Transkript
Hämaturie, Dysurie – wann welche Abklärung?
Warum Blasenkrebs oft so lange unbemerkt bleibt
FORTBILDUNG
Blasenkrebs ist eine der heimtückischsten Krebsarten und wird oft nur durch Zufall entdeckt. Häufig sogar erst in einem Stadium, in dem es für eine erfolgreiche Behandlung fast zu spät ist. Dabei hat das Blasenkarzinom, früh erkannt, eine Heilungschance von über 90 Prozent. Welche Frühsymptome es gibt, wann man eine Abklärung initiieren sollte und welche Therapiemöglichkeiten bestehen, behandelt dieser Beitrag.
Martin Spahn und Stephan Bauer
Jedes Jahr erkranken in der Schweiz etwa 1200 Menschen an Harnblasenkrebs, und circa 550 Menschen jährlich sterben an diesem Tumor (1). Bei Männern, die etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Frauen, ist der Blasenkrebs die fünfthäufigste Krebsart überhaupt. Warum Tumoren in der Harnblase und in den Harnwegen entstehen, ist meist unklar. Eine der Hauptrisikofaktoren ist das Rauchen. Experten schätzen, dass etwa 30 bis 70 Prozent aller Blasenkrebsfälle darauf zurückzuführen sind. Aber auch Chemikalien, wie zum Beispiel die aromatischen Amine, die in der Chemie-, der Stahl-, der Lederindustrie, der Zahntechnik und dem Friseurhandwerk verwendet werden, können Blasenkrebs verursachen.
Eine Makrohämaturie sofort abklären
Ein Kardinalsymptom des Blasenkarzinoms ist die Hämaturie. Bei bis zu 30 Prozent der Männer, die eine Makro-
MERKSÄTZE
Das Blasenkarzinom ist ein oft unterschätzter Tumor. Dem Wahrnehmen möglicher Symptome und der frühzeitigen urologischen Abklärung kommt eine entscheidende Bedeutung für die Prognose des Patienten zu.
Während oberflächliche Blasenkarzinome durch die transurethrale Blasenresektion (TUR-B) behandelt werden können, erfordern muskelinvasive Blasenkarzinome eine komplexe und hoch spezialisierte operative Behandlung im interdisziplinären Setting.
Dem Patienten sollten in einem hoch spezialisierten Zentrum alle Möglichkeiten der kontinenten und inkontinenten Harnableitung angeboten werden, um die im individuellen Fall optimale Rekonstruktion zu ermöglichen.
Der standardisierten Operation sowie der Dokumentation der Operationsqualität kommen grosse Bedeutung zu. Diese sollten von Patienten und zuweisenden Ärzten vom behandelnden Urologen eingefordert werden.
hämaturie haben, findet sich in der weiteren Abklärung ein Blasenkarzinom. Dennoch wird eine einmalige Makrohämaturie vom Patienten oft bagatellisiert, und in der Folge wird kein Arzt aufgesucht. Diese Zeitverzögerung in der Entdeckung und Behandlung eines Blasenkarzinoms kann negative Auswirkungen auf das Überleben des Patienten haben. So ist zum Beispiel bekannt, dass bei einem neu diagnostizierten Blasenkarzinom eine Verzögerung der radikalen Zystektomie um drei Monate zu einer deutlichen Verschlechterung des Überlebens führt. Demnach ist bei Makrohämaturie ein rasches, gezieltes Handeln angezeigt. Eine urologische Untersuchung sollte innerhalb von ein bis zwei Wochen erfolgen. Während die Makrohämaturie eine klare Indikation für die sofortige urologische Abklärung ist, stellt die Mikrohämaturie ein komplexeres Problem dar. Bei bis zu 50 Prozent der Patienten, die sich in der allgemeinärztlichen/internistischen Praxis vorstellen, liegt eine Mikrohämaturie vor. Die komplette Abklärung dieser Mikrohämaturie zeigt aber letztlich nur bei weniger als 2 Prozent der Patienten einen Blasentumor (2, 3).
Welches Vorgehen bei unspezifischen Symptomen?
Häufig weisen Patienten mit Blasenkarzinom auch keine spezifischen Symptome auf, und die Tumoren werden oft erst in einem späten Stadium entdeckt. Neben einer Hämaturie können irritative Miktionsbeschwerden mit erhöhter Miktionsfrequenz, Drangsymptomatik, Inkontinenz und Nykturie, aber auch eine Dysurie, sowie rezidivierende/persistierende Harnwegsinfekte wegweisend für ein Blasenkarzinom sein. Welchem Patienten aber sollte eine weiterführende urologische Abklärung empfohlen werden? Abbildung 1 zeigt einen Algorithmus, der bei der Triage der Patienten hilfreich ist und überflüssige Untersuchungen reduziert. Zur urologischen Abklärung gehören im Allgemeinen neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung die Sonografie des Harntraktes, eine Urinanalyse mit Urinzytologie, das 3-Phasen(Uro-)CT und die Zystoskopie mit Entnahme einer Blasenspülzytologie.
