen, sagte die Referentin.
Senfölglykoside haben ein breites antibakterielles Spektrum.
Nützliche Scharfmacher
Senfölglykoside sind bei Harnwegsinfekten die «pflanzlichen Antibiotika» Nummer eins. Sie sind für den scharfen Geschmack verschiedener Pflanzen wie Kapuzinerkresse, Meerrettich, Weisskohl oder Senf verantwortlich und gehören
chemisch zu den Isothiocyanaten. Diese sekundären Pflanzenstoffe haben ein breites antibakterielles Wirkspektrum, sowohl gegen grampositive und gramnegative Erreger als auch gegen resistente E.-coli-Stämme oder Problemkeime wie MRSA. Darüber hinaus bewirkten die antiphlogistischen Eigenschaften der Isothiocyanate eine rasche Linderung der Beschwerden, sagte Struck.
Das Mikrobiom des Darms wird durch Senfölglykoside nicht beeinträchtigt, weil die aktiven Substanzen erst beim Abbau in der Leber entstehen.
Die antibakterielle Wirkung der pflanzlichen Senfölglykoside entfaltet sich erst, nachdem sie in der Leber um- und abgebaut worden sind. Das Darmmikrobiom wird geschont. Nach dem Umbau in der Leber werden die antimikrobiell wirksamen Abbauprodukte über Blase und Atemluft ausgeschieden. Auf diesem Weg können klinisch relevante Konzentrationen der Wirkstoffe erreicht werden. In Deutschland ist seit über 50 Jahren ein Arzneimittel mit Isothiocyanaten des Kapuzinerkressekrauts (Tropaeoli majoris herba, Abbildung 1) und der Meerrettichwurzel (Armoraciae rusticanae radix) apothekenpflichtig auf dem Markt (Angocin® Anti-Infekt) und dort auch für Kinder zugelassen. Die antibakterielle Wirkung sei in vitro (1, 2) und klinisch belegt, unter anderem für akute Harnwegsinfekte, Sinusitis und Bronchitis (3) sowie zur Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfekte (4), berichtete die Referentin. Das Medikament ist in der Schweiz nicht zugelassen, kann aber über die Apotheke bestellt werden.
Rezidivierende Harnwegsinfekte
Gegen die sogenannte Honeymoon-Zystitis, die Blasenentzündung nach Geschlechtsverkehr mit einem neuen Partner, empfahl Struck neben den üblichen Verhaltensmassnahmen
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BERICHT
Abbildung 1: Blüte der Grossen Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus); für Präparate mit antibakterieller Wirkung werden die Blätter verwendet (Foto: Adampauli/CC BY-SA 3.0/ commons.wikipedia.org)
Abbildung 2: Echtes Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea); für die Phytotherapie werden alle oberirdischen Teile der Pflanze verwendet (Foto: Bernd H/ CC BY-SA 3.0/ commons.wikipedia.org)
ein Kombinationspräparat mit Inhaltsstoffen aus Tausendgüldenkraut (Abbildung 2), Liebstöckelwurz und Rosmarin (Canephron®; in der Schweiz nicht zugelassen). Das Präparat sollte über mindestens 7, besser 14 Tage eingenommen werden. Canephron® oder Angocin® Anti-Infekt sind auch zur Sekundärprophylaxe nach Harnwegsinfekten geeignet. Während Canephron® gut verträglich und problemlos in der Anwendung sei, könnten die scharfen Isothiocyanate bei langfristigem Gebrauch der Magen-Darm-Schleimhaut zu schaffen machen. Rezidivierende Harnwegsinfekte, Reizblase und Inkontinenz sind typische Probleme älterer Frauen. Dabei spielen eine Senkung der Blase oder der Harnröhre, mangelnde Durchblutung wegen Beckenbodenschwäche und sinkende Östrogenspiegel eine Rolle. Mit dem Rückgang des Östrogens wird die vaginale Schleimhaut dünner, das heisst, sie hat weniger gegeneinander verschiebbare Schichten, und die für die fruchtbaren Jahre typischen Laktobazillen verschwinden aus der Vaginalflora. Seit hormonelle Kontrazeptionspräparate mit extrem wenig Östrogen auf dem Markt seien, seien aber auch «junge Frauen, die völlig unteröstrogenisiert sind» keine Seltenheit, berichtete Struck aus ihrer Praxis. Der Östrogenmangel führt bei ihnen zu einer Schleimhautatrophie ähnlich wie bei Frauen nach der Menopause sowie zu einer gestörten Vaginalflora, welche bakterielle Infektionen begünstigt. Nicht zuletzt können auch Tampons die Laktobazillenflora schädigen: «Der Tampon saugt nicht nur das Blut auf, sondern auch die Laktobazillen», betonte Struck. Fragen nach der individuell passenden Verhütung und der Menstruationshygiene sind wichtig, wenn es um die Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfekte geht. Mehr Östrogen in der oralen Kontrazeption beziehungsweise lokale Östrogene in den Wechseljahren können hilfreich sein. Weitere therapeutische Optionen für ein besseres Schleimhautmilieu sind neben den oben genannten Phytotherapeutika die D-Mannose, das «Bohnerwachs für die Blase», um die Anheftung von Keimen zu erschweren (Cave: Darmprobleme, Flatulenz), die sogenannte Schaukeldiät (um den Harn abwechselnd alkalischer oder saurer zu machen), Laktobazillenpräparate (oral, vaginal), Autovakzinen oder eine mikrobiologische Therapie.
