Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Ein Freund, beauftragt, Shampoo für seine Frau zu kaufen, ziemlich verzweifelt: «Glanzlos, strapaziert oder fettig? Ich kann nur verlieren.»
sss
Ein anderer, offenbar selbstbewussterer Freund: «Wenn mir langweilig ist, diskutiere ich 15 Minuten mit der Politesse über einen Bussenzettel unter dem Scheibenwischer, bevor ich dann zu meinem Velo gehe und wegfahre.»
sss
Dass in unserem Gesundheitswesen die Ökonomen das Sagen haben, weiss jeder, der es wissen will. Den jüngsten Beweis dafür liefert die Regelung «ambulant vor stationär». Kein Zweifel, die meisten Patienten sind froh, rasch nach Hause zu können. Für Ältere, Polymorbide, Alleinstehende oder Behinderte jedoch wären eine oder zwei Nächte Überwachung im Spital oft sicherer und weniger beschwerlich. Aber eben: Ambulant kommt den Kanton günstiger zu stehen. (Ja, ja, stimmt schon: Ärzte können eine stationäre Behandlung anordnen – mit schriftlicher Begründung. Bürokratie à gogo.) Und die Leute lassen’s sich gefallen. Vermutlich, weil sie in der Mehrheit noch nicht alt genug sind, um sich vorzustellen, was es bedeutet, aus dem Spital hinauskomplimentiert zu werden in eine unsichere häusliche Umgebung.
sss
Wie sehen Sie das? Der Mörder von Gladbeck (Sie erinnern sich vielleicht oder haben die TV-Sendung gesehen) wird dieser Tage freigelassen. Mit Glatze, dickem Bauch und neuem Namen. Die Familie des von ihm in den Kopf geschossenen 15-jährigen Emanuele (Kommentar des Mörders: «War doch nur ein Kanake») leidet heute, 30 Jahre später, noch immer. Emanuele ist definitiv tot. Keiner hat ihn nach 30 Jahren aus dem Grab entlassen. Warum also seinen Mörder jetzt freilassen? Weil nicht Rache, ja nicht einmal Strafe das Prinzip unseres
Rechtssystem ist, sondern Wiedereingliederung? Und weil jeder eine zweite Chance verdient. Nur, verdient jeder eine? Auch einer, der seinem Opfer keine gegeben hat? Tja …
sss
Sollen Vierfachmörder (z.B. der von Rupperswil), Kindsmörder (wie im Fall Marie) und Serienvergewaltiger nach der Verurteilung zu «lebenslänglicher» Haft (Dauer etwa 12 bis 20 Jahre) anschliessend lebenslänglich verwahrt werden, wie es die Verwahrungsinitiative vorsieht? Die unterschiedlichen Antworten darauf beleuchten die Diskrepanz zwischen Rechtssystem und Rechtsempfinden. «Nein», sagen die Fachleute, nur wenn der Täter nicht therapierbar ist. Und wer weiss das heute schon definitiv? In 20 Jahren kann viel passieren. «Ja», sagt dagegen das gemeine Volk. Einen, der vier Menschen sadistisch vergewaltigt und aus schierer Bösartigkeit definitiv tot gemacht hat, muss man nicht therapieren, sondern bestrafen, also wegsperren. Basta. Ohne Aussicht auf Freilassung, auch nicht in 40 Jahren. Prognose von Psychiatern hin oder her. Wer hat Recht?
sss
Es ist alles schon mal da gewesen. Beziehungsweise: Es kommt alles einmal wieder. Vor 75 Jahren entdeckte der Chemiker Albert Hofmann zufällig das Molekül Lysergsäurediethylamid (LSD). Vor gut 50 Jahren sangen die Beatles «Lucy in the Sky with Diamonds» (veröffentlicht auf der LP «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band»); der Song wurde wegen seines «LSD-Gehalts» allerdings von der BBC sofort verboten. Und heute? LSD wird gerade neu entdeckt. In Mikrodosen, glauben und lehren die modernen beziehungsweise modischen Effizienz-, Kreativitäts- und Mentalgurus im kalifornischen Silicon Valley, ist LSD reines Gehirndoping. Gesünder als Ritalin oder Koffein. Chemisches Yoga sozusagen. Es soll – also wenn das nicht überzeugt! – nichts weniger als «das Selbst» optimieren, «mental, körperlich und spirituell».
Wer nicht so genau weiss, wie man mit LSD seine Produktivität steigert, der kann sich beraten lassen, von Paul Austin, dem professionellen LSD-Microdosing-Coach. Für läppische 127 Dollar pro halbe Stunde. Wie gesagt: Irre und Dumme (die, die Irren bezahlen) sterben nie aus.
sss
Die Gattin: Ist das Gin in deinem Orangensaft? – Er: Ja. – Sie: Aber du weisst schon, dass es 8 Uhr morgens ist? – Er: Aber sicher, darum ist ja Orangensaft drin.
sss
Vor 50 Jahren hiess es «Mein Bauch gehört mir». Die Frauen wollten selber bestimmen, ob abtreiben oder austragen. Der Slogan hatte Erfolg: In den meisten Ländern ist die Selbstbestimmung der Frauen Standard. (Die Feten würden vermutlich einen anderen Slogan wählen, etwa: «Mein Uterus gehört mir!» Aber mit Lobbying by Slogan ist in diesem Alter halt noch nichts.) Item, heute heisst es: «Mein Magen gehört mir!» Und es geht nicht mehr darum, sich gegen den Einfluss von Kirche und Staat zu wehren, sondern für die Freiheit, selber bestimmen zu dürfen, ob und wieviel Fleisch, Fett und Gezuckertes auf den Tisch kommen darf, oder ob bald nur noch eine politisch korrekte Ernährung erlaubt ist.
sss
Eine besondere Art von Humor beweisen Politiker, die gegen ein Burkaverbot sind, aber den öffentlichen Raum mittels Kameraüberwachung mit Gesichtserkennung sichern wollen.
sss
Und das meint Walti: Man(n) wird nicht erwachsen. Nur die Spielsachen werden teurer.
Richard Altorfer
216 ARS MEDICI 6 | 2018