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Patient stellt sich mit einem der folgenden Symptome vor • Hämaturie • Blasenspeicherstörung, irritative Blasensymptome (er-
höhte Miktionsfrequenz, Drangsymptomatik, Inkontinenz und Nykturie) • Miktionsbeschwerden/obstruktive Symptome (Dysurie) • tastbarer Unterbauchtumor • Becken oder Knochenschmerzen (Zeichen für Metastasen)
Anamnese und körperliche Untersuchung
Urinzytologie
Urinanalyse Blutanalyse
Blasenkarzinomstadien
Die Prognose betroffener Patienten hängt von der Grösse und der Infiltrationstiefe des jeweiligen Blasentumors ab. Die folgenden Abbildungen zeigen die verschiedenen Tumorstadien.
Überweisung von Patienten mit: • Makrohämaturie (jedes Alter) • Symptomatik (Drang, Frequenz, Dysurie, Mikrohämaturie
[jedes Alter]) • wiederholte asymptomatische Mikrohämaturie (Alter > 35 J.) • Patienten mit asymptomatischer Mikrohämaturie im Alter
< 35 Jahre mit Risikofaktoren1 • Miktions-und Speicherstörungen • rezidivierende/persistierende Harnwegsinfekte
1 Hochrisikofaktoren: Raucheranamnese, Beckenbestrahlung, Cyclophosphamide oder andere karzinogene alkylierende Substanzen in der Vorgeschichte und Exposition mit Gefahrstoffen wie Benzonen und aromatischen Aminen.
Abbildung 2: Bei nicht invasiven Tumoren handelt es sich um frühe Krebsstadien (Ta, T1 und TiS) mit guten Heilungschancen.
Überweisung zum Urologen
Abbildung 1: Blasentumor: Symptomatik und Abklärungsalgorithmus
© Zentrum für Urologie Zürich, Klinik Hirslanden Zürich
Abbildung 3: Infiltrierend wachsende Urothelkarzinome im Tumorstadium T2, T3 und T4 haben eine schlechtere Prognose und bedürfen einer aggressiven lokalen Therapie.
Ausmass der Resektion abhängig vom histologischen Befund
Wurde ein Blasentumor diagnostiziert, ist die operative Entfernung mittels transurethraler Blasenresektion (TUR-B) indiziert. Da die Prognose grundlegend von der Infiltrationstiefe abhängt, kommt der histopathologischen Untersuchung für die Planung der weiteren Behandlung eine entscheidende Rolle zu (4). Man unterscheidet die sogenannten oberflächlichen (nicht muskelinvasiven) Blasenkarzinome (Abbildung 2), die durch eine TUR-B beherrscht werden können, von den sogenannten muskelinvasiven Tumoren (Abbildung 3). Diese infiltrativ in die Blasenwand einwachsenden Tumoren haben ein hohes Progressions- und Metastasierungspotenzial und bedürfen einer raschen aggressiveren Therapie. Die Standardbehandlung dieser Patienten ist die radikale Zystektomie. Bei männlichen Patienten beinhaltet diese die En-blocResektion von Blase, Prostata und anhängenden Samenblasen.
Bei weiblichen Patienten erfolgt in der Regel die vordere Exenteration mit Entfernung der Blase, des Uterus und der Vaginalvorderwand. In selektierten Fällen kann bei Frauen der Uterus und die Vagina intakt belassen werden. In allen Fällen ist die radikale Zystektomie mit einer extendierten iliakalen Lymphadenektomie verbunden. Diese hat nicht nur diagnostische Bedeutung, sondern kann bei Patienten mit minimaler, lymphogener Metastasierung auch einen kurativen Effekt haben. Der Qualität der Operation und einer standardisierten Durchführung kommt eine grosse Bedeutung zu, um eine optimale Tumorkontrolle und funktionelle Ergebnisse zu erreichen. Im Rahmen der hoch spezialisierten Medizin sind eine prospektive Dokumentation der durchgeführten Operation und der intra-/postoperativen Komplikationen zu fordern sowie ein Qualitätssicherungssystem, wie es zum Beispiel in prospektiven, klinischen Studien erforder-
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Die einfachste Lösung stellt die inkontinente (nasse) Harnableitung über ein Urostoma dar. Bei dieser werden die beiden Ureteren in ein aus der Nahrungspassage ausgeschaltetes Ileumsegment implantiert, welches dann über die Bauchwand ausgeleitet wird (Abbildung 5). Der Urin wird in diesem Fall in einem auf die Haut aufgebrachten Stomabeutel aufgefangen. Neben dieser nassen Harnableitung besteht aber auch die Möglichkeit, eine kontinente Harnableitung anzulegen, bei der der Patient keinen Stomabeutel tragen muss. Hierbei spielt die Ileum-Neoblase eine wichtige Rolle (6). In diesem Fall wird aus einem Ileumanteil ein Urinreservoir gebildet, welches an die Harnröhre angeschlossen wird. Der Patient entleert seine Blase dann auf natürlichem Weg über die Harnröhre.