Kürbis gegen Reizblase, Melisse bei Harninkontinenz
Auch bei einer sogenannten Reizblase können Östrogene hel-
fen. An allererster Stelle steht hier aber die genaue Anamnese.
Neben naheliegenden Ursachen, wie zum Beispiel einer Rei-
zung wegen Schleimhautatrophie, könne auch ein NSAR da-
hinterstecken, denn diese Medikamente «können nicht nur
die Darmschleimhaut reizen», und selbst Nahrungsmittelun-
verträglichkeiten könnten sich als Reizblase manifestieren,
sagte Struck.
Als Sekundärprophylaxe bei Harnwegsinfekten und als
«Reizblasenkur» für postmenopausale Patientinnen empfahl
sie ein Kombinationspräparat aus Arzneikürbissamenöl, Ge-
würzsumachrinde und Hopfenzapfen (Granu fink® femina)
über einen Zeitraum von vier bis acht Wochen. Den vom
Hersteller genannten Einnahmerhythmus (3× tgl. 1 Kapsel,
d.h. 1-1-1) könne man getrost auf 1-0-2 umstellen, sagte
Struck; dieser sei nicht nur besser für die Compliance, son-
dern auch hinsichtlich einer Nykturie günstiger, um den
Patientinnen einen besseren Schlaf zu verschaffen. Falls die
Probleme eher tagsüber aufträten, könne man auch einen
2-0-1-Rhythmus wählen.
Bei Dranginkontinenz oder auch bei der überaktiven Reiz-
blase empfahl die Referentin Melisse (Ceres-Tropfen Urtink-
tur) oder krampflösende, beruhigende Phytokombinations-
präparate (z.B. Neurexan®, Spascupreel®, Letzteres ist in der
Schweiz nicht zugelassen). Für Patientinnen mit Stressinkon-
tinenz wegen Bindegewebsschwäche seien die Wirkstoffe der
Esche, Fraxinus excelsior (Ceres-Tropfen Urtinktur oder D4
Tropfen/Globuli), eine gute Wahl.
L
Renate Bonifer
Quelle: Struck D: HWI – Phytotherapie als Alternative zu Antibiotika. 32. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie, 23. November 2017 in Brugg Windisch.
Literatur: 1. Conrad A et al.: In-vitro-Untersuchungen zur antibakteriellen Wirksam-
keit einer Kombination aus Kapuzinerkressenkraut (Tropaeoli majoris herba) und Meerrettichwurzel (Armoraciae rusticanae radix). Arzneimittelforschung 2006; 56(12): 842–849. 2. Conrad A et al.: Broad spectrum antibacterial activity of a mixture of isothiocyanates from Nasturtium (Tropaeoli majoris herba) and Horeseradish (Armoraciae rusticanae radix). Drug Res 2013; 63: 65–68. 3. Goos KH et al.: Aktuelle Untersuchungen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit eines pflanzlichen Arzneimittels mit Kapuzinerkressenkraut und Meerrettich bei akuter Sinusitis, akuter Bronchitis und akuter Blasenentzündung bei Kindern im Vergleich zu anderen Antibiotika. Arzneimittelforschung 2007; 57(4): 238–246. 4. Albrecht U et al.: A randomised, double-blind, placebo-controlled trial of a herbal medicinal product containing Tropaeoli majoris herba (Nasturtium) and Armoraciae rusticanae radix (Horseradish) for the prophylactic treatment of patients with chronically recurrent lower urinary tract infections. Curr Med Res Opin 2007; 23(10): 2415–2422.
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