Abbildung 4: Intraoperative Dokumentation einer korrekt durchgeführten extendierten pelvinen Lymphadenektomie. (CIA = A. iliaca communis; EIA = A. iliaca externa; IIA = A. iliaca interna) © Spahn
Was tun, wenn die Harnröhre nicht erhalten werden kann?
In manchen Situationen kann aus onkologischen Gründen die
Harnröhre nicht erhalten werden. Diesen Patienten wurde in
der Vergangenheit vielfach lediglich eine nasse Harnableitung
angeboten. Dennoch besteht mit dem MAINZ-Pouch I eine
hervorragende Lösung, auch diesen Patienten eine kontinente
Lösung anzubieten. Hierfür wird ein ileozökales Darmseg-
ment benutzt, um ein kontinentes Reservoir zu bilden, welches
über den Nabel ausgeleitet wird. Die Blasenentleerung erfolgt
in diesem Fall durch einen intermittierenden Selbstkatheteris-
mus über das Nabelstoma, welches kosmetisch unauffällig in
der Nabelgrube positioniert wird (7).
Die Entscheidung, welche Form der Harnableitung einem Pa-
tienten empfohlen werden kann, ist immer eine individuelle
Entscheidung und sollte neben den medizinischen Faktoren
individuelle Gegebenheiten, Alter und Komorbiditäten be-
rücksichtigen (8).
L
Prof. Dr. med. Martin Spahn (korrespondierender Autor) Dr. med. Stephan Bauer Zentrum für Urologie, Zürich Prostatakrebszentrum Klinik Hirslanden Zürich Klinik Hirslanden Witellikerstrasse 40, 8032 Zürich Tel. 044 387 20 30, Fax 044 387 20 31 E-Mail: martin.spahn@hirslanden.ch Internet: www.hirslanden.ch
Interessenkonflikte: keine
Abbildung 5: Formen der Harnableitung: A) Ileum-Conduit, B) Ileum Neoblase, C) Ileozökalpouch (MAINZ-Pouch I).
lich ist (5). Abbildung 4 zeigt den intraoperativen Dokumentationsbefund einer korrekt ausgeführten pelvinen Lymphadenektomie im Rahmen der Zystektomie. Bei grossen Tumoren mit oder ohne Lymphknotenmetastasen ist gegebenenfalls eine neoadjuvante Chemotherapie nach dem Schema MVAC (Methotrexat, Vinblastin, Adriamycin und Cisplatin) oder nach dem Schema Gemcitabin/Cisplatin der Operation vorzulagern.
Die Blase ist weg – was nun?
Naturgemäss erfordert die Entfernung der Harnblase eine Ersatzlösung, um den Urin zu sammeln und auszuscheiden.
Referenzen: 1. https://www.krebsliga.ch 2. Jung H et al.: Association of hematuria on microscopic urinalysis and risk
of urinary tract cancer. J Urol 2011; 185(5): 1698–1703. 3. Hiatt RA, Ordonez JD: Dipstick urinalysis screening, asymptomatic
microhematuria, and subsequent urological cancers in a populationbased sample. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 1994; 3(5): 439–443. 4. Madersbacher S et al.: Radical cystectomy for bladder cancer today – a homogeneous series without neoadjuvant therapy. J Clin Oncol 2003; 21(4): 690–696. 5. Members of EQ, Working Groups of Scientific E. Multidisciplinary quality assurance and control in oncological trials: Perspectives from European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC). Eur J Cancer 2017; 86: 91–100. 6. Studer UE, Varol C, Danuser H: Orthotopic ileal neobladder. BJU Int 2004; 93(1): 183–193. 7. Thuroff JW et al.: Mainz pouch continent cutaneous diversion. BJU Int 2010; 106(11): 1830–1854. 8. Spahn M, Boxler S: Urinary diversion in elderly patients. Urologe 2015; 54(12): 1753–1757.